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“Wir müssen das Patriarchat verlernen”

Foto: Lena Scherer
Foto: Lena Scherer

Interview zum Internationalen Frauentag

Patriarchale Denkweisen sind tief im Bewusstsein von Männern und Frauen verankert, ist die Feministin und Unternehmerin Lisa Jaspers überzeugt. Sie spricht im Interview über notwendige Bewusstseinsprozesse, ihr Wirken als Chefin und wie sie sich als Mutter von Rollenklischees löst.

Lisa Jaspers ist Unternehmerin. 2022 hat sie ein Buch mitherausgegeben: „Unlearn Patriarchy“, einen Sammelband aus feministischer Sicht zu Themen wie Arbeit, Familie, Bildung und Politik.

Das Interview führte Michaela Doepke

Frage: Frau Jaspers, Sie sind Mitherausgeberin und Co-Autorin des Sammelbandes „Unlearn Patriarchy“. Wie kam es zur Bucherscheinung? Wollen Sie den Männern Angst machen?

Lisa Jaspers: Also, ich will eigentlich niemandem Angst machen. Ich glaube auch, dass das Verlernen des Patriarchats für alle Menschen eine Befreiung sein kann. Die Buchidee ist Naomi Ryland und mir nach unserem ersten Buch „Starting a Revolution” gekommen.

Dafür hatten wir mit interessanten Frauen gesprochen, die Ihr Business schon ganz anders aufgebaut haben. Wir haben aber auch bei uns selbst und in unseren eigenen Unternehmen gemerkt, dass wir doch ganz oft wider besseres Wissen immer wieder in gewohnte Muster verfallen.

Uns ist bewusst geworden, vor dem Schritt, wo man wirklich Dinge verändern kann, hat uns einer gefehlt. Nämlich zuerst einmal zu identifizieren, wie stark wir noch durch das patriarchale System geprägt sind und an wie vielen Stellen wir Dinge ganz anders machen könnten.

Der Begriff “Unlearn” ist gerade in aller Munde. Was bedeutet „Unlearn Patriarchy“ genau? Und was genau sollen wir verlernen?

Lisa Jaspers: Also „unlearn“ setzt auf der Ebene des implizit Gelernten, Abgeschauten und Kopierten an. Für uns ist „unlearn“ ein Bewusstseinsprozess zu erkennen, wie tief unser gesellschaftliches Wertekonzept prägt.

Und in diesen Momenten, wo wir selbst diese alltäglichen Eigenbewertungen treffen, können wir kurz innehalten und realisieren: Das sind nicht unsere Gefühle. Das sind Gefühle wie z. B. unangemessenes schlechtes Gewissen, das wir bezüglich der Mutterrolle adaptiert und unbewusst erlernt haben. … Aber das ist eigentlich oft nicht das Gefühl, das wir in uns selbst spüren. Und das ist für mich „unlearn“.

In welchen Gesellschaftsbereichen kritisieren Sie patriarchale Strukturen?

Lisa Jaspers: In ziemlich vielen Lebensbereichen ist das Patriarchat keine gute Lösung. Aber in der Wirtschaft ist es besonders schädlich, weil dort zwei Unterdrückungsstrukturen aufeinandertreffen und Frauen mehrfach marginalisiert werden.

Ich sehe mich weniger als Führungskraft, sondern eher als Gastgeberin.

Wie setzen Sie als Unternehmerin im Fashion Bereich Ihren Anspruch um, sich z. B. vom Hierarchie-Denken zu lösen?

Lisa Jaspers: Es fing damit an, dass ich mir die Frage zu stellte, mit welcher Rolle ich mich als Führungskraft oder Chefin wohlfühle. Mir ist bewusst geworden, dass ich mich eigentlich nicht als Führungskraft sehe, sondern eher als Gastgeberin. In der Folge habe ich versucht, einen Ort zu schaffen, an dem ich Menschen zusammenbringe, die ich wertschätze und mag, und dann zu schauen, was entsteht.

Dieses Mindset steht im Gegensatz zum Patriarchat und zu Hierarchien. Ich glaube, dass ich kollaborativ bin, denn alle Entscheidungen fällen wir gemeinsam, auch in Bezug auf Lieferketten. Unser Fokus richtet sich auf die Zusammenarbeit mit Kunsthandwerkerinnen im textilen Bereich aus dem globalen Süden. Da geht es natürlich viel um Frauen und darum, ihnen eine Möglichkeit zu geben, ein Einkommen zu generieren.

Wie lösen Sie sich persönlich als Frau und Mutter von veralteten Rollenklischees?

Lisa Jaspers: Mittlerweile denke ich, dass der Feminismus erst so richtig beginnt in dem Moment, wo man in einer heteronormativen Beziehung Kinder bekommt. Denn davor kann man sich gut in die eigene Tasche lügen, dass man in der Beziehung und auch in der Gesellschaft einigermaßen gleichberechtigt ist. Irgendwann merkt man, das ist nicht so.

