Ein Buch über alltäglichen Rassismus
ZEIT-Journalist Mohamed Amjahid hat ein Buch über den alltäglichen Rassismus in Deutschland geschrieben: auf Behörden, bei der Arbeitssuche, in den Familien. Die Weißen seien sich ihrer Privilegien und Vorurteile nicht bewusst, so sein Fazit. Das Buch sensibilisiert.
Rassismus scheint wieder salonfähig geworden zu sein. Aber nur in bestimmten Kreisen, möchte man hinzufügen, und denkt an AfD, NPD, Trump und Konsorten. Das ist natürlich schlimm, aber wenigstens sind die meisten aufgeklärten Deutschen und anderen Europäer doch einigermaßen tolerant und offen. Aber stimmt das wirklich? Das Buch von Mohamed Amjahid Unter Weißen belehrt uns eines Besseren.
Die Eltern des 1988 in Frankfurt am Main geborenen Autors kamen in den 60er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland. Trotz intensiver Integrationsbemühungen – zu Hause wurde z.B. nur deutsch gesprochen – kamen die Eltern nie richtig in der neuen Heimat an.
Als Amjahids Mutter einmal Gewalt von Neonazis erfuhr, belehrte sie die Polizei, dass Gewalt gegen Ausländer eben manchmal vorkomme und dass sie ja nicht in Deutschland bleiben müssten. Die Eltern beschlossen, wieder nach Marokko zu ziehen, als Amjahid sieben Jahre alt war. Nach dem Abitur kehrte er nach Deutschland zurück, studierte und arbeitet heute als Journalist beim ZEIT-Magazin.
Der alltägliche Rassismus ist Amjahids Thema. Er berichtet aus der Ich-Perspektive über seine Erlebnisse: auf Behörden, bei der Arbeitssuche, in der eigenen Familie. Immer wieder wird er ungewollt damit konfrontiert, dass er allein wegen seines Aussehens, der Farbe seines Passes oder des Klangs seines Namens in Situationen gerät, von denen ein Mitglied der weißen Mehrheitsgesellschaft nie betroffen wäre, nur ein Beispiel:
Als der Journalist am Münchner Hauptbahnhof versucht, Flüchtlingshelferinnen für ein Interview zu gewinnen, wird er immer wieder selbst für einen Flüchtling gehalten. Obwohl er akzentfrei Deutsch spricht und sich als Reporter vorstellt, versucht eine Frau, ihm ein Stück Seife aufzudrängen, eine andere drückt ihm ein belegtes Brot in die Hand, anstatt seine Fragen zu beantworten.
Privilegiert sein, ohne es zu merken
Unter Weißen liefert genaue Beschreibungen gut gemeinter Verhaltensmuster und Rechtfertigungsstrategien: „Wenn es Roberto Blanco nicht stört, dass man Neger sagt, dann ist das doch in Ordnung“, das denken offenbar viele “Biodeutsche” (so werden Deutsche ohne Migrationshintergrund in dem Buch genannt).
Genauso herrscht die Meinung vor, dass der Islam durch und durch gewalttätig und menschenverachtend sei. Denn auch Necla Kelek, prominentes Mitglied des muslimischen Kulturkreises, kritisiert seine angestammte Religion heftig. Amjahid erlebte auch, dass man ihm erklärte, was ein Fahrradweg ist.
Verletzende Begriffe wie „Ziegenficker“ werden von Weißen benutzt. Dann wird ihnen von oben herab erklärt, wie sie etwas zu verstehen haben. Die Angesprochenen kommen nicht zu Wort, ihr Empfinden wird ausgeblendet.
Amjahid gelingt es, solche oft automatisch ablaufenden Mechanismen kritisch zu analysieren. Dabei geht es ihm nicht nur um Deutschland. Er berichtet auch aus Frankreich, das er als „weißestes Land Europas“ bezeichnet, und aus Ungarn, wo er für eine Dokumentation recherchiert und einige Zeit mit syrischen Flüchtlingen zusammengelebt hat. Von ihrer fremdenfeindlichen Umgebung stark bedroht, gelingt es ihm schließlich, sie mit Hilfe einer jüdischen Freundin in einer Synagoge zu verstecken.
Amjahid schreibt nicht als distanzierter Akademiker, er erzählt mitten aus dem Leben. Und das ist die große Stärke des Buchs. Seine Sprache ist direkt, klar und lebendig. Das Buch liest sich leicht, geht aber tief. Amjahid verurteilt nicht, sondern möchte ein Bewusstsein schaffen, um eine Veränderung festgefahrener Denkweisen und unreflektierter Verhaltensmuster zu ermöglichen.
Wie notwendig das ist, zeigen die zahlreichen Beispiele aus seinem Lebensalltag. Aber der Autor geht noch einen Schritt weiter und ordnet das Erlebte ein. Leserinnen und Leser werden mit neuen Begriffen bekannt gemacht, etwa „Othering“, „White Trash“ oder „Tokenism“. Es ist kein Zufall, dass diese Begriffe aus dem Englischen stammen. Die deutsche Sprache ist noch zu verkrampft, um mit solchen Themen locker umzugehen. Dies kommt auch in der umständlichen Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ zum Ausdruck.
Fazit: Weiß sein heißt privilegiert sein. Fast immer bedeutet es auch, sich dessen nicht bewusst zu sein, und genau das möchte der Autor mit seinem Buch ändern. Es wäre schön, wenn es ihm gelingt.
Barbara Marx
Mohamed Amjahid. Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein. Hanser Berlin 2017