Ein Interview mit dem Wasserexperten Dr. Klaus Lanz
Die Hitze des Sommers 2018 ist vorbei. Die große Trockenheit ist geblieben. Wie ist es um die Trinkwasserversorgung bestellt? Viele Grundwasservorräte sind erschöpft. Wir haben weniger Wasser und verbrauchen mehr. Lanz fordert im INnterview mehr Problembewusstsein, ein Umsteuern in der Wasserwirtschaft, auch angesichts der spürbaren Erderwärmung.
Das Interview führte Birgit Stratmann
Frage: 2018 war einer der heißesten Sommer seit den Temperaturaufzeichnungen. Können Sie das einordnen.
Lanz: Es war nicht nur heiß, sondern auch trocken. Wir hatten von April bis September kaum Niederschläge und teilweise akuten Wassermangel. Als Folge davon sind die Wasserstände der Flüsse extrem niedrig. Die Elbe beispielsweise führt weniger als halb so viel Wasser wie in einem normalen Sommer. Die meisten Elb-Fähren haben ihren Betrieb eingestellt. Auch an Oder, Weser und Rhein gibt es Rekordtiefstände.
Auf einigen Flüssen sind sog. Hungersteine zu sehen. Was hat es damit auf sich?
Lanz: Die Menschen an Elbe und Weser haben in der Geschichte beim tiefsten Wasserstand beschriftete Steine am Ufer versenkt. Bei Niedrigwasser kommen sie wieder zum Vorschein. Es sind Alarmzeichen, denn die Ernten und damit die Nahrungsmittelversorgung sind in Gefahr. Viele Hungersteine sind 2018 sichtbar geworden, das zeigt den Ernst der Lage.
Wasser, das wir entnehmen, fehlt irgendwo
Was bedeutet die Trockenheit für die Versorgung mit unserem wichtigsten Lebensmittel, dem Trinkwasser?
Lanz: Alles Trinkwasser wird der Natur entnommen. Jeder Liter, den wir entnehmen, fehlt irgendwo. Zum Beispiel Grundwasser: Diese unterirdischen Wasservorräte sind ergiebig, aber nicht unbegrenzt. Und ohne Regen erneuern sie sich nicht. Nach den heißen Sommern 2003 und 2015 hat es mancherorts Jahre gedauert, bis die Grundwasserspeicher sich wieder auf den Normalstand gefüllt hatten.
Der Klimawandel verschärft das Problem. Wir müssen damit rechnen, dass es auch einmal zwei Trockenjahre hintereinander gibt oder dass einem trockenen Sommer ein trockener Winter folgt. Hätten wir im letzten Winter nicht die enormen Schneefälle und Niederschlagsmengen gehabt, wäre die Situation in diesem Sommer noch gravierender.
Woher kommt unser Trinkwasser?
Was sind die anderen Trinkwasserquellen neben dem Grundwasser?
Lanz: Große Teile Süddeutschlands, sechs Millionen Menschen, werden aus dem Bodensee versorgt. Das ist eine scheinbar unerschöpfliche Quelle. Aber dieses Jahr liegt auch der Bodensee mehr als einen Meter unter dem Normalstand.
Als drittes dienen Talsperren in den Mittelgebirgen als Trinkwasserlieferanten. Die Staudämme im Harz zum Beispiel liefern Trinkwasser bis nach Bremen. Doch ohne Regen sinkt auch hier der Wasserstand Tag für Tag.
Woher beziehen Hamburg, München und Berlin ihr Trinkwasser?
Lanz: München schöpft aus drei Quellen: dem Grundwasser der Münchner Schotterebene und über Fernleitungen aus dem Mangfall- und Loisachtal. Dort unterstützen die Stadtwerke München ökologisch arbeitende Landwirte finanziell, damit keine Pestizide ins Trinkwasser gelangen. Das ist ein Vorzeigeprojekt der deutschen Wasserwirtschaft.
Berlin hat keinen großen Fluss und keine für eine solche Metropole ausreichenden Grundwasserkommen. Wasser aus verschiedenen Kanälen aus Spree und Havel wird „recycelt“: Wasser wird entnommen, gereinigt und wieder versickert. Man nennt dies künstliche Grundwasseranreicherung. Der Zufluss zur Spree wird sich weiter vermindern, wenn Tagebaue in der Lausitz stillgelegt werden. Über Jahrzehnte wurde das aus den Tagebauen gepumpte Grundwasser via Spree abgeleitet – zum Nutzen der Berliner.
