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Achtsam führen

Achtsamkeit und Führung

Firmen entdecken „Weisheit 2.0.“

Nicht nur im Silicon Valley gibt es Unternehmen, die die Achtsamkeit für sich entdeckt haben. Auch hierzulande machen Firmen gute Erfahrungen damit, ihre Führungskräfte und Mitarbeiter zu trainieren.

An der Konferenz Wisdom 2.0. im Februar in San Francisco nahmen illustre Gäste teil: die Gründer von Facebook, Twitter, eBay, Zynga und Paypal sowie Führungskräfte von Apple und Google. Ihr Hauptthema: eine Unternehmenskultur zu etablieren, die Geschäft und Technologie mit Spiritualität verbindet. Eines der Schlüsselworte in diesem Zusammenhang heißt Achtsamkeit.

Die Führungskräfte waren sicherlich nicht auf Suche nach einer kleinen Wellnesspause, sondern den Konferenzteilnehmern ging es um zwei entscheidende Fragen, die uns alle beschäftigen:

  • Stress und die Gefahr von Burn out sind im Unternehmensalltag allgegenwärtig. Wie können wir in dieser schnelllebigen Welt unsere innere Balance halten, unsere ethischen Werte bewahren und gleichzeitig produktiv sein?

  • Wie können Führungskräfte systemisch, ganzheitlich handeln, emotional intelligent und empathisch sein und gleichzeitig ergebnisorientiert?

Achtsamkeit wirkt

Achtsamkeit ist inmitten der Gesellschaft angekommen. Kaum ein Thema, das die Unternehmenswelt derart betrifft, wird so intensiver erforscht. Jährlich werden weltweit ca. 750 wissenschaftliche Studien und Publikationen zum Thema Achtsamkeitsmeditation veröffentlicht. Und die Ergebnisse sind zunehmend klar: Meditation wirkt – und das in vielerlei Hinsicht:

  • Gesundheit: Körper und Geist sind verbunden, vor allem durch unser Nervensystem. Achtsamkeitsmeditation hilft zu entspannen und bewusst Stress loszulassen und hat dadurch nachweisbar positive Effekte auf die physische Gesundheit. Hunderte von Studien haben die förderliche Wirkung bei vielfältigen Krankheiten und Leiden nachgewiesen, unter anderen bei Kopfschmerzen, Schmerzsyndrom, erhöhtem Blutdruck u.v.m.

  • Kognitive Fähigkeiten: Achtsamkeit ist die Basis für höhere kognitive Fähigkeiten. Gehirnforscher haben nachgewiesen, dass Achtsamkeitspraxis positiv wirkt auf Erinnerung, Konzentration, Wahrnehmung, Kreativität und viele weitere kognitive Felder.

  • Verhalten und psychische Gesundheit: Achtsamkeit kann die psychische Gesundheit stärken und sich positiv auswirken bei ADHD, Angstzuständen, Burnout, Schlafstörungen und zur Depressions-Profphylaxe.

Darüber hinaus wirkt Achtsamkeit auch im sozialen Kontakt. Die Fähigkeit zuzuhören, Emotionen wahrzunehmen und im authentischen Kontakt mit anderen zu sein, wird nachweislich durch Achtsamkeitsmeditation gestärkt. Und gerade diese Qualitäten sind für Führungskraft wichtig.

Einfach mal abschalten?

Die vorherrschende Meinung ist: Wir haben keine Zeit, und deshalb sind wir alle so gestresst. Aber eigentlich ist es genau anders herum: Wir sind gestresst, und deshalb haben wir nie Zeit. Unser tägliches Arbeitspensum ist statistisch gesehen in den letzten 20 Jahren nicht gewachsen, in vielen Bereichen wird sogar weniger gearbeitet.

Unbestritten ist das wir täglich mit hunderten Aufgaben permanent Stress ausgesetzt sind. Und wir können nicht einfach abschalten, wenn wir Zuhause sind oder mal Zeit haben.

