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Weise Hoffnung kultivieren

Magsi/ shutterstock.com
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Über den Umgang mit aufwühlenden Nachrichten

Täglich prasseln Informationen auf uns nieder, die empören, aufregen und verunsichern. Autorin Antje Boijens beschreibt ihre Gefühle. Sie setzt Negativnachrichten bewusst „weise Hoffnung“ entgegen. Jede Geste des Mitgefühls, jeder achtsamen Schritt durch zerstörtes Gelände helfe, den Mut zu bewahren.

Wenn ich derzeit an meine Freundin denke, wird mir ganz anders. Sie ist sozial in einer heiklen Lage und ihre Welt sieht vielleicht bedrohlicher aus als meine. Dazu vergräbt sie sich seit einiger Zeit regelmäßig in den Tiefen des Internets, wovon sie jedes Mal fast triumphierend mit Horrornachrichten zurückkehrt.

Wohlmeinend lässt sie mir davon einiges per Whatsapp zukommen, neulich zum Beispiel ein Video mit der Botschaft, dass und warum jetzt definitiv die globale Krise beginnt. Sowas läuft ganz normal auf Youtube. Mir gehen diese Untergangsbotschaften auf den Geist, gerade weil sie so wohlmeinend daherkommen. Meine Freundin fühlt sich dagegen im festen Besitz von Wahrheiten, die nur wenige kennen. Sie will mit ihrem „Wissen“ die Welt retten und die Wahrheit verteidigen, als wäre sie dafür auserwählt.

Je schlimmer die Nachricht, um so mehr Aufmerksamkeit

Was „Auserwählt-Sein“ heute bedeuten kann, beschreibt die Journalistin Carole Cadwalladr in ihrem legendären Ted-Talk (2019) über das Brexit-Referendum, genauer gesagt, wie es 2016 zu diesem Ergebnis kam. Im Internet konkurrieren unendlich viele Informationen miteinander. Umwahrgenommen zu werden, müssen Botschaften das schnell reagierende Reptiliengehirn in uns anzusprechen, sie müssen sensationell, schlimm und absurd sein.

Der Mechanismus ist banal: Je schlimmer, je unfassbarer die Informationen, umso mehr Aufmerksamkeit gewinnen sie. Hinzu kommen technische Möglichkeiten wie das data mining. Die „Brexiteers“, aber auch Putin, Trump und all die anderen „Influencer“, die es sich leisten können, wählen dadurch gezielt die Empfänger für ihre schlechten Nachrichten aus.

Meine Freundin passt gut in das Internet-Beuteschema für Populisten. Sie lebt von Sozialhilfe, immer mit der bangen Frage „Wie-viel-wie-lange-noch?“ Damit ist sie ein ideales Objekt für Datenschürfer, die eine politische Agenda verfolgen. Deren Ziel ist es nicht, durch Informationen zu überzeugen, so der englische Publizist Petr Pomerantsev in seinem Buch „This Is Not Propaganda“. Stattdessen gelten Informationen als effektiv, die Menschen verwirren, ihnen jegliche Hoffnung nehmen, Zwietracht säen, sie demoralisieren, Angst schüren und sie fundamental verunsichern.

Deswegen kann ich diese Freundin auch nicht mehr mit Argumenten erreichen. Ihre Wirklichkeit ist inzwischen voller Gräueltaten und Verschwörungen, die nur noch ein Held auflösen und befrieden kann. Unlängst hat sie mir „im Vertrauen“ gesagt, dass Trump das machen wird. Hat echt weh getan.

Wie Erde zerstört wird

Als ob das nicht reichen würde. Kurze Zeit später war ich im Kino. Mir war schon klar, dass das kein netter Kinoabend wird. In „Erde“, macht uns der österreichische Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter zu Zeugen, wie unsere Erde misshandelt wird. Weltweit wird Tag für Tag Boden im Umfang von etwa 156 Millionen Tonnen zerstört. Was er ohne große Kommentare und in sorgfältig ausgewählten Perspektiven abgefilmt hat, hat mich umgehauen.

