Ein Plädoyer für regeneratives Leben
Profit und Wachstum bestimmen noch immer gesellschaftliches Handeln. Dabei wäre es jetzt an der Zeit, eine neue lebenserhaltende Kultur der Regeneration aufzubauen. Dies geht nur, wenn sich das Weltbild verändert – hin zu kooperativen Netzwerken.
Solange sich der Mensch gegenüber der Erde wie ein Raubtier verhält, wird sich eine regenerative Kultur kaum durchsetzen, sagte schon vor zwanzig Jahren der jüngst verstorbene Wissenschaftsphilosoph Klaus-Michael Mayer-Abich:
„Noch nie hat es eine menschliche Gesellschaft gegeben, die so ausschließlich wie die unsere gefragt hat, was die Welt uns zu bieten hat, ohne umgekehrt auch nur einmal daran zu denken, was haben wir denn eigentlich der Welt zu bieten? Wir fragen nie, was denn eigentlich durch uns Gutes in die Welt kommen sollte. Wir sollten vielmehr überlegen, was können wir Gutes tun in der Welt!”
Wertewandel für lebenswerte Zukunft
Dieser moralische Appell des Philosophen führt zurück zur Diskussion neuer Normen und Werte, mit denen lebenswerte Zukunft geschaffen werden soll. Denn bislang steht als Norm für erfolgreiches menschliches Handeln tatsächlich Profit und unendliches Wachstum vor dem inneren Auge. Ein Vorhaben, das immer weniger gelingt, weil es zugleich fordert, dafür die natürlichen Ressourcen weiter auszubeuten und die Fundamente des Lebens zu verbrauchen.
Deshalb darf eine Strategie für Nachhaltigkeit sich nicht darauf beschränken, nun ein bisschen weniger CO2 rauszublasen und sonst weiterzumachen wie bisher. Alle Ansätze von Regeneration folgen einer anderen ‘Denke’.
Zukunftsfähig wäre, zerstörte Ökosysteme zu heilen, kaputte Landschaften zu regenerieren, den Artenschwund zu stoppen, Humus aufzubauen, Wälder aufzuforsten, für die Erholung der Meere zu sorgen – und als weitere Maßnahme CO2-Emmissionen zu reduzieren: Regeneration und Nachhaltigkeit sind gefragt, kein Reduktionismus.
“Wieder Teil vom Kreislauf des Lebens sein”
Dabei orientiert man sich schlicht am Beispiel der Natur. “Jedes Wesen schafft in der Natur in seinem Lebensprozess die Voraussetzungen für mehr Leben um es herum” erklärt der Öko-Philosoph Charles Eisenstein: “Wir, die Menschen, können uns an diesem Modell orientieren, indem wir unsere Aufmerksamkeit bewusst auf Produkte richten, die das Leben um uns herum verbessern. Es geht wirklich darum, wieder Teil des Kreislaufs des Lebens zu sein. Wir müssen uns immer wieder daran erinnern, dass wir ein integraler Teil des Lebenskreises sind und müssen dann entsprechend dieser Wahrheit leben.”
Und so zeigt sich, dass wirklich erfolgreiche ‘regenerative Kulturen’ auch einen inneren Transformationsprozess brauchen. Bleibt die Regeneration die Ausnahme, scheitert sie. Sie kann nicht funktionieren, wenn überall sonst weiter zerstört wird. Soll Regeneration und Heilung gelingen, muss die Menschheit die Welt anders wahrnehmen, anders denken, sagt der Pionier für Regeneration, Daniel Wahl.
“Der Schritt zum wirklich regenerativen Denken, ist eben auch ein interner Weltsicht-Wandel, der uns wieder verstehen lässt, dass wir eben zu dem Leben gehören und das Leben nicht uns gehört, dass wir zu dem Land gehören und das Land nicht uns gehört.”
Er spricht von nicht weniger als einem notwendigen Wandel des Weltbildes: “Wir müssen als Teil des Lebens mit dem Leben die Systeme wieder regenerativ gestalten! Es ist ein Umdenken in unser Beziehung zum Leben. Wir brauchen jetzt transformativen Wandel – erstmal mit vielen kleinen Schritte in die richtige Richtung.” …
Und wenn auch der Wandel im Großen noch wenig sichtbar ist, gibt es doch in der globalen Zivilgesellschaft, also dem wachsenden Netz an Initiativen für eine bessere Welt, zahllose kleine Modelle für ‘Regeneration’. Am erfolgreichsten sind sie dort, wo Menschen sich zusammentun, um in Gemeinschaft, Leben, Ernährung, Wirtschaft anders zu gestalten. Das geschieht im Kleinen und Regionalen seit Jahrzehnten.
