Warum wir eine Kurswende brauchen
Nachhaltigkeit ist nicht mehr genug, wir brauchen den regenerativen Ansatz. In seiner Reportage berichtet Geseko von Lüpke am Beispiel des Greenbelt Movement in Kenia, wie wir die Erde diverser und bioproduktiver machen können. Er recherchierte in Afrika und sprach mit Wissenschaftlern über den neuen Ansatz der Regeneration.
Der Morgenhimmel über dem ostafrikanischen Hochland färbt sich langsam in ein Gemälde aus Orange-, Rot- und Lilatönen. Auf dem erdigen Boden am Rand des Dorfes Ihite sitzen drei Frauen zusammen. Der kleine Garten am Hang des Mount Kenia ist von Kaffeepflanzen, Mango- und Papaya-Bäumen begrenzt. Um sie herum in der improvisierten Baumschule lauter kleine schwarze Polyäthylen-Tütchen, aus denen es grün sprosst.
Es ist eine Szene wie im Sandkasten. Überall lockerer Humus, den die Frauen spielerisch aufnehmen. „Wir nehmen diese leeren Tüten und füllen sie mit Erde. Wir haben den Humus mit Dünger vermischt, bevor wir das hier reintun. So läuft das“, erklären Haisal Wangui und ihre Nachbarinnen ihr Tun: „Und nachdem wir ein bisschen Wasser auf den gefüllten Beutel gießen, machen wir mit dem Finger ein Loch in die Erde, in die wir den Baumsamen stecken. Dann wieder Erde drauf und noch mal Wasser”.
Es ist eine vertraute Szene in Kenia. Jeden Morgen seit dreißig Jahren sitzen Tausende von Frauen freiwillig landesweit in den fast 4000 kleinen Baumschulen zusammen. Täglich entstehen hier Hunderte von kleinen Anzüchtungen von Sämlingen für große afrikanische Bäume.
In Kenia 45 Millionen Bäume gepflanzt
Wo noch vor drei Jahrzehnten erodiertes Land wie eine offene Wunde lag, ist eine neue Haut entstanden, die das ostafrikanische Land wie ein grüner Gürtel bedeckt. Bäume, wohin man blickt. Denn Frauen wie Haisal Wangui und ihre Nachbarn, ihre Kinder und Verwandten haben in diesem Dorf und rund um fast alle kenianischen Siedlungen geduldig nicht weniger als 45 Millionen Bäume gepflanzt.
Eine, die weltberühmt werden sollte, hat es ihnen vorgemacht: Wangari Maathai, Biologin, Widerstandskämpferin, vielfach ausgezeichnete Aktivistin für Umweltschutz und Menschenrechte, Friedensnobelpreisträgerin. Am 22. April 1975, dem ‚Tag der Erde’ fasste sich die junge Professorin in Nairobi ein Herz und pflanzte symbolisch einen ersten Baum.
„Wenn Bäume wachsen – denn sie sind etwas Lebendiges – stellt man eine Beziehung zu ihnen her“, erklärte Wangari Maathai: „Die Bäume werden zum Träger einer Hoffnung auf ein besseres Leben. Und bevor man sich versieht, beginnen die Menschen, wirklich vorauszuschauen. Und plötzlich sind da ganz viele, die mit dir in die Zukunft blicken.“
Die Mutter der Bäume und das Greenbelt Movement
Die Aktivistin, die 2012 verstarb, wurde von ihren Mitstreiterinnen liebevoll ‘Mama Miti’ genannt – ‘Mutter der Bäume’. Denn sie hatte intuitiv erkannt, dass nackte Erde eine Bekleidung braucht und mit dem ‘Greenbelt Movement’ eine Bewegung geschaffen, die Millionen Bäume pflanzte.
Im ostafrikanischen Kenia wiegen sich dort, wo vor 30 Jahren erodierte Steppe war, weite Wälder. Schmetterlinge sind in der Luft, das Brummen der Bienen tönt. Junge Obstbaum-Plantagen geben den Menschen, die vor kurzem noch verzweifelt in die Slums der Städte flohen, Schatten, Nahrung, Feuerholz, Baumaterial – und Hoffnung. Heute kann man den ‘Grünen Gürtel’, den Wangari Maathai als Vision hatte, vom Weltraum aus sehen – ein grünes Band zieht sich quer über den Kontinent und stoppt die Erosion.
Dass man die Welt zum Besseren verändern, ja reicher und gesünder hinterlassen kann, als man sie vorfindet, konnte sich Jahrzehnte lang kaum jemand vorstellen. Was bislang nur ungläubiges Staunen hervorrief, hat seit kurzem einen Begriff, der um die Welt geht. Vordenker sprechen von ‘Regenerativen Kulturen’.
