„Wir brauchen Zivilcourage im Digitalen“

Ein Kind schaut auf sein Smartphone. freestocks by unsplash
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Interview: Jugendliche vor Hate Speech schützen

Für junge Menschen gibt es keine klare Grenze zwischen online und offline. Konfliktforscherin Cora Bieß will Jugendliche befähigen, Konflikte frühzeitig zu lösen und sich gegen Cybermobbing und Hate Speech zu wehren. Im Interview spricht sie auch über digitale Zivilcourage und wie man junge Menschen besser schützt.

Das Interview führte Maria Köpf

Frage: Warum ist es bezüglich Cybermobbing und Hate Speech so wichtig, dass bereits Jugendliche sensibler für Konflikte werden?

Bieß: Für Cybermobbing und Hate Speech ist die Rolle von Dritten bedeutend. Konfliktsensibilität ist das Bewusstsein, dass ich selbst, wenn ich in einem Konflikt interveniere, Teil des Konflikts werde. Das bedeutet auch: Ich kann aktiv den Verlauf des Konflikts verändern. Natürlich können Dritte sowohl eskalierend als auch deeskalierend auf jeden Konflikt einwirken.

Ihre Fragestellung klingt spannend. Wie legen sie diese auf Cybermobbing um?

Bieß: Cybermobbing ist digital stattfindendes Mobbing mit dem Ziel, eine Person auf Social Media zu schädigen, zu beleidigen, zu verleumden, zu belästigen oder zu nötigen. Cybermobbing ist erst dann richtig erfolgreich, wenn das Umfeld die verletzenden Aussagen nicht nur erhalten, sondern sogar teilen oder durch einstimmende Kommentare bestärken. Mobbing hat prinzipiell immer einen systemischen Charakter aus Tatbegehenden, Betroffenen und dem Umwelt. Die Frage ist: Wie reagiert das Umfeld?

Für Heranwachsende gibt es keine klare Grenze zwischen online und offline.

Und ähnlich verhält es sich auch mit Hate Speech?

Bieß: Hate Speech geht oft mit dem Wunsch nach Vernichtung oder Zerstörung anderer Menschen einher. Die Inhalte reichen von Abwertungen, Beleidigungen oder Bedrohung bis hin zum Aufruf von Gewalt. Hass und Hetze im Netz wird häufig gegenüber Minderheiten geäußert und ist daher oft mit Diskriminierung und Rassismus verbunden.

Frage: Wäre ein stillschweigendes Hinnehmen von Beleidigungen nicht auch konfliktfördernd?

Bieß: Das kommt immer auf die Plattform und das Medium an, in denen Beleidigungen geteilt werden. Wenn beispielsweise in einem Whatsapp-Klassenchat verletzende Aussagen gegenüber einer Person geteilt werden und 28 Schüler:innen lesen die Aussagen, kommentieren dies aber nicht, dann kann das auf die betroffene Person so wirken, als ob alle schweigend zustimmen.

In diesem Fall ist es besonders wichtig, auch im digitalen Raum verletzenden Aussagen Gegenrede zu leisten und dadurch eine sichtbare Grenzen aufzuzeigen. Zudem ist es gut, die Betroffenen in einem privaten Chat anzuschreiben und zu fragen, welche Unterstützung sie brauchen.

Frage: Das klingt nach sehr massiven digitalen Veränderungen für Kinder.

Bieß: Wir erleben gerade einen digitalen Strukturwandel. Inzwischen ist sogar die Rede von einer mediatisierten Kindheit. Das heißt, dass es für Heranwachsende keine klare Trennung mehr zwischen online und offline mehr gibt. Was Schüler*innen beispielsweise vormittags als Mobbing analog in der Schule erleben, endet dann nicht mit dem Gong nach der Schule, sondern geht nachmittags digital weiter – im Whatsapp-Klassenchat, auf TikTok oder Instagram.

Jugendliche vor digitaler Gewalt schützen

Frage: Aber es ist auch nicht realistisch, auf das Smartphone zu verzichten oder öfter offline zu sein?

Bieß: Ich glaube, das ist immer abhängig vom Einzelfall und vom jeweiligen Alter. Im konkreten Fall geht es darum zu schauen, was für das betroffene Kind hilfreich ist. Oft gibt es die Möglichkeit, gewaltvolle Inhalte zu melden, Tatbegehende zu blockieren und verletzende Inhalte zu löschen.

