Tipps von einer Familienbegleiterin
Die Pubertät verlangt den Familien einiges ab. Die jungen Menschen werden selbstständig, die Erwachsen müssen loslassen. Was durch diese Zeit trägt ist eine gute Beziehung, sagt die Pädagogin Inke Hummel. Das Allerwichtigste: im Gespräch bleiben, offen sein und voneinander lernen.
Die Pubertät gilt als eine Zeit, in der Teenager sich selbst finden sollen und auch sich abgrenzen möchten. Nach der „Wackelzahnpubertät“ rund um das Einschulungsalter ist es die zweite große Autonomiephase, in der junge Menschen danach streben, unabhängiger zu werden. Bei Jugendlichen bezieht sich dies vor allem auf die Emanzipation vom Elternhaus, vom elterlichen Vorbild, von den elterlichen Meinungen.
Was danach klingt, als müsse es Streit und Distanz bedeuten sowie Müttern und Väter daher Sorge machen, ist aus beziehungsorientierter Sicht aber gar nichts Beängstigendes, sondern etwas sehr Gutes.
Denn zum einen ist es gesund und sinnvoll, dass unsere Kinder sich ausprobieren, sich selbst entdecken, einen eigenen Weg gehen (und auch Fehler machen), um selbständige Erwachsene zu werden.
Zum anderen ist der Mensch ein soziales Wesen und strebt „Autonomie in Verbundenheit“ hat, wie der Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster es fasst. Das heißt, Heranwachsende brauchen immer auch Beziehungen, um gut bei sich selbst ankommen zu können.
Austausch, Reibung, Orientierung, Begleitung, Miteinander, Gespräche – und das ist unsere Chance, nah an unseren Kindern zu bleiben, obwohl sie sich abnabeln. „Nah“ ist dabei nicht zu verwechseln mit „konfliktfrei“; Dispute gehören eben dazu.
Was brauchen wir als Rüstzeug für die Pubertät?
Damit dieses Miteinander in der Pubertät gelingen kann, wäre es am besten, wenn unsere Eltern-Kind-Beziehungen schon in den Jahren zuvor stark und intensiv sind. Kontrollieren Eltern ihre Kinder in den ersten Lebensjahren extrem oder arbeiten mit Strafen und Misstrauen, beeinträchtigt das die Beziehungen und das Miteinander im Jugendalter wird schwer möglich sein. Hier sind Generationenkonflikt, Streit und Distanz vorprogrammiert.
Kennen Kinder allerdings von klein auf Beziehungspfeiler wie Wertschätzung, Lösungsorientierung, eine faire Fehlerkultur, Vertrauen, Verantwortung, Selbstwirksamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme, so können Erwachsene und Teenager darauf aufbauen, wenn die pubertätstypischen Hormone anfangen zu arbeiten.
Familien sollten außerdem schon im ersten Lebensjahrzehnt ihrer Kinder Rituale etablieren für gute, echt gemeinsame Zeit und interessierte Gespräche. Solche wiederkehrenden Ereignisse erleichtern allen Beteiligten, in diesen guten Kontakten zu bleiben und sie auch im Jugendalter beizubehalten.
Auch Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergärten und Grundschulen sollten hier Wege vorzeichnen und mit den Kindern zusammen Gewohnheiten entwickeln. Dann lässt sich in den entwicklungsbedingt höchst unsicheren Jugendjahren, die für die Betroffenen viel Stress bedeuten, gerade im schulischen Bereich davon profitieren.
Kennen sie demokratisches Miteinander, Kompromissfindung, Mitspracherecht, aber auch Rücksichtnahme, gezielten Perspektivwechsel, Lösungssuche in Streitigkeiten, so werden die Kinder zu Jugendlichen, mit denen Lehrkräfte sinnvoll in Gespräche gehen können. Das beeinflusst allein die Lernatmosphäre und -lust schon sehr.
Wir können von den Jugendlichen lernen
Beziehung gibt Kraft für alle Herausforderungen, die es im Leben zu bewältigen gilt. Bleiben wir im Gespräch miteinander, dann sind wir in Beziehung und schenken unseren jugendlichen Kindern diese Kraft. Sie haben immer einen Hafen, in den sie bei Nöten zurückkehren können.
