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“Bildung lässt sich nicht nur digital vermitteln”

Teachers For Life: Lehrer Richard Dunne mit seiner Schulklasse
Lehrer Richard Dunne meditiert mit seiner Schulklasse am Mont Blanc |
Teachers For Life: Lehrer Richard Dunne mit seiner Schulklasse

Interview mit Dokumentarfilmer Julian Wildgruber

Teachers For Life ist ein Kinodokumentarfilm, den Julian Wildgruber für das AVE Institut produziert hat. Der Film zeigt neue Perspektiven für die Bildung im 21. Jahrhundert auf. Wildgruber spricht im Interview über sein Engagement, seine Protagonisten und sein Anliegen, Gesellschaft über die Bildung zu transformieren.

 

 

Das Interview führte Michaela Doepke

Frage: Herr Wildgruber, was ist Ihr Selbstverständnis als Filmemacher? Was möchten Sie mit dem Medium Film vermitteln?

Wildgruber: Mir ist wichtig, dass man das Medium Film als künstlerisches Element nutzt, um drängende Zeitfragen bewusst zu machen, um in Frage zu stellen und auch um zu inspirieren. Ich denke, das ist das, was wir als Filmemacher tun können.

Was war Ihre Motivation, einen neuen Dokumentarfilm wie „Teachers for Life – Lernen aus Verbundenheit“ über die Bildung in Europa zu machen? Der Film wird im Mai auf dem internationalen Dokumentarfilmfestival in München gezeigt.

Wildgruber: Schon bei meinem früheren Film „From Business To Being“, den ich mit der Co-Regisseurin Hannah Henigin gemacht habe, sprachen wir oft darüber, dass gesellschaftspolitische Transformation eigentlich nur möglich ist, wenn man bei der Bildung ansetzt.

Für „Teachers For Life“ habe ich mit meiner ehemaligen Klassenkameradin Kathrin Höckel zusammengearbeitet, die Bildungsexpertin ist und viele Jahre bei der OECD weltweit Regierungen beraten hat – das war ein guter Match. Ich schätze es auch sehr, dass ich wieder eine Frau als Co-Regie an meiner Seite hatte. Denn Frauen haben einen etwas anderen Blick auf die Welt.

2018 kam Hanna Paulmann vom AVE Institut auf mich zu und hat mich gefragt, ob wir sie unterstützen könnten, einen Film zum Thema Achtsamkeit, Mitgefühl und Bewusstseinswandel in der Bildung zu machen.

Der Film ist im Auftrag des AVE-Instituts entstanden. Welches Ziel sollte mit dem Film verfolgt werden?

Wildgruber: Was ich spannend fand, ist, dass Hanna Paulmann mit dem Institut den Dreiklang von Achtsamkeit, Verbundenheit und Engagement vermittelt.

Hanna Paulmann sagt über ihr Anliegen: „Achtsamkeit hilft zu sehen, dass in der Welt alles mit allem verbunden ist. Wer diese Verbundenheit spürt, engagiert sich und übernimmt an seinem Platz Verantwortung für die Welt um ihn herum. Dies schon Kindern und Jugendlichen durch Pädagogen zu vermitteln, die die Haltung von Achtsamkeit auch in ihrer ethischen Dimension verkörpern, sehe ich als die Aufgabe des AVE-Instituts.“ Inwiefern ist das in den Film eingeflossen?

Wildgruber: Hanna Paulmann möchte mit ihrer Arbeit darauf hinaus, dass Lehrkräfte die Fähigkeit entwickeln, sich selbst gut zu spüren, um dann aus diesem Selbstverständnis heraus in eine bewusste Beziehung zu ihren Schülern zu treten.

Wenn das gelingt, diese Bewusstwerdung und diese Beziehung zu sich selbst, zu den anderen Menschen und zur Welt, führt dies letztendlich dazu, dass man ein anderes Verständnis der Wirklichkeit entwickelt, sie dadurch anders gestalten und letztendlich transformieren kann.

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Die Progagonisten hatten ein Schlüsselerlebnis in ihrem Leben.

Sie zeigen berührende Filmausschnitte, wie engagierte Lehrkräfte aus Deutschland, England und Frankreich Schulkinder ermutigen, etwas für das Leben zu lernen. Warum sind die gezeigten Lehrerpersönlichkeiten für Sie Vorbilder, wie Schule sein könnte?

Wildgruber: Wir haben eine ziemlich ausführliche Recherche zu dem Film durchgeführt und viele Leute getroffen. Wir haben diese Persönlichkeiten ausgewählt, weil sie alle ein sogenanntes Schlüsselerlebnis in ihrem Leben hatten. Sie alle sind durch ein Nadelöhr ihrer Biografie gegangen, durch ihre eigene Wunde. Sie sind sich ihrer eigenen traumatischen Erfahrungen oder Verletzungen bewusst geworden.

Wir sind der Meinung, dass Lehrende besonders dann gute Lehrerpersönlichkeiten sind, wenn sie solche transformativen Erfahrungen machen. Bei den im Film gezeigten Pädagogen, wie etwa bei dem englischen Lehrer Richard Dunne war das eine Reise in die Arktis.

