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Wertschätzung – Was Menschen bei der Arbeit motiviert

Porträtfoto Stephan Pfob
Stephan Pfob, New Work Guide bei Berlin Alley |

Interview mit Stephan Pfob

Fehlende Anerkennung ist eine der größten Stressquellen am Arbeitsplatz. Stephan Pfob ist New Work Guide bei Berlin Alley, wo er Unternehmen auf ihrem Weg in die neue Arbeitswelt begleitet. Michaela Doepke befragte den Unternehmensberater, Philosophen und Buchautor, warum Wertschätzung in Unternehmen so wichtig ist.

 

Herr Pfob: Was ist aus Ihrer Sicht Wertschätzung?

Pfob: Wertschätzung definiere ich als wohlwollende Aufmerksamkeit. Das heißt, ich bin anderen Menschen positiv gesonnen und aufmerksam für das, was sie tun.

Sie haben gerade ein Praxisbuch zu diesem Thema veröffentlicht. Was hat Sie motiviert, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen?

Pfob: Wir beraten schon länger Unternehmen. Und uns ist aufgefallen, dass eine Sache sehr häufig fehlt. Und das ist Wertschätzung. Das sieht man auch an den Umfragen, wo sie immer auf Platz 1 oder 2 bei den Dingen zu finden ist, die den Menschen in der Arbeit fehlen.

Andere Umfragen zeigen, dass Wertschätzung die Menschen auf der Arbeit am meisten motiviert. Häufig, wenn Menschen sagen, ihnen fehle Geld, dann meinen sie gar nicht Geld, sondern Anerkennung. Uns ist klar geworden, dass hinter ganz vielen Schwierigkeiten in der Arbeitswelt ein Defizit an Anerkennung und Wertschätzung steht.

Fehlende Anerkennung ist laut Forschung eine der größten Stressquellen am Arbeitsplatz. Woran liegt es, dass in vielen Unternehmen hier ein so großes Defizit vorhanden ist?

Pfob: Zum einen kostet Wertschätzung nicht viel. Das heißt, man muss dafür kein Geld investieren und auch nicht viel Zeit. Umso erstaunlicher ist, dass etwas, das so eine große Wirkung hat und eigentlich „preisgünstig“ ist, nicht funktioniert. Ein Grund könnte sein, dass es Studien zufolge einen großen Anstieg des Narzissmus (1) gibt. Das heißt, die Leute denken viel mehr an sich selbst.

Das andere ist, dass sich laut Forschung in den letzten Jahrzehnten ein erheblicher Abfall an Empathie nachweisen lässt.(2) Das sind zwei gesellschaftliche Aspekte, die es schwieriger machen, wohlwollend und aufmerksam zu sein.

Ganz typisch ist auch, dass viele Führungskräfte Schwierigkeiten haben mit der Wertschätzung – der sogenannte Feedback-Gap. Es besteht eine große Lücke zwischen dem, was Führungskräfte geben, und dem, was Mitarbeiter brauchen.

Das liegt natürlich nicht daran, dass Führungskräfte schlechte Menschen sind, sondern an Stress, an Überforderung und Rollenkonflikten. Und teilweise auch an einem alten Mindset, der darin besteht, dass man sagt „Für deine Arbeit wirst du doch schon bezahlt. Was denn jetzt noch alles?“ Hier wird unterschätzt, wie motivierend Wertschätzung eigentlich ist.

Herabsetzung des Selbstbildes

Was bewirkt dieses Defizit in Bezug auf die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Pfob: Ein chronischer Mangel an Wertschätzung führt zu Stress. Er beschädigt unser Selbstbild. Dies führt dazu, dass wir bei allen möglichen Problemen gedanklich darum kreisen, warum wir nicht angemessen gesehen werden und das Gefühl haben, unsere Leistungen werden nicht genügend gewürdigt, wir würden menschlich ignoriert.

Ein Beispiel: Sie gehen morgens über den Flur und werden von ihren Kollegen und Kolleginnen nicht gegrüßt. Das ist ein kleiner Augenblick, wo Wertschätzung fehlt im Sinne von „Ich sehe die andere Person und bin ihr wohlgesonnen“. Solche Erfahrungen können sich summieren und man denkt vielleicht: „Was ich denke und fühle interessiert niemanden, ich werde nicht einbezogen.“ Dann führt das zu einer starken Herabsetzung des Selbstbildes und letztlich zu starkem Stress.

Das Teuflische daran ist, dass wir in der Folge anderen weniger Wertschätzung geben. Wenn wir gestresst sind, sind wir weniger empathisch, weniger offen für andere Menschen und auch weniger fürsorglich und wohlwollend.

Laut Report der Krankenkasse fehlen immer mehr Menschen am Arbeitsplatz wegen Depressionen, Ängsten oder anderen psychischen Problemen.

Pfob: Das ist richtig. Platz 1 für Abwesenheiten am Arbeitsplatz sind Klassiker wie Rücken- und Gelenkprobleme und dann folgen schon die psychischen Beschwerden. Ein großer Teil davon ist sicherlich, neben allgemeiner Überlastung und den Unsicherheiten, die die Digitalisierung gebracht hat, mangelnder Wertschätzung zuzuschreiben.