Was passiert dann? Unser Gehirn ist noch aktiv, Gedanken kreisen, wir kommen innerlich nicht zur Ruhe. Diese Rastlosigkeit in uns bewirkt, dass wir nicht das Gefühl haben, Zeit zu haben. Wir sind permanent angespannt. Und genau das ist das Problem und nicht der eigentliche Stress, das sagt uns die Stressforschung. Stress kann auch ein Ansporn zu Wachstum, Entwicklung, Lernen sein.

Die innere Suchmaschine

Im Achtsamkeitstraining geschieht Führungskräften etwas Ähnliches wie beim Coaching: Die Teilnehmer werden emotional berührt. Durch die Entschleunigung entsteht Raum und damit die Möglichkeit, Zugang zu sich selbst und den persönlichen Inspirationsquellen zu gewinnen.

Dieses „in Berührung mit sich selbst kommen“ ist eine Voraussetzung sowohl für Selbstkenntnis als auch für Empathie. Und eine sozial-intelligente Führung braucht diese beiden Aspekte. Eine Reihe von Managementforschern sehen emotionale Intelligenz oder Empathie als wichtigere Indikatoren für den Erfolg einer Führungskraft als fachliches Wissen.

Empathie ist in uns Menschen angelegt, wir müssen diese Qualität nur lernen wahrzunehmen. Und die Entwicklung von emotionaler Intelligenz wird natürlicherweise gefördert durch Selbst-Kenntnis und Selbst-Beherrschung.

In achtsamkeitsbasierten Trainings werden diese Fähigkeiten entwickelt – wir nehmen uns selbst und unsere Emotionen besser wahr, wir haben mehr Spielraum, konstruktiv damit umzugehen. Dadurch können wir auch andere besser wahrnehmen, weil wir weniger gestresst sind und unsere Aufmerksamkeit besser steuern können. So können sich achtsame und emotionelle Führung natürlich entfalten.

Eine achtsame Führungskraft nimmt Mitarbeiter differenzierter wahr und kann durch die Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen, zwischen Wertschöpfung und Zielgerichtetheit halten. Diese Erkenntnis ist auch Bestandteil des „Search Inside Yourself-“ Projekt von Google, die innere Suchmaschine. Dabei handelt es sich um ein Achtsamkeitsbasiertes Training, das Achtsamkeitsforscher für Google Mitarbeiter entwickelt haben und das ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung der Führungskultur bei Google seit 2007 ist.

Gesellschaftlich verantwortlich handeln

Forscher am INSEAD, einer der größten Business Schools weltweit, wurden von der Europäischen Union beauftragt, Maßnahmen zur Steigerung der Corporate Social Responsibility, also unternehmerischer Gesellschaftsverantwortung, zu bewerten. Dabei sind sie auf überraschende Ergebnisse gestoßen: Die meisten Seminare zur Steigerung von gesellschaftlicher Verantwortung wirken nicht.
Seminare aber, die nur Achtsamkeitsmeditation oder ähnliche Inhalte angeboten hatten, erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass sich Führungskräfte nachhaltig verhalten. Das überrascht eigentlich nicht. Denn jeder Mensch, jede Führungskraft hat ein Interesse, dass es seinen Mitarbeitern und der Umwelt gut geht, aber oft haben sie nicht den Kopf frei, um dafür zu sorgen.
Gelingt es ihnen, die Stressmühle zu verlassen, ist nachhaltiges Handeln sogar ein natürliches Bedürfnis der meisten Menschen. Sie brauchen nur den Raum, diese Qualitäten in sich zu sehen und zu entfalten. Es ist der Raum, um achtsam zu sein und die Konsequenzen des eigenen Handelns zu reflektieren

Ganzheitlich führen, aber wie?

Entschleunigung, weniger Stress, schärfere Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Empathie, natürlicheres Interesse in Nachhaltigkeit – all dies sind natürliche Ergebnisse von Achtsamkeitsmeditation. Deshalb ist Achtsamkeit im Führungsalltag eigentlich ein sehr pragmatischer Zugang zur ganzheitlichen Führung.

