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Vom Bitcoin zum Shitcoin

laremenko Sergii/ shutterstock.com
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Ein Gastbeitrag von Hubert Thurnhofer

Der Hype um die Internetwährung Bitcoin ist verflogen. Hubert Thurnhofer erklärt, wie Bitcoins funktionieren und warum sie als Gegenpol zu üblichen Währungen entwickelt wurden. Von der ursprünglichen Idee sei nicht viel geblieben, so das Fazit des Autors. „Die Krytowährung ist aus ethischen Gründen abzulehnen.“

Drei Mal hat es Bitcoin im vergangenen halben Jahr auf die Titelseite der Wirtschaftszeitschrift „trend“ gebracht: „Die Tech-Revolution“ hieß der Aufmacher am 1. September 2017. Der Kurs der Digitalwährung hatte sich seit Jahresbeginn von 1.000 auf 4.000 Dollar vervierfacht.

Am 19. Januar 2018 folgte „Der Bitcoin-Wahnsinn“. Im Dezember hatte der Bitcoin an der 20.000 Dollar-Marke gekratzt und war zu Jahresbeginn wieder auf 14.000 eingebrochen. Der Kurs hat sich bis Anfang Februar weiter halbiert und am 2. März 2018 funkelte nur noch ein Wort auf dem „trend“-Cover: Shitcoin.

Vom totalen Enthusiasmus „Wie die Blockchain-Technologie unsere Wirtschaftswelt verändern wird“ bis zur reißerischen Enthüllung über „Anlegerbetrug mit digitalen Währungen“ und „Diktatoren und Gauner“, die ihr eigenes Geld erfinden, sind gerade mal sechs Monate vergangen. Ein schönes Beispiel dafür wie Medien funktionieren. Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es darum, wie Bitcoin funktioniert, wer dahinter steckt, warum es zu einem Hype kommen musste und warum diese Währung aus ethischer Sicht abzulehnen ist.

Neues Zahlungsmittel

2008 hat ein gewisser Satoshi Nakomoto, dessen Identität bis heute niemand kennt, ein Whitepaper und damit das Konzept der kryptographischen Währung Bitcoin ins Netz gestellt. Kryptographie ist eine Verschlüsselungstechnik, die vor Hackerangriffen sicher sein soll. Mit dem neuartigen Zahlungsmittel will der Bitcoin-Erfinder das Grundproblem der Geldwirtschaft lösen und in letzter Konsequenz Banken überflüssig machen.

Er erklärt: „Das Kernproblem konventioneller Währungen ist das Ausmaß an Vertrauen, das nötig ist, damit sie funktionieren. Der Zentralbank muss vertraut werden, dass sie die Währung nicht entwertet, doch die Geschichte des Fiatgeldes ist voll von Verrat an diesem Vertrauen.“

Seit starke Verschlüsselung für die Masse der Benutzer verfügbar ist, sei Vertrauen nicht länger nötig. Daten können nun so gesichert werden, dass ein Zugriff durch Dritte, egal aus welchem Grund, unmöglich ist. „Es ist Zeit, dass wir dasselbe mit Geld machen. Mit einer elektronischen Währung, die auf einem kryptografischen Beweis beruht und kein Vertrauen in Mittelsmänner benötigt, ist Geld sicher und kann mühelos transferiert werden“, so der Autor des Whitepaper.

Das Verfahren zur Schöpfung von Bitocin hat der Erfinder origineller Weise als „Mining“ bezeichnet und erinnert damit an Zeiten, als Geld durch Gold gedeckt war. Der so genannte Goldstandard, bei dem Geld durch das Gold der Notenbanken gedeckt war, wurde bereits im 19. Jahrhundert mit der zunehmenden Verbreitung von Papiergeld aufgeweicht und war spätestens mit dem 1. Weltkrieg Geschichte. Dann kamen Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation.