Zuerst sehen wir jeweils eine Produktionsstätte aus der Vogelperspektive. Von dort oben wirkt das Ergebnis der Misshandlung ästhetisch, fast wie ein Kunstwerk von Anselm Kiefer. Die zweite Einstellung zeigt die Menschen bei ihrer Arbeit. Was zum Beispiel mal ein Gebirge war, wird jetzt abgetragen, aufgerissen, gesprengt, geschreddert, endgültig. Dazu der röhrende Sound und das Piepen des schweren Geräts, das den brutalen Akt begleitet. In Einstellung drei dann Interviews mit ein oder zwei Beschäftigten pro Produktionsstandort.

Mit jedem Beispiel lasse ich mich mehr ein und verstehe tiefer, wie sehr das, was hier geschieht, gleichzeitig normal und ungeheuerlich ist. Im Alltag schafft es das Bewusstsein, über die alltägliche Zerstörung hinwegzugehen. Es nimmt einfach hin, dass in Kalifornien Arbeiter mit Bulldozzern Hügelketten abrasieren, um ebenerdige Bauplätze zu schaffen; dass sie in Mexiko Berge wegsprengen, damit wir an das Kupfer für unsere Handys kommen. Ich sehe und höre das alles nicht zum ersten Mal, doch „das Leben geht weiter“.

In den Interviews sehe ich stolze Arbeiterinnen und Arbeiter, fasziniert von den riesigen Maschinen und von der Schnelligkeit, mit der sie Berge durchbohren oder platt machen können. Ein Arbeiter im Carrara-Steinbruch erzählt, wie ihn die Produktivkraft der Maschinen geradezu süchtig macht.

Wer die Erde besitzt

Am Ende des Films fühle ich mich erschlagen. Dabei habe ich nur ein Bruchstück der alltäglichen Zerstörung erfahren. Da weiß ich noch nicht, was mich an diesem Abend noch erwartet. Zuhause werfe ich mich neben meinem Liebsten aufs Sofa. Im Fernsehen läuft gerade ein Bericht über Blackrock, den größten Investor und Finanzdienstleister der Welt, ein Unternehmen der Superlative.

Blackrock verwaltete 2016 bereits mehr Kapital als das Bruttosozialprodukt der BRD in dem Jahr ergab. Seine Wirtschaftskraft verdankt es einem eigenen Datenanalysesystem namens Aladdin, das größte weltweit. Über diese Computerplattform lenkt das Unternehmen Investitionen unter anderem zu den Firmen, die mir kurz vorher bei „Erde“ begegnet sind. Sie sind besonders profitabel.

Riesig ist auch der politische Einfluss von Blackrock-Gründer Larry Fink. Als Vorstandsvorsitzender beriet er unter anderem Obama, Macron und die EU. Interessieren ihn die Folgen seiner Investitionspolitik auf den Klimawandel? Natürlich. Er sagt gern etwas dazu auf dem Wirtschaftsforum in Davos. Den Vorstandsvorsitzenden, die er kontrolliert, empfiehlt er die Aufnahme des Begriffs „Nachhaltigkeit“ in ihre Veröffentlichungen. Sein Geschäft bestimmt Aladdin.

Wie ein innerer Aufruhr kommt und geht

Gegen Mitternacht gehe ich mit klopfendem Herzen zu Bett. Zum Einschlafen hilft nur bewusstes Atmen und die Konzentration auf meine Körperempfindungen. Am nächsten Tag fühle ich mich machtlos und niedergeschlagen. Bei der Morgenmedititation verfangen sich die Gedanken. Ich fühle mich winzig und verletzlich.

Nachmittags kommt ein Geräusch in mir hoch, das Rumoren von Bulldozzern und Schaufelbaggern. Ich lächle dem Geräusch zu und atme bewusst weiter. Ich habe zu tun. Noch ein Tag. Immer wieder löse ich mich von Geröllhalden im Kopf, vom Knall der Sprengungen. Ich würde gerne etwas tun, aber es ist zu groß. Das kann ich nicht ändern.

Ich habe Termine. Ich lächle mir zu und spreche mit einer Freundin über den Film. Der Tag vergeht. Was kann ich schon tun? Ich könnte heulen. Nach weiteren zwei Tagen ebbt der Aufruhr in mir ab. Ich fühle mich besser. Nur noch die Erinnerung. Ab und zu. Ich empfehle den Film weiter. Na klar.