An einem Morgen stand er kurz vor Sonnenaufgang vor einer Eiswand, und da ist ihm klar geworden, dass wir als Menschen diese Welt zerstören. Das war für ihn so ein archaisches Erlebnis, und er erkannte: „Ich muss etwas tun. Ich bin Lehrer und Schulleiter, und ich möchte, dass unsere Kinder mit mehr Bewusstsein über ihre Lebenswelt ausgebildet werden.“

Der gezeigte französische Lehrer Phillipe Bretaud vom Institute National de Football ist kleinwüchsig. Er wollte als Kind Profifußballer werden. Dann haben ihm die Trainer erklärt, er sei ein super Spieler, aber zu klein. Da ist für ihn eine Welt zerbrochen und sein ganz großer Lebenstraum kaputt gegangen.

Er war am Boden zerstört, hat erst einen Umweg gemacht und ist dann Fußballtrainer geworden. Er ist heute aus meiner Sicht einer der herausragendsten Jugendfußballtrainer. Er hat große Fußballspieler – wie beispielsweise Kylian Mbappé, der so erfolgreich war bei der letzten Fußballweltmeisterschaft, ausgebildet.

Die Lehrerin sagte: Als Lehrkraft strahle ich etwas anderes aus, wenn ich authentisch bin.

Die deutsche Lehrerin Lisa Viehhof aus Berlin hatte als Jugendliche eine Essstörung und ist über dieses Leiden zum Yoga und zur Achtsamkeitspraxis gekommen. Sie hat dadurch den Kontakt zum eigenen Körper, zu den Emotionen und zu den Gedanken wieder gelernt, damit umzugehen in ihrem Leben.

In einer Szene sagt Lisa Viehof: „Ich als Lehrkraft strahle etwas anderes aus, wenn ich authentisch bin und Themen mich wirklich berühren. Und das kommt bei den Schülern an.“

Wildgruber: Lisa war interessanterweise sogar Teilnehmerin an dem AiSCHU-Ausbildungsprogramm für Lehrkräfte zu Achtsamkeit in der Schule von Vera Kaltwasser. Diese Ausbildung wird auch von AVE gefördert. Das war ein glückliches Zusammentreffen.

Sehr bewegend fand ich die Szene, in der der englische Pädagoge den Kindern durch das Probieren einer Biotomate im Schulgarten Geschmackserlebnisse vermittelt und fragt: „Warum schmeckt das Essen im Supermarkt eigentlich nicht so gut?“ Das ist alles so lebensnah. Warum wirkt die reguläre Schule dagegen oft so weltfremd?

Wildgruber: Ich glaube, das hat zwei Gründe. Die Ausbildungswelt in Deutschland ist noch von der Kaiserzeit geprägt, in der sie entstanden sind. Dann gibt es die Leistungsanforderungen an die Schulen, damit dort Menschen herauskommen, die in der Lage sind, z.B. in Unternehmen, bestimmte Leistungen und Entwicklungen, vor allem auch Innovationen zu ermöglichen.

Dann gibt es noch die politische Ebene, bei der Kathrin Höckel in der OECD aktiv war. Regierungen weltweit wollen wissen, wie Bildung funktionieren kann, damit am Ende mehr Wirtschaftswachstum möglich wird. Das ändert sich gerade ein bisschen, auch bei der OECD, soweit ich das mitbekomme. Allerdings müssen wir uns natürlich die Frage stellen, für was und wozu wollen wir unsere Kinder wirklich ausbilden.

Der Mensch lernt nicht nur kognitiv.

Welche Werte braucht die Bildung für Sie?

Wildgruber: Genau diese Fragen möchte der Film aufwerfen: Welche Werte wollen wir leben, welche Werte braucht eine gute Bildung? Welche Skills müssen wir heute in einem Zeitalter, das wir das Wissenszeitalter der vierten industriellen Revolution nennen, jungen Menschen beibringen? Wie versetzen wir sie in die Lage, die Zukunft so zu gestalten, dass möglichst viele Menschen ein gutes Leben haben, dass die Natur geschützt wird und wir auch mental und seelisch gesund leben können?

Man kann eigentlich nur darauf hoffen, dass jetzt gerade durch die Pandemie, die die Bildungslandschaft komplett durchgeschüttelt hat, diese Fragen gestellt werden. Also man kann Bildung aus meiner Sicht nicht nur digital vermitteln, das funktioniert nicht. Da gibt es genügend Forschung dazu, dass das eher den gegenteiligen Effekt hat und der Mensch degeneriert, wenn er nur auf viereckige Screens schaut, um zu lernen.

Das heißt, man kann mit technischen und nur kognitiven Mitteln keine echte Entwicklung anregen. Denn der Mensch kommuniziert und lernt ja nicht nur kognitiv, sondern wir haben einen Körper, wir haben ein Gefühlsleben und eben auch eine Gedankenwelt. Und von daher empfinde ich das jetzt gerade als eine hochspannende Zeit, da genau hinzuschauen, wie müssen Kinder eigentlich ausgebildet werden.

Lesen Sie auch die Filmkritik: Bildung mit Präsenz und Empathie – Der Film Teachers For Life

Foto: privat

Julian Wildgruber, Filmregisseur, Mindfulness Trainer und Keynote Speaker, beschäftigt sich mit der Frage, wie wir als Menschen bewusst eine soziale und ökologisch sinnvolle Welt gestalten können. Sein Dokumentarfilm “From Business to being” erschien 2016. www.madevision.com

Das AVE Institut hat den Film Teachers For Life produziert. Es betreibt ein Portal für Achtsamkeit in der Pädagogik.

Zur Filmwebsite

 

 

 

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