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Sprache als Kampfmittel

rudall30/ shutterstock.com
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Ein Standpunkt von Sabine Breit

Sabine Breit beobachtet seit längerem eine Verrohung von Sprache. Begriffe wie „Asyltourismus“ und „Ankerzentren“ standen am Anfang einer hitzigen Diskussion über Zuwanderung. Seit Chemnitz hat die Polarisierung weiter zugenommen. Sie fordert, dass wir sprachlich abrüsten und respektvoll kommunizieren.

Ein Mensch ist getötet worden in Chemnitz. Andere Menschen wurden durch die Stadt gejagt. Das macht sprachlos. Und doch ist es gerade jetzt wichtig, im Lichte von Chemnitz auch über Sprache zu reden und damit einen Diskurs fortzusetzen, der mit der Diskussion um Begriffe wie „Asyltourismus“ oder „Anti-Abschiebeindustrie“ begann.

Es ist höchste Zeit für diesen Diskurs, denn er ist wichtig für unsere Demokratie und unser Miteinander. Sprache formt Denken und Fühlen – und umgekehrt. Dementsprechend zeigt uns die Sprache, die wir im Munde führen, wo wir als Menschen und Gemeinschaft stehen. Wie es um unsere innere Kultur bestellt ist.

So lohnt es sich, Begriffe wie „Asyltourismus“ noch etwas tiefer zu hinterfragen. Für was stehen sie noch, außer für einen eklatanten persönlichen Mangel an Herz und Anstand? Nun, sie sind gleichermaßen Ausdruck des kollektiven Kampfmodus, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, und der damit einhergehenden Machtgefüge, Ängste und Respektlosigkeiten.

Im Krieg ist alles erlaubt. Er erfordert Sieger und Gewinner, Opfer und Täter. Sprache war schon immer gleichermaßen eines der ersten Opfer und eines der wirksamsten Kampfmittel. Sie wird im Kampf deformiert und hält ihn durch ihre Deformation aufrecht.

Von Pöbeleien, Kästchen und Blendgranaten

Wie sehen diese Kampfmittel aus? Da sind zum einen die alltäglichen Pöbeleien und Beleidigungen – im Straßenverkehr, im Supermarkt, am Flughafen oder auf den sogenannten „sozialen“ Medien.

Jenseits des Offensichtlichen bedienen wir uns aber auch sprachlicher Waffen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick als solche erscheinen. Ein allseits beliebtes sprachliches Kampfmittel ist das „Einkasten“, in Schubladen stecken: Alle Migranten sind Asyltouristen, alle in Ostdeutschland Nazis, alle Banker Betrüger, und alle, die gerne freundlich sind, husch, husch in die „Gutmenschenecke“.

Ganze Kontinente fassen wir unter dem Begriff „Schwellenländer“ oder „Entwicklungsländer“ zusammen und gehen dementsprechend mit ihnen um. Wir bieten ihnen „Entwicklungshilfe“, statt mit ihnen auf Augenhöhe Handel zu treiben.

Einkasten ist Ausdruck eines Gefühls der Überlegenheit in der Kampfarena. Wer andere in Schubladen packt, geht davon aus, dass er das darf. Dass er in der Hackordnung oben steht und das Recht hat, andere zu bewerten, um sie dann je nach Schublade mehr oder weniger respektvoll zu behandeln.

Warum eigentlich? Na, weil man das schon immer durfte, weil man ein Mann ist, weil man ein Amt oder eine wichtige Position hat, weil man in einem bestimmten Land geboren wurde oder weil man einer selbst ernannten Elite angehört. Weil man das Recht des Stärkeren und damit die Deutungs- und Definitionshoheit auf seiner Seite zu wissen glaubt und weil es einem nutzt.

Im Kampfmodus dürfen aber nicht nur Überlegenheitsgefühle fröhliche Urstände feiern, sondern es grassiert auch die Angst. Egal, ob aus einem konkreten Anlass, weil es tatsächlich um die Existenz geht, oder in diffuser Vorwegnahme einer möglicherweise verhängnisvollen Zukunft. Angst vor Amts- oder Bedeutungsverlust, vor schlechten Umfragewerten oder vor Verantwortung.

Getrieben von dieser Angst, retten wir uns in die sprachlichen Schützengräben und greifen von dort aus zu ebenfalls weit verbreitetem Kriegswerkzeug – den sprachlichen Blendgranaten und Betäubungsmitteln in Form von Euphemismen („Schönfärberwörter“) und Plattitüden zum Zweck der eigenen Beruhigung und Verwirrung des Feindes.

So sprechen wir von „Kollateralschaden“ statt verwundeten Menschen „Freisetzung“ statt „Entlassung“, sagen „Schummelsoftware“ statt Betrug, „Nullwachstum“ für Stagnation, „Preisanpassung“ statt Preiserhöhung, „Herausforderung“ statt Problem. Außerdem schwurbeln wir, was das Zeug hält, um uns bloß nicht festzulegen oder festgelegt zu werden. So reden wir Patienten, Mandanten, Kunden oder Bürger mit Fachchinesisch, Plattitüden oder sinnbefreiten pseudoenglische Satzbausteinen schwindelig und lassen sie damit im Nebel stehen.

Sprachliche Abrüstung tut Not

Wie Sprache als Waffe in der Kampfarena eingesetzt wird, konnten wir rund um die Ereignisse von Chemnitz geballt beobachten: Prall gefüllte Kästchen, krudeste Euphemismen und relativierendes Geschwurbel. In seiner Monstrosität führt uns Chemnitz wie unter einem Brennglas vor Augen, was wir uns im scheinbar Kleinen immer und immer wieder gegenseitig antun.

Wir hetzen im Schutze panzerartiger Autos andere pöbelnd über die Autobahn. Wir beschimpfen unseren Nächsten im Schutze digitaler Anonymität. Wir kanzeln im Schutze unserer Kaufkraft oder Weisungsbefugnis Dienstleister oder Mitarbeiter ab, wenn sie nicht „spuren“.

Oder wir vermeiden Klartext und lassen damit unsere Mitmenschen im Dunkeln. Ein Dunkel, das Angst machen kann. Aus Chemnitz zu lernen heißt deshalb auch, über den eigenen Umgang mit Sprache nachzudenken.

Zum einen müssen wir sprachlich abrüsten. Das heißt nicht, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss. Der freie, offene und auch kontroverse Austausch ist essenziell für eine demokratische Gesellschaft. Unserem Gegenüber nicht gleich Boshaftigkeit zu unterstellen, wenn er seine Gedanken noch nicht ganz sortiert hat und ins Unreine redet, gehört auch zu einem menschlichen Miteinander.

Es wäre aber schon viel erreicht, wenn wir darauf achten würden, ob wir Sprache als Kampfmittel missbrauchen, um andere klein zu machen, und dies jeden Tag ein bisschen mehr unterlassen. Zuträglich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wäre auch, wenn wir aufhören würden, Gruppen von Individuen mit Oberbegriffen in Kästchen zu stecken. Es ist einfacher, sich als Individuen und vielschichtige Persönlichkeiten offen zu begegnen, wenn die Vordergründigkeit von Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft nicht den Blick auf den Menschen verstellt.

Zum anderen müssen wir uns wieder trauen, Verantwortung für die eigenen Worte zu übernehmen. Uns nicht hinter Euphemismen und Pseudosprache zu verstecken, sondern klar und verbindlich zu kommunizieren. Nur im Lichte von Klarheit kann Vertrauen gedeihen und „Entkampfung“ stattfinden.

Aufmerksam zuhören und kritisch hinterfragen

Und schließlich gilt es, den Worten anderer genau zuzuhören, sie zu hinterfragen, Klarheit einzufordern und unsere Schlüsse aus ihren Worten zu ziehen. Dies gilt in besonderem Maße für alle, die von uns gewählt werden wollen oder den Anspruch erheben, anderweitig die Richtung vorzugeben.

Wer angesichts ertrinkender Menschen und Kinderleichen an europäischen Stränden von „Asyltouristen“ spricht oder nicht in der Lage ist, unmenschliche Hetzjagden klar als solche zu benennen, offenbart mit seiner Art zu sprechen einen Mangel an grundlegenden Tugenden, wie Anstand, Menschlichkeit oder Courage. Dann darf man nachfragen, wie jemand in Ermangelung dieser Eigenschaften gedenkt, ein öffentliches Amt zum Wohle aller Bürger auszufüllen.

Im privaten oder beruflichen Umgang dürfen wir uns trauen, einem Gegenüber, das es immer wieder vermeidet, sich klar und verbindlich auszudrücken und sich lieber in Fachchinesisch oder Phrasen ergeht, präzise Fragen zu stellen. Respektvoll, aber hartnäckig. So lange, bis entweder die Sachverhalte oder der Unsinn klar auf dem Tisch liegen.

Wenn wir raus wollen aus dem Kampfmodus, wird uns dies nur durch Menschlichkeit, Respekt und Klarheit gelingen. Dazu gehört auch eine menschliche, respektvolle und klare Sprache.

Auch wenn es gerade nicht so scheint, sind wir dabei trotz der Strecke, die noch zu gehen ist, auf einem guten Weg. Begriffe wie Asyltourismus wurden binnen kürzester Zeit als das entlarvt, was sie sind – Propaganda. Wir sind aufmerksamer geworden. Wir erheben die Stimme gegen derartige Wörter und gehen dagegen sogar auf die Straße.

Wir stellen Kästchen in Frage und lösen sie auf: Nein, wer seine Stimme gegen unmenschliche Menschenjagden erhebt, ist kein Linksradikaler. Und nein, nicht alle Sachsen sind Nazis. Wir lassen die Luft aus Euphemismen: Wer mit hitlergrüßenden Kriminellen mitmarschiert und dabei seine Menschlichkeit vergisst, ist kein „besorgter Bürger“.

Wir werden immer besser darin, sprachliche Kampfmittel im öffentlichen Diskurs zu erkennen, zu benennen und so zu entschärfen. Nun wäre es gut, wenn wir uns auch öfter mal an die eigene Nase fassen würden und im Zweifelsfall einfach mal schweigen und tief durchatmen, statt im Affekt zu blöken oder zu tweeten.

Sabine Breit

Sabine Breit hat angewandte Sprachwissenschaft studiert und ist seit über 20 Jahren als Linguistin in die Unternehmenskommunikation sowohl mittelständischer Unternehmen als auch internationaler Großkonzerne eingebunden. Sabine hat eine bezaubernde Tochter, eine sehr kommunikative Katze und findet Ausgleich vom Kommunizieren im Reisen, beim Lesen, beim Sport und in der Meditation.

 

 

 

 

 

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