Ein Buch von Thomas Metzinger
Was können wir den großen Krisen entgegensetzen? „Uns fehlt eine neue Kombination von Herzensgegenwart und Geistesgegenwart“, schreibt der bekannte Philosoph Thomas Metzinger. In seinem Buch schlägt er vor, westliche Philosophie und Wissenschaft mit östlichen Meditationswegen zu verbinden und Raum für Weisheit zu schaffen. Ein wichtiges Buch für unsere Zeit.
Thomas Metzinger spricht Klartext: „Wir müssen uns ehrlich machen. Die Menschheit befindet sich mitten in einer planetaren Krise.” So beginnt sein Buch, in dem er den Krisen um Klima und Umweltzerstörung einen inneren Weg entgegensetzt, der Philosophie und Meditation zu einer säkularen Spiritualität verbindet.
Dabei betont er, dass Optimismus fehl am Platz sei. Wenn wir ehrlich sind, so seine Überzeugung, dann wüssten wir, dass die Klimakrise, die die Menschen in Gang gesetzt haben, nicht mehr verschwindet. Im Gegenteil: Auch wenn wir jetzt die CO2-Emissionen senken, wird sich der Klimawandel aufgrund der Trägheit des Klimasystems weiter fortsetzen.
Psychologische Kipppunkte
Nicht nur das: Im Zuge der fortschreitenden Erderwärmung ziehen auch innere Krisen auf. Metzinger nennt diese „psychologische Kipppunkte“. Sind diese erreicht, so seine Analyse, erkennen wir, dass wir uns selbst etwas vorgemacht haben, dass wir wider besseren Wissens nicht gehandelt haben, dass wir als ganze Menschheit gescheitet sind.
Dann werden wir unsere Selbstachtung und den Boden unter den Füßen verlieren. Wir sollten also nicht die drohende äußere Katastrophe abmildern, sondern auch innerlich gerüstet sein.
Ein Ausweg ist für Metzinger die Entwicklung einer neuen Bewusstseinskultur. Dem äußeren, materiellen Wachstum möchte er ein inneres Wachstum entgegensetzen. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit auf das lenken, was das menschliche Leben von innen heraus bereichert, etwa Werte wie Selbstmitgefühl, Fürsorge und Mitgefühl, aber auch innere Balance und Ruhe durch Achtsamkeit und Meditation. Er fasst dies unter dem unscharfen Begriff „säkulare Spiritualität” zusammen.
Metzinger hat, wie er berichtet, seit 46 Jahren tiefe Erfahrungen in Meditation gemacht. Immer wieder verweist er auf die “Bewusstheits-Bewusstsein”, ein für ihn erstrebenswerter, nicht-begrifflicher meditativer Zustand tiefen Friedens, in dem auch das Hängen am Ego zur Ruhe kommt.
Intellektuelle Redlichkeit
Gleichzeigt fordert er, dass die neue Bewusstseinskultur auf „intellektueller Redlichkeit” beruhen müsse. Das bedeutet „die Weigerung, sich selbst in die Tasche zu lügen”. Intellektuelle Redlichkeit erkennt Vernunftgründe und wissenschaftliche Erkenntnisse an und lehnt alles ab, was diesen zuwiderläuft. Wenn sie auf Meditation beruht, kommt sie aus „nicht-egoistischen Bewusstseinszuständen, in denen das Ich-Gefühl fehlt.”
Den institutionalisierten Religionen spricht Metzinger intellektuelle Redlichkeit ab. Er bezeichnet sie als „Wahnsysteme”, denn sie setzten sich über Evidenzen hin, leugneten die Sterblichkeit leugneten und trösteten sich mit der Erlösung im Jenseits.
Was die neue Bewusstseinskultur genau beinhaltet, wird nicht im Detail ausgeführt. Offenbar will Metzinger nur einen Anstoß geben, damit so etwas entwickelt werden kann. Dadurch wird das Buch, gerade im zweitenTeil, etwas schwammig und unkonkret. Welche Tugenden sollten in so einer Bewusstseinskultur enthalten sein? Und wie können diese in einer säkularen Gesellschaft kultiviert werden?
Die „Bewusstseins-Bewusstheit” ist vermutlich nicht die Lösung. Nur wenige Menschen können damit etwas anfangen, und es würde große Mühen und Zeit erfordern, den Geist so tief in der Meditation zu schulen.
Unser Lebensmodell hinterfragen
Das Buch ist ein guter Impuls, um über unsere innere Verfasstheit nachzudenken und was diese mit der planetaren Krise zu tun hat. Es ist Metzinger hoch anzurechnen, dass er als westlicher Philosoph einen großen Schritt auf die östlichen Weisheitstraditionen zugeht und Meditation als ein gültiges Erkenntnissystem zulässt. Das weitet den Horizont.
Die Idee, gegen die Katastrophen der Zeit eine neue Bewusstseinskultur zu setzen, ist bedenkenswert. Der Rundumschlag gegen die institutionalisierten Religionen ist allerdings wenig hilfreich. Besser wäre es, angesichts der allgegenwärtigen Krisen den Blick auf das zu richten, was Menschen über Kulturen und Weltbilder hinaus verbindet.
Im Zuge einer neuen Bewusstseinskultur ließen sich Kriterien entwerfen, auf die sich alle einigen müssten, zum Beispiel tolerant, nicht dogmatisch zu sein, demokratische Werte, Menschenrechte, die Gleichheit der Frauen usw. anzuerkennen usw.
Insgesamt ist es ein anregendes Buch, gerade weil es so viele Fragen aufwirft und manches offen lässt. Es sollte Pflichtlektüre für alle Entscheider in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sein, denn der Ansatz ist überzeugend:
Unsere Lebensmodell, das auf Wachstum beruht, ist nicht nachhaltig und hat die planetare Krise hervorgebracht. Wir sind gescheitert und müssen jetzt Wege finden umzukehren und uns neu zu besinnen. Wie das geht, können wir nur gemeinsam entwickeln. Und dabei müssen wir auch an der geistigen Ausrichtung arbeiten.
Birgit Stratmann
Thomas Metzinger. Bewusstseinskultur: Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise. Berlin Verlag 2023