Win-Win-Situation durch Wertschätzung

Früher sagte man: „Nichts gesagt, ist genug gelobt.“ Wie würden Sie die Führungskraft eines hierarchisch strukturierten Unternehmens überzeugen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Wertschätzung entgegenzubringen?

Pfob: Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Wertschätzung nicht so eine Art Gummitierchen auf dem Eingangsstapel ist. Das ist also nicht nur eine kleine Nettigkeit, sondern Wertschätzung führt dazu, dass Menschen bestimmte Dinge einfach besser können. Viele von den Dingen, die Wertschätzung fördert, sind immens wichtig für die heutige Arbeitswelt. Dazu gehören Kreativität, Verantwortungsübernahme und Motivation.

Wenn Sie ein innovatives Unternehmen haben und gute Mitarbeiter halten möchten, wenn Sie möchten, dass diese engagiert arbeiten, gut zusammenarbeiten, Netzwerke bilden – dann brauchen Sie Wertschätzung. Wenn Sie das nicht geben, dann reduzieren Sie auch die Wertschöpfung im Unternehmen. In der Folge haben Sie weniger produktive Mitarbeiter.

Das Interessante ist ja – das ist eine der Pointen von New Work, einer neuen Weise zu arbeiten –, dass es hier eine Verbindung gibt zwischen Produktivität, also dem „wir schaffen mehr“, und Menschlichkeit. Und es zeigt sich, dass man beides wunderbar verbinden kann. Wir sind sowohl produktiver, schaffen mehr und wir sind auch menschlicher. Und wie das geht, das sieht man sehr gut an der gelungenen Vermittlung von Wertschätzung. Das ist eine Win-Win-Situation.

Digitales Arbeiten mit Check-Ins und Friday-Wins

Wird die Vermittlung von Wertschätzung in Zeiten von zunehmender Digitalisierung und Homeoffice nicht zunehmend schwieriger?

Pfob: Wir sind ja alle in einer Übergangsphase. Wir sitzen wie Sie und ich jetzt gerade an den Rechnern und machen sehr merkwürdige Erfahrungen. Es fängt schon damit an, dass wir uns beide jetzt zwar sehen, aber nicht gleichzeitig in die Augen schauen können. Es fehlt die körperliche Beobachtung. Ich kann nicht genau wahrnehmen, wie es Ihnen geht, ob Sie mit etwas einverstanden sind oder nicht. Wir treffen uns auch nicht einfach zufällig auf dem Gang. Das heißt, ganz viele Möglichkeiten und Qualitäten des Austauschs sind verloren gegangen.

Und deswegen versucht man jetzt, neue Wege zu gehen. Für Wertschätzung ist es sehr wichtig, dass wir einander wahrnehmen, und dazu gehört zu wissen, was die andere Person beschäftigt, welchen Dingen sie nachgeht.

Viele Unternehmen führen jetzt sogenannte virtuelle Check-Ins ein. Das heißt, man kommt morgens zusammen und ist eine Viertelstunde einfach im Zoom-Raum wie hier und plaudert miteinander. Was man früher im Flur oder am Café-Automaten gemacht hat, das lässt sich gut online übertragen. Man erzählt so ein bisschen, wie war das Wochenende, wie geht’s dir so. Das ist eine Möglichkeit, Menschlichkeit zu stärken.

Eine andere Sache, die ich besonders schön finde, sind die sogenannten Friday-Wins: das, was man positiv aus der Woche mitgenommen hat. Dafür kommt man am Freitag zusammen für eine Stunde und erzählt sich kurz, ohne aufzuschneiden, ohne anzugeben, was war so besonders in der Woche für mich. Jede und jeder spricht fünf Minuten, vielleicht auch kürzer darüber, was er oder sie gelernt hat. Und auch hier wird Sichtbarkeit hergestellt, man redet miteinander, man lernt voneinander, und dadurch entsteht auch mehr Wertschätzung.

Stefan Pfob ist New Work Guide bei Berlin Alley, wo er mit seinem Team Unternehmen und andere Organisationen in die neue Arbeitswelt begleitet. Er ist studierter Philosoph, Speaker und Informationsdesigner. Mehr: www.berlin-alley.com

Buchtipp: Stephan Pfob, Janett Triskiel, Benjamin Dageroth, Wertschätzung. Ein Praxisbuch für Führungskräfte und Mitarbeiter*innen. Vahlen Verlag, 2020.

Anmerkungen:

1) Anstieg von Narzissmus um 30 Prozent von 1985 bis 2006 laut einer Metastudie: Twenge, Jean u. a.: “Egos inflating over time: A cross-temporal meta-analysis of the Narcissistic Personality Inventory”, in: Journal of Personality 76 (2008), S. 875– 902 // Mehr: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18507710/

2) Abnahme von Empathie um 40 Prozent von den 1990ern bis 2009 laut einer Metastudie: Konrath, Sara H. u. a.: “Changes in Dispositional Empathy in American College Students Over Time: A Meta-Analysis”, in: Personality and Social Psychology Review 15 (2011), S. 180–198 // Mehr: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20688954/

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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