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VW-Krise: Zeiten des Basta-Managements sind vorbei

rawpixel/ shutterstock.com
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Interview mit Unternehmensberater Zeuch

Die Krisen bei VW und bei der Deutschen Bank deuten auf eine repressive Unternehmenskultur hin. Dr. Andreas Zeuch spricht im Interview über die Fallen streng hierarchischer Strukturen und die Notwendigkeit für mehr Demokratie und Mitbestimmung in Unternehmen.

Das Interview führte Stefan Ringstorff

Frage: Stichwort „Dieselgate“, ist das ein Sinnbild für den inneren Zustand der deutschen Konzerne? Haben Sie zur Zeit den Eindruck, dass die Konzerne sich selbst zerlegen?

Zeuch: Es gibt Konzerne und unter ihnen noch einmal die DAX-30-Konzerne, aber ich würde sie nicht verallgemeinern. Allerdings könnte sich eine Krise von Konzernstrukturen abzeichnen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass immer noch versucht wird, bei Herausforderungen zentral zu steuern.

Zudem ist der Druck, auf Veränderungen im Umfeld zu reagieren, immer größer geworden. Das können Veränderungen in der Wertesphäre der Gesellschaft, im Konsumverhalten, Gesetzesänderungen und vieles mehr sein. Die Konzerne müssen schnell reagieren.

Alle paar Jahre taucht dann ein großer Skandal auf, jetzt sind es VW und die Massenentlassungen bei der Deutschen Bank. Davor war es die Korruptionsaffäre bei Siemens. Es sind über Jahre hinweg Strukturen geschaffen worden, die zu einem Fehlverhalten einladen.

Was meinen Sie damit? Können Sie diese strukturellen Probleme genauer fassen?

Zeuch: Die strategischen Unternehmensziele werden von oben vorgegeben und nach unten durchexerziert. Es geht hier darum, Tausende von Mitarbeitern auf Linie zu bringen. Die Umsetzung der Ziele wird über die Führungskräfte gewährleistet. Man macht Zielvereinbarungen und daran gekoppelte variable Vergütungen, die wir gemeinhin als Boni kennen. Letztere wiederum werden als fester Bestandteil des Gehalts wahrgenommen.

Die Führungskräfte wollen die Ziele irgendwie erreichen, um ihr Gehalt zu sichern. Allerdings sind die verschiedenen Ziele oft nicht erreichbar oder unvereinbar. Bei VW wollte man in einem Atemzug der weltgrößte Autobauer werden und der nachhaltigste, umweltfreundlichste. Dann ging das Tricksen los, um Ziele, die entweder nicht zusammen passen oder einfach nicht umsetzbar waren, doch noch zu realisieren.

Dazu scheint es eine repressive Unternehmenskultur zu geben. Im Falle von VW hat sich niemand getraut, die Probleme bei der Erfüllung der Zielvorgaben bei den Führungskräften anzusprechen.

Maximale Rendite als Unternehmenszweck

Können wir festhalten, dass es an einer Vertrauenskultur fehlt und falsche Ziele ausgegeben werden?Wie verhält es sich denn mit der Logik der Zielvorgaben? Spiegelt sich hier die gnadenlose Effizienzorientierung der Shareholder Value-Logik wider?

Zeuch: Ja, das ist auf alle Fälle so. Es gibt vor allem, was den letzteren Punkt betrifft, ein sehr enges Verständnis davon, für was ein Unternehmen da ist. Die AGs ziehen sich darauf zurück, den Aktieninhabern zu dienen. Aufgrund der Eigentumsrechte wird maximale Rendite versprochen. Das führt dazu, dass Gewinnmaximierung als einziger Unternehmenszweck ausgeben wird.

Aber ich möchte noch etwas hinzufügen – nämlich zu der Art, wie Ziele erarbeitet werden. Ziele werden vorgegeben. Es gibt eine formal fixierte Hierarchie, in der Ziele einfach nach unten durchgegeben werden. Es gibt die Häuptlinge und die Indianer. Das liegt daran, dass die Unternehmensstrategie von Vorstand und Geschäftsführung entwickelt wird. Bei den AGs wird diese dann noch nur vom Aufsichtsrat kontrolliert.

Das muss doch auch ein Problem der Persönlichkeiten sein. Wer herrscht dort? Können Sie beschreiben, wer die führenden Köpfe sind?

