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Tiere und wir

Foto: C. Spitz
Foto: C. Spitz

Tierethische Ansätze in der Philosophie

Die Tierethik beschäftigt sich damit, wie wir Menschen uns Tieren gegenüber verhalten. In der Geschichte haben sich verschiedene moralische Konzepte herausgebildet. Autor Carsten Petersen stellt die wichtigsten vor und ordnet sie ein.

Wie lässt sich eine moralische Haltung zu Tieren begründen? Eine verbreitete Begründung ist das Tierrecht: Tiere haben Rechte so wie Menschen – und zwar unabhängig von ihrem Beitrag oder Wert für den Menschen. Die Begründung ist analog zu den Menschenrechten. Hier gibt es zwei unterschiedliche Ansätze:

Die einen geben metaphysische Gründe für die unveräußerlichen Rechte von Tieren an, also dass Menschen (und Tiere) Geschöpfe Gottes oder der Wiedergeburt unterworfen seien. Eine Verletzung ihrer Rechte wäre dementsprechend ein Sakrileg oder ein Vergehen gegen Wesen, die früher Menschen waren oder später Menschen werden können. Die Schwierigkeit dieses Ansatzes liegt auf der Hand: Sie gilt nur für den, der diesen Glauben hat.

Die anderen begründen die Tierrechte mit Interessen. Tiere hätten Interessen so wie Menschen, sie verfolgten diese Interessen und sind deshalb keine Sachen wie ein Stein oder ein Tennisball. Diese Begründung, die z.B. von Tom Regan (1997)i vorgebracht wird, bezieht sich implizit auf Kant. Dieser hatte allerdings Tiere aus der moralischen Erwägung ausgeschlossen, weil sie selbst keine moralischen Subjekte seien oder sein könnten. Für Kant waren Tiere „Sachen“.

Dagegen wendet Regan ein, dass die Vernunftfähigkeit, die Kant zum Kriterium für ein Subjekt macht, nicht das richtige Kriterium sei, denn auch Babys oder geistig behinderte oder demente Menschen könnten dann keine moralischen Subjekte sein und wären deshalb „Sachen“. Die meisten Menschen sind sich jedoch einig, dass diese Menschen Rechte haben wie alle anderen auch. Das Kriterium kann also nicht die Vernunftfähigkeit sein, sondern die grundlegende Gemeinsamkeit, „empfindende Subjekte eines Lebens zu sein“.

Wenn man so argumentiert, können auch Tiere moralische Subjekte sein, es sein denn, man ist ein Anhänger des Speziezismus. Diese definieren die Menschen als die Spezies, die allein Rechte hat. Diese Haltung ähnelt dem Rassisten und ist ebenso haltlos.

Sind Mücken und Bakterien empfindende Subjekte?

Wenn man Tieren Rechte zugesteht, stellt sich die Frage, wie weit diese Rechte gehen. Gelten sie auch für Ratten, Mücken und Bakterien? Sind diese nicht auch empfindende Subjekte eines Lebens?

Einige Autoren (Josephine Donovan, 1996)ii beziehen sich auf David Hume (1711-1776) und Arthur Schopenhauer (1788-1860). Sie führen das Mitleid als Basis der Moral an. Heute vertreten feministische Autorinnen, dass Moral sich per se auf die dem Menschen angeborene Fähigkeit des Mitleids gründe. Doch auch hier wäre es nicht einzusehen, warum sich das Mitleid nicht auch auf Tiere beziehen sollte, denn natürlich können wir Mitleid für Tiere empfinden.

Allerdings konstituiert Mitleid keine sehr zuverlässige Moral, weil es eine Emotion ist, die schwanken kann. Moralische Grundsätzen müssen aber in jedem Fall anwendbar sein. Außerdem ist die Reichweite des Mitleids kaum zu definieren: So kann ich zwar mit dem angefahrenen Hund auf der Straße Mitleid empfinden, aber mit den Insekten, die aussterben, weil Mensch ihren Lebensraum zerstören, ist es schon schwieriger. Soll ich mich also um den Hund kümmern und um die Insekten nicht? Das wäre „ungereimt“, wie Kant sagen würde.

Die Begründung für die Tierrechte könnte sich auch auf den Gesamtnutzen beziehen. Das wäre der sog. utilitaristische Ansatz, den z.B. Peter Singeriii verfolgt. Er besagt, dass jene Handlung moralisch gerechtfertigt ist, die die Lust für alle vergrößert oder/und den Schmerz aller verringert.

Jeremy Bentham (1748-1832), der Begründer des Utlitarismus, hat diesen Ansatz auch auf die Tiere angewendet. Als Merkmal, ob ein Wesen bei dem Begriff „alle“ mit eingeschlossen sei oder nicht, nannte er seine Leidensfähigkeit und nicht, wie frühere Philosophen, seine Vernunftfähigkeit.

Da Tiere offensichtlich leiden können, müssen sie, so Singer, auch in das utilitaristische Kalkül einbezogen werden. Das ist überzeugend für denjenigen, derden Utilitarismus überzeugend findet. Zwar abstrahiert der Utilitarist von seinen Eigeninteressen, läuft aber dennoch Gefahr zum höheren Nutzen aller eine Minderheit leiden zu lassen.

Denn es ist nicht ausgemacht (und deshalb auch kein verlässlicher Schutz), dass eine Minderheit nicht leiden muss, um den Gewinn (an Lust oder an irgendwelchen höheren Gütern) aller zu vergrößern. Also ist nicht ausgemacht, das Tiere von Leid verschont werden, wenn es durch dieIin-Kauf-Nahme ihres Leids z.B. Menschen wesentlich besser geht.