Es ist zu unterscheiden, ob die tatbegehende Person persönlich bekannt ist und sich im eigenen Umfeld befindet. Dann ist weiter zu fragen, welche Unterstützung von außen genau hilfreich ist. Gibt es Schulsozialarbeiter*innen vor Ort, mit denen die Situation besprochen werden kann? Gibt es einzelne Mitschüler*innen, die aktiv um Hilfe gebeten werden können? Zudem gibt es viele Hilfsangebote im Internet, die durch eine Chatberatung oder ein Hilfetelefon Unterstützung bieten, teilweise sogar peer-to-peer.

Frage: Das klingt nach gesellschaftlicher Verantwortung.

Bieß: Es ist eine kollektive Verantwortung, dass Jugendliche, die in einer digitalen Welt aufwachsen, vor digitaler Gewalt geschützt werden.

Frage: Haben Sie im Rahmen Ihrer Workshops zum Thema „Frieden und Zivilcourage“ besonders hilfreiche Maßnahmen erforscht?

Bieß: Prof. Dr. Gerd Meyer hatte bereits herausgearbeitet, dass es drei Formen zivilcouragierten Handels gibt: einerseits dass Menschen sich wehren, andererseits, dass andere ins akute Gewaltgeschehen eingreifen oder drittens sich einsetzen.

Diese drei Formen können auch im Bereich des Digitalen greifen: wenn Menschen gewaltvolle Posts oder Kommentare zugeschickt bekommen, können sie sich wehren, indem sie die Person beispielsweise blockieren oder gewaltverherrlichende Inhalte löschen oder der Plattform melden. Eingreifen wiederum kann bedeuten, dass Gegenrede geübt wird, wenn Menschen auf Social Media diskriminierende Kommentare schreiben, zu Gewalt aufrufen oder demokratiefeindliche Inhalte teilen. Man kann damit Stellung beziehen oder Falschinformationen berichtigen.

Es gibt zudem Initiativen, wie #ichbinhier, die zivilcouragiertes Handeln in Form von Counter-Speech unterstützen. Eine weitere Möglichkeit ist zudem, Betroffene anzuschreiben und zu fragen, was für eine Art von Unterstützung für sie hilfreich ist. Sich einsetzen dagegen kann in Form von Petitionen, Kampagnen oder Hasthags erfolgen. Indem zu Solidarität für Betroffene von Diskriminierung und Rassismus aufgerufen wird.

Konflikte können eine Chance für Wandel sein.

Frage: Können Sie aus Ihren Forschungen heraus bereits konkrete Anhaltspunkte nennen, wie man diese Gedanken auf Schulen umlegen kann?

Bieß: Es gibt verschiedene Ideen dazu. Konflikte sind prinzipiell eher die Regel als die Ausnahme.

Als Querschnittsaufgabe wäre es wichtig, den Umgang mit Konflikten in der Schule zu etablieren und so ein positives Konfliktverständnis zu stärken. Denn Konflikte müssen nicht per se negativ sein, wenn sie gewaltfrei ausgetragen werden. Sie können auch Chance für Wandel sein. Darüber hinaus könnte Medienkompetenzbildung stärker den Fokus auf Gewalt und Konflikte legen, wobei praxisnahe Zivilcourage in der Gruppe erarbeitet wird.

Frage: Welche Erfahrungen haben Sie in Workshops damit gemacht?

Bieß: Interessant war, dass die meisten gesagt haben, dass sie im Digitalen weniger in gewaltvolle Konflikte intervenieren als analog. Sie haben oft das Gefühl, bei Konflikten in der Online-Kommunikation nichts ändern zu können und werden daher selten aktiv.

Frage: Haben die Kinder sich tendenziell für eine bestimmte Stufe entschieden?

Bieß: Die Jugendlichen waren der Meinung, dass es hilfreich sei, in einen Konflikt zu intervenieren, bevor der Konflikt eskaliert und gewaltvoll wird. So waren die meisten Jugendlichen der Auffassung, dass ein Eingreifen in der ersten Phase (win-win-Phase) am erfolgreichsten sei, sprich in Stufe 2 oder Stufe 3 von insgesamt 9 Stufen im Eskalationsmodell nach Glasl.

 

Cora Bieß promoviert am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt zu der Frage, wie Konfliktsensibilität Zivilcourage fördern kann. Sie ist Referentin im Projekt “Friedensarbeit verändern – Rassismus- und machtkritisches Denken und Handeln in der zivilen Konfliktbearbeitung” bei der Plattform zivile Konfliktbearbeitung. Zudem betreut sie das Kinderportal www.Frieden-Fragen.de.

Bis April 2023 arbeitete Cora Bieß als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen im Projekt SIKID (Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt – Regulierung verbessern, Akteure vernetzen, Kinderrechte umsetzen).

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