Fünf Yoga-Qualitäten kultivieren
Der Weg des Yoga kann in Krisen helfen, Vertrauen und die Verbundenheit mit uns und anderen zu stärken. Yoga-Lehrerin Eichenauer-Knoll empfiehlt fünf Yoga-Qualitäten wie Zufriedenheit und Selbstreflexion, um sich weniger von äußeren Bedingungen abhängig zu machen.
Am 13. Oktober 2022 findet ein Online-Abend mit der Autorin und Yogalehrerin Eichenauer-Knoll statt. Mehr Infos
Die Krisen der letzten Jahre machen uns relativ wohlhabenden Menschen in Mitteleuropa deutlich, dass wir Lösungen nicht nur in neuen Technologien, politischen Bewegungen oder dem Gemeinwohl verpflichteten Führungsfiguren suchen sollten, sondern auch in einer Lebensstiländerung ganz allgemein.
Damit sind wir alle moralisch aufgefordert, Fragen zu stellen und mitzudenken. Wo kann ich ganz persönlich, mit meinen Ressourcen, meiner Kreativität, aber auch mithilfe meiner Netzwerke Änderungen bewirken?
Während in Corona-Zeiten das freiwillige Handeln im Interesse der Allgemeinheit intensiv diskutiert wurde und wir auch die Grenzen unserer gegenseitigen Toleranz erlebten, ist durch den Ukraine-Krieg der Verzicht als moralisches Kriterium stark in den Vordergrund gerückt. Aber handeln wir da wirklich freiwillig?
Die Verzichtsbereitschaft kommt an Grenzen, aufgerieben durch die Dauer des Ukraine-Krieges, vermehrte Ängste und Überforderung in Anbetracht immer komplexer werdender Sachverhalte. Mit steigender Inflation ist der Verzicht auch im Geldbeutel der Konsumenten angekommen. Unser Handlungsspielraum wird enger. Wo bleibt also noch Muße für moralisches Handeln?
Trotz alledem gibt es noch viel Erfreuliches zu entdecken. Im familiären Umfeld erlebe ich derzeit, wie meine Nichte, die gerade Mutter geworden ist, auf verschiedenste Annehmlichkeiten mit erstaunlicher Leichtigkeit verzichtet.
Sogar einfachste Bedürfnisse wie in Ruhe zu essen oder zu duschen müssen organisiert werden. Sie nimmt dies vergnügt und gelassen hin und spricht davon, dass sie das größte Geschenk ihres Lebens erfahren dürfe. Die Inniglichkeit, mit der sie seit zwei Monaten ihr Baby herumträgt, herzt und nährt, hat ihre Wertigkeiten radikal verändert.
Der Übungsweg des Yoga
Was kann für uns so ein Geschenk sein, dass wir gerne auf andere Annehmlichkeiten verzichten? Hier setzt der Weg des Yoga an, etwa die fünf Niyama-Prinzipen, vor über 2000 Jahren in den Yoga-Sutren niedergeschrieben. Es lohnt sich, sie zeitgemäß und für ein westliches, säkulares Verständnis zu interpretieren. Sie zeigen einen Weg, tiefste Verbundenheit zu erfahren. Die fünf Prinzipien heißen Reinheit, Zufriedenheit, Disziplin, Selbsterforschung und Hingabe.
Es beginnt mit Saucha, der Reinheit, die ich als heilsames, reinigendes Abstandnehmen vom Alltag beschreibe. Schon 90 Minuten Yogapraxis bewirken, dass Menschen, die müde und überarbeitet, vielleicht mit schmerzendem Rücken, gekommen sind, das Studio heiter gestimmt und wesentlich entspannter verlassen.
Auch andere Methoden wie Waldspaziergänge oder Chorsingen können ähnliche Effekte mit sich bringen. Die kreisenden, quälenden, vielleicht auch negativen Gedanken dürfen sich ausruhen. Unvermutete Freude kommt auf.
Sehr rasch sind wir dann schon beim zweiten Prinzip, Samtosha, der Zufriedenheit angelangt. Zurück im Alltag nützt sich diese positive Gestimmtheit allerdings rasch ab. Bei längerer Praxis ist es daher ratsam genauer hinzusehen:
Kann ich durch meine Entspannungsphasen Alltagsmuster verändern oder mache ich weiter wie vorher? Kann ich meine inneren Treiber benennen und auch meine oft diffusen Gefühle, die negative Gedanken wieder hochkommen lassen?