In einer Beziehung mit Kindern gibt es so viele Rollenbilder, die man selbst so tief verinnerlicht hat und die auch von außen immer wieder verstärkt werden. Ich würde sagen, das ist fast die größte Herausforderung in meinem Leben. Ich versuche auch da, mir das bewusst zu machen. Für mich ist es immer ein guter Aufmerksamkeitswecker, wenn ich mich schlecht mit mir selbst fühle. Dann schaue ich immer hin, besonders in Bezug auf meine Mutterrolle.

Es wäre schön, wenn sich die feministische Blase für andere Lebensmodelle öffnet.

Was können wir aus Ihrer Sicht von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen?

Lisa Jaspers: Von den Frauen, die wir für das Buch „Starting Revolution“ interviewt haben, haben wir gelernt, wie man Unternehmen nah am Menschen gestaltet. Wie man Mitarbeiterinnen nicht als Mittel zum Zweck sieht, sondern für andere Menschen einen Raum kreiert, wo sie sein dürfen. Vor allem haben wir gelernt, menschliche Werte von Wärme und Liebe, die Wertschätzung und das Wohlwollende zu schätzen.

In Deutschland sind Frauen immer noch vom Gender-Pay-Gap betroffen, der Ungleichheit bei den Renten, der unbezahlten Care-Arbeit. Warum gibt es Ihrer Meinung nach in Deutschland keine lautstarke Protestbewegung von Frauen?

Lisa Jaspers: Vielen Frauen, die die Doppelbelastung von Beruf und Familie haben, fehlt einfach die Zeit. Ich glaube, dass wir unter so einem Druck stehen, dass gar keine Möglichkeit besteht, sich zu solidarisieren. Außer man hat ein gutes Support-System wie ich, weil meine Eltern auch in Berlin wohnen, viel mit anpacken, und ich mir mit meinem Mann die Kindererziehung auch 50:50 teile.

Die Kapazität und die Zeit sind ein sehr großes Thema. Und ich glaube, dass es immer mehr Frauen gibt, die gar keinen Bock auf Karriere und keine Lust haben, sich aufzureiben in einem System, das sich für sie nicht gut anfühlt. Heute finde ich das eine sehr mutige Entscheidung.

Natürlich weiß ich, was damit einhergeht: eine große finanzielle Abhängigkeit und Unsicherheit. Das ist natürlich sehr problematisch. Aber sich in einem System, das Menschen nicht respektiert, in dem ich mich tagtäglich von mir selbst entfremde, lieber für die Zeit zu entscheiden, die ich mit meinen Kindern verbringen kann, das finde ich mutig.

Meiner Meinung nach gibt es ein großes Potenzial in Deutschland, Frauen zu aktivieren, die sich vielleicht vom feministischen Diskurs ausgeschlossen fühlen, weil sie denken „Ich bin doch zu Hause geblieben“, aber die trotzdem für diese Themen brennen. Ich würde mir wünschen, dass sich die feministische Blase öffnet für unterschiedliche Lebensmodelle, die alle systemverändernd sein können.

Das Buch hilft zu verlernen, was Gegenwart und Zukunft zerstört. Luisa Neubauer

Luisa Neubauer spricht davon, es gehe bei dem Buch darum, unbewusste toxische Strukturen des Patriarchats zu erkennen und aufzulösen. Was sind das für toxische Strukturen?

Lisa Jaspers: Ich glaube, jede Form von starkem Dominanzverhalten ist eine toxische Struktur. Es hat nichts mit ernsthafter Stärke zu tun, wenn man keine Schwäche zulässt, sondern eher mit einer krassen Unsicherheit, die durch Härte überbrückt wird.

Dazu gehört auch, mehr zu senden als zuzuhören. Und dann die Idee, dass man als Unternehmen oder Organisation im Wettbewerb zueinanderstehen muss und nicht miteinander kollaborieren kann. Das sind alles Strukturen, die aus einem patriarchal geprägten Gesellschaftskonstrukt entstanden sind und auch sehr lange schon da sind, seit Männer in einer dominanten Rolle sind.

Wie ist Ihre Zukunftsvision von einer Welt ohne patriarchale Strukturen?

Lisa Jaspers: In meiner Zukunftsvision darf jeder Mensch in seiner Vielfältigkeit so sein, wie er oder sie möchte. Ich glaube, das wird eine unfassbare freie und vielfältige Welt sein, wo wir uns selbst spüren dürfen, unseren Körper und unsere Gefühle, wo wir miteinander verbunden sind und als Menschheit diese Verbundenheit spüren.

Lisa Jaspers ist Unternehmerin und Gründerin des Fair Fashion Labels FOLKDAYS. Ziel ist es, das Konzept von Fair Trade für eine jüngere Zielgruppe attraktiv zu machen. Außerdem startete sie die Initiative #fairbylaw, die sich für ein deutsches Lieferkettengesetz stark gemacht hat. Sie ist gemeinsam mit Co-Autorin Naomi Ryland Co-Autorin des Buchs „Starting a Revolution. Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können“ und lebt in Berlin. www.folkdays.de/pages/our-founder

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