Sie haben aber auch Leitplanken und Ratgeber für ihren Weg, der ihnen allein vielleicht nicht immer gut ausgeleuchtet erscheint. Jugendliche, die im Gespräch mit den Erwachsenen bleiben, sind resilienter für sowohl akute Krisen und als auch ihren weiteren Lebensweg. Die Verbindung und der Austausch helfen dabei, zu lernen, zu verstehen sowie auch eigene Pfade anzulegen.
Herbert Renz-Polster verwendet den Begriff der „Neulandbesiedler“ für Kinder und Jugendliche, denn wir Erwachsenen müssen ihnen in eine Welt helfen, von der wir heute noch gar nicht wissen, wie sie sein wird. Sind wir ihnen Vorbild in Bereichen wie Bewältigung, Kommunikation oder auch Motivation und kennen sie die o.g. Beziehungspfeiler, haben sie die besten Voraussetzungen zur guten Besiedelung – und können uns dabei mitnehmen!
Hier können Eltern und Lehrkräfte profitieren (und damit die ganze Gesellschaft): Sind die Gespräche keine bloßen Referate durch uns Erwachsene, sondern durch echtes Mitteilen und Zuhören geprägt, können wir einander besser verstehen und von den Jugendlichen sehr viel lernen.
Wir sollten ihnen echtes Interesse entgegenbringen, auch wenn ihre Themen uns nerven oder uns zunächst unverständlich sind. Die Teenager sind unsere Chance, unsere bisherigen Vorstellungen vom Leben zu verändern. Ihre Warum-Fragen tun vermutlich deutlich mehr weh, als die der 4- oder 5-jährigen Dauerfrager, aber gerade darum sind sie so wertvoll und bereichernd.
So können die Jugendlichen reifen, wir Eltern Pädagogen und Pädagoginnen von ihnen lernen und am Ende im Grunde langsam überflüssig werden, ohne aber wirklich verloren zu gehen. Die gute Beziehung, die wir aufgebaut haben, kann bleiben, auch wenn unsere Kinder andere Wege beschreiten möchten als wir. Es gibt viele Kreuzungen und Knotenpunkte, die uns in Verbindung bleiben lassen.
Wir brauchen Echtheit und Verständnis
Dieses Miteinander im Alltag tatsächlich zu leben, ist manchmal herausfordernd, denn wo Menschen aufeinandertreffen, gibt es nun einmal Reibung. Wissen wir Großen um die Beziehungspfeiler und sorgen im Elternhaus bzw. in der Schule für regelmäßige Gesprächsgewohnheiten, ist das schon die halbe Miete.
Des Weiteren braucht es vor allem zwei andere Hilfsmittel: Echtheit und Verständnis. Ersteres meint, dass wir Erwachsenen auch von uns selbst offen und ehrlich erzählen, anstatt die Kinder auszuhorchen. Sie können an unsere Berichte andocken und geben wahrscheinlich viel mehr preis als bei einer bloßen Fragestunde. Echtheit bedeutet auch, Gesprächsinhalte vertrauensvoll zu behandeln und wie in Freundschaften Geheimnisse zu bewahren.
Verständnis meint ein Wissen um die Herausforderungen der Pubertät. Die Jugendlichen wollen erwachsen sein, können aber oft noch nicht entsprechend umsichtig handeln; das Umfeld sieht sie oft noch als Kinder, erwartet andere Male erwachsene Entscheidungen.
Diese inneren Turbulenzen können dazu führen, dass der Ton der Jugendlichen mal sehr harsch ausfällt, was aber oft nicht persönlich gemeint ist, oder dass sie emotional distanziert wirken, was aber nur Selbstschutz vor überwältigenden Emotionen sein kann.
Sind wir hier verständnisvoll, können auch mal abwarten und zwei- oder auch dreimal hinschauen, anstatt impulsiv zu urteilen. So behalten wir die Chance, im Gespräch und im Kontakt zu bleiben.
Eltern und Lehrkräfte sowie alle anderen, die mit Jugendlichen arbeiten, könnten sich bewusst werden, unter welchen Bedingungen die Ich-Werdung des Jugendlichen abläuft. Es ist hilfreich zu verstehen, dass sie nicht gegen die Erwachsenen geschieht, sondern von den Teenagern für sich. Wie sieht ihre Rolle dabei aus: Im Miteinander können wir Großen langsam überflüssig werden. Es gibt Problemfelder, aber auch so viele Chancen.
Inke Hummel ist Pädagogin, Familienbegleiterin und Autorin, u.a. des Buches „Miteinander durch die Pubertät“, Humboldt Verlag 2020. www.inkehummel.de