Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Raum für Stille schaffen im Gespräch

W-Weiser/ Photocase
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Achtsam hören und sprechen

In Krisenzeiten machen sich eher die lauten Stimmen bemerkbar. Gespräche sind oft nicht erfüllend, weil Meinung gegen Meinung steht. Achtsamkeitslehrerin Julia Grösch empfiehlt, in Gesprächen mehr innezuhalten. Denn in der Stille können wir uns wieder unserer grundlegenden Verbundenheit als Menschen bewusst werden.

In Krisenzeiten, in der laute Stimmen, schrille Aussagen und polarisierende Statements um unsere Aufmerksamkeit ringen, wird Stille zum kostbaren Gut. Sie zu suchen und sich ihr vor allem in zwischenmenschlichen Gesprächen immer wieder zuzuwenden, empfinde ich als dringende Notwendigkeit, als eine Form der Fürsorge für mich selbst und für andere.

Einfach aber ist es nicht. Eine achtsame Haltung kann uns aber dabei helfen, langsamer zu werden, unsere automatischen Reaktionen auf das Gehörte bewusster zu bemerken und immer wieder Momente der Stille entstehen zu lassen.

Wir wollen schnell die Lücken der Stille schließen

Gewöhnlich drängt es uns, Gesprächslücken zu nutzen und mit eigenen Aussagen zu schließen. Schnell noch eine Antwort geben, die eigene Meinung beisteuern, ein Gegenargument liefern.

Sehr oft formulieren wir gedanklich bereits Argumente, während der andere noch spricht. Sehr oft hindern uns automatische Reaktionen daran, wirklich zuzuhören und ein Moment des Nachspürens entstehen zu lassen.

Wir füllen die wenigen Lücken, in denen Stille entstehen könnte, mit Argumenten, Entgegnungen und eigenen Ansichten. Und verpassen Stille als Chance, uns über gegensätzliche Meinungen hinweg mit anderen zu verbinden.

Wir verpassen auch die Chance, uns mit uns selbst zu verbinden, aufsteigende Emotionen zu beobachten und unsere automatischen Reaktionen achtsam und bewusster wahrzunehmen.

Stille kann entstehen, wenn wir schweigen, innehalten, langsamer werden und bewusster zuhören. Erst dann bemerken wir auch Lücken zwischen dem Gesagten. Erst in dem Dazwischen können wir still werden.

Bewusst hören ist eine heilsame Übung

Stille, das zeigt sich, ist jederzeit da und erfahrbar. Was wir aber brauchen, ist die Bereitschaft, das Schweigen, die Momente der Stille im Gespräch auch einmal auszuhalten. Was wir brauchen ist die Erfahrung, dass Stille heilsam sein kann, weil sie uns jenseits von unterschiedlichen Meinungen miteinander in eine tiefere Verbindung bringt.

Eine hilfreiche Übung, um Stille als etwas Heilsames, Unterstützendes zu erfahren ist, sich Raum und Zeit für sie einzurichten. In der Natur zum Beispiel oder morgens am offenen Fenster. Sich einmal bewusst für alles zu öffnen, was ans Ohr dringt, sich dem Gehörten gleichsam überlassen.

Bemerken, ob ein Klang aus der Ferne oder aus der Nähe kommt, wie er entsteht und wie er endet, wie er aufkommt und verschwindet. Sein Dasein bemerken, sein Nicht-Dasein. Und: in die Lücken hineinlauschen, die zwischen den Geräuschen liegen, das kostbare Geschenk der Stille wirklich in sich aufnehmen.

Wir sind mehr als Träger von Meinungen

Möglich ist auch, sich einmal bewusst zu einem Gespräch zu verabreden, in dem Schweigen sein darf. In dem wir uns gemeinsam in den Lücken zwischen den Worten niederlassen und die Pausen bemerken, die in den Zwischenräumen der Worte und Sätze liegen.

In den Lücken entstehen jene Räume, in denen wir bemerken, dass wir selbst und andere Menschen mehr sind als Träger von Meinungen und Überzeugungen. In denen wir Zeit haben, uns unserer automatischen Reaktionen auf Gehörtes bewusst zu werden.

Wir könnten vielleicht das Misstrauen und die Urteile bemerken, die durch zu viele, zu schnelle und zu laute Worte entstanden sind. Wir können uns Zeit nehmen und uns innerlich die Frage stellen: „Was soll jetzt wirklich gesagt werden?“ – und einmal auf die Antwort lauschen, die aus der Stille auftaucht.

In den Lücken, in der gemeinsam erlebten Stille, könnte uns bewusst werden: Was wir mit allen Menschen teilen, sind Ängste, Sorgen, Schmerz. Wir teilen die Tendenz, aufgrund eigener, oft schmerzlicher Erfahrungen über andere zu urteilen – ohne die oft schmerzlichen Erfahrungen anderer zu kennen oder sie je erfragt zu haben.

Wir teilen aber auch den Wunsch, sicher und im Frieden zu leben. Darin sind wir verbunden. Das könnten wir miteinander erfahren, wenn wir wieder mehr Mut fänden, auch einmal heilsame Stille im Gespräch einkehren zu lassen.

Foto: privat

Julia Grösch ist Achtsamkeitslehrerin und zertifizierte Trainerin für Mindful2Work (Vorbeugung von Stress und Erschöpfung in Alltag und Beruf). Sie unterrichtet diesen Kurs online für Einzelne und Gruppen. Mehr Artikel und Infos finden Sie auf ihrer Seite Achtsamkeit und Begegnung.

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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