Morgens gehe ich spazieren. Schönes mildes Herbstwetter in diesem Jahr. Ich mache ein Foto von gefallenem Laub. Erde, Blätter, Kastanien arrangiert von Regen und Wind, einfach perfekt.

Ich will tiefer schauen

Mir ist klar, dass Personen wie Larry Fink mit ihren Investitionen die verabscheuungswürdigsten Akte der Erdzerstörung initiieren, jederzeit und allen Marketingauftritten zum Trotz. Zu gut bedienen Aladdin und seine menschlichen Komplizen die unstillbare Gier nach Dividende, die ganz real abfällt, wenn Erde auf Teufel komm raus vergewaltigt und dann häppchenweise vermarktet wird. Hier etwas Kupfer ins Handy, dort ein paar Marmorfließen im Haus. Wir sind wie Ameisen, die über einen Teppich rennen und das Muster nicht erkennen, sagt Sloterdijk.

Ein Archäologe untersucht in „Erde“ den Kupferabbau aus der Römerzeit, direkt neben der neuzeitlichen Produktion, so lange datiert der Kupferabbau hier zurück. Er bringt die Sinnlosigkeit der monumentalen Produktivkräfte ganz nüchtern auf den Punkt: „Die Menschheit lernt es einfach nicht.“ Dann widmet er sich wieder den Ausgrabungen.

In den darauffolgenden Tagen stelle ich mir Larry Fink als ganz normalen Menschen vor mit Bedürfnissen, Gewohnheiten, Gefühlen und Gedanken, einem durchschnittlichen Intelligenzquotient, einem starken Willen und jeder Menge Glück. Einer, der vielleicht gern schwimmen geht von seiner Yacht aus. Langsam höre ich auf, Larry Fink nur für das Abziehbild vom hässlichen Investor zu halten, egal ob er ist oder nicht. Ich gebe ihm versuchsweise menschliche Züge. Vielleicht mag er sogar gute Gespräche. Mir wird klar, dass ich die Wahl habe zwischen Verurteilung und Offenheit, zwischen Hoffnungslosigkeit und Zuversicht. Die Menschheit lernt es einfach nicht? Deutlich schwingt in mir Thich Nhat Hanh‘s Frage „Are you sure?“

Hoffnung nähren

Ich gehe tiefer und lese. Damit hören erst einmal die Zweifel auf. Meine Gedanken sind nicht naiv, nicht abwegig. Wie viele andere schwanke ich einfach nur zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. In Gesprächen zeigt sich, dass die Ambivalenz von „Sich-Machtlos-Fühlen“ und von „Ins-Handeln-Kommen“ nicht nur mich beschäftigt.

Klar ist, die schlechten Nachrichten werden nicht abreißen, Katastrophen sind möglich, aber auch das Gegenteil. Wir können etwas tun, jede und jeder, auch ich und auch wenn ich nicht hundertprozentig genau weiß, was davon bleibt und ob das etwas ändert. Mir fällt wieder der Satz vom Unterschied ein, der einen Unterschied macht. Mindestens das kann ich tun. Ich entschließe mich, Unsicherheit als Ausgangspunkt meines Handelns zu akzeptieren und bekomme mehr Hoffnung.

Bei Rebecca Solnitt finde ich viele wunderbaren Fakten über Aktionen und Aktivistinnen, die die Welt kontinuierlich zum Positiven verändern, auch wenn ihre Geschichten im Alltagsbewusstsein beinahe untergehen. Doch nichts kommt und geht einfach nur. Das, was bei jedem kleinen Schritt zählt, ist, dass er überhaupt getan wird.

Wenn ich jetzt durch den Park gehe und bei meinen Wegen durch die Stadt, erinnere ich mich daran, dass ich lächeln kann, warm und offen und einfach. Der oft zitierte Satz von Thich Nhat Hanh „There is more than one condition in our lives to be happy“ hilft dabei. Die meisten Menschen schauen fröhlich zurück und sind mindestens für diesen Moment nicht trostlos oder verunsichert. An der Kasse im Supermarkt lasse ich jetzt öfter anderen, die es eilig zu haben scheinen, den Vortritt. Unlängst hat mich eine andere Frau vorgelassen. Einfach so.

