Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Suche
Close this search box.

Wie frei ist der Journalismus?

Austin Distel/ Unsplash
Austin Distel/ Unsplash

Ein Standpunkt von Ines Eckermann

Das journalistische Ideal, unparteiisch die Wahrheit ans Licht zu bringen und mehrere Perspektiven zu Wort kommen zu lassen, ist eine wichtige Aufgabe für die demokratische Gesellschaft. Doch guter Journalismus gerät durch finanziellen Druck in Gefahr. Dann konkurriert der Wunsch nach Quoten und Klicks mit den ethischen Grundregeln des Journalismus.

Im Spätsommer werden die Schatten länger – und 2022 lässt er extrem lange Schatten auf die deutsche Medienlandschaft fallen: So soll die Leiterin des NDR-Funkhauses in Hamburg eine TV-Serie gezielt bei der Tochter einer Bekannten in Auftrag gegeben haben – als Gefallen. Ebenfalls beim NDR wurden zwei Führungskräfte vorerst suspendiert, weil der Verdacht besteht, dass sie allzu kritische Interviews und investigative Recherchen bewusst behindert haben.

Zuvor gab es beim rbb in Berlin Kritik an der Verwendung öffentlich-rechtlicher Rundfunkbeiträge: Die rbb-Intendantin soll Gehälter für vermeintlich ausgeschiedene Mitarbeiter des Senders bewilligt haben – insgesamt mehr als 700.000 Euro bis 2026. Zudem soll sie Geld verschwendet haben für Beraterverträge, den eigenen Dienstwagen im Wert von 145.000 Euro, für den sie einen Rabatt von fast 70 Prozent vom Hersteller bekommen und den sie samt Chauffeur auch für private Zwecke genutzt haben soll.

Respekt vor den Compliance-Richtlinien lässt sich hier kaum erkennen – geschweige denn vor den Grundsätzen journalistischen Arbeitens. Steckt der Journalismus in einer Krise?

Objektivität – Eine Illusion?

Die Dinge hinterfragen, recherchieren, alle Seiten hören, Argumentieren, prüfen, verwerfen, nochmal prüfen und eine Menge Fragen stellen: Der Journalismus und die Philosophie teilen sich viele ihrer wichtigsten Werkzeuge.

Doch ebenso wie viele Philosophen fern ab der Objektivität ihre Zelte aufgeschlagen haben, bliebt auch der Journalismus gelegentlich hinter seinen eigenen Idealen zurück.

Im 18. Jahrhundert, als Bild und Zeit nichts weiter als abstrakte Konzepte waren, war der Physiker Georg Christoph Lichtenberg sicher: „Die Menschen können nicht sagen, wie sich eine Sache zugetragen, sondern nur wie sie meinen, dass sie sich zugetragen hätte.“

Mit dieser Einsicht mischt sich die Skepsis in die vermeintliche Sachlichkeit des Journalismus. Denn wenn wir es genau betrachten, dann kann sogar eine schlichte Polizeimeldung bereits subtil eine Sichtweise transportieren. Wenn es beispielsweise heißt, ein Auto sei außer Kontrolle geraten, statt dass der Fahrer weiterhin der Akteur bleibt und einen Fehler gemacht hat. Oder wenn in einer Meldung steht, dass andere Verkehrsteilnehmer übersehen wurden, befinden wir uns bereits im Reich der Interpretation und der Bewertung. Auch die Auswahl der Gesprächspartner und der Facetten, die in einen Artikel aufgenommen werden, können eine gewisse inhaltliche Gewichtung bewirken.

Etwa zur selben Zeit wie Lichtenberg verdeutliche auch Johann Wolfgang von Goethe: „Die Erscheinung ist vom Betrachter nicht losgelöst, vielmehr in die Individualität desselben verschlungen und verwickelt.“

Auch der deutsche Vorzeigedichter war sich sicher, dass in jedem Bericht immer auch etwas Subjektives mitschwingt. Freier Journalismus bedeutet also weniger, dass er objektiv ist, als vielmehr, dass er unbeeinflusst der Wahrheit auf der Spur ist.

Werkzeugkasten der Objektivität

Wer einen journalistischen Beruf ergreift, setzt sich früher oder später mit dem Pressekodex auseinander: eine Sammlung von journalistischen und vor allem ethischen Grundregeln, die der Deutsche Presserat 1973 festgelegt hat. Diese Regeln sind zwar nicht gesetzlich bindend, dennoch können sie durchaus als ethischer Leitfaden für die Arbeit im Journalismus dienen.

Im Wesentlichen umfasst der Pressekodex 16 Punkte. Dazu zählen unter anderem die Selbstverpflichtungen, keine Lügen zu verbreiten, sorgfältig zu recherchieren, eventuelle Fehler richtigzustellen, Informanten zu schützen, die Unschuldsvermutung und die Neutralität zu wahren, was theoretisch auch verbietet, im Privatleben einer Partei oder einer dubiosen Vereinigung anzugehören.

