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Arbeit soll einen neuen Umgang mit der Welt ermöglichen

Redd/ Unsplash
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Ein Interview mit Arbeitsforscher Hans Rusinek

Wie können wir Arbeit so gestalten, dass sie den Planeten schützt, statt ihn zu zerstören, fragt Hans Rusinek. Im Interview spricht der Arbeitsforscher über ein anderes Verständnis von New Work, einen neuen Umgang mit Zeit und mehr Raum zur moralischen Reflexion über die Folgen unserer Arbeit.

Das Gespräch führte Mike Kauschke

Frage: Wie sind Sie dazu gekommen, die Zukunft der Arbeit mit der Zukunft des Planeten zu verbinden?

Rusinek: Als Berater und Forscher bin ich viel in den Diskursen rund um New Work unterwegs. Da wird über die Zukunft der Arbeit gesprochen, ohne an die Zukunft unseres Planeten auch nur einen Gedanken zu verschwenden.

Personaler denken darüber nach, wie Arbeit und Institutionen zukunftsfähig gestaltet werden können, aber niemand weist darauf hin, dass zukunftsfähigkeit zu sein auch bedeutet, den Planeten nicht weiter zu zerstören. Und das geschieht ja durch Arbeitspraktiken.

Zugegeben, in Diskursen über New Work und die Zukunft der Arbeit wird gelegentlich schon über Nachhaltigkeit gesprochen, aber in einem anderen gänzlich praktikfernen Verständnis, z. B. über ESG-Ziele oder Kampagnen.

Damit schiebt man das Problem weit weg von konkreten Arbeitspraktiken. Das finde ich irritierend. Manche von uns gehen freitags gegen die Klimakrise demonstrieren, aber wir denken zu wenig daran, was wir montags bis freitags machen – nämlich arbeiten und dass das dort die Abarbeitung des Planeten geschieht.

Sie betrachten Arbeit also viel umfassender.

Rusinek: Alles, was uns umgibt, hat eine mehr oder weniger organisierte Struktur. Wenn wir im Supermarkt einkaufen oder in ein Flugzeug steigen, so ist das für andere Menschen ihre Arbeitswelt. Es scheint mir entscheidend zu sein, grundsätzlicher darüber nachzudenken, was Organisationen und die Arbeit in ihnen mit dem Planeten machen.

Ein weiterer Grund ist, dass ich vor anderthalb Jahren Vater geworden bin. Es gibt Studien, die zeigen, dass gerade Männer einen Aufweckmoment in ihrer Klimaverantwortung erleben, wenn sie Kinder bekommen.

Deswegen ist mein Buch meiner Tochter gewidmet, verbunden mit der Überlegung, dass sie wahrscheinlich bis ins 22. Jahrhundert hinein irgendeine Form von Arbeit machen wird.

In den Diskursen zur Zukunft der Arbeit wird zu wenig die Frage diskutiert, wie wir zukunftsfähig, also enkeltauglich arbeiten können. Es geht eher um Verdichtungs- und Beschleunigungsfantasien, die die industrielle Gegenwart verlängern, als um Zukunftsvision im Sinne eines Aufbruchs. Was an dieser New Work Vision, wirklich neu ist, ist mir schleierhaft.

Bei der Arbeit wachsen wir als Gesellschaft zusammen.

In dem Zusammenhang plädieren Sie für mehr Wertschätzung der Arbeit und ein neues Verständnis von Arbeit. Wie können wir Arbeit neu verstehen?

Rusinek: Arbeit hat an Attraktivität verloren: Menschen träumen davon träumen, Arbeitszeit zu verkürzen, mit Bitcoin ohne Anstrengung Millionen zu scheffeln, sich eine Rente über die Finanzmärkte zu beschaffen oder ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. All das sind echte und imaginierte Abwendungsbewegungen von der Arbeitswelt.

Das Problem bei dieser heute fehlenden Aufmerksamkeit für die Arbeitswelt ist, dass soziologisch betrachtet diese Arbeitswelt ein ganz besonderer Raum ist. Ich komme mit Menschen zusammen, die ich mir nicht ausgesucht habe, und das kann ganz schön fordernd sein. Aber letztendlich wächst man damit als Gesellschaft zusammen. Es ist der Ort, wo wir als Gesellschaft gemeinsam laufen lernen.

Was sind Ansätze, wie die Arbeitswelt so umgestaltet werden könnte, dass sie enkeltauglich wird?