„Regenerativer Ansatz ist groß im Kommen“
Regeneration bedeutet ‘Wiederherstellung’: „Ich habe das Gefühl, dass wir im Moment an dem Punkt sind, wo die Leute sich neu besinnen. Der Begriff ‘regenerativ’ ist groß im Kommen“ sagt Daniel Christian Wahl, Ökologe und Autor des Buches ‘Designing Regenerative Cultures’: „Der Kerngedanke des regenerativen Ansatzes ist die Entwicklungsidee, diesen Planeten immer diverser, immer bioproduktiver, immer lebendiger zu machen. Nachhaltigkeit ist nicht mehr genug!“
Seit fast dreißig Jahren hören wir täglich den Begriff der ‘Nachhaltigkeit’, als wäre er die Lösung aller Zukunfts-Probleme. Nachhaltigkeit kommt vom englischen Wort ‘sustainability’ und bedeutet eigentlich: ‘das Vorhandene erhalten’. Ein erstmal guter Gedanke!
Doch wie geht das zusammen mit den aktuellen Zahlen und Statistiken, nach denen die moderne Zivilisation in den gleichen drei Jahrzehnten den CO2-Ausstoß vervielfacht hat, die Temperaturen weiter steigen, das ‘ewige’ Eis immer schneller schmilzt, die Meere leergefischt hat, das Artensterben explodiert ist, Humus – der fruchtbare Boden – nach Aussage der Vereinten Nationen nur noch für 60 Jahre hält?
„Der Ansatz der Nachhaltigkeit ist gescheitert“
Kann man noch vom Ziel sprechen, dass ‘Vorhandene zu erhalten’, wenn zeitgleich ganze Ökosysteme bereits kollabieren?Was soll da ‘erhalten’ werden? Wolfgang Sachs, Forscher am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie konstatierte im ‘Bericht nachhaltiges Deutschland’ bereits nüchtern: „Der Ansatz der Nachhaltigkeit ist gescheitert! Es gab in Deutschland zwar einige Kurskorrekturen, aber es gab beileibe keine Kurswende.“
Immer öfter wird eingestanden, dass eine Politik der kleinen Kurskorrekturen und partiellen Reparaturmaßnahmen die bedrohte Biosphäre nicht zukunftsfähiger gemacht hat.
In seiner politischen Umsetzung hat das ‘Primat Nachhaltigkeit’ allenfalls dazu geführt, Zerstörung zu bremsen, Verschmutzung zu limitieren, akute Katastrophen zu verhindern. Der Trend, auf Kosten künftiger Generationen die Ressourcen der Erde für den eigenen Profit auszubeuten, wurde aber nicht umgekehrt. Die Enkel der heute verantwortlichen Männer und Frauen in Politik und Wirtschaft werden aller Voraussicht nach in einer schwer geschädigten Umwelt leben müssen, nicht in einer heilen, gesundeten.
Der Ansatz der ‘Regeneration’ von zerstörten Landschaften, kaputten Gemeinwesen, erodierten Flächen will diesen Trend umkehren. Seine Vertreter gehen davon aus, dass menschliche Gemeinschaften durchaus in der Lage sind, die Natur und soziale Strukturen zu bereichern, statt immer nur ärmer zu machen. Dass Wirtschaft dem Leben dienen kann, statt es zu gefährden.
“Wir wollen in einer Welt leben, die wieder zum Leben erwacht”
Dann aber muss tiefer angesetzt werden, sagt Thomas Bruhn, Projektleiter am Potsdamer ‘Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung’, das die Bundesregierung berät. Dann muss der Fokus auf neue Normen und Ziele von Zukunftsfähigkeit verschoben werden:
„Was ich beobachte, ist, dass der ganze Nachhaltigkeitsdikurs sich klarer darüber wird, dass Nachhaltigkeit ohne bewusste Auseinandersetzung mit den ethischen Grundlagen nicht Realität wird. Es geht um das Erforschen unseres eigenen Daseins hier. Es ist ein reflexiver Prozess.“ Soll heißen: Wir müssen erstmal nachdenken, bevor wir einfach weitermachen, auch wenn es ‘nachhaltig’ scheint.
Der regenerative Ansatz verneint nicht die Politik der Nachhaltigkeit, er will sie nur in ein größeres Verständnis der Welt integrieren: Die rein rationalen Grenzen überwinden, mit denen in Öko-Instituten CO2-Statistiken verglichen werden, aber das mitfühlende Herz oft draußen bleibt und nicht gefragt wird, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen?
„Solche Fragen führen dann zum Ansatz der Regeneration“, sagt der amerikanische Philosoph und Kulturkritiker Charles Eisenstein. „Denn wenn wir diese Frage tatsächlich stellen, dann wollen wir doch in einer Welt leben, die wieder zum Leben erwacht, in der die zerstörten Ökosysteme wieder geheilt werden und die bedrohten Arten wieder gedeihen.“
Dr. Geseko von Lüpke ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik.