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“Als Polizisten sollten wir Vorbilder sein”

Wirestock Creators/ Shutterstock
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Interview mit einem Polizeibeamten

Im Polizeialltag schwingen ethische Fragen immer mit, sagt Veit Meixelsperger, der lange als Polizist gearbeitet hat und jetzt Dozent für Berufsethik ist. Polizeibeamte müssen sich den Werten des Staates verpflichtet fühlen. Wie sie es schaffen, ihre Emotionen zu regulieren und welche Konflikte es gibt, berichtet er im Interview.

Das Gespräch führte Birgit Stratmann

Frage: Sie waren 30 Jahre als Polizist im Außendienst. Seit 2018 unterrichten Sie Berufsethik an einer Fachhochschule für Polizei. Warum sind Sie Polizist geworden? Und was war Ihr beruflicher Werdegang?

Meixelsperger: Ich komme aus einer Polizistenfamilie: Mein Vater war Polizist, und auch mein älterer Bruder auch. Nach dem Abitur habe ich bei der Polizei ein Studium als Diplom-Verwaltungswirt abgeschlossen, als Kommissar.

Dann habe ich fünf Jahre in Eutin im Einzeldienst gearbeitet, so wie Sie es kennen, z.B. Streifenwagen, Demonstrationen, Fußball usw. 1989, kurz vor der Grenzöffnung, war ich in Gudow im Einsatz, ich war Mitte 20. Es war fantastisch mitzuerleben, wie die Mauer fiel.

Bei den schlimmen fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 war ich auch im Dienst. Wir haben mit einer Hundertschaft aus Schleswig-Holstein die Polizei vor Ort unterstützt. Das war ein harter Einsatz.

Danach hatte ich verschiedene Aufgaben, 16 Jahre war ich Dienstgruppenleiter auf einem Revier in Kiel. Nach 30 Jahren draußen brauchte ich einen Wechsel und bin an die Polizei-Hochschule gegangen.

Was motiviert Sie, sich mit ethischen Fragen im Rahmen des Polizeiberufs auseinanderzusetzen?

Meixelsperger: Wir haben als Polizisten mit vielen ethischen Fragen zu tun, z.B. mit Schusswaffengebrauch oder dem Umgang mit Macht: Es kann geschehen, dass eine Person, die ich bei einer Kontrolle anhalte, wütend wird und mich beschimpft. Wie reagiere ich dann? Nutze ich meine Macht vielleicht über Gebühr aus?

Weiter müssen wir uns mit Verschwörungsmythen und Fremdenfeindlichkeit im Polizeidienst auseinandersetzen, auch wenn das Ausnahmen sind. Was tun, wenn sich Kollegen beim Frühstückstisch in diese Richtung äußern? Wann schreite ich ein?

Oder nehmen wir innerpolizeiliche Strukturen: Ich bekomme einen Auftrag von meinem Chef, den ich für rechtswidrig halte. Einmal hatte ich einen Vorgesetzten im Streifenwagen, der alkoholisiert gefahren ist. Eigentlich müsste ich ihn anzeigen. Aber ich war Anfang 20 und noch unerfahren. Sage ich nichts, ist es Strafvereitelung im Amt.

Polizeibeamte müssen sich den Werten des Staates verpflichtet fühlen.

Welche moralischen Voraussetzungen müssen Polizeibeamte mitbringen?

Foto: privat

Meixelsperger: Genau diese Frage habe ich meinen Studierenden gestellt. Polizisten sollten empathisch und zugewandt sein – diese Eigenschaften erwarte ich von allen Staatsdienerinnen und Staatsdienern. Als Polizisten brauchen wir darüber hinaus Selbstbeherrschung, also die Fähigkeit, unsere Emotionen gut zu regulieren, Mut und Mitgefühl. Auch haben wir eine Vorbildfunktion. Polizisten müssen sich den Werten dieses Staates verpflichtet fühlen, sonst brauchen sie gar nicht erst anzufangen.

Nehmen wir die Selbstbeherrschung. Wie kann so etwas in der Polizei-Ausbildung vermittelt werden?

Meixelsperger: Wir machen zum Beispiel ab dem 2. Semester Einsatztrainingslagen. In Rollenspielen lernen die Studierenden, mit heiklen Situationen zurechtzukommen, z.B. wenn sie gereizt, beleidigt und provoziert werden.

In diesen Rollenspielen müssen sie auch Prüfungsaufgaben lösen. Dabei wird ein Video gedreht. Danach wird reflektiert, was gut lief und was man anders machen könnte.

