Von Charles Eisenstein
Mit der Debatte im CO2-Reduktion kommen wir nicht weiter, ist Charles Eisenstein überzeugt, weil wir die Natur immer als außerhalb von uns selbst wahrnehmen. Erst wenn wir uns als Teil der Natur verstehen und die Verletzungen der Erde selbst spüren, würden wir aus der Trauer heraus anders handeln und das Klima schützen.
Eben schrieb mir der Umweltschützer Michael Mielke Folgendes: “Immer wieder sind wir auf die Einsicht zurückgekommen, dass die Klimaschutzbewegung erst durch mehrere Stadien der Trauer gehen muss, um Akzeptanz zu finden.”
Ich freue mich, dass sich diese Erkenntnis langsam verbreitet. Trauer ist notwendig, um die Situation, vor der wir stehen, auf einer tiefen Ebene zu integrieren. Andernfalls bleibt sie für die meisten Menschen abstrakt. Unsere gesellschaftliche Infrastruktur schirmt uns ja (zumindest bis jetzt) ganz gut vor spürbaren Auswirkungen des Klimawandels ab.
Für die meisten Menschen scheint der Klimawandel etwa im Vergleich zu ihrer nächsten fälligen Schuldenrate oder zum Suchtproblem ihrer pubertierenden Kinder recht weit weg und abstrakt – etwas, das entweder nur in der Zukunft passiert oder in den Nachrichten. Solange das der Fall ist, werden sie auch keine sinnvollen Schritte setzen, und das wird sich auch nicht durch Überzeugungsarbeit ändern.
Überzeugung dringt nicht tief genug ein. Niemand kann je davon “überzeugt” werden, große Veränderungen in seinem Leben vorzunehmen, wenn diese Überzeugung nicht auch mit einer Erfahrung einhergeht, die ihn auf körperlicher oder emotionaler Ebene trifft.
Solange man die Trauer nicht in ihrem vollen Umfang erlebt, erscheint die alltägliche Wirklichkeit immer noch normal. Selbst wenn man auf intellektueller Ebene davon überzeugt ist, dass der Klimawandel real ist und schwerwiegend, sagt einem das Gefühl immer noch: “Das ist nicht wahr,” oder: “Es wird schon gut ausgehen.”
Alte Narrative sind noch intakt
Natürlich, wenn erst einmal die Folgen des Klimawandels in die normalen Strukturen der westlichen Gesellschaften einbrechen und es dort zu Nahrungsmittelknappheit, extremen Wetterereignissen etc. kommt, dann wird es wahrscheinlich zu spät sein. Bisher können sich die Elitestaaten vor dem Schaden, den die Umweltzerstörung anrichtet, abschotten. Daher scheint er irreal.
Die Klimaanlage funktioniert ja noch. Das Auto fährt. Die Kreditkarte funktioniert. Die Müllabfuhr kommt und entsorgt den Abfall. Die Schule öffnet um 8 Uhr, und Medikamente gibt es in der Apotheke. Die Narrative, die unsere Normalität definieren, sind immer noch intakt. Wenn wir so lange warten, bis diese Narrative durch äußere Ereignisse zerstört werden – dann wird es zu spät sein.
Das ist also die Herausforderung, die vor uns liegt: Wie bringen wir die Menschen dazu, sich so sehr um den Klimawandel zu sorgen, wie sich die Einwohner von Flint in Michigan Sorgen über das Blei in ihrem Trinkwasser machen?
Gegen CO2-Reduktionismus
Das hier soll jeder in der Klimaschutzbewegung hören: Es hilft nichts, den Leuten Angst zu machen. Aus Angst werden sie sich nicht um den Klimawandel kümmern. Wissenschaftliche Prognosen über das, was in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren passieren wird, werden sie nicht aufrütteln – nicht genug. Was wir brauchen, ist ein solcher Aktivismus und eine solche Energie, wie wir sie in Flint gesehen haben. Dafür muss die Sache persönlich werden. Und dafür muss man den Verlust als real erleben. Und dafür muss man Trauer spüren. Es gibt keinen anderen Weg.
Deshalb beargwöhne ich den momentanen Umgang mit dem Thema Klimawandel. Eine abstrakte, pauschale Zahl (CO2-Äquivalente oder Treibhausgas-Emissionen) schafft eine Lücke zwischen Ursache und Wirkung. Sie setzt ein Vertrauen in die Autoritäten und Strukturen voraus, die lange unserer umweltschädlichen Lebensweise vorgestanden sind und sie aufrechterhalten haben.
Diese Sichtweise, die ich CO2-Reduktionsismus nenne, geht Hand in Hand mit globalisierten und finanzialisierten Lösungen, die, wie wir immer wieder gesehen haben, oft schädliche Wirkungen auf lokaler Ebene für Umwelt und Gesellschaft haben. Mit dem CO2-Reduktionismus wurde argumentiert, um Anbauflächen für Biokraftstoffe, die Ackerflächen oder Urwald zerstören, oder Wasserkraftwerke, die unberührte Ökosysteme unter Wasser setzen, oder Kernkraftwerke, GMOs und sogar Fracking zu rechtfertigen und sie zu propagieren.
Die Umweltschutzorganisationen verstanden es – bewusst oder unbewusst – schon lange, sich die Macht der Trauer zunutze zu machen; daher der Erfolg von Kampagnen, in denen Superstars wie Elefanten, Nashörner oder Wale im Mittelpunkt standen. Ich glaube, dass wir für den Klimaschutz davon lernen können.
