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Vertrauen und innere Sicherheit

frankie`s/ shutterstock.com
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Ein Essay von Ina Schmidt

Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis, nicht nur in Politik und Gesellschaft, sondern auch im Leben jedes Einzelnen. Gleichzeitig ist das Leben selbst unsicher. In diesem Dilemma hilft nur eins, so die Philosophin Ina Schmidt: Vertrauen – auch darauf, dass wir mit Unsicherheit leben lernen können.

 

Hamburg während des G20-Gipfels im Juli 2017: US-Roboter in U-Bahnschächten, Helikopter, die über dem Stadtgebiet schwirren, zugeschweißte Gullis – zum politischen Großereignis braucht die Weltpolitik Sicherheit, ganz klar. Aber wo ist die Grenze – das rechte Maß, damit das, was geschützt werden soll, im Mittelpunkt steht, und das Schützen nicht zum Selbstzweck wird?

In Fragen der Sicherheit ist diese Grenze derzeit schwer zu greifen – nicht nur weltpolitisch und gesellschaftlich, sondern auch ganz persönlich. Denn jeder von uns kennt Momente oder auch Phasen Zeiten der Verunsicherung – von einem leisen Staunen oder Stolpern über Ungewohntes oder Fremdes über die Furcht vor Hunden oder großen Menschenansammlungen bis hin zur Angst vor Dunkelheit, Einsamkeit oder dem Tod.

Es gibt vieles, was uns bedrohlich erscheint und tatsächlich begeben wir uns jeden Tag in Gefahr und schaffen damit eigenhändig die Bedingung für einen Mangel an Sicherheit – wie Erich Kästner so treffend bemerkte: „Das Leben ist immer lebensgefährlich“.

Dennoch bzw. gerade deswegen gehört der Wunsch nach Stabilität, Orientierung und Kontrolle zu den ureigenen Wesenszügen jedes Menschen, ein Grundbedürfnis, das nach dem US-Psychologen Abraham Maslow bereits direkt auf die physischen Bedürfnisse eines jeden Menschen folgt. Erst wenn diese beiden Grundbedürfnisse gesichert sind, kommt die dritte grundlegende Stufe: das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Beziehungen.

Diese drei Stufen lassen sich nicht ausschließlich hierarchisch abbilden, sondern bestehen in einem Nebeneinander. Sie sind das grundlegende Fundament für jede Form weiterer sozialer und individueller Weiterentwicklung bis hin zur persönlichen Selbstverwirklichung.

Ohne das Empfinden von Sicherheit ist ein gelingendes Leben unmöglich. Dies scheint im Gegensatz zu stehen zu dem großen Gefühl der Verunsicherung, das wir derzeit erleben. Woher also nehmen wir die Sicherheit, uns auf etwas verlassen zu können?

Sicherheit in unsicheren Zeiten

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht hat zwischen 2010 und 2013 eine Studie zum Sicherheitsempfinden der Deutschen erstellt. Die Forscher fanden heraus, dass mit dem Begriff „Sicherheit“ ganz unterschiedliche Bedeutungen verbunden sind, die in sämtliche Lebensbereiche hineinreichen.

In einer negativen Ausrichtung bezieht er sich auf das Fehlen persönlicher und gesellschaftlicher Bedrohungen; Sicherheit hat aber auch positive Komponenten wie Lebensqualität, Freiheit von Angst, Geborgenheit und Vertrauen in andere Personen oder gesellschaftliche Institutionen (Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, von 2010-2013).

Unser Grundbedürfnis nach Sicherheit braucht neue Antworten, neue Fähigkeiten. Wesentlich ist nicht mehr der Glaube an einen Ort, an dem wir uns bedingungslos sicher fühlen können, sondern das Wissen, das wir mit einer bestimmten Form der Unsicherheit umgehen können. Die Aufgabe liegt also in der Suche nach so viel Sicherheit wie möglich in dem Wissen, sie niemals ganz erreichen zu können.

Sicherheit wird zu einer Art Konzept, zu einem relativen Zustand, in dem wir die Bedingungen für das schaffen, was uns das Empfinden von Sicherheit gibt. Dabei lassen sich unterschiedliche Formen von Sicherheit unterschiedlichen Konzepten zuordnen.

Zum einen gibt es technische Sicherheiten durch bestimmte Vorkehrungen, Passwörter, Kontrollmaßnahmen. Anders sieht es mit dem zwischenmenschlichen Empfinden von Sicherheit aus, das auf Vertrauen oder Liebe beruht. Dann gibt es „rechtliche“ Sicherheit, die so etwas wie das verbindliche Einhalten von Regeln von übergeordneten Leitlinien und Gesetzen anmahnt, die für alle gelten und damit für Sicherheit und Ordnung sorgen.

In der zwischenmenschlichen Welt geht es gerade darum, auf der Suche nach einer „sozialen“ Sicherheit persönlich „gemeint“ zu sein und sich darauf verlassen zu können, dass das Gegenüber nicht am nächsten Tag seine Meinung ändert oder Vereinbarungen von einem auf den anderen Tag über den Haufen geworfen werden.

Das Dilemma: Aufgrund der immer schnelleren und veränderten Lebenswelt versuchen wir verzweifelt technische Maßstäbe auch für die soziale Welt des menschlichen Miteinanders anzulegen, um ein höheres Maß an Sicherheit und Kontrolle erreichen zu können. Wir versuchen, objektive, messbare Kriterien und Bedingungen zu schaffen – wie Alarmanlagen, Firewalls, Gesetzesverschärfungen.