Gegen Ende des 2. Weltkrieges, 1944, legten 44 Staaten in Bretton Woods (USA) die Grundlage für eine stabile Währungsordnung, im Wesentlichen durch stabile, staatlich kontrollierte Wechselkurse. Dieses System ließ sich jedoch nur bis 1973 aufrecht erhalten. Zuerst scherten Großbritannien und die Schweiz aus, danach wurden die Wechselkurse in den meisten Ländern freigegeben. Seither bestimmt das „Spiel der Märkte“ und die Macht der Regierungen das Vertrauen in einzelne Währungen. Man spricht heute von „Fiatgeld“, das wie von einem Schöpfergott (fiat lux) „aus Luft“ geschaffen und durch nichts gedeckt ist (fiat nummus).

Geldwirtschaft beruht auf Vertrauen

Philosophisch betrachtet ist Geld nichts anders als ein Substitut für Vertrauen. Bitcoin dagegen soll eine neu Art von Geld sein, das ohne Vertrauen auskommt, weil es auf sicherer Technik basiert, so der Autor des Bitcoin-Whitepaper. Doch die Grundidee des Bitcoin – anstelle des zentral geschöpften Fiatgelds eine dezentrale Geldschöpfung, an der jeder teilnehmen kann – ist schon längst Geschichte. Mittlerweile sind nur noch Hochleistungsrechner mit speziellen Chips imstande die Rechenprozesse zu bewältigen.

Zu Jahresbeginn 2009 hat das Bitcoin-Netzwerk mit der Schöpfung der ersten 50 Bitcoins begonnen. Einige Tage später hat Nakomoto die erste Version der Bitcoin-Referenz-Software Bitcoin Core veröffentlicht. Damit konnte jeder, nein, nicht wirklich jeder, sondern nur jeder, der sich mit Verschlüsselungssoftware auskennt, auf seinem eigenen Home-PC Bitcoin schöpfen.

In den ersten Jahren war das Mining ein Hobby für Technikfreaks, die ein neues Spiel für sich entdeckt haben. Erst 2013 stieg das Interesse der Finanzindustrie und damit stiegen die Kurse langsam, aber beständig von NullkommaX auf 100 Dollar und hielten sich weitere drei Jahre im niedrigen dreistelligen Bereich.

Alle Transaktionen, die jemals mit einem Bitcoin getätigt wurden, werden verschlüsselt gespeichert. Sie sind deshalb jederzeit nachvollziehbar und können angeblich nicht gefälscht werden, weil sie unabhängig voneinander auf vielen verschiedenen Servern gespeichert werden. Das Zauberwort dafür heißt „Blockchain“. Heute werden täglich 1.800 Bitcoin „geschürft“.

Alle zehn Minuten wird ein Block generiert und an einen einzigen Miner vergeben. An wen genau? Das entscheidet das Schicksal von Nakamotos Gnaden. Ein Block beinhaltete 2011 noch 50, heute nur noch 12,5 Bitcoin. Ab Ende 2019 werden es noch 6,25 Bitcoin pro Block sein. Regelmäßig wird die Anzahl der vergebenen Bitcoin pro Block halbiert.

Für die letzten fünf Prozent, also rund eine Million der mit 21 Millionen limitierten Bitcoin, wird die Blockchain ab 2030 noch etwa 100 Jahre benötigen. In der Begrenzung der Menge liegt auch die Wurzel der Kursexplosion, die logischer Weise kommen muss sobald die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches übersteigt.

Nie im Alltag angekommen

„Die Blockchain wird große Teile der Wirtschaft – vor allem digitale Transaktionen – schneller, günstiger und sicherer machen“, war „trend“ im September noch sehr euphorisch. Doch im Alltag ist Bitcoin nie angekommen! Es gibt fast keine Unternehmen, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren und – trotz Spekulationsblase – kaum Kunden, die damit zahlen wollen. Indessen hat sich raus gestellt, dass von schnell, günstig und sicher keine Rede sein kann. Auf Bitcoin-Foren häufen sich Beschwerden, dass die Überweisungen sehr lange dauern.