Rusinek: Wir müssen die Arbeitswelt als einen ethischen und politischen Raum begreifen und moralische Reflexion ermöglichen, zum Beispielsicherstellen, dass alle Menschen, die arbeiten, Anerkennung finden und Würde erfahren. Auch brauchen Menschen Zeit, um über das, was sie tun, zu reflektieren und mit anderen zu diskutieren. Weiter sollten wir uns fragen, wie unsere Vorstellung von Intelligenz in Zukunft humanistischer sein könnte.

Bei der Arbeit dominiert das kalte Kalkulieren, die Intelligenz der Exceltabelle. Das wird uns die künstliche Intelligenz zum großen Teil abnehmen. Das hat Vorteile, denn dann können wir uns auf eine empathische Intelligenz konzentrieren.

Mich interessieren im Buch die Vorbedingungen, die die Arbeitswelt erfüllen muss, um als moralischer Raum in der Klimakrise handlungsfähig zu sein. Das heißt, ich schaue mir nicht an, wie können wir am Arbeitsplatz Druckerpapier sparen oder Plastik reduzieren, sondern wie können wir Arbeit überhaupt neu gestalten, sodass wir uns damit einen neuen Umgang mit der Welt erarbeiten können.

Wer permanent gehetzt ist, verliert sein moralisches Reflexionsvermögen.

Die Klimakrise ist auch eine Krise unseres Verhältnisses zur Natur, also dem Kontext, in dem wir Mensch sind und in dem wir arbeiten. Wie kann in der Arbeitswelt ein anderes Verhältnis zur Natur entstehen?

Rusinek: Oft wird die Klimakrise als ein Ingenieursproblem dargestellt: Man müsste nur das CO2 anders bepreisen und dann regelt sich das von selber. Damit handeln wir aber aus einer industriellen Logik, die an der Wurzel des Problems liegt: technische standardisierte und globale Lösungen für soziale Probleme. Denn eigentlich ist die Klimakrise ein psychologisches Problem oder ein philosophisches Problem, im Grunde ein Haltungsproblem. Eine Polykrise für die wir Polylösungen brauchen.

Die Krise mit unserer Mitwelt drückt sich zum Beispiel dadurch aus, dass wir keine körperliche Resonanz zu dem, was uns umgibt, verspüren. Viele sitzen in einem Büro und denken über Nachhaltigkeitsrichtlinien der EU nach, aber Sie wissen nicht, welcher Baum vor Ihrem Bürofenster wächst.

Wir können aber Verantwortung nur übernehmen, wenn wir Verantwortung spüren. Das ist eine Frage des Wahrnehmens und der Empathie mit der Umwelt. In der Arbeitswelt sind die meisten aber permanent gehetzt.

Verantwortung ist eine zeitintensive Praktik und solange wir uns in dieser Gehetztheit befinden, lassen wir diese Fragen nicht an uns heran. Moralische Reflexion braucht Zeit.

Was würden Sie den Menschen empfehlen, um zu einer Veränderung des Arbeitsumfelds beizutragen?

Rusinek: Wenn ich Unternehmen berate, schlage ich zum Beispiel vor, Meetings in Spaziergänge umzuwandeln. Das führt zu einer anderen Qualität von Gesprächen, zu einer Entschleunigung, aber auch zu einer Resonanz mit der Umwelt. Unser Denken verändert sich, wenn wir unseren Körper bewegen.

Auch die Häufung von Meetings ist häufig überflüssig und schadet unserer Produktivität. Warum sind 16 Meetings an einem Tag besser, als sich drei Stunden zu nehmen, um über ein Problem richtig nachzudenken? Es gibt Tech-Unternehmen, die alle wiederkehrenden Meetings gestrichen haben. Andere haben meetingfreie Freitage. Dadurch haben sie viele Tausend Arbeitsstunden freigesetzt.

Wir erleben eine erschöpfte Arbeitswelt.

Der Arbeitsplatz ist in diesem Sinne auch ein Ort der Selbstwirksamkeit und des sinnvollen Tuns, wo man zur Gesellschaft und zum Gemeinwohl beitragen kann. Wie kann man diesen Aspekt der Arbeit wieder stärker in den Vordergrund rücken?

