Wie man starre Narrative überwindet
Andersartigkeiten offen zu betrachten und wertzuschätzen, das ist das Anliegen des Anthropolgen Farhan Samanani. Anhand vieler Beispiele mulitkulturellen Zusammenlebens zeigt er, wie man konkret im Alltag mit Andersartigkeit leben kann und warum dies bereichernd ist.
Die eigene Lebensweise samt Werten und Überzeugungen für allgemeingültig zu halten, funktioniert solange, bis man mit Gegenteiligem konfrontiert wird. Spätestens dann sehen die meisten ein, dass ihre so vertraute und dadurch zuweilen für selbstverständlich angesehene Weltsicht lediglich eine von vielen ist.
Manche reagieren bei einem Clash ihrer Überzeugungen mit anderen mit Verteidigung oder Rückzug, mit Versuchen also, die eigene Perspektive weiter zu zementieren und Andersartigkeit irgendwie auszugrenzen.
Anders der Sozialanthropologe Farhan Samanani: Er weiß, dass sich Perspektiven nur in Beziehung zu anderen verändern lassen und will mit seinem Buch „Miteinander“ dazu beitragen, die friedliche Koexistenz auf diesem begrenzten Globus zu verbessern. Im Anschluss an seine Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften fragt Samanani nach den Ursprüngen der Schwierigkeiten im heutigen Zusammenleben.
Es gibt Kräfte, die unsere Toleranz untergraben wollen
Für ein Selbstexperiment ist Samanani nach Kilburn gezogen, einen superdiversen Stadtteil von London. Hier leben Menschen ganz unterschiedlicher Nationalität, Sprache, Einkommen, Lebensstil, Bildung, Ethnie, Religion friedlich zusammen. Dort beginnt er, seine anschaulichen, mitten aus dem Leben gegriffenen Geschichten, wie Menschen mit Andersartigkeit umgehen, zu recherchieren und seine Schlüsse daraus zu ziehen.
Für Samanani ist Verschiedenheit kein Grund, sich voneinander zu distanzieren oder gar zu trennen. Vielmehr ist der in Cambridge promovierte Autor davon überzeugt, dass es „politische Kräfte gibt, die unsere Fähigkeit, mit Unterschieden zu leben, unterminieren, und zwar bis zu dem Punkt, an dem es so aussieht, als ob die Verschiedenheit selbst das Problem wäre.“
Und genau das bezweifelt er undtritt auf 367 Seiten den Gegenbeweis an: Er erzählt die Entwicklung von Menschen nach, die sich aus engen Identitäten befreien und in ein solidarischeres Zusammenleben hineingewachsensind. Notwendig dabei ist eigentlich immer, sich selbst, die Situation und andere Beteiligte reflektieren zu können und eingefahrene Narrative neu zu erzählen.
So beschreibt der Autor denn auch, wie die menschlichen Schlüsselfähigkeiten Empathie und Abstraktionsvermögen Voraussetzung sind, Verbundenheit zu schaffen. „Wir sind aber nicht nur zu Spaltung und Konflikt fähig, sondern auch zu kreativen, transformativen Formen der Verbindung und Kooperation“, so Samananis Fazit.
Beispiele aus der Praxis
Dies untermauert der Autor anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Kulturkreise, von individuellen oder gemeinschaftlichen Konflikten. Er erzählt wie die somalische Mutter mit dem britischen Schulsystem ihrer Kinder kämpft, wie dabei bereits die Sprache Grenzen setzt oder Vertrauen schafft und welche große Rolle das Zugehörigkeitsgefühl spielt.
Er beschäftigt sich mit den fließenden Identitätsvorstellungen der Vezo von Madagaskar und erforscht, warum deren Kinder trotz gleichwertiger Geschlechterrollen zum Teil trotzdem in stark trennenden Kategorien denken.
Es geht um die Frage der Verteilung von Gemeinschaftsgut, etwa wenn in Parks gebetet oder muslimische Feste gefeiert werden. In weiteres Beispiel ist, wie eine Frau, die in Kansas in einer strikten Glaubensgemeinschaft aufwächst, sich aus den beengenden Vorstellungen befreit und toleranter wird.
Miteinander verflochtene Fäden
Ein weiteres Thema des Buches ist, wie demokratische Gesellschaften Andersartigkeit interpretieren. Samanani diskutiert die Möglichkeiten und Grenzen der beiden demokratischen Sichtweisen Liberalismus (u.a. am Beispiel von Platon) und Republikanismus (u.a. am Beispiel von Aristoteles).
Im letzten Kapitel geht der Anthropolge schließlich der Frage nach, was trotz unterschiedlicher Lebensweisen zu gegenseitiger Wertschätzung führen kann. Wie kann mehr Raum für ein harmonisches Nebeneinander hergestellt und das öffentliche Leben zu einem Gemeingut umgestaltet werden, in dem Gleichheit und Differenz miteinander existieren können.
„Es würde bedeuten, Gemeinschaften nicht als Mosaik aus separaten Gruppen zu sehen, sondern als Gobelin aus miteinander verflochtenen Fäden.“
Samanani fasst seine Hoffnung dafür, dass wir das Gemeinsame stärker in den Blick nehmen, so zusammen: „Ich habe versucht, Ideen zu verfolgen, die bei den Problemen unserer komplizierten Welt bleiben und die vielleicht das Potenzial haben, die Welt von innen heraus zu verändern. Ich kann also nur hoffen, dass das Buch dazu einlädt, anders zu denken, zu handeln und zu leben.“
Anja Oeck
Farhan Samanani, Miteinander. Über das Zusammenleben in einer gespaltenen Welt. Berlin 2023