Auf der anderen Seite geht es um ein Grundvertrauen in „die Sachen selbst“, den Mut zum „Sprung“ in ein nichtaufzuhebendes Maß an Unsicherheit, aber auch um die innere Stärkung. Es geht darum, Vertrauen in das zu entwickeln, was ich selbst und meine Mitmenschen eben dieser Unsicherheit entgegensetzen können. Mitten in diesem scheinbaren Paradox gibt es nur eine Fähigkeit, die uns bei diesem Spagat helfen kann: Das Vertrauen.

Vertrauen in schwierigen Zeiten

Ein solches Vertrauen gründet auf einer emotionalen Sicherheit, einer „inneren Sicherheit“, die darauf baut, dass das Handeln der meisten Menschen von guten Absichten bestimmt ist. Darin liegt kein moralischer Appell oder ein Aufruf zum überzogenen Gutmenschentum, sondern eine Voraussetzung, um jeden Tag aufzustehen.

Ohne Vertrauen wären wir vollkommen lebensunfähig – wir vertrauen dem Taxifahrer, dass er uns als Ziel bringt, vertrauen darauf, dass das Essen im Restaurant nicht vergiftet ist und dass unsere Partner uns lieben.

Der Soziologe Niklas Luhmann sieht in unserer Fähigkeit zu vertrauen, die einzige und beste Möglichkeit, die Komplexität unseres Lebens zu reduzieren. Das bedeutet nun nicht, allem und jedem blind zu vertrauen, sondern zunächst die Anerkennung der Tatsache, dass wir ohnehin ein Leben führen, das auf Vertrauen gründet – egal wie skeptisch, zynisch oder misstrauisch wir daher kommen.

Vertrauensvolles Verhalten basiert auf bestimmten Praktiken, die auf guten Gründen beruhen, vielfach aber intuitiv zu einem Entscheidungskriterium werden. Wir schenken jemandem unser Vertrauen in der Annahme, dass er ein ähnliches „Vertrauensverständnis“ hat, sich also dessen bewusst ist, was ich an vertrauensvoller Ungewissheit an ihn richte – in der zuversichtlichen Haltung, dass schon alles gut gehen wird.

Diese Haltung machen wir im täglichen Leben an unterschiedlichen Kriterien fest. Eine KITA braucht entsprechende Räumlichkeiten, ein Konzept und kompetente Mitarbeiter, damit wir eine solche Einrichtung vertrauenswürdig finden, aber wir bekommen durch keine dieser Kriterien die Garantie, dass nicht irgendetwas schiefgehen könnte.

Also – bleibt uns bei aller Sehnsucht nach „Sicherheiten“ nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass alles „gut“ wird (oder zumindest das meiste) und das tun wir immer dann, wenn es keine Gründe gibt, die gegen einen vertrauensvollen Umgang sprechen, eine schlichte, aber doch grundlegende Erkenntnis.

Letztlich ist also das, was wir in diesem Dilemma – einem existenziellen Bedürfnis nach Sicherheit in einer per se unsicheren Welt – tun können, eine „tragische“ Aufgabe, wie sie schon der Philosoph Friedrich Nietzsche erkannte. Der tragische Mensch ist zum einen in der Lage, den unberechenbaren Charakter jeder Form von Lebendigkeit anzuerkennen (das Prinzip des Dionysischen).

Anstatt sich jedoch von diesem rauschhaften Strudel eines unkontrollierbaren Prinzips mitreißen zu lassen, setzt er ihm das Prinzip des „Apollinischen“ entgegen. Das bedeutet, dass der Mensch sehr bewusst die Welt in einen „schönen Schein“ kleidet, der es ihm möglich macht, sich zu orientieren, einen Überblick zu gewinnen, zur Ruhe zu kommen, ohne dabei zu vergessen, dass er „auf dem Rücken eines Tigers in Träumen“ hängt.

Auch hierin liegt ein Konzept, aber dieses Sicherheitskonzept ist ein völlig anderes als der Versuch, das menschliche Können und Erkennen zur Lösung jeder entstehenden technischen wie sozialen Unsicherheit aufzurufen, um sie aus dem Weg zu räumen. Das Tragische daran bleibt, dass das Streben danach am Ende das einzige ist, was wir tun können.

Der „tragische Mensch“, wird aber nicht zu einem Gescheiterten, sondern zu einem „Abenteurer des Geistes“, wie es der Kulturphilosoph Georg Simmel einige Jahre nach Nietzsche formuliert. Darin liegt das Zutrauen, dass der Mensch nicht nur für Sicherheit sorgen, sondern auch mit Unsicherheit leben lernen kann .

Aber es gibt Momente, in denen ich meine eigene Unsicherheit auf den Prüfstand stellen kann, Momente, in denen ich üben kann, mir auch von mir selbst nicht alles gefallen zu lassen, wie es der Psychologie und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl formulierte: sofern ich um meine Unsicherheiten weiß, bin ich ihnen nicht vollständig ausgeliefert.

Und auch, wenn wir damit die großen globalen Fragen nicht beantworten können: Der Versuchung, sich mit allzu einfachen Antworten auf die eigenen Fragen abspeisen zu lassen, hat jeder von uns etwas entgegenzusetzen, dafür können wir in den nächsten Tagen auf die Straße gehen, oder aufs Land fahren – aber egal, was wir tun, um die Fragen der inneren Sicherheit zu beantworten, wir sollten gute Gründe dafür nennen können: und das nicht nur in Hamburg und nicht nur an diesem Wochenende.

Ina Schmidt

InaSchmidt-privates FotoDr. Ina Schmidt ist Philosophin. Sie hat denkraeume ins Leben gerufen, eine Initiative für philosophische Praxis. Buchautorin, Referentin der Modern Life School und freie Mitarbeiterin des Philosophiemagazins „Hohe Luft“.

 

 

 



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