Sie merken schon: Der Weg des Yoga geht mit Selbstreflexion einher. Natürlich ist es wichtig, dass wir uns im Leben Ziele setzen, aber Zufriedenheit bedeutet, dass wir uns nicht an die Realisierung der Wünsche klammern. So schaffen wir eine innere Distanz, die auch Befreiung mit sich bringt.
Das Geheimnis dabei ist das Üben, die Disziplin, Tapas, das dritte Prinzip. Mit spürbarer Begeisterung für eine Sache, mit innerem Feuer wird diese keine lästige Aufgabe. Durch konsequentes, freiwilliges Tun kann Unmögliches möglich werden. Das haben Sie sicher schon erlebt, und es muss nicht nur in der Körperpraxis des Yoga gewesen sein.
Mir selbst hilft z. B. das konsequente Schreiben. Es unterstützt mich dabei, klarer und präziser zu werden und mich schreibend an die sich laufend ändernden äußeren Umstände anzupassen.
Sich öffnen für die kreative Vielfalt der Welt
Ein Hindernis ist, dass wir uns angesichts von Katastrophenmeldungen überfordert fühlen und das Gefühl haben, überwältigt zu werden. Genau darum sollten wir überlegen, wie wir klug und schrittweise vorgehen könnten.
Das Wichtigste ist wohl, damit anzufangen. Mahatma Gandhi schrieb: „Ob wir eine oder tausend Meilen zu gehen haben, der erste Schritt bleibt immer der erste, denn der zweite kann nicht getan werden, bevor nicht der erste getan ist.“ (Mahatma Gandhi: „Worte an einen Freund“, 1944-1946)
Svadhaya ist das vierte Prinzip, es meint Selbsterforschung, z. B. in der Mantrapraxis oder dem Studium weiser Texte. Ich verstehe es als ein Bereitwerden für heilsame Impulse und Gedanken, ein sich Öffnen für die kreative, schöpferische Vielfalt in der Welt.
Jedes gute Buch, das mich beim Lesen in seine Welt einlädt, ist eine Bereicherung. Wichtig ist nur, sich dabei nicht zu überfordern. Impulse sollen auch verarbeitet und integriert werden, sonst können sie nicht wirken. Ich denke, dass auch das Online-Magazin „Ethik heute“ eine solche Inspirationsquelle ist.
Hingabe an das Leben
Nun sind wir schon beim fünften Prinzip, Ishvara Pranidhana, angelangt, traditionell übersetzt als Hingabe an das Göttliche; ich erkläre es als Hingabe an das Leben selbst. Einfach ganz da sein – für das, was jetzt wichtig ist. Im Einklang mit sich, seinem Atem und der Welt. Die eigenen und auch die Bedürfnisse der Welt verstehen und danach handeln.
Dieses tiefe Verstehen von Verbundenheit kann uns auch bei schwierigen Gesprächen helfen. Wo haben wir beide trotz unterschiedlicher, scheinbar betonharter Ansichten, eine gemeinsame Basis? Was verbindet uns zutiefst? Dies zu erspüren, ist ein großes Geschenk.
Weil wir nicht den ganzen Tag Yoga üben können, sondern immer wieder in den Alltag mit seinen Herausforderungen wechseln, ist es schwierig, diese Verbundenheit spürbar zu halten. Dann braucht es eine bewusste Willensentscheidung, um die Rückbindung an das Heilsame und Versöhnliche wieder zu ermöglichen.
Im Yoga spüren wir nach innen, indem wir bewusst atmen. Und so ist jeder nächste Ausatemzug eine Möglichkeit, Anhaftungen loszulassen und in den inneren Fluss zurückzufinden.
Alexandra Eichenauer-Knoll, seit 2004 eigenes Yogastudio, Masterstudium „Spirituelle Begleitung in der globalisierten Welt“ an der Donauuniversität Krems, Mitglied im Vorstand von Yoga Austria. 2022 erschien ihr Buch „Yoga und soziale Verantwortung. Sich gründen im Außen und Innen mit Yama und Niyama“, Windpferd Verlag 2022. www.vyana.at