Achtsamkeit ist sogar der Schlüssel, wenn es um die Frage des „Wie“ geht. Viele reden von ganzheitlicher, nachhaltiger Führung. Alle sind überzeugt, dass es besser ist, so zu führen. Jede Führungskraft kann es beschreiben. Aber bei der Frage „Wie“, wie können wir ganzheitlich führen, vor allem, wenn wir uns in einem gestressten, erschöpften, besorgten und kraftlosen Zustand befinden, liefert Achtsamkeit eine der besten Antworten.

Wenn wir über Führungskräfteentwicklung nachdenken, gibt es eine schier endlose Menge an Tools. Trotzdem scheinen viele Führungskräfte nicht zu wissen, wie gute Führung geht. Die gängige Antwort ist, dass der Manager selbst dran Schuld ist und im schlimmsten Fall nicht geeignet für den Job. Doch möglicherweise ist eine Führungskraft so vollgestopft mit geistigen Reizen, dass es ihr nicht möglich ist, die erwartete Leistung zu erbringen.

Achtsamkeit trainieren ist mehr, als sich ein Tool anzueignen. Hier geht es um Selbstkenntnis, um allumfassende Wahrnehmung, um sozial-intelligente Interaktionen. Achtsamkeit ist der Kitt, der alles, was eine Führungskraft tut, verbinden kann.
Eine Studie in 2007 hat über 500 Führungskrafte untersucht und in verschiedene Leistungsebenen eingeteilt. Viele waren funktional gute Führungskräfte, aber nur 5 bis 10 Prozent herausragende „Leader“. Mehr als 50 Prozent dieser herausragenden Führungspersönlichkeiten hatten eine regelmäßige Achtsamkeits- oder eine ähnliche kontemplative Praxis.

Natürlich ist Achtsamkeitsmeditation keine magische Pille. Ihre Wirksamkeit ist zwar in hunderten Studien wissenschaftlich nachgewiesen, aber der springende Punkt ist: Achtsamkeit muss geübt werden.

Viele Firmen experimentieren schon mit Achtsamkeitsbasierten Trainings, einige Beispiele:

  • Stress Reduzierung: Basierend auf der Pionierarbeit des Centre for Mindfulness am renommierten Massechusetts Institute of Technology (MIT) wurde ein achtsamkeitsbasiertes Programm zur Stress-Reduzierung entwickelt (MBSR). Dieses Programm ist schon in vielen Firmen angeboten worden.
  • Stress und Produktivität: Einige Unternehmen, unter anderem Carlsberg, Sony, General Electric und Healthcare haben achtsamkeitsbasierte Trainings mit Fokus auf Stressreduktion und Produktivität eingeführt – mit teilweise exzellenten Ergebnissen. In einer Auswertungen sagten 90 Prozent der Teilnehmer, sie hätten ein deutliche verbesserte Fähigkeit, fokussiert zu sein. Über 70 Prozent gaben an, sie hätten deutlich verbesserte Beziehungen im Team und eine gesteigerte Produktivität.
  • Emotionale Intelligenz: Google hat diesen Ansatz vorangetrieben. Eine breit angelegte Auswertung des Führungsverhaltens hat Google überzeugt, dass ganz einfache Fähigkeiten für erfolgreiche Führung die wichtigsten sind. Dazu zählen zuhören, sich Zeit nehmen usw. Deshalb wurde ein Training mit Achtsamkeitsforschern und langjährigen Meditierenden entwickelt mit dem Namen „Search Inside Yourself.“
  • Persönliche Entwicklung und Lernfähigkeit: Genentech (jetzt Teil von Roche) hat angefangen mit einem Achtsamkeitsprogramm bei Stress und dies dann ausgeweitet, um die gesamte Lernfähigkeit und persönliche Entwicklung des Menschen einzubeziehen. Trotz anfänglicher Zweifel ist dieses Programm ausgeweitet worden. Eine externe Trainings-Bewertung hat es als eines der besten Führungstrainings eingestuft.

Tamdjidi sq
Chris Tamdjidi ist Geschäftsführer der Kalapa ACADEMY und Kalapa Leadership Academy: www.kalapaacademy.de
E-Mail: Info@kalapaacademy.de

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