Hamburg ist reich gesegnet mit Grundwasser unter dem Stadtgebiet, aber es gibt Probleme mit Schadstoffeinträgen aus Industrie und Verkehr. Manche Schadstoffe dringen bis in große Tiefen vor. Daher muss das Wasser aus bis zu 400 Meter Tiefe geschöpft werden. Darunter ist das Wasser salzhaltig. Teilweise mischt man salzhaltiges Wasser mit Süßwasser, um die Vorräte zu strecken. Das ist auch eher eine Notmaßnahme, aber die Stadt wächst und damit auch der Wasserverbrauch.
In Hitzeperioden ist Rasensprengen keine gute Idee
Sind die Ursachen für die angespannte Wassersituation nur in diesem Ausnahmesommer zu suchen oder ist das Problem grundlegender?
Lanz: Die Probleme sind vielschichtig. Zum einen werden Grundwasservorkommen durch Verschmutzung unbrauchbar, insbesondere durch Nitratrückstände aus Gülle und Biogasproduktion. Durch die Trockenheit verschärft sich die Situation: Denn der Verbrauch steigt. In einigen Gebieten hat sich in diesem Sommer der Tagesverbrauch verdoppelt. Darauf ist die Wasserversorgung mit ihren Förderbrunnen und Leitungssystemen nicht ausgelegt. Und durch die hohen Entnahmen verringern wir die Reserven weiter.
Auch die Landwirtschaft ist ein großer Verschwender von Wasser.
Lanz: Ja, die industrielle Landwirtschaft verbraucht enorme Mengen an Wasser. Im Osten Niedersachsens etwa reicht das Grundwasser für die intensive Bewässerung schon lange nicht mehr aus. Aber hier gibt es auch positive Ansätze, etwa die Umstellung der Bewirtschaftung auf Pflanzensorten, die weniger Wasser brauchen, und effizientere Bewässerungssysteme.
Auch sorgt man dafür, dass Winterniederschläge in künstlichen Teichen gesammelt werden. Das Abwasser der Zuckerfabriken wird gereinigt, gelagert und im nächsten Sommer eingesetzt. Man beginnt also mit Kreislaufwirtschaft und das ist auch wünschenswert. Insgesamt bleibt die Bewässerung aber eine der größten Belastungen für den Wasserkreislauf.
Welchen Anteil haben wir Bürgerinnen und Bürger an der Verschwendung?
Lanz: Wer in Mehrfamilienwohnungen ohne Garten lebt, ändert seinen Wasserverbrauch auch in heißen Sommern nur wenig. Der Verbrauch liegt pro Kopf bei 120 Litern am Tag, und unsere Vorkommen verkraften auch, wenn es mal 180 Liter sind.
Bei allen, die ein Haus mit Garten haben und während längeren Hitzeperioden kostbares Wasser einsetzen, um ihren Rasen grün zu erhalten, kann der Verbrauch aber schnell auf 500 Liter pro Person und Tag ansteigen. Das können wir uns in solchen Sommern nicht erlauben.
Die Gärtner sollten darüber nachdenken, ob sie die Bepflanzung nicht allmählich an eine andere Klimazone anpassen. Der englische Golfrasen ist nicht mehr kompatibel mit den aktuellen Sommern, aber es gibt Trockenrasen und andere trockenresistente Bepflanzungen als Alternative.
Ein Pool im Garten verschlingt übrigens auch riesige Mengen kostbaren Wassers. In Baumärkten werden mittlerweile überall Gartenpools angeboten. Diese werden dann mit 300, 500 Liter oder mehr Wasser gefüllt, nach ein paar Tagen wird das Wasser wieder ausgetauscht. Es ist ökologischer und sozialer, öffentliche Freibäder zu nutzen – wenn es sie denn gibt. Hier haben die Städte eine wichtige Aufgabe.
„Wir sind nicht mehr emotional mit dem Wasser verbunden“
Wasser ist ja, wie so vieles in unserer Gesellschaft, eine Ware. Je mehr man verbraucht, um so mehr profitieren diejenigen, die es verkaufen. Gilt das auch hier?