Rusinek: In der Arbeitswelt – mal idealistisch betrachtet – ist es so, dass wir etwas produzieren und es jemandem geben, der sich dann bei uns bedankt. Wir erhalten Anerkennung, nicht nur finanziell. Mein Gegenüber bietet somit einen Spiegel, der die Liebe spiegelt, die dann auf mich zurückstrahlt. Das ist sehr wichtig für unsere Gesellschaft und für uns als Individuen.

Heute erlebe ich eine erschöpfte Arbeitswelt. Eine Ursache dafür ist, dass wir bei der Arbeit ständig unterbrochen werden. Microsoft hat festgestellt, dass 60 Prozent der Arbeitszeit durch Kommunikationstools und nur 40 Prozent durch Produktivität gekennzeichnet ist.

Zudem wurde erforscht, dass wir in Deutschland bei der Arbeit alle viereinhalb Minuten unterbrochen werden, wir brauchen aber neun Minuten, um zu einem geordneten Gedanken zurück zu kommen. Das geht also nicht auf.

Wenn wir Selbstwirksamkeit erleben und dadurch aneinander wachsen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Leute arbeiten können und dass wir sie nicht die ganze Zeit managen, überwachen, nerven und unterbrechen.

Durch die digitale Arbeit wird diese Dynamik noch verstärkt. Markus Albers nennt es digitale Erschöpfung, weil wir jederzeit mit allen unseren Kollegen sprechen können. Deshalb sollten wir Räume schützen, wo wir wirklich konzentriert arbeiten können, um dabei Sinn und Selbstwirksamkeit zu erleben.

Die vielen Unterbrechungen schaden der Produktivität.

Das hat auch mit Aufmerksamkeit zu tun, mit der Frage, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken.

Rusinek: Ja, Aufmerksamkeit und Vertrauen. Kann ich als Vorgesetzter mein Team ein paar Stunden lang in Ruhe lassen? Halte ich das aus und weiß ich dann überhaupt, was ich selber zu tun habe?

Allgemein gibt es strukturell gesehen in unserer Arbeitswelt viel zu viele Manager. Die Wissensarbeiter und Manager sind in den letzten 30 Jahren im Vergleich zu anderen Mitarbeitenden viel stärker gewachsen als sämtliche anderen Arbeitssektoren. Deswegen haben wir auch nicht die erwünschte Produktivität. Viele Führungskräfte unterbrechen ihre Mitarbeitenden oft, damit sie selber etwas zu tun haben und ihren Selbstwert stärken können.

Denken Sie, dass unser momentanes Wirtschaftssystem reformiert werden kann, oder brauchen wir ein völlig neues System?

Rusinek: Mir wird manchmal unterstellt, dass ich die Wirtschaft plattmachen möchte mit diesen Ideen. Aber mir geht es darum, dass wir in Zukunft überhaupt noch sinnvoll wirtschaften können. Ich bin dann schon Kapitalist in dem Sinne, dass ich dieses System am Leben erhalten möchte. Und viel besser machen möchte.

Der Kapitalismus in seiner Wettbewerbsvorstellung lebt von Kritik. Sie bieten Schuhe an? Ich kritisiere Ihre Produkte und sage, ich kann bessere, bequemere, schönere Schuhe anbieten. So werden wir zu Wettbewerbern, so entsteht Fortschritt im kapitalistischen Sinne. Wenn der Kapitalismus aber kein kritisches Denken auf sich selbst zulässt, dann wird er zu einem hohlen Dogma und ist im kapitalistischen Sinne nicht mehr funktional.

Wenn ich darüber nachdenke, wie wir Kritik äußern, ernsthafte Achtsamkeit integrieren, auf die Klimakrise oder die Krise der Demokratie reagieren können, dann bin ich zugleich auch Kapitalismuskritiker. Denn um überhaupt weiter wirtschaften und arbeiten zu können, brauchen wir eine Lebensgrundlage und eine gesellschaftliche Grundlage, die das überhaupt zulässt.

Foto: Holtgreve

Hans Rusinek studierte VWL, Philosophie und Politik an der London School of Economics und in Bayreuth sowie Design Thinking am Hasso Plattner Institut. Er forscht, berät und publiziert zum Wandel der Arbeitswelt. An der Universität St. Gallen forscht er zur Sinnfrage in der Arbeit und ihrer Rolle in modernen Organisationen. Er erfüllt zudem einen Lehrauftrag zu „Future of Work“ an der Fresenius Universität in Hamburg und ist Fellow im ThinkTank30 des Club of Rome.

2023 erschien sein Buch:Work-Survive-Balance: Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist. Verlag Herder 2023

 

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