Natur als etwas Heiliges sehen
Ich weise gern darauf hin, dass alles, was wir aus CO2-Gründen ablehnen auch aus viel unmittelbareren, greifbareren Gründen abgelehnt werden kann. Die Teersand-Projekte in Alberta sind ein Beispiel. Selbst wenn man gar nichts über ihre Auswirkungen auf Treibhausgase weiß, ist das, was passiert, herzzerreißend. Ebenso die Minen in den Appalachen, in denen ganze Berggipfel zur Kohlegewinnung abgesprengt werden. Ebenso die Vorgänge auf den Ölfeldern. Ebenso die Offshore-Ölbohrungen und die ganze Erdölindustrie (wenn an Ölpesten denkt).
Wenn man diese Dinge nur unter dem Aspekt des CO2-Ausstoßes betrachtet, entsteht, fürchte ich, eine emotionale Distanz, die die Menschen davon abhält, die Trauer und den Horror zu erleben, die damit einhergehen. Wenn nur CO2 das Problem ist, und wir es vermeiden, den furchtbaren Zustand unmittelbar vor Ort zu sehen, dann erscheint es vollkommen vernünftig zu sagen: “Gut, dann kompensieren wir dieses Erdgasfeld, indem wir Bäume pflanzen. Und außerdem ist das ja nur eine Übergangslösung, bis wir genug Windräder am Laufen haben.”
Paradoxerweise ermöglicht die CO2-fixierte Sichtweise die Fortführung all jener Aktivitäten, die CO2 freisetzen. Ich weiß, das grenzt jetzt an Abfall vom Glauben, aber ich denke, wir müssen CO2 als Maß für “grünes” Handeln, aufgeben. Wenn wir als Gesellschaft in den Trauerprozess hineingehen und ihn durchleben wollen, ist CO2 ein problematisches Verkaufsargument. Natürlich kann man sagen, dass eine soundso schlimme Überschwemmung in Bangladesch oder eine Trockenheit in Niger durch den Klimawandel verschlimmert wurde, aber das müssen die Menschen glauben, weil die Wissenschaft es sagt.
Ich behaupte nicht, dass der Klimawandel keinen Einfluss darauf hat. Aber es gibt viel handfestere Gründe. An vielen Orten sagen die Menschen: “Der Regen kommt nicht mehr, weil wir die Wälder abgeholzt haben.” Ich glaube, wir müssen die Wälder und die Mangroven und die Flüsse usw. zu etwas Heiligem machen, wir müssen sie als heilige Wesen sehen und nicht als Mittel für menschliche Zwecke, die geschützt werden müssen, weil sie den Treibhauseffekt abmildern.
Die Verletzungen des Planeten selbst spüren
Diese instrumentelle und nutzenorientierte Haltung gegenüber der Natur – die ist das Problem. Ich spreche von der Vorstellung, dass die Welt außerhalb von uns selbst ein großer Ressourcenpool ist, dessen Wert sich auf seinen Nutzen beschränkt. Solange sich das nicht ändert, wird sich nichts ändern.
Und damit sich das ändern kann, damit wir die Natur und die materielle Welt als heilig und wertvoll um ihrer selbst Willen sehen können, müssen wir uns mit dem tiefen Teil in uns verbinden, der das schon weiß. Wenn wir diese Verbindung herstellen und die Verletzungen des Planeten fühlen, ist Trauer unvermeidlich.
Mit einer solchen Grundhaltung werden wir uns immer noch bemühen, all das zu verändern, was auch nach dem CO2-Narrativ bedrohlich ist, aber aus anderen Gründen und mit anderen Augen. Umweltschutz wird dann nicht mehr an das blinde Vertrauen auf die große Wissenschaft und die Befugnis und Legitimität der Institutionen gekoppelt sein. Sonst wäre ja alles gut, wenn die Menschen nur den Autoritäten (in diesem Fall den wissenschaftlichen, aber das betrifft genauso alle Systeme, in die die Institution Wissenschaft eingebettet und durch die sie legitimiert wird) vertrauten.
Wissen Sie was? Selbst wenn die “Klimawandel-Leugner” recht hätten, würde das meine Leidenschaft für den Umweltschutz keinen Deut schmälern. Zugegeben, meine Meinung ist vielleicht nicht gerade repräsentativ, aber für mich heißt das: Es ist nicht wichtig, die intellektuelle Auseinandersetzung mit den skeptischen Kräften zu gewinnen. Das ist nicht nötig, damit die Menschen sich betroffen fühlen.
Ich bin dankbar, dass die Umweltbewegung mittlerweile erkennt, wie wichtig Trauer ist. Jetzt ist die Zeit gekommen, dieses Bewusstsein in unsere Argumentation und unsere Strategien für den Umweltschutz einfließen zu lassen.
Der Artikel stammt in der vorliegenden Übersetzung von Charles Eisensteins Website. Er stellt seine Texte unter der Lizenz „Creative Commons“ bereit.
Charles Eisenstein ist freier Schriftsteller und Vortragsredner. Er graduierte an der Yale University in Philosophie und Mathematik. Vertiefte Studien in Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte sowie spiritueller Philosophie schlossen sich an.
Bücher von Charles Eisenstein:
Die schöne Welt, die unser Herz kennt, ist möglich. Scorpio Verlag 2017, auch online verfügbar
Climate – A New Story. North Atlantic Books 2018, mehr dazu