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Polizisten zwischen Gesetz und Gewissen

Timeckert/ shutterstock.com
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Ethische Alltagsfragen

In der Rubrik “Ethische Alltagsfragen” greift der Philosoph Jay Garfield die Frage eines Polizisten auf, wie er mit Konflikten zwischen Gewissen und Gesetz umgehen soll. Zum Beispiel wenn Polizisten Versammlungen schützen müssen, bei denen Meinungen geäußert werden, die sie für moralisch verwerflich halten.

 

Frage: Wie ist es bei Polizisten, wenn sie einen Konflikt zwischen Gewissen und Gesetz haben. Beispiel: Eine Person, die mit illegalen, berauschenden Mitteln aufgegriffen wird, die offensichtlich dem Eigenkonsum dienen. Im Rahmen der Kontrolle müssen die Drogen beschlagnahmt werden, aber es ist klar, dass die Person aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Ressourcen Straftaten begehen muss – das heißt Beschaffungskriminalität nimmt zu, um an die Drogen zu kommen. Oder Demonstrationen: Der gesetzliche Auftrag “Schutz von Versammlungen” kann mich als Polizeibeamten in Gewissenskonflikte bringen.

Jay Garfield: Dies sind schwierige Fragen, die uns ins Bewusstsein rufen, welche moralischen und psychologischen Schwierigkeiten es gibt, wenn Recht durchgesetzt werden soll. Für diejenigen, die nicht mit der Polizeiarbeit zu tun haben, ist es einfach, die Polizei für vermeintliche Verstöße gegen moralische Normen zu kritisieren. Hingegen ist es schwer zu entscheiden, wie die konkrete Polizeiarbeit richtig gemacht werden soll.

Als Gesellschaft verlangen wir oft Unmögliches von unseren Polizistinnen und Polizisten und haben zu wenig Verständnis für die moralischen Dilemmata, die mit ihrer Arbeit einhergehen und die sie unter großen persönlichen Stress setzen können.

Wer in den Polizeidienst eintritt, verpflichtet sich, das Gesetz durchzusetzen und zu befolgen. Dies wirft jedoch ein Problem auf, noch bevor wir überhaupt über Gewissenskonflikte nachdenken.

Zum einen sind Gesetze unvollkommen. Da kein Gesetzgeber alle Umstände vorhersehen kann, unter denen ein Gesetz angewandt wird und da das Gesetz oft eine gewisse Unschärfe aufweist, kann dies nicht bedeuten, dass man die Buchstaben des Gesetzes mechanisch befolgt. Vielmehr muss man das Gesetz so durchsetzen, wie es beabsichtigt ist, zum Wohle der Gesellschaft.

Zum anderen bedeutet dies nicht, dass es eine Verpflichtung oder Erlaubnis gäbe, die Gesetze neu zu schreiben oder die Rolle der Richterinnen und Richter bei der Auslegung des Gesetzes einzunehmen. Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegt der Ermessensspielraum, den Polizeibeamte ausüben müssen.

Dieser Ermessensspielraum sollte vernünftig genutzt werden und die örtlichen Gepflogenheiten respektieren, um sicherzustellen, dass die Strafverfolgung fair und berechenbar ist. Die Kombination aus Fairness, Vorhersehbarkeit und angemessener Flexibilität führt dazu, dass Gesetze geachtet werden und damit die öffentliche Ordnung aufrechterhalten, was ein Hauptziel guter Polizeiarbeit ist.

Bei Gewissenskonflikten innehalten und mit anderen sprechen

Wenn die polizeilichen Verpflichtungen in ernsthaftem Konflikt mit dem eigenen moralischen Empfinden stehen, würde ich dazu raten, innezuhalten, nachzudenken und, wenn möglich, die Situation mit Kolleginnen und Kollegen zu besprechen. In diesen Fällen muss man sich, wie bei jedem moralischen Dilemma, fragen:

Wie gewichtig sind die Überlegungen auf beiden Seiten? Bin ich sicher, dass meine moralischen Intuitionen richtig sind? Bin ich sicher, dass ich hier keinen Ermessensspielraum habe oder habe ich einen?

Hat meine Verpflichtung, das Gesetz durchzusetzen, in diesem Fall Vorrang vor meinen moralischen Bedenken, da das Gesetz möglicherweise die moralischen Ansichten der Gesellschaft widerspiegelt, der ich zu dienen und die zu schützen ich geschworen habe? Oder machen meine moralischen Bedenken es mir unmöglich, das Gesetz in diesem Zusammenhang mit reinem Gewissen durchzusetzen?