Zeuch: Das sind natürlich diejenigen, die mit dem System grundsätzlich einverstanden sind. Formen von Mitläufertum werden bevorzugt. Um weiterzukommen und Führungspositionen zu erreichen, müssen sie mitmachen. Kritische Stimmen werden nach und nach ausgesiebt. Systemkonformität ist gefragt.

Wir finden ein System wieder, dass sich selbst reproduziert. Einige Untersuchungen zeigen, dass sich auffällig häufig Menschen mit psychopathologischen Strukturen in Führungspositionen wiederfinden. Ich will das nicht unbedingt unterstützen, möchte aber betonen, dass sie dort oft alles andere als Wertschätzung und Anerkennung antreffen.

Ist nicht die Zeit der reinen Effizienzorientierung schon wieder vorbei? Kommt nicht langsam schon wieder eine Abkehr von der Faszination der Zahlen?

Zeuch: Mein Eindruck ist ja, aber es passiert dezentral. Das macht es schwer greifbar. In den Netzwerken werden alternative Strategien ernsthaft diskutiert, und gerade in kleineren und mittelständischen Unternehmen hat sich etwas getan. Und wir dürfen nicht die kraftvollen Stimmen derer vergessen, die das Paradigma der reinen Gewinnorientierung in der Wirtschaft kritisieren. Übrigens ein Paradigma, das weite Teile der Gesellschaft erfasst. Betrachten wir nur einmal den ganzen Bereich der Bildung. Wir schauen auf die Zahlen und überall wird gemessen und gerankt.

Veränderung findet dezentral statt. Es kann in dieser Debatte niemanden geben, der federführend ist, sonst würde man die innere Logik dieser Veränderungen auf den Kopf stellen und das weiterführen, was man kritisiert.

Jüngere Mitarbeiter wollen Mitbestimmung

Viele sprechen schon von der Generation Y. Sie scheinen weniger an Status und Prestige orientiert zu sein, der Sinn der Arbeit scheint in den Vordergrund zu treten. Ergibt sich daraus eine Veränderung? Beobachten Sie weniger Duckmäusertum, weniger Angepasstheit? Sehen Sie sich die Unternehmen auch anderen Anforderungen ausgesetzt?

Zeuch: Ein Beispiel: Ich habe momentan ein laufendes Beratungsmandat. Es handelt sich um ein Unternehmen mit ca. 1500 Mitarbeitern. Ich wirke an der Entwicklung von etwa 100 Führungskräften mit. Dort tauchte genau das auf: Die jüngeren Mitarbeiter beschäftigt genau das. An einem reinen Basta-Management sind sie nicht interessiert. Sie wollen nicht bloß Karriere machen, um sich mehr leisten zu können.

Es geht eher um Fragen eines guten Lebens, das nicht nur durch Arbeit bestimmt ist. Es geht um Mitbestimmung im Unternehmen. Das ist absolut nachvollziehbar, wenn wir nur einmal betrachten, wie selbstverständlich diese Generation mit den sozialen Medien und den Möglichkeiten der direkten Einflussnahme groß geworden ist. Das ganze verläuft hierarchiefrei. Stellen Sie sich mal vor, Martin Winterkorn hätte ein Facebook-Profil gehabt und man hätte als Facebook-Freund einfach so mit ihm in Kontakt treten können.

Können wir daraus schlussfolgern, dass die Digitalisierung zur Demokratisierung der Unternehmen beiträgt?

Zeuch: Da haben Sie recht, absolut. Momentan ist das auch ein großes Politikum. Sowohl das Arbeits- als auch das Forschungsministerium haben Mittel freigegeben für Praxis und Forschungsprojekte zur digitalen Transformation und deren gesellschaftlichen Auswirkungen. Ein Bereich beschäftigt sich auch mit der Verknüpfung dieser Entwicklungen mit sozialen Innovationen, wie z.B. der Unternehmensdemokratie. Die digitale Transformation kann ein Katalysator sein.

Stichwort Demokratisierung von Unternehmen. Bei all dem medialen Interesse an den Konzernen, haben Sie in ihrem Buch ganz andere Entwicklungen beschrieben und Beispiele von Unternehmen genannt, die sich längst auf den Weg der Demokratisierung gemacht haben. Es entsteht aber auch der Eindruck, dass die Demokratie eher etwas für kleinere und mittelständische Unternehmen ist.

