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Rechtsextremismus und gestörte Frauenbilder

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In Mexiko und weltweit gehen Frauen am 8. März auf die Straße |
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Gefahren unterschätzt

In rechten Milieus gibt es nicht nur Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, sondern auch eine Verachtung von Frauen und einen ausgeprägten Antifeminismus. Doch Politik, Justiz und Medien beachten den Frauenhass zu wenig und tun nichts dagegen. Eine öffentliche Debatte ist notwendig.

Anders Behring Breivik hat am 22. Juli 2011 einen neuen Prototypen geschaffen: den militanten, rechtsextremistischen Einzeltäter. Christchurch, El Paso, Dayton. David S. in München, Stephan B. in Halle – und Tobias R. in Hanau. Sie alle haben einen ähnlichen Weg des Terrors eingeschlagen.

Getrieben von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und – bis zuletzt wenig beachtet – Frauenhass. „Die meisten rechtsextremistischen Einzeltäter haben ein gestörtes Frauenverhältnis, sind bindungsunfähig. Das zieht sich durch wie ein roter Faden“, sagt der Politikwissenschaftler und Extremismusexperte Florian Hartleb.

Er hat das Buch „Einsame Wölfe – der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ geschrieben. Die Frustrationen, nicht bei Frauen landen zu können, spielten dabei eine größere Rolle, als man bisher öffentlich diskutiere.

Tobias R. erschoss im hessischen Hanau insgesamt zehn Menschen. Zwei Schüsse trafen seine Mutter in den Kopf. Dann richtete er die Waffe gegen sich selbst. Wie Breivik und Stephan B. in Halle lebte auch Tobias R. (43) noch bei seiner Mutter. Er hat ein verstörendes „Manifest“ hinterlassen, 24 Seiten Verschwörungstheorien über eine „Geheimorganisation“, die ins menschliche Gehirn vordringen solle.

Es ist das Konvulut eines Mannes, das seine psychische Krankheit spiegelt. Gesprenkelt mit rassistischen Einlassungen und Überzeugungen, die darauf fußen, dass es ein Bestandteil von Männlichkeit sei, Frauen „zu haben“, über sie zu verfügen. „Da nun mal in jedem Menschen der Wunsch nicht alleine zu sein, da ist, kann der Zustand der Nichterfüllung freude- und leistungshemmend sein“, schreibt R..

Im nächsten Absatz schiebt er hinterher: „Allerdings kam ein Kompromiss, den ich mit Sicherheit öfter hätte schließen können, nämlich eine weniger gutaussehende Frau zu nehmen, mit der ich mich irgendwie verstand, nicht in Frage – ich wollte das Beste haben oder gar nichts.“

Hass auf den Feminismus

Wenn Täter gleich mehrere Personengruppen mit Hass überziehen, stellt das die Sicherheitsbehörden vor noch größere Herausforderungen. „Wir sprechen hier von einer komplexen Gemengelage, vielleicht auch von psychischen Störungen. Wir sprechen über persönliche Kränkungen, bei Frauen nicht landen zu können, die eine Projektionsfläche in politischer Radikalisierung finden. Meistens sind die Täter unbeschriebene Blätter, das macht es so schwierig, gegen sie vorzugehen“, sagt Hartleb.

Die Selbstradikalisierung der Täter findet meist virtuell statt. Sie finden eine ideologische Heimat in dunklen Ecken des Internets, in digitalen Räumen, sogenannten Imageboards wie 4chan oder 8kun/8chan, in denen sich meist junge und männliche Nutzer treffen. Ein Ort, an dem man sich offen rassistisch und antisemitisch gibt, frauenfeindlich und homophob. Ein Ort, an dem man Gewaltphantasien spinnen kann und dafür gefeiert wird.

„Männer, die mit Blick auf ihre Männlichkeit stark verunsichert sind, werden dort zur leichten Beute. Sie sind empfänglich für bestimmte Angebote, die sie vermeintlich aus ihren demütigenden Erfahrungen, ihren Ressentiments, ihrer Einsamkeit herausholen“, sagt Paula-Irene Villa Braslavsky, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Diese Imageboards gäben den Männern einen Resonanzraum für ihre Verletzungen und ihre Ratlosigkeit. Sie fühlten sich ernst genommen und anerkannt. Eine Radikalisierungsdynamik könne in Gang gesetzt werden. Ein Phänomen, das auch der Verfassungsschutz laut eigenen Angaben im Blick hat.

Frauenhass in der Debatte zu wenig berücksichtigt

Dabei werden oft unterschiedliche Ideologien miteinander verwoben – wie der Rassismus und der Antifeminismus. „Die Klammer, das gemeinsame Thema sind Reinheitsfantasien, die es schon seit dem 19. Jahrhundert gibt“, sagt Villa Braslavsky. Ihnen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Geschlecht und Ethnie bestimmte Zugehörigkeiten schaffen.

Bestimmte Formen der modernen Gesellschaft – so die Annahme – stören diese Reinheit: Migranten, die für einen „Bevölkerungsaustausch“ sorgen, oder Frauen, die ihren „angestammten Platz“ verlassen.

„Leider werden der Frauenhass und der Hass auf den Feminismus im politischen Mainstream oft etwas unter den Teppich gekehrt. Ich würde mir hier mehr Aufmerksamkeit wünschen“, sagt Villa Braslavsky.

Nach Verbrechen, nach Anschlägen, stehen meist zunächst psychische Störungen, Rassismus, Hass auf ethnische Minderheiten im Fokus – allesamt Dinge, die hinterfragt werden müssen. Jedoch spielt die geschlechtliche Komponente bei der Beleuchtung der Vorgänge meist kaum eine Rolle.

Generell gilt: Der Hass auf bestimmte Formen von Feminismus, struktureller Sexismus, aber auch Gewalt gegen Frauen werden von Behörden und Medien selten thematisiert und als Problem anerkannt. Wird eine Frau ermordet, sprechen Ermittlungsbehörden und Justiz oft nicht von einem Gewaltverbrechen an einer Frau, sonder von einer „Beziehungstat“ oder einem „Eifersuchtsdrama“.

Experten beobachten zwar auch positive Entwicklungen, etwa die #MeToo-Bewegung, die auf die Auseinandersetzung mit Anliegen von Frauen gedrängt hat. Frauenverachtung und Frauenhass schwelen aber nach wie vor in unserer Gesellschaft, ohne dass Politik, Justiz und Medien sie als solche benennen – und gezielt etwas dagegen tun.

Agnes Polewka

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