Es gibt leider keine Möglichkeit, diese Fragen einfach zu beantworten. Aber sie zu stellen und sich mit Respekt vor denen, denen man dient, und vor der Rolle, die man innehat, zu verhalten, ist ein guter Anfang.

Mitgefühl in die Arbeit einbringen

Lassen Sie uns nun kurz auf die beiden Beispiele eingehen. Im ersten Fall sind Sie nach deutschem Recht verpflichtet, die Drogen zu beschlagnahmen. Das ist in der Tat ein vernünftiges Gesetz, wenn man davon ausgeht, dass diese Drogen Schaden anrichten. Aber Ihre Sorge, dass die Beschlagnahmung die Person dazu verleiten könnte, weitere Straftaten zu begehen, ist ebenfalls berechtigt.

Vielleicht haben Sie als Polizeibeamte die Möglichkeit, einer drogenabhängigen Person zu raten, ein Behandlungszentrum aufzusuchen und ihr Informationen über verfügbare Dienste zu geben. Allein dass man Fürsorge an den Tag legt, könnte ein Schritt sein, um der Person irgendwie beizustehen. Und selbst wenn sie ihr Verhalten nicht ändern will, so ist es für die Polizeibeamten besser, Mitgefühl zu empfinden als einfach nur die Drogen wegzunehmen, ohne den Menschen hinter der Tat zu sehen.

Über dieses Thema, wie das Recht durchzusetzen ist, könnten Sie in Ihrem Revier, mit Vorgesetzten, aber auch auf kommunaler Ebene, in Ihrer Gemeinde ins Gespräch kommen. Vielleicht bietet sich sogar die Gelegenheit, mit Richtern und Politikern den Kontakt zu suchen und auf eine Änderung des Gesetzes hinzuwirken.

Vielleicht kann man Einigkeit darüber erzielen, dass kleine Mengen relativ harmloser Drogen für den Eigenkonsum ignoriert werden könnten, so wie es, wenn man zu schnell fährt, ein wenig Toleranz gibt. In jedem Fall könnte die kollektive Weisheit von Ihnen, Ihren Kollegen und den Bürgern, denen Sie dienen, mehr Licht in diese Angelegenheit bringen.

Meinungsfreiheit muss geschützt werden

Der Schutz von Versammlungen (ich gehe davon aus, dass es sich in diesem Fall um Versammlungen handelt, bei denen Menschen Ansichten äußern, die Sie für unmoralisch halten) ist eine andere Sache. Ich glaube, dass es für jede Demokratie unerlässlich ist, dass die Meinungsfreiheit geschützt wird, unabhängig davon, wie unakzeptabel ihr Inhalt sein mag.

Der Schutz der Rechte derjenigen, mit denen wir nicht einverstanden sind, ist der einzige Weg, unsere eigenen Rechte zu schützen. Eine Gesellschaft, die die Meinungsäußerung nicht schützt, befindet sich auf dem Weg zum Totalitarismus, selbst wenn die verbotene Äußerung totalitär ist.

Die beste Art und Weise, auf moralisch verwerfliche Äußerungen zu reagieren, ist eine sorgfältige Kritik – natürlich nicht, während man im Dienst ist, sondern zu anderer Zeit.

Ich möchte nicht die Illusion vermitteln, dass es auf diese ethischen Dilemmata einfache Antworten gibt. Vielmehr sollten wir die damit verbundenen Schwierigkeit erkennen und sie mit großer Umsicht und mit Respekt vor denjenigen angehen, die mit uns nicht einer Meinung sind. Und wir sollten uns alle daran erinnern, dass ein offener Dialog der sicherste Weg zu einer Lösung ist, die für alle Parteien akzeptabel ist.

Wenn Sie eine Frage haben, eine ethische Zwickmühle, schreiben Sie uns: redaktion@ethik-heute.org

Jay Garfield, Foto: Spitz

Jay Garfield ist Professor für Philosophie am Smith College, Northhampten, USA, und Dozent für westliche Philosophie an der tibetischen Universität in Sarnath, Indien. Ein Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit ist die interkulturelle Philosophie. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Alle Beiträge von Jay Garfield in der Rubrik „Ethische Alltagsfragen“ im Überblick

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