Lanz: Die meisten Menschen heutzutage wissen nicht, woher ihr Trinkwasser kommt. Sie sind mit dem Wasser nicht mehr emotional verbunden. Sie sehen auch nicht, dass sie durch ihren Verbrauch auf die Natur einwirken. Das Wasser kommt aus der Leitung, und man erwartet, dass die Wasserwerke schon dafür sorgen werden, dass es genug gibt. Wasser wird als Dienstleitung wahrgenommen – und wegen des Wasserpreises auch als Ware.
Hinzu kommt: Die Versorger haben ein Interesse an hohen Verbräuchen. Es wird per Kubikmeter abgerechnet, ein Kubikmeter sind 1000 Liter. Ein hoher Verbrauch steigert die Umsätze. Man könnte auch, etwas böse vielleicht, sagen: Die Trockenheit wird zum Umsatzknaller.
Im Grunde verstößt das gegen das Prinzip kostendeckender Wassertarife. Denn in einem heißen Sommer werden finanzielle Überschüsse erzielt. Diese müssten eigentlich in die Rücklagen der Wasserwerke fließen oder in den Bau und Betrieb von Schwimmbädern. In der Regel werden sie aber von den Kommunen als Gewinn verbucht und anderweitig ausgegeben.
Sinnvoll wäre es, im Sommer den Preis pro Kubikmeter zu erhöhen oder den Verbrauch ab 150 Litern pro Kopf und Tag erheblich zu verteuern. Dann würde sich jeder überlegen, ob er noch seinen Rasen sprengt. Doch die Diskussion um Verbrauchssenkungen hat noch keinen Eingang in die Politik gefunden.
Der Klimawandel zwingt zum Umdenken
Aber wie könnte man es anders organisieren?
Lanz: Die Wasserversorger wissen genau, wie viel Wasser in ihren Vorkommen zur Verfügung steht. Sie sollten sich darauf einstellen, dass es ein oder zwei trockene Jahre hintereinander geben kann und dafür sorgen, dass man auch diese gut übersteht. Dazu sollten sie aus meiner Sicht nicht erst bei extrem niedrigem Wasserstand zum Sparen aufrufen, sondern schon dann, wenn die für ein weiteres Trockenjahr nötige Reserve angezapft werden muss. So könnte man frühzeitig den Verbrauch zurückschrauben, lange bevor es akut wird. Die Wasserwerke sollten sich darauf einstellen, dass es ein oder zwei trockene Jahre hintereinander geben kann und dafür sorgen, dass man diese gut übersteht.
Am Wasser sieht man den unstillbaren Hunger der Wachstumsgesellschaft besonders gut. Wir sehen einfach nicht ein, dass die Ressourcen endlich sind.
Lanz: Ja, wir leben über unsere Verhältnisse. Betrachten wir ganz Deutschland als einen Wasserhaushalt, erkennt man, wie intensiv die Gewässer für die verschiedensten Nutzungen bewirtschaftet werden: Der Braunkohletagebau pumpt Grundwasser in großem Stil ab, die Kühlung für Atom- und andere thermische Kraftwerke heizt die Flüsse auf, Schifffahrtskanäle müssen gespeist werden und die Landwirtschaft baut angesichts des Klimawandels die Bewässerung aus.
Im Mittelpunkt steht immer: Wie können wir die Gewässer noch intensiver nutzen, wo bekommen wir zusätzliches Wasser her? Die Gesellschaft greift massiv in den Wasserhaushalt ein, während dieser sich durch den Klimawandel grundlegend verändert.
Das heißt im Klartext: Es steht weniger Wasser zur Verfügung, und wir wollen immer mehr verbrauchen. Die Sommer 2003, 2015 und 2018 zeigen, dass ein Umdenken nötig ist. Der Klimawandel zwingt uns, die Bewirtschaftung der Wasserresourcen anzupassen.
Dr. Klaus Lanz ist Leiter des unabhängigen Forschungsinstituts international water affairs in Evilard in der Schweiz. Der Chemiker, Wasserforscher und Publizist berät seit über 20 Jahren Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu strategischen Wasserfragen.