Bei einem Amoklauf zum Beispiel kann man nicht auf das SEK warten, sondern die Einsatzkräfte vor Ort müssen solche Situationen lösen. Auch hier gibt es zur Vorbereitung Trainingslagen. In Schleswig-Holstein haben wir solche Ausnahmesituationen mit Schauspielern durchgespielt, die Böller geschmissen und sich sehr aggressiv verhalten haben.

Unsere angehenden Polizisten simulieren die Lage und wiederholen das, bis sie merken, wie man es konstruktiv lösen kann. Wir fangen klein an, z.B. mit Parkverstößen, wenn eine Bürgerin uns beschimpft. Wir können Gesetze nicht nach Belieben auslegen.

Sie hatten uns eine Frage für die Rubrik „Ethische Alltagsfragen“ geschickt: nämlich wie Polizisten sich im Konflikt zwischen dem Gesetz und ihrem Gewissen bewegen sollen. Kommt es häufiger vor, dass es hier Diskrepanzen gibt?

Meixelsperger: Der schwerwiegendste Fall ist Daschner: angedrohte Folter im Falle einer Kindesentführung. Auch im Kleinen gibt es das, z.B. beim Containern. Eigentlich ist es Unsinn, Lebensmittel wegzuschmeißen und Leute zu bestrafen, die sich welche aus dem Container holen. Das ist so ein Konflikt.

Ich kann wegschauen, habe aber Strafverfolgungspflicht. Es wäre Strafvereitelung im Amt, und ich gerate dann in einen Gesetzeskonflikt. Nun könnte man es leicht lösen, indem man sagt: Containern ist erlaubt.

Aber dann müsste das Gesetz geändert werden.

Meixelsperger: Genau, das ist nicht meine Entscheidung. Ich muss eine Rollenklarheit herstellen. Ich bin nicht Kläger und Richter, sondern Vertreter des Gesetzes.

Beispiel: Zwei Leute fahren im Dunkeln ohne Licht durch die Gegend. Den einen sanktioniere ich, weil er aggressiv ist, den anderen ermahne ich nur, weil er freundlich zu mir ist. Wenn ich so handle, wäre das Recht beliebig. Und das würde zu einem Vertrauensverlust führen.

Das Schlimmste wäre, wenn die Polizei als willkürlich wahrgenommen würde.

Dann gibt es noch den anderen Fall, dass Polizisten Sympathien für Rechtsextreme hegen.

Meixelsperger: Genau das sage ich: Wir sind an die Gesetze gebunden und können sie nicht nach Belieben auslegen. Wir haben laut Beamtengesetz eine Wohlverhaltenspflicht gegenüber dem Staat.

Ich bin nicht in erster Linie Mensch, sondern Polizist und Vertreter des Staates. Ich bin nicht in erster Linie meinem Gewissen verpflichtet, sondern habe den Schwur geleistet, die Gesetze der Bundesrepublik zu beachten, zu schützen und auf Einhaltung zu drängen.

Das heißt, Sie müssen hinter den Gesetzen und dem Staat stehen, um Ihren Beruf ausüben zu können?

Meixelsperger: Ein Extremismus, ob links oder rechts, steht nicht in Übereinstimmung mit der Wohlverhaltenspflicht eines Beamten. Denn damit stelle ich den Staat in Frage. Das ist ein No-Go. Und hier gibt es keinen Ermessenspielraum.

Ein Beispiel: Als ich das Zivilstreifenkommando in Kiel geleitet habe, hatten wir viel mit Drogensüchtigen zu tun. Ich habe irgendwann verstanden, die Menschen brauchen Drogen wie das tägliche Brot.

Als Polizist will ich natürlich an die Dealer herankommen, aber das geht nur über den Konsumenten. Ich beobachte also den Handel: Einer bekommt Geld, der andere Ware. Man hält die Personen dann an und nimmt die Drogen weg; dieses Vorgehen brauchen wir für das Strafverfahren, um dem Dealer etwas nachzuweisen.

Aber für den Süchtigen ist das schlimm. Denn er braucht die Drogen und kann nicht ohne Weiteres neue Ware kaufen. Ich fördere damit Beschaffungskriminalität.

Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?

Meixelsperger: Wir können ihm nicht die Drogen überlassen, ich kann nicht wegschauen. Was wir tun können: Hilfe zur Substitution geben, also die Person mit in eine Einrichtung nehmen.

Wenn wir den Staat achten, dann gibt es dafür keine Ausnahmen. Denn das Schlimmste wäre, wenn Polizei als willkürlich wahrgenommen würde. Das würde an den Grundfesten des Staates rütteln. Wir leisten den Eid auf die Verfassung und sind an die Demokratie gebunden.

