Interview über die NGO Brand New Bundestag
Brand New Bundestag ist eine Nicht-Regierungsorganisation, die zivilgesellschaftliche Interessen ins Parlament tragen will. Sie unterstützt junge Menschen, für politische Ämter zu kandidieren. Gründer Maximilian Oehl über neue Prioritäten, mehr Diversität und warum er bestehende Parteistrukturen nutzt.
„Brand New Bundestag“, 2019 gegründet, will junge Menschen dabei unterstützen, ihren Weg in die Parlamente zu finden sowie progressive Politik voranzutreiben – für mehr soziale Gerechtigkeit, ein vereintes Europa und die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels.
Bei der letzten Bundestagswahl haben es vier Unterstützte tatsächlich ins höchste deutsche Parlament geschafft. Kirsten Baumbusch interviewte den Mitbegründer und Juristen Maximilian Oehl.
Frage: Was ist die Initiative Brand New Bundestag?
Oehl: Wir sind eine überparteiliche Graswurzel-Organisation, die zukunftsorientierte Menschen aus der Zivilgesellschaft dabei unterstützt, für politische Ämter zu kandidieren. Insbesondere arbeiten wir mit Menschen aus Gruppen, die im politischen Betrieb unterrepräsentiert sind, also beispielsweise junge Menschen, Frauen, LGBTQI+, Menschen mit ostdeutschen Biografien, mit Migrationserfahrungen oder ohne höheren Bildungsabschluss.
Was ist daran Brand New?
Oehl: Neu ist, dass wir uns als zivilgesellschaftliche Organisation in eine parteipolitische Domäne einbringen. Unserer Ansicht nach brauchen wir viel mehr Menschen in den Parlamenten, die große Herausforderungen wie die Klimakrise in all ihrer Intensität erkennen und mutig anpacken. Deshalb helfen wir mit, dass engagierte, zukunftsorientierte Menschen in Entscheidungspositionen kommen.
Warum sind Ihrer Ansicht nach in den etablierten Parteien so wenige von diesen Menschen?
Oehl: In den über 70 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte sind viele Strukturen entstanden, die uns lange gute Dienste geleistet haben. Aber jetzt stehen wir an einer Weggabelung – wir müssen uns neu ausrichten. Die meisten Parteien unterhalten über weite Strecken eine funktionärshafte Kultur, in der vor allem langjährige Parteizugehörigkeit und Loyalität zählen. Unsere Demokratie braucht aber auch dringend frische Impulse und andere Perspektiven, und das unterstützen wir.
Für die Gesetzgebung ist entscheidend, wer im Parlament sitzt.
Wer steckt denn hinter Brand New Bundestag?
Oehl: Ich habe die Organisation zusammen mit Eva-Maria Thurnhofer und Daniel Veldhoen initiiert, inspiriert von der amerikanischen Organisation Brand New Congress. Der ist es gelungen, unter anderem Alexandria Ocasio-Cortez ins Parlament zu bringen.
Wobei wir kooperativer mit den Parteien zusammenarbeiten. Wir werben eher intern für gute Leute und empfehlen den Parteien, ihnen vielversprechende Listenplätze einzuräumen. Wir coachen die Kandidatinnen und Kandidaten und unterstützen mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um sie bekannter zu machen und ihnen parteiintern zu besseren Chancen zu verhelfen.
Mittlerweile unterstützen wir Kandidierende auf Bundes- und Landesebene, perspektivisch auch bei Kommunalwahlen. Finanziert werden wir hauptsächlich aus Spenden, vor allem immer mehr kleinen Beiträgen zwischen 3 und 30 Euro im Monat, aber auch Förderungen durch Stiftungen.
Was ist Ihre Motivation?
Oehl: Ich habe schon als Student die erste studentisch organisierte Refugee Law Clinic in Deutschland gegründet – eine Rechtsberatung von Studierenden für Geflüchtete. Mittlerweile gibt es eine solche an fast jeder juristischen Fakultät in Deutschland.
Bei der Arbeit bin ich allerdings immer wieder an die gesetzlichen Grenzen gestoßen. In den Gesprächen, die ich mit vielen Abgeordneten führte, habe ich verstanden, dass es für die Gesetzgebung entscheidend ist, wer im Parlament sitzt und ob diese Personen zivilgesellschaftliche Impulse aufgreifen.
Was hat Sie denn geprägt, um auf so eine Idee zu kommen?
Oehl: Die Benachteiligung vieler Menschen in unserer Gesellschaft. Das war auch meine Motivation, Jura zu studieren. Schon als Jugendlicher wollte ich wissen, wie es gelingt, Gesetze zu machen, die so gerecht wie möglich sind.