Weder sollten Werbekunden in der Berichterstattung eines Mediums geschont werden, noch Journalistinnen und Journalisten Geschenkte oder Zahlungen annehmen, die ihre Berichterstattung beeinflussen könnten.

So gibt der Pressekodex recht klare Leitplanken vor, zwischen denen sich Journalisten bewegen können. Doch zugleich macht er auch auf ganz reale Probleme aufmerksam – denn sonst wäre der Kodex schließlich nicht notwendig.

Schon der Erkenntnistheoretiker Thomas Samuel Kuhn nahm an, dass es keine echte Neutralität gibt. Jeder Mensch denke und arbeite auf der Basis bestimmter Paradigmen. Wir legen allem ein bestimmtes Denksystem, Welt- und Menschenbild zugrunde. Dadurch bekommt sogar die vermeintlich objektive empirische Wissenschaft eine subjektive Fassette. Und auch durch ausgewogene journalistische Berichte scheint immer auch die Persönlichkeit und der soziohistorische Kontext hindurch.

Prekäre Freiheit

Sie berichten aus Kriegsgebieten, von ausbrechenden Vulkanen und schmelzenden Gletschern, sie begeben sich in Gefahr, um uns die Wahrheit leicht verständlich und Schwarz auf Weiß zum morgendlichen Kaffee zu präsentieren. So zumindest stellen sich viele angehende Medienschaffende ihren Traumberuf vor.

Doch wenn es um die Sorgfalt geht, zeichnet sich jedoch noch eine ganz andere Facette des Journalismus ab: die Arbeitsbedingungen der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Von den großen Medienhäusern wird es meist sehr kritisch beäugt, wenn Freie sich neben ihrer Arbeit auch als Werbe- oder PR-Texter verdingen. Dabei geht es weniger um die Leidenschaft für das gefärbte Wort, sondern oft schlicht um den Wunsch, Miete und Lebensmittel bezahlen zu können.

So hat beispielsweise ein großes Medienhaus aus dem Ruhrgebiet in den letzten zwei Jahrzehnten nicht einmal die Honorare der freien Mitarbeitenden angehoben. Entsprechend verdienen die freiberuflichen Journalisten dort auf die Stunde umgerechnet netto nicht mal die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns.

Diese prekäre Bezahlung macht Journalisten nicht zwingen bestechlich – jedoch sorgt sie dafür, dass manchen Medien die überzeugten und gut ausgebildeten Mitarbeitenden ausgehen.

Während in der Antike Philosophen, die ihre Argumentationskunst in die Dienste derer stellten, die dafür zahlten, als „Sophisten“ verspottet wurde, ereilt heute manchen Journalisten das Schicksal, als Werbetexter herabgewürdigt zu werden.

Mit Klicks ins Abseits manövriert

Doch auch die Medienhäuser selbst sind wirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Denn während landläufig der Eindruck entstehen könnte, dass es sich bei Medienhäusern um Bollwerke der Wahrheit handelt, so sind sie auch Wirtschaftsunternehmen. Medienunternehmen müssen sich nach dem Markt richten, Trends erkennen und dem Publikum das liefern, was es begeistert und für das es bereit ist, Geld zu bezahlen.

Eine moralische Überhöhung der Medien ist also längst nicht mehr zeitgemäß. Nicht selten müssen sachlich richtige und dadurch teils etwas banal wirkende Überschriften reißerischen und Spannung erzeugenden Headlines weichen. Und gelegentlich wird die richtige Darstellung vor allem von wissenschaftlichen Inhalten der einfachen Konsumierbarkeit geopfert. Das macht Medien nicht weniger wahr – aber zumindest weniger frei.

Gerade lokale Tageszeitungen lassen sich zudem allzu oft dazu verlocken, eher für die Kommentatoren auf Facebook zu schreiben als für die zahlenden Abonnementen. Da jedoch viele der Facebook-Kommentare bereits darauf hinweisen, dass diese Personen nur die Überschrift gelesen haben und entsprechend kein Geld in die Artikel investieren, scheint dieser Ansatz schon rein wirtschaftlich eine Ente zu sein.

Das journalistische Ideal, Missstände aufzuzeigen, unparteiisch die Wahrheit ans Licht zu bringen, mehrere Perspektiven zu Wort kommen zu lassen und für dringende Themen zu sensibilisieren, ist dagegen eine Aufgabe, der gesellschaftlich eine enorme Bedeutung zu kommt. Die ist gerade wegen der zunehmenden Social-Media-Nutzung wichtig, wo jeder und jede posten kann, ohne einen ethischen Kodex zu haben oder sich der Wahrheit verpflichtet zu fühlen.

Durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerät der Journalismus zunehmend in Gefahr. Deshalb sollten sich Journalistinnen und Journalisten selbst immer wieder zu Herzen nehmen, was der Theologe Markus Ronner treffend formulierte: „Objektivität ist die Kunst, geheimzuhalten, zu wem man hält.“ Dass wir immer durch eine gefärbte Brille schauen, kann und muss niemand verheimlichen.

Dennoch, Freiheit ist im Falle des Journalismus der fast schon rebellische Akt, sich auch gegen wirtschaftliche Einflussfaktoren durchzusetzen und möglichst ausgewogen zu berichten. Das strukturelle Problem, dass Medien wirtschaftlichen Sachzwängen unterworfen sind, lässt sich nur durch achtsames Arbeiten der Journalistinnen und Journalisten ausgleichen. Wenn diese dazu bereit sind, die im Pressekodex gesammelten Werte in ihrer täglichen Arbeit umzusetzen, hat die freie Presse weiterhin eine Chance. Ausgewogene und vielschichtige Berichterstattung darf kein Luxus werden – denn den Verlust des freien Journalismus können wir uns alle nicht leisten.

Ines Maria Eckermann machte einen Bachelor in Spanisch und einen Doktor in Philosophie. Nebenbei heuerte sie als freie Mitarbeiterin bei verschiedenen Medien an. Seither ist sie dem Glück auf der Spur und engagiert sich im Umweltschutz.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

[…] Einen näheren Blick auf Objektivität im Journalismus findest du auf Ethik Heute. […]

Aktuelle Termine

Online Abende

rund um spannende ethische Themen
mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen
Ca. 1 Mal pro Monat, kostenlos

Auch interessant

Unsplash

Unsere Intelligenz als Teil einer größeren Intelligenz verstehen

Ein Essay der Philosophin Natalie Knapp Wir haben vergessen, dass wir als Menschen eingebunden sind in das Netz des Lebens, sagt die Philosophin Natalie Knapp. Sie regt dazu an, größer zu denken. Statt nur noch mit uns selbst zu reden, sollten wir das Gespräch mit unserem Planeten suchen und uns mit der Intelligenz der Natur verbinden.
Evolution der gewalt-neu-web

Warum Menschen Frieden wollen, aber Kriege führen

Eine historische, interdisziplinäre Perspektive Erst seit ein paar Tausend Jahren führen Menschen Krieg. Die nomadischen Gesellschaften davor waren eher kooperativ ausgerichtet. Ein herausragendes Buch dreier Wissenschaftler, das zeigt: organisierte Gewalt ist nicht angeboren, sondern kulturbedingt. Sie nützt bestimmten Gruppen, aber sie kann beendet werden.

Newsletter abonnieren

Sie erhalten Anregungen für die innere Entwicklung und gesellschaftliches Engagement. Wir informieren Sie auch über Veranstaltungen des Netzwerkes Ethik heute. Ca. 1 bis 2 Mal pro Monat.

Neueste Artikel

Getty Images/ Unsplash

Selbstregulation als Kompetenz stärken

Für eine neue Leitperspektive in der Bildung Selbstregulation soll ein neuer Schwerpunkt in der Bildung sein, so sehen es Wissenschaftler der Leopoldina. In ihrem 2024 veröffentlichten Papier raten sie dazu, entsprechende Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen zu stärken. Selbstregulation unterstütze das körperliche und geistige Wohlbefinden. Das Ziel ist, Verantwortung für die eigenen inneren Zustände zu übernehmen.
Dominik Lange/ Unsplash

Muss ich tun, was ein Sterbender will?

Ethische Alltagsfragen In der Rubrik “Ethische Alltagsfragen” greift der Philosoph Jay Garfield eine Frage dazu auf, wie man mit den letzten Wünschen von Sterbenden umgeht: “Kann man sich über Wünsche von Sterbenden hinwegsetzen?”
Cover Suzman, Sie nannten es Arbeit

Woher kommt unsere Arbeitswut?

Eine anthropologische Perspektive Der Anthropologe James Suzman untersucht in seinem Buch die Geschichte der Arbeit – von den Anfängen bis heute. Mit erstaunlichen Einsichten: Erst seit rund 10.000 Jahren steht Arbeit im Zentrum menschlichen Lebens. Im größten Teil der Menschheitsgeschichte reichten ein paar Wochenstunden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Foto: Emma Dau, Unsplash

Darf man am Arbeitsplatz Gefühle zeigen?

Interview über Toxic Positivity am Arbeitsplatz Immer gut gelaunt, immer optimistisch? Toxic Positivity am Arbeitsplatz heißt der Trend. Danach muss man negative Gefühle verbergen – eine Folge des Drangs zur Selbstoptimierung, sagt Prof. Astrid Schütz. Sie rät, Gefühlen Raum zu geben und Optimismus gut zu dosieren.
Austin Distel/ Unsplash

Kategorien