Ich muss also im Rahmen des Regelwerks überlegen, was möglich ist, um Menschen wie Drogensüchtigen zu helfen. Oder ich rate z.B. einem Supermarkt, die Lebensmittel an die Tafel und andere Menschen abzugeben mit dem Hinweis „Zu verschenken“. Also Lösungen suchen.

Ethische Fragen schwingen im Polizeialltag immer mit

Wie geht die Polizei mit Sympathien für Rechtsextremismus in den eigenen Reihen um?

Meixelsperger: Rechtsextremismus ist ein auffälliges Verhalten, nicht bloß eine Einstellung. Ich habe als Beamter meinen Schwur geleistet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzuhalten. Verstöße sind nicht so leicht nachzuweisen. Wenn Kollegen Sätze äußern wie „Es gibt so viele Ausländer“ oder „Die Corona-Maßnahmen schränken unsere Freiheit ein“ – wo fängt ein Regelverstoß an?

Es gibt Menschen, die sich in Blasen befinden. Beispiel: Ein Kollege kam an einem Morgen im September 2015 sehr schlecht gelaunt zum Dienst. Er hatte Bilder von den Flüchtlingen gesehen, die teilweise unkontrolliert nach Deutschland kamen.

Er meinte, mit den Ausländern „holt man sich den Sumpf rein“. Er erzählte von Berichten auf sozialen Kanälen, wonach jede Nacht allein über den Flughafen Hannover „heimlich“ 10.000 Flüchtlinge reinkämen.

Ich habe mich dann mit ihm auseinandergesetzt: Ein Flugzeug kann maximal 300 Menschen an Bord haben. Dann müssten es 30 Maschinen sein, die nachts in Hannover starten und landen. Ab Mitternacht gibt es ein Nachtflugverbot. Wie soll die Regierung so eine Menge Flüchtlinge „heimlich“ nach Hannover bringen? Und wie viele Busse braucht man dafür? Es kann sich nur um Fake News handeln.

Gibt es überhaupt im Polizeialltag Zeit, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen?

Meixelsperger: Nicht so, wie wir das hier erörtern, aber ethische Fragen schwingen immer mit. Zum Beispiel spreche ich mit Kollegen, die an belastenden Einsätzen teilgenommen haben. Wir haben auch Teams, die rund um die Uhr als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Der Mensch wird selten gesehen, sobald ich in Uniform unterwegs bin.

Hat Corona Ihre Polizeiarbeit verändert?

Meixelsperger: Es gibt Polizisten, eine Minderheit, die nicht geimpft sind, aus Überzeugung. Da haben Sie als Vorgesetzter echte Probleme. Wir gehen aktiv dagegen vor. Manche Stellen und Schichten können die Ungeimpften nicht übernehmen, auch mit finanziellen Konsequenzen.

Dann gibt es Situationen, da marschiert die rechte Szene auf. Wir als Polizisten müssen das erst mal hinnehmen, weil es mit dem Demonstrationsrecht vereinbar ist, sofern keine Gewalt angewendet wird. Natürlich stimme ich mit den Meinungen nicht überein, aber ich schütze das Demonstrationsrecht.

Mein Rollenverständnis heißt: Ich begleite die Demonstration und achte darauf, dass die Corona-Maßnahmen eingehalten werden.

Werden Sie von Bürgerinnen und Bürgern mehr als Autorität als als Mensch wahrgenommen?

Meixelsperger: Der Mensch wird selten gesehen, sobald ich in Polizeiuniform unterwegs bin. Die Gewerkschaft der Polizei hat ein Plakat gemacht „Auch Mensch“. Im Einzeldienst wird man als Polizist wahrgenommen, die Menschen sehen nur die Uniform.

Können Sie damit gut umgehen?

Meixelsperger: Wenn ich meine Arbeit gut mache, ist das für mich okay. Außerdem hat die Uniform auch einen schützenden Charakter, ich lege die Uniform über meine Idenität drüber.

Wir waren mal als Zivilisten eine Zeit lang in der Drogenszene präsent, also ohne Uniform. Wenn ich am Wochenende einkaufen wollte, haben mich die Leute wiedererkannt. Sie haben mich als Mensch wahrgenommen. Das war nicht immer angenehm.

Veit Meixelsperger studierte an der Verwaltungsfachhochschule Altenholz Fachbereich Polizeit in Schleswig-Holstein. 1988 Ernennung zum Diplom-Verwaltungswirt und Polizeikommissar. 30 Jahre Tätigkeit im Einzeldienst in verschiedenen Funktionen. Seit 2018 Dozent an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Altenholz als Erster Polizeihauptkommissar für Verkehrsrecht und Ethik.

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