Gerechtigkeit gegenüber Tieren

Der amerikanische Philosoph John Rawls (1921-2002) präsentiert eine andere Variante des Absehens vom Eigeninteresse: Moralische Regeln seien dann gut, wenn sie hinter dem Schleier des Nicht-Wissens aufgestellt wurden. Das bedeutet, dass ich bei der Aufstellung der Regeln nicht weiß, ob ich Mann oder Frau, dumm oder schlau, Kind oder Greis, Schwarz oder Weiß oder reich oder arm sein werde. In diesem Fall wäre es rational, gerechte Regeln aufzustellen.iv

Ein Beispiel: Eine Gruppe will sich eine Pizza teilen. Sie bestimmt aus ihrem Kreis eine Person, die Pizza zuschneidet. Diese weiß aber nicht, welches Stück sie anschließend bekommt. Sie wird deshalb die Pizza in gleiche Stücke zerteilen. Dieses Gedankenspiel hat den großen Vorteil, dass es keine metaphysische Basis braucht und wederinstabil noch utilitaristisch ist. Rawls hat jedoch seinen sog. kontraktualistische Gerechtigkeitsansatz nicht auf Menschen angewendet.

Mark Rowlandsvhingegen hält die Wahrung von Tierrechten auch mit dem kontraktualistischen Ansatz nach Rawls für möglich, indem er sagt: Alle meine Eigenschaften, die nicht mein Verdienst sind, (Geschlecht, Hautfarbe, Geburtsort, Intelligenzgrad usw.) sollten hinter dem Schleier des Nichtwissens verschwinden, wenn wir uns moralische Regeln aufstellen. Dazu gehört natürlich auch meine Zugehörigkeit zur Spezies Mensch. Wenn ich also nicht weiß, ob ich später ein Tier oder ein Mensch sein werde, werde ich gerechte Regeln auch für Tiere aufstellen.

Allerdings ist der Rawlssche Ansatz vielleicht ungeeignet, Tiere als moralische Objekte miteinzubeziehen. Der Philosoph Peter Carruthersvikommt denn auch zu dem Schluss, dies sei nicht möglich. Denn wenn diejenigen, die eine Moral entwerfen, selbst nicht wüssten, als welche Spezies sie nach In-Kraft-treten der Regeln lebten, dann würden sie „den Bezug dazu verlieren, woher Moralvorstellungen kommen oder warum wir sie ernst nehmen sollten, wenn sie aufkommen“. Deshalb würde der ganze Ansatz scheitern, wenn man ihn auf Tiere ausweite.

Hier muss man in der Tat Carruthers zustimmen. Denn wenn (nach Rawlands Vorschlag) auch das Wissen um die Spezies hinter dem Schleier des Nichtwissens bleiben soll, dann müssten die Regeln auch die möglichen Interessen der Tiere berücksichtigen Diese Interessen können wir jedoch unmöglich kennen, außerdem sind Interessen darunter, die wir kennen, die aber unserem moralischen Vorverständnis widersprechen.

Denn Tiere fressen andere Tiere, Tiere quälen andere Tiere, Tiere unterlassen Hilfeleistungen für andere Tiere usw., das ist für sie kein unmoralischer Akt, sondern sichert ihr Überleben. Für Menschen ist es aber ein moralisch zu bewertender Akt, denn erstens ist es für Menschen keine Überlebensfrage, zweitens können sie darüber moralisch urteilen. Sie sind, anders als Tiere, eben moralische Subjekte.

Um die interessanten Ansätze von Carruthers und Rowland zu retten, müsste man die Spielregeln des Rawlsschen Gedankenexperimentes noch ein wenig ändern:

1. Die Kenntnis der Spezies, in der ich geboren werde, ist mir bekannt, ich bin ein vernunftbegabter Mensch, weil sonst die Konstruktion von moralischen Regeln nicht möglich ist.

2. Wir unterscheiden, wenn wir moralische Regeln aufstellen, zwischen moralischen Subjekten und moralischen Objekten, weil es Menschen gibt, die aus verschiedenen Gründen keine moralischen Subjekte sein können (s. oben, Babys, Demente usw.), die aber natürlich dennoch ein Recht auf Schutz und Fürsorge haben.

3. Wir schließen Tiere als moralische Objekte ein, obwohl wir ihre Interessen nicht alle kennen können und manche auch ablehnen. Das heißt, dass wir nicht in jedem Fall die Interessen des Tieres berücksichtigen können. In den Fällen, in denen es jedoch möglich ist, sind wir moralisch gehalten, uns danach zu richten. Mit dem Rawlsschen Gerechtigkeitsansatz kommen wir zu einer sehr plausiblen und stabilen Haltung gegenüber Tieren.

Carsten Petersen

Anmerkungen

i In: Angelika Krebs (Hrsg.), Naturethik, Frankfurt a.M. 1997

ii J.Donovan, Attention to Suffering, Sympathy as a Basis of Ethical Treatment of Anmals. In: Josephine Donovan/Carol J. Adams (Hrsg.), Beyond Animal Rights, New york 1996. Hier auch der Bezug zu Hume und Schopenhauer

iii Peter Singer, Rassismus und Speziesismus, in: Praktische Ethik, Stuttgart 1994

iv John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a.M. 1997

v Mark Rowlands, Animals like us, New York 2002

vi Peters Carruthers, The Animals Issue. Moral Theory in Practice, Cambridge 1992

Lesetipp: Die genannten Schriften sind auszugsweise in dem Buch von Ursula Wolf versammelt: Texte zur Tierethik, Stuttgart, 2008

Infos zu Tierrechten und FAQ zum Thema gibt es auch hier: www.anwalt.org/tierrechte

Carsten Petersen geb. 1954, studierte Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte. Er ist Lehrer, Erzieher, Vater und Imker. Lebt mit seiner Familie in Uelzen.

 

 

 

 

 

 

 

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