Blogger „Senthai“ erklärt dazu: „Generell braucht es Zeit bis die Blockchain alle Infos an alle weitergereicht hat. Davor bekommst du noch keine Confirmation. Je schneller die Blöcke deiner Überweisung gefunden werden desto eher erhältst du deine Confirmation.“

Und ein gewisser „Husel2000“ korrigiert: „Es gibt keine Blöcke deiner Überweisung. Ist gibt höchstens einen Block, in den deine Überweisung aufgenommen wurde. Ob und wie schnell eine Überweisung in einen Block kommt hängt von vielen Faktoren ab. Beeinflussen kannst du dabei eigentlich nur die Höhe der Transaktionsgebühren.“ Das vermittelt einen ungefähren Eindruck davon, wie Blockchain funktioniert. Und einen genauen Eindruck, dass auch die Spezialisten nicht wirklich wissen, was da eigentlich abgeht.

Klar ist auch, dass Überweisungen von Bitcoin nicht kostenlos sind, wie ursprünglich von Nakomoto
beabsichtigt, sondern nur jene mit schnellen Überweisungen rechnen können, die dafür Gebühren bezahlen.

Schattenseiten der Internetwährung

Günstig ist auch das Mining nicht. Insbesondere der Stromverbrauch für das Mining und Transaktionen ist mittlerweile exorbitant: digiconomist.net berechnet den Bitcoin-Energieindex, wonach der zu erwartende Jahresstromverbrauch Anfang März 2018 bei 55 Terrawattstunden (TWh) gelegen hat. Und die Prognosen müssen täglich angehoben werden, sodass der Jahresverbrauch der Bitcoin-Blase schon in wenigen Monaten so hoch sein wird wie der von ganz Österreich, das im Vorjahr 71,1 TWh verbraucht hat.

Nicht zuletzt ist die viel gepriesene Sicherheit der Blockchain nur eine Illusion, die davon aus geht, dass Bitcoin eine geschlossene Blockchain-Welt errichten kann. Tatsächlich sind jedoch alle Schnittstellen zur bestehenden Welt, insbesondere alle Bitcoin-Börsen ebenso wie die Wallets, die virtuellen Geldbörsen der User, offen und demnach genau so gefährdet wie jedes anderes System, in dem der Mensch als unkalkulierbarer Faktor mitspielt.

So wie Fiatgeld nur von Insidern der Finanzindustrie geschöpft werden kann, konnten immer nur hochspezialisierte Insider der IT-Welt Bitcoin schöpfen. Damit ein Normalbürger an Bitcoin kommt, muss er zuerst über Fiatgeld verfügen, um es gegen Bitcoin zu tauschen.

Es ist Bitcoin somit nicht gelungen, eine Parallelwährung und damit einen parallelen Geldkreislauf zu schaffen, der echte Unabhängigkeit von der beherrschenden Finanzindustrie ermöglichen würde. Unabhängigkeit bestenfalls für Hacker, die Firmen erpressen und sich Lösegeld in Bitcoin auszahlen lassen – was idealer Weise keine Spuren hinterlässt.

Geld wie jedes andere auch

Die Betrachtung des Bitcoin im Rahmen der Kulturgeschichte des Geldes zeigt, dass sich Bitcoin nicht prinzipiell von allen bisherigen Geldsystemen unterscheidet. Wie Satoshi Nakamoto in seinem Whitepaper richtig feststellt, geht es bei Geld immer um Vertrauen. Vertrauen wurde ursprünglich durch religiöse Beglaubigungsverfahren wie Opfergaben hergestellt. Später durch die Bindung des Geldwertes an Edelmetalle wie Gold und Silber. Und zuletzt durch Staatsgarantien auf Bankeinlagen.

Da die Wirkmacht des Geldes auf Vertrauen (=Glauben) basiert, ist jedes Geldsystem ein quasireligiöses System. So steht auch bei Bitcoin am Anfang ein Gründungsmythos: das Whitepaper als heilige Schrift. Es gibt einen Schöpfer, der wie Gott unbekannt und unergründlich ist, eine Glaubenslehre, die Vertrauen durch Mathematik und Kryptographie ersetzt und eine Anhängerschaft, die an ein besseres Finanzsystem glaubt.