Fördern, was verbindet und stärkt

Ich bemerke, wie diese Kleinstaktivitäten meinen Tatendrang steigern und mich ermuntern, weitere Schritte zu tun. Deutlicher als bisher nehme ich mir Zeit und öffne mich für die Sorgen und Nöte anderer, in der Familie, bei Freundinnen, in meiner Meditationsgruppe. Hier erkunden wir Möglichkeiten für weitere Aktionen in unserem Umfeld.

Langsam wird mir klar, dass es fast egal ist, was ich mache, solange es langfristig verbindet und stärkt. Ob ich mich für den Erhalt eines Wohnquartiers einsetze, einen Artikel schreibe oder den nahe gelegenen Park aufräume, immer liegt dem eine Formel aus drei Basiselementen zugrunde, die mich mit schöner Regelmäßigkeit in beste Laune versetzen kann: die eigene Aktivität, die Langzeitperspektive (die immer mit der Würdigung dessen beginnt, was sich bereits in diesem Bereich entwickelt hat) und schließlich die Orientierung auf die ersten kleinen Schritte.

Weise Hoffnung nennt Joan Halifax das, Hoffnung gegen alle Widrigkeiten, Hoffnung, die nicht vom guten Ergebnis abhängt. Im Zentrum weiser Hoffnung steht der Sinn dessen, was ich hier und jetzt mache (Vaclav Havel). Damit kann ich gut leben. Sicher bleibt weiterhin, dass sich alles ständig ändert, doch bestimme ich die Richtung jetzt klarer mit.

Zuversicht entsteht durch Engagement, durch Lächeln, durch die Öffnung zum Gefühl der Verbundenheit und, nicht zuletzt, durch Taten. Die Kraft zu solchem Handeln kommt mit der Erfahrung, dass Leben im Handeln wiedergewonnen wird, und das schließt natürlich auch Zeiten des Nichthandelns mit ein. So in etwa muss Thich Nhat Hanh während des Vietnamkriegs seine Friedensarbeit mit den Verwundeten im Dschungel organisiert haben.

Hoffnung in diesem Sinn ist nicht allein ein Bewusstseinszustand. Sie ist eher wie ein Geschenk, das das Leben an die zurückgibt, die sich in den Strom stellen, mitten hinein, und das Leben von da aus wahrnehmen und anpacken. Hoffnung darf leise sein und braucht auch keine heroischen Entschlüsse. Weise Hoffnung wächst bei mir mit dem genauen Hinschauen, mit jeder Geste des Mitgefühls, mit jedem achtsamen Schritt, den ich durch zerstörtes Gelände gehe.

Dann spüre ich, dass die Erde mir selbst sagt, wie ich mein Engagement zum Beispiel für die Erde in einer Stadt ausweiten kann, in der so viel Kapital vorhanden ist. Banker sind auch nur Menschen. Sie können sich vielleicht eine eigene Insel leisten, aber kein eigenes Klima. Das Einzige, was mich wirklich entmutigen könnte, ist ängstliches Wegschauen und die Weigerung, sich von der geschundenen Erde berühren zu lassen.

Antje Boijens

Antje Boijens übt gerade das Ankommen im Ruhestand nach über 25 Jahren selbständiger Tätigkeit als Coach, Moderatorin und Managementtrainerin. Sie praktiziert Zen-Meditation seit 1988, folgt inzwischen der Linie des Sozial Engagierten Buddhismus von Thich Nhat Hanh und ist Mitglied im Orden für Inter-Sein. Ihr Lebensmittelpunkt ist Frankfurt.

 

Weitere Infos:

http://erde-film.at/deutsch/derfilm

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/schattenmacht-blackrock-104.html

https://www.upaya.org/2018/12/wise-hope-in-social-engagement-by-roshi-joan-halifax-part-1/

https://www.ted.com/talks/carole_cadwalladr_facebook_s_role_in_brexit_and_the_threat_to_democracy

Bücher:

Rebecca Solnitt, Hope in the Dark, 2016

Joan Halifax, Rebecca Solnitt, Standing at the Edge, 2018

Petr Pomerantsev, This Is Not Propaganda, Adventures In The War Against Reality, London 2019

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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