Amnesty International schlägt Alarm
Rassistische Gewalt nimmt in Deutschland zu. Amnesty International hat im Juni 2016 einen Bericht veröffentlicht: „Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“. Der Staat unternehme zu wenig, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen und Opfer zu schützen.
Brandanschläge, Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte, Gewaltandrohungen und Einschüchterungen: Deutschland erlebt eine massive Zunahme rassistischer Gewalt. Täglich werden Menschen angegriffen – sei es wegen ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Religionszugehörigkeit oder anderer Zuschreibungen. 2015 wurden Flüchtlingsunterkünfte laut offiziellen Angaben über 1.000 Mal zum Ziel von Straftaten – fünfmal so oft wie im Jahr zuvor.
Amnesty International schlägt Alarm: „Die Zahl der erfassten rassistisch motivierten Angriffe ist so hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik”, sagt Generalsekretärin in Deutschland Selmin Çalışkan, als sie am 6. Juni 2016 den neuen Amnesty-Bericht vorstellt “Leben in Unsicherheit: Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt”. Nach Recherchen der internationalen Organisation schütze der deutsche Staat Geflüchtete und andere Menschen aus anderen Kulturen nicht ausreichend vor Diskriminierung und rassistischen Angriffen.
Ausgangspunkt für die Untersuchung von Amnesty, die sich über zwei Jahre erstreckte, war das Versagen der deutschen Strafverfolgungsbehörden beim NSU-Skandal. Der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) ermordete zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen, neun davon türkisch-und griechischstämmig.
Die deutschen Behörden, insbesondere Polizei und Nachrichtendienste auf Bundes- und Länderebene „übersahen“ bei ihrer Untersuchung der Mordfälle Hinweise, die auf die Beteiligung rechtsextremer und rassistischer Gruppen schließen ließen. Stattdessen ermittelten sie im Bereich der organisierten Kriminalität in kurdischen, türkischen und griechischen Gemeinschaften.
Institutioneller Rassismus bei deutschen Behörden?
„Die deutschen Strafverfolgungsbehörden haben aus ihrem Versagen beim NSU-Komplex wenig gelernt“, so Çalışkan. „Außerdem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Behörden ein Problem haben: institutionellen Rassismus – also das Unvermögen, alle Menschen angemessen und professionell zu behandeln, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres kulturellen Hintergrunds oder ihrer ethnischen Herkunft“.
Dabei geht es weniger um Vorwürfe gegen einzelne Polizisten als vielmehr um ein strukturelles Problem. Viele rassistisch motivierte Straftaten, z. B. Gewalt gegen Menschen anderer Hautfarbe, würden als gewöhnliche Delikte eingestuft und untersucht. In der Anfangsphase einer Ermittlung werde ein möglicher rassistischer Hintergrund zu selten in Erwägung gezogen. Dadurch wird das Ausmaß rassistischer Gewalt verschleiert.
Konkrete Beispiele nennt Amnesty auch, etwa vom türkisch-stämmigen Deutschen Abdurrahman E., der im September 2013 in Sachsen-Anhalt angegriffen und so stark verprügelt wurde, dass er vier Wochen ins Krankenhaus musste. Seine Freundin Anne S. hatte am Tatort die Polizei gerufen, die es jedoch versäumte, Beweise zu sichern. So fand Anne S. das Mobiltelefon von einem der Angreifer mit einem Bild Hitlers als Bildschirmschoner. Sie übergab das Telefon einem Polizeibeamten vor Ort, der es direkt wieder dem Besitzer aushändigte.
Dass dies kein Einzelfall ist, belegt der Bericht von Anmesty. Die Organisation fordert die Strafverfolgungsbehörden auf, rassistische Straftaten als solche behandeln.
Der vollständiger Bericht von Amnesty über rassistische Gewalt in Deutschland im pdf-Format