Und jetzt, wo es um massive Veränderungen des Planeten und des globalen Zusammenlebens geht, brauchen wir Menschen, die mit einer klaren Vorstellung von der Zukunft vorangehen, Orientierung bieten und auch die Strahlkraft haben, andere Leute hinter sich zu versammeln.
Welche Reaktionen erleben Sie?
Oehl: Wir waren positiv überrascht, wie die Reaktionen aus den Parteien ausgefallen sind. Wir haben anscheinend den richtigen Ton getroffen, der weder vorwurfsvoll noch aggressiv ist, sondern wertschätzend.
Manche waren natürlich skeptisch und vermuteten, dass wir Parallelstrukturen aufbauen wollten, aber diese Stimmen waren wohl häufig von einem eher antiquierten Verständnis von Parteistrukturen und Machtpolitik getragen.
Neben der Kandidierendenunterstützung bringen wir zwischenzeitlich auch überparteilich Abgeordnete zusammen. Da konnten wir sogar schon auf die inhaltliche Ausgestaltung der Gaspreisbremse Einfluss nehmen.
Wir wollen bestehende Parteistrukturen für eine bessere Politik nutzen.
Wenn Brand New Bundestag die Erwartungen erfüllt, was haben wir dann in zehn Jahren?
Oehl: Dann haben wir hoffentlich eine Gesellschaft, die mutig ihre Zukunft gestaltet und die aktiv geworden ist für effektiven Klimaschutz, neue Mobilitätskonzepte, Erneuerbare Energien und die innovative Antworten gefunden hat auf die Fragen sozialer Gerechtigkeit. Diese Ziele werden dann von vielen Abgeordneten umgesetzt worden sein, die wir unterstützt haben und die von einer lebendigen Zivilgesellschaft sowie Parteien, die proaktiv den Austausch mit dieser leben, getragen werden.
Warum gründen Sie keine eigene Partei?
Oehl: Wir wollen die bestehenden Parteistrukturen für bessere Politik nutzen. Eigentlich wollen wir die Parteien stärker wieder am demokratischen Ideal ausrichten, sie näher heranführen an das, was in der Gesellschaft passiert und sie lebendiger machen. Das ist aus unserer Sicht effektiver als eine Parteineugründung und führt schneller ans Ziel.
Ziel ist es, sagen Sie, progressive Politik voranzutreiben und Parlamente diverser zu machen sowie junge Menschen in der Politik zu unterstützen. Ist Jungsein allein schon eine Qualifikation?
Oehl: In unserer Gesellschaft sind mittlerweile besonders viele Menschen über 50 Jahre alt. Viele aus dieser Altersgruppe haben oft nicht das Gefühl, dass man etwas verändern müsste. Und junge Stimmen sind, wie im Übrigen ja auch nichtmännliche Personen, Menschen mit Migrationsbezug und viele weitere Gruppen, allein schon deshalb unterrepräsentiert, weil es einfach so wenige davon gibt im politischen System. Dabei sind wir natürlich weiterhin auf die älteren Generationen angewiesen – dass sie ihre Stimme nutzen und dabei zu helfen, den notwendigen Wandel herbeizuführen.
Vier der von Ihnen Unterstützten haben es in den Bundestag geschafft: Wie haben Sie sie unterstützt?
Oehl: Auf unserer Webseite kann man ständig Menschen nominieren, von denen jemand denkt, dass sie kandidieren sollten – die Schwester, den Nachbarn, die Kollegin. Aber wir haben auch ein Scouting mit einem mehrstufigen Verfahren, an dessen Ende eine Jury-Auswahl steht.
Bieten können wir einen bunten Strauß an Unterstützungsleistungen: Das geht von organisatorischem Coaching bis zu strategischer Medienarbeit, die Freiwilligen helfen bei den Wahlkampagne, und kleinere finanzielle Zuschüsse gibt es auch. Außerdem bieten wir eine große Peercommunity, in der die Kandidierenden miteinander überparteilich in Austausch treten können.
Ihnen begegnet die gute Fee und Sie haben drei Wünsche frei….
Oehl: Ich würde mir wünschen, dass politische Parteien es als ihre Aufgabe verstehen, Impulse aus der Zivilgesellschaft aufzugreifen und dafür auch eine proaktive Personalentwicklung betreiben.
Zweitens wünsche ich mir, dass es uns gelingt, eine entschlossene Antwort auf die Klimakrise zu finden. Und drittens, dass wir da auch nicht vor grundsätzlichen Weichenstellungen zurückscheuen und mit einer Vision von einer besseren Zukunft ans Werk gehen.