Ein Buch von Ina Schmidt
Verantwortung ist ein großes ethisches Thema. Die Philosophin Ina Schmidt gibt mit ihrem Buch eine praktische Orientierung. Verantwortung sei, nach dem Guten zu streben und sozial zu handeln. Dabei sollten wir um unsere Schwächen und Begrenzungen wissen und doch klug handeln.
Ob es uns gefällt oder nicht: Als erwachsene Menschen tragen wir Verantwortung – und empfinden sie manchmal eher als Last denn als Macht. Wir sind verantwortlich für etwas, das wir gesagt, getan, aber auch unterlassen haben beziehungsweise werden vielleicht dafür verantwortlich gemacht. Wir können bewusst Verantwortung übernehmen, abgeben oder auch ablehnen.
Manche neigen eher dazu, sich vor ihrer Verantwortung drücken, indem sie es vermeiden, eigene Entscheidungen zu treffen. Wieder andere brechen schier zusammen unter der Last eines übergroßen Verantwortungsgefühls, das weit über die Grenzen ihrer realen Einflussmöglichkeiten hinaus geht.
In ihrem neuen Buch beleuchtet die Philosophin Ina Schmidt verschiedene Aspekte und auch divergierende Auffassungen von Verantwortung. Vier Fragen, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist, sollen uns die Augen für einen „eigenen und vielleicht anderen Blick“ darauf öffnen: 1. Was ist Verantwortung, 2. Warum tragen wir Verantwortung? 3. Wie gelingt verantwortliches Handeln? 4. Und was folgt daraus für unseren verantwortungsvollen Umgang mit der Zukunft?
Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die globale Zukunftssorge. Ihr Anliegen ist es, eine neue Zukunftsethik zu entwickeln, um in Anlehnung an den Philosophen Hans Jonas „die Kraft der Verantwortung als ein Zusammenspiel aus kritischem Denken, guten Gründen und emotionalem Spürsinn voller Tatkraft zu nutzen.“
Diese Zukunftsethik bedarf einer „ethisch wahrhaftigen“ Sprache, in der wir reflektieren und uns austauschen können. Messen lassen müssen wir uns aber letztlich an unseren Handlungen, nicht an hehren Gedanken. Am Ende kommt es darauf an, dass wir eine wie auch immer geartete Zukunft auf diesem Planeten zwar nicht planen können, aber durch unsere Lebensweise auch nicht verhindern oder unmöglich machen.
Verantwortung für eine Zukunft, die wir selbst nicht mehr erleben werden
Ina Schmidt ist überzeugt davon, dass es in jedem von uns so etwas gibt wie ein ihm innenwohnendes Streben, das Gute zu wollen. Sie wendet sich gegen einen moralischen Relativismus, der behauptet, das Gute und das Schlechte seien nur kontextabhängig und immer irgendwie relativ. Ihrer Überzeugung nachgibt es einen „gemeinsamen Moralkodex“, den alle Menschen teilen.
Sie geht also davon aus, dass „Tatsachen“ und damit „objektgegebene Gründe“ für ethisches Handeln existieren In diesem Sinne definiert sie Verantwortung als eine Haltung, die unabhängig von unserem eigenen Wohlbefinden auf eine Verbesserung zum Guten ausgerichtet ist.
So entkommen wir zwar dem Problem einer scheinbaren Beliebigkeit, sind damit jedoch keineswegs automatisch bei einer mit Gewissheit richtigen Lösung oder Entscheidung angelangt. Ob wir „richtig“ gehandelt haben, kann sich bereits in der Gegenwart oder unmittelbaren Zukunft erweisen. Unsere Verantwortung kann sich jedoch auch auf eine Zukunft erstrecken, die wir selbst nicht mehr erleben.
Bei diesem Dilemma können uns weder unsere Vernunft noch unser Bauchgefühl allein weiterhelfen. Vielmehr, so Ina Schmidt, müssen wir wieder lernen, auf unsere innere Stimme zu hören, die „Stimme des Gewissens“, die unser Wissen und unsere Gefühle zu verbinden vermag.
Verantwortlich zu handeln, bedeutet in diesem Sinne, dass wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür einsetzen, die Welt nicht schlechter, sondern besser zu machen.
Die Stimme unseres Gewissens können wir allerdings kultivieren, indem wir eine wohlwollende Haltung der Welt gegenüber einnehmen. Dabei geht es um eine Form von Zuneigung und Fürsorge. Nur wenn wir uns auch berühren lassen, können ein „Verantwortungsgefühl“ und eine Haltung der Solidarität entwickeln.
Dieser Shift von einer „Ethik der Wahrnehmung“ zu einer „Hermeneutik der Liebe“, wie Ina Schmidt das nennt, soll zu einer Haltung führen, „die uns darin bestärkt, dass wir nicht für alles verantwortlich sein, uns aber in jedem Fall auf die Suche nach Antworten machen können“.
Damit setzt sie sich auch explizit ab von der, wie sie es nennt „Gewalt der Positivität“ oder „Positivität des Könnens“, die uns – passend zu unserer Leistungsgesellschaft – immer anspornen möchte, die optimalste Version unserer selbst zu entwickeln. Dadurch geraten wir ihrer Meinung nach nur in einen Zustand andauernder Überforderung, der alles andere ist als verantwortlich uns selbst und letztlich auch der Welt gegenüber.
Was wir vor dem Hintergrund der beständigen Veränderung und Verunsicherung brauchen, so Ina Schmidt, sei eine neue Klugheit, die uns besonnen und maßvoll handeln lässt, weil sie um die Grenzen ihres Wissens weiß. Eine Klugheit also, die wir auch Weisheit nennen könnten.
Ina Schmidt verlangt ihren Leserinnen und Lesern mit diesem Buch einiges ab. Vernunft und Gefühl sind hier gefragt, Schlupflöcher lässt sie nicht zu. Wir können uns unserer Verantwortung nicht entziehen. Aber – und das ist das Entlastende an diesem klugen, empfehlenswerten Buch – wir müssen nicht permanent Lösungen auf den Tisch packen. Wir dürfen, ja müssen uns zu unseren begrenzten Möglichkeiten und Schwächen bekennen und können trotzdem zuversichtlich bleiben.
Ina Schmidt: Die Kraft der Verantwortung. Über eine Haltung mit Zukunft. Edition Körber, Hamburg 2021