Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Von der Fähigkeit, nichts zu tun

Cover Han, Vita comtemplativa

Ein Buch des koreanischen Philosophen Han

Der Philosoph kritisiert die Leistungsgesellschaft und singt ein Loblied auf das Unproduktive, Überflüssige, das Nicht-Handeln. Dem setzt er das kontemplative Leben entgegen, denn: „von der Ethik der Untätigkeit hängt die Rettung der Erde ab“. Am Ende findet er mit der „Vita Composita“ einen Weg, Tun und Sein zu verbinden.

 

Friedlich dasitzen, ohne etwas zu tun.

Der Frühling kommt

Und das Gras wächst von selbst.

(Haiku)

Der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han rechnet in diesem Büchlein mit der Leistungsgesellschaft ab: Das ewige Machen und Tun, Optimieren und Funktionieren sei die Ursache nicht nur für persönliches Leiden, sondern auch für den bedenklichen Zustand unserer Welt mit Kriegen, Klimakrise und Umweltzerstörung. „Der Mensch erstickt im eigenen Tun.“

Dem „Vita activa“ (tätigen Leben) setzt er das „Vita contemplativa“ (kontemplative Leben) entgegen – das absichtslose Sein im Hier und Jetzt, ohne jeglichen Zweck zu verfolgen. „Untätigkeiten sind zeitintensiv. Sie erfordern eine lange Weile“, so liest es sich bei ihm. In diesen Zuständen verabschiede sich der Wille, und das sei gut. Denn „der Wille macht uns nicht selten blind gegenüber dem, was geschieht“.

Han singt ein Loblied auf das Unproduktive, Ausschweifende, Überflüssige, das Herumspazieren, Flanieren, Feiern – kurz das Nicht-Handeln. Und führt westliche Denker wie Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche, Robert Musil und andere ins Feld.

„Von der Ethik der Untätigkeit hängt die Rettung der Erde ab“

Das Buch enthält auch einen philosophischer Diskurs. Han kritisiert vor allem die Idee des „Vita Activa“ von Hannah Arendt, die dazu ein ganzes Werk verfasst hat. Seine Kritik richtet sich gegen die „Verabsolutierung des menschlichen Handelns, das verantwortlich sein könnte für die Katastrophen“.

Hier vergaloppiert sich der Autor allerdings, z.B. wenn er sagt: „[Die Politik] hat ihren Endzweck in der Untätigkeit, im Schauen“. Hannah Arendt würde entgegnen: Politik hat die Aufgabe zu gestalten – und zwar zum Wohle der Menschen. Was Nicht-Handeln bedeutet kann man z.B. in der Klimapolitik beobachten.

Han weiß zu gut, dass weder das Nichtstun noch das Aktivsein für sich die Probleme unserer Zeit lösen werden. Denn zwar brauchen wir mehr Weisheit in politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Aber nicht zu handeln wäre fatal, weil dadurch zerstörerische Systeme fortgeschrieben würden.

Vielmehr brauchen wir eine Synthese von beiden und es ist das Verdienst von Han, dieses herauszuarbeiten. Er hat dafür den Begriff „Vita Composita“ geschaffen, also dass der kontemplative Anteil am Handeln erhöht wird – was immer das für Menschen in der westlichen Kultur bedeutet. Denn nur aus dem Sein heraus könnten neue Möglichkeiten aufscheinen. „Sein ist Mitsein. In der neoliberalen Leistungsgesellschaft bildert sich kein Wir.“ Ein guter Denkanstoß für die Welt von heute.

Birgit Stratmann

Byung-Chul Han. Vita Contemplativa oder von der Untätigkeit. Berlin 2022

Shutterstock

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Sie schreiben: “Hier vergaloppiert sich der Autor allerdings, z.B. wenn er sagt: „[Die Politik] hat ihren Endzweck in der Untätigkeit, im Schauen.“”
Ich finde gar nicht, dass sich der Autor hier vergaloppiert. Zuvor (S. 51) schreibt Han sehr deutlich: “Zweifellos ist ein entschlossenes Handeln notwendig, um die katastrophalen Folgen des menschlichen Eingriffs in die Natur zu beheben.” Und dies ist mit Sicherheit auch vor allem politisch gemeint.
Han schreibt von “Endzweck” (!!!) der Politik in der Untätigkeit und im Schauen und bekräftigt dies mit einem Zitat von Thomas von Aquin (S. 68): “Es ist das Glück des Schauens, worauf das politische Leben insgesamt hingeordnet zu sein scheint: der Friede nämlich, welcher kraft der Zielsetzung des politischen Lebens (dazu gehört auch politisches Handeln) gegründet und bewahrt wird, setzt die Menschen in den Stand, sich der Kontemplation der Wahrheit hinzugeben.”
Dies führt meines Erachtens zu einer tiefergehenden Daseinsauffassung, die relativ unabhängig von konkretem Handeln oder Nichthandeln ist und mehr mit Lebenssinn bzw. Be-Sinn-ung zu tun hat.

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