Doch: „Alle materiellen Deckungen des Geldes erweisen sich bei näherem Hinsehen als Illusion“, schreibt Christina von Braun in ihrem Buch „Der Preis des Geldes“. Am Ende wird jedes Beglaubigungsverfahren in Frage gestellt, so dass es letztlich um reines Vertrauen geht.

Bitcoin wollte den Vertrauensgrundsatz aufheben und ist damit gescheitert. Denn Normalbürger, die an Bitcoin gelangen wollen, müssen den Hohepriestern der Kryptographie und den Bitcoin-Börsen vertrauen und können sich gleichzeitig dem bestehenden Finanzsystem nicht entziehen.

Vielmehr hat das bestehende Geldsystem mit seinen Leitwährungen Dollar und Euro den Bitcoin als weiteres Spekulationsobjekt inhaliert. Das Spekulateninteresse an Bitcoin wird anhalten, aber nicht so exorbitant zunehmen wie im vergangenen Jahr, weil mittlerweile mehr als 1.500 andere Kryptowährungen um die Gunst der Anleger buhlen. Sogar Staaten wie Venezuela und Schweden haben mittlerweile eigene Kryptowährungen ausgegeben.

Resümee: Grundsätzlich unterscheiden sich Bitcoin & Co durch nichts von allen finanzindustriellen Derivaten, die nur jene verstehen, die sie erfunden haben. Und an denen letztlich auch nur jene verdienen, die sie erfunden haben. Das epochale Werk „Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte“ von Christina von Braun untersucht die Geschichte des Geldes, von der Entstehung bis zur Gegenwart. Die Währung Bitcoin kommt darin nicht vor, nicht einmal als Fußnote. Das Buch ist 2012 erschienen und deshalb hätte sich Bitcoin in dem Kontext wenigstens eine Fußnote verdient. Aber auch nicht mehr.

Hubert Thurnhofer

Kursentwicklung: Bitcoin Charts

Entwicklung Stromverbrauch: Digiconomist

Foto: Robert Hailwax

Foto: Robert Hailwax

Hubert Thurnhofer studierte Philosophie in Wien, Abschluss 1987 mit der Diplomarbeit „Musil als Philosoph“. Lebt als Galerist und Kommunikationsberater in Wien. Publikationen: Glaube. Hoffnung. Management. Entscheidungsfindung in Unternehmen, 2008; Die Kunstmarkt-Formel, 2014; Moral 4.0, 2017. Mehr über den Autor

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Zwei Anmerkungen:
Zur Klarstellung: Bitcoin nutzt die block-chain-Technologie. So wie ein Auto einen Motor nutzt. Es kann ein Auto nicht ohne Motor funktionieren, aber umgekehrt kann man einen Motor in sehr unterschiedliche Fahrzeuge einbauen. Deswegen bedeutet der Niedergang von Bitcoin keineswegs das Ende von Block-chain.
Und: In der Tat lautet das zentrale Wort “Vertrauen”. Das Problem ist im Kern nicht Bitcoin, sondern das sinkende Vertrauen in unser Banken-System. Geld wird von der EZB seit Jahren mit einem Zinssatz unterhalb der Inflation entwertet und damit auch die Sparguthaben all jener, die aus diversen Gründen nicht in Aktien oder Fonds investieren können. So ist es kein Wunder, dass die Menschen nach Alternativen suchen. Und so entstehen dann Immobilien- oder Bitcoin-Blasen.
Bitcoin ist also nicht die Antwort auf das mangelnde Vertrauen, sondern nur ein Indiz. Auf die Frage, wie wir bei sinkendem Vertrauen künftig mit Geld umgehen sollen, habe ich noch nirgends eine Antwort gefunden.

[…] Lesen Sie einen weiteren Artikel des Autors „Vom Bitcoin zum Shitcoin“ […]

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