Heilender Umgang mit der Erde
Überall in der Welt haben sich ökologische Lebensgemeinschaften gegründet, die ganz bewusst Modelle sein wollen für einen heilenden, regenerativen Umgang mit der Erde. “Wir wünschen uns doch im tiefsten unseres Herzens, einen schöneren Planeten für unsere Kinder zu hinterlassen, als Menschen im Einklang miteinander zu leben, die Natur achtsam zu hüten”, sagt die im schottischen Findhorn lebende Südafrikanerin Kosha Joubert, die fast zehn Jahre lang das globale Ökodorf Netzwerk ‘GEN’ geleitet hat:
“Es geht wirklich um einen Wiederaufbau von gesunden, natürlichen und sozialen Zusammenhängen. Das nennen wir im Moment ‚Regeneration’. Und meinen vier Bereiche: Ökologie, Ökonomie, Soziales und Spiritualität oder Kultur”.
Das können im Bereich der Ökologie Car-Sharing-Projekte sein oder der forschende Umgang mit regenerativen Energien, aber auch Ideen wie die ‘solidarische Landwirtschaft’, wo gemeinsam ein/e LandwirtIn finanziert wird, die vor Ort für die Geld gebenden Mitglieder gesunde biologische Nahrung produziert.
Das können Modelle kooperativer Ökonomie selbstverwalteter Betriebe sein, die nur herstellen, was die Zukunft nicht belastet oder an Techniken arbeiten, zerstörte Regionen gesunden zu lassen. Das können neue Methoden der Konfliktregelung oder die Weiterentwicklung der Demokratie sein. Das kann das Gewebe eines ‘sozialen Humus’ sein, der die Gemeinschaft der Menschen lebendiger macht.
Zukunftswerkstatt Tempelhof
Roman Huber, Mitbegründer der ‘Zukunftswerkstatt Tempelhof’, eines der größten deutschen Ökodörfer, ist hauptberuflich als Vorstand im Bundesbüro der Organisation ‘Mehr Demokratie’.
Er beschreibt, wie ‘regeneratives Leben’ ausschauen kann: “Was man so als ‘Sharing-Ökonomie’ bezeichnet ist eigentlich ganz normal, dass nicht jeder eine Waschmaschine hat, sondern dass ein Paar Waschmaschinen im Keller sind und dass wir einen CarSharing-Betrieb haben.” In solchen kreativen kooperativen Netzwerken kann soziale und ökologische Innovation schneller passieren.
Grundsätzlich gilt: Es gibt nicht die eine Lösung, um die Welt schöner zu hinterlassen. Die Vielfalt der Ansätze ist immens und hängt von den lokalen Bedingungen ab. Das sieht in Städten anders aus, als auf dem Land, im Norden anders als im Süden.
Deshalb ist für die Umsetzung solcher vielfältigen ‘regenerativen Kulturen’ eine Regionalisierung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen unverzichtbar, die dem heutigen Primat der Globalisierung entgegen wirkt. Denn nur aus regional angepassten Lösungen entsteht Vielfalt. Lokal steht hier vor global. Globales ist immer ‘Glokal‘ und entsteht aus dem Zusammenspiel der Regionen.
Ökonomisch geht es beim regenerativen Ansatz darum, sich zunächst einmal davon zu verabschieden, dass erfolgreiches Wirtschaften mit Naturzerstörung einher geht muss. Immer mehr Innovationen in Unternehmen orientieren sich bereits an den natürlichen Kreisläufen und produzieren weniger Ressourcen und, wie die Natur, mit ‘zero emmisions’ – also ohne Abfall.
Der amerikanische Ökonom und alternative Nobelpreisträger Amory Lovins hat in seinem ‘ökokapitalistischen Konzept’ beispielsweise vorgeschlagen, einen festen Prozentsatz wirtschaftlicher Profite zukünftig immer in die Steigerung des Natur-Kapitals zu reinvestieren: „Wir sollten einen Teil der Gewinne dazu verwenden zu reinvestieren – und zwar in die Regeneration, die Erhaltung und die Steigerung der natürlichen Ressourcen des Naturkapitals.
So können wir die Leistungen, die das Ökosystem mit seinen biologischen Reichtümern für uns bereithält, noch reicher machen“, erläutert der alternative Nobelpreisträger vom ‘Rocky Mountain Institute’ in Colorado: „Alles was wir zu tun haben ist, zur Seite zu treten, und das Leben blühen zu lassen.“
Aus der Erkenntnis, dass der Reichtum der Natur die Grundlage jedes Wirtschaftens ist, hat der Pionier eines anderen Wirtschaftens, Gunter Pauli, die regenerative ‘Blue Economy’ mit Hunderten von Projekten entwickelt, die Ökosysteme schützen und Arbeitsplätze schaffen.
Bei alldem stellt sich irgendwann sicherlich die Systemfrage, ob Regeneration und Kapitalismus tatsächlich zusammengehen. Denn fraglos muss sich die Wirtschaft ändern, wenn die Welt wirklich enkeltauglich werden soll und dem 22. Jahrhundert wirklich ‘blühende Landschaften’, fischreiche Meere und mehr Humus hinterlassen werden sollen.
Dr. Geseko von Lüpke ist freier Journalist und Autor von Publikationen über Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung und ökologische Ethik.