Zeuch: Die Organisationsstrukturen sind dort ganz andere. Oft ist der Mittelstand von Inhabern geführt und aufgeschlossener für Ver
änderungen. Konzerne dagegen sind virtuelle Gebilde. Nehmen Sie nur mal VW, 600.000 Mitarbeiter weltweit, die bekommt man nicht mehr an einem Ort versammelt, um eine Ansprache zu halten. Selbst persönliche Veränderungen eines Einzelnen sind schon schwer genug durchführbar, wenn Sie das mit 600.000 multiplizieren, können Sie sich vorstellen wie komplex und langwierig Veränderungen sind.

Oftmals wären erst einmal grundsätzliche Veränderungen nötig, beispielsweise wie im Falle von VW die Umwandlung in ein Stiftungsunternehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im Übrigen sehr ernsthafte Anstrengungen hierzu.

Ich möchte aber auch betonen, dass wir nicht so sehr auf die Konzerne schauen sollten. Sie stellen eine Minderheit der deutschen Arbeitsrealität dar, denn nur neun Prozent der deutschen Arbeitnehmer sind bei den DAX-30-Konzernen beschäftigt. Die Wahrnehmung ist eine andere und so sehen wir auch nicht die vielen positiven Entwicklungen in den Unternehmen.

„Die wenigsten Manager vertrauen ihrem eigenen Verstand“

Brauchen wir die Politik auf dem Weg zu mehr Unternehmensdemokratie? Braucht es mehr Regulation, müssen sich die Rahmenbedingungen ändern?

Zeuch: Wir sollten nicht auf die Politik warten, sondern handeln, wenn wir etwas als richtig erkannt haben. Gleichzeitig sollte so etwas wie die Einführung einer Gemeinwohl-Bilanz politisch gefördert werden. Im Kern steht hier der Gedanke, Steuervorteile für Unternehmen zu schaffen, die zum Gemeinwohl beitragen. Dann würden von politischer Seite finanzielle Anreize geschaffen, für das Gemeinwohl tätig zu werden.

Hinter all dem, worüber wir bisher sprachen, steckt ein Menschenbild. Wohin versuchen wir Menschen zu bringen in Bildung und Erziehung? Haben wir Vertrauen? Verändert sich die Gesellschaft in dieser Hinsicht?

Zeuch: Ich kann diese Frage zunächst einmal nur für die Wirtschaftswelt beantworten und stelle fest, dass sich hier nichts getan hat. Es herrscht die Vorstellung vom homo oeconomicus, ein mechanistisches Menschenbild, die Vorstellung, Menschen würden nur ihren Eigennutzen maximieren und rein rational entscheiden. Die ganze betriebswirtschaftliche Fachliteratur ist voll davon.

Es ist eine normative Theorie, um bestimmte Abläufe und Prozesse im Betrieb steuern zu können. Nur leider hat diese Theorie nicht allzu viel mit der Realität gemein, das sagt uns schon der gesunde Menschenverstand.

Die Politik hat dieses Menschenbild jahrelang unterstützt. Das ging los mit der Entfesselung der Märkte unter Thatcher und Reagan und ist ungebrochen.

Was entgegnen Sie dem?

Zeuch: Spontan fallen mir aus der Wirtschaftswissenschaft die Ergebnisse des Ultimatumspiels ein, einer empirischen Überprüfung der Spieltheorie, die beweist, dass der Mensch zu fairem Verhalten tendiert.

Und wenn das Management für sich reklamiert, eine wissenschaftlich fundierte Disziplin zu sein, dann sollte sie sich auch der empirischen Ergebnisse zur Erforschung des Menschen und seiner Motivation bedienen, denn noch gibt es kein Unternehmen, das von Robotern oder Algorithmen geleitet wird. Es sind immer noch Menschen, die Unternehmen für sich und für andere gründen, pflegen und führen.

Das Bild von homo oeconomicus ist eine Art Ersatzreligion geworden, die nichts mehr mit den Versprechen der Aufklärung zu tun hat. Schlussendlich komme ich zu dem Ergebnis, dass im Management die wenigsten Menschen ihrem eigenen Verstand vertrauen.

Stefan Ringstorff

Weblesung

Dr. Andreas Zeuch begleitet als Berater, Trainer, Coach und Redner Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Mitbestimmung und Unternehmensdemokratie.

2003 schloss er seine Promotion zum Training professioneller Intuition ab und entwickelte sich so zu einem gefragten Experten zur organisationalen EntscheidungsKultur und EntscheidungsDesign.

2015 erschien sein neuestes Buch „Alle Macht für Niemand. Aufbruch der Unternehmemsdemokraten“ über erfolgreiche Formen der Unternehmensdemokratie

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