Tagung “Wisdom2.0” mit 2500 Besuchern
Achtsamkeit und Meditation im Geschäftsleben waren die Themen der Tagung Wisdom2.0 in San Francisco. Hier traf sich die Creme de la Creme der IT- und High Tech-Unternehmen mit Experten der Yoga- und Achtsamkeitspraxis, um über das gute Leben nachzudenken.
Man will dabei sein, wenn die Gurus vom Silicon Valley wie die Gründer von Facebook, Twitter, eBay, PayPal sowie die Manager von Google, Microsoft, Cisco zusammen kommen, um mit Meditationslehrern über erfolgreiches Arbeiten und inneres Wachstum zu sprechen. Auf der Tagung Wisdom 2.0 in San Francisco Ende Februar 2015 versammelten sich 2500 Besucher – zehn Mal so viel wie noch vor fünf Jahren.
Während in Deutschland über “Beschleunigung und Entfremdung” (Der Spiegel) diskutiert wird, geht es hier um nichts Geringeres, als Modelle für ein “Leben mit Achtsamkeit, Mitgefühl und Weisheit” zu erkunden. Der Ausgangspunkt ist ähnlich. Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Gallup sind im Jahr 2014 sowohl in Deutschland als auch in den USA 70 Prozent der Arbeitnehmer kaum motiviert, 23 Prozent haben keine Bindung zu ihrem Job. Daraus folgen eine geringe Produktivität und Innovation, aber auch mangelndes Wohlbefinden.
Produktivität und Kundenzufriedenheit steigen überdurchschnittlich dort, wo Menschen sich leidenschaftlich für ihre Arbeit engagieren. Das Engagement der Führungskräfte ist nach Gallup der Schlüsselfaktor für den Erfolg.
Auf Wisdom 2.0 reichte die Spanne der Themen von Achtsamkeit und Meditation in Betrieben, verändertem Verbraucherverhalten, Frauen in Führungspositionen, Wirkung des Handys auf die Tiefe der Kommunikation bis zu neuen Gemeinschaften verschiedener Rassen. Was die Beiträge locker verband, waren die Suche nach einer persönlichen und betrieblichen Mission und die Meditation. Zufriedenheit, so die Idee, entsteht im Gleichgewicht von innerer (persönlicher) und äußerer (technischer und sozialer) Entwicklung.
Achtsamkeitsbewegung in amerikanischen Firmen
In den USA paktizieren so viele Menschen und Firmen aus unterschiedlichsten Branchen Meditation, dass man inzwischen von einer Achtsamkeitsbewegung spricht. Ihre Anhänger stellen sich nicht gegen die Technik, sondern suchen nach Wegen, sie mit dem zu verbinden, was sie am meisten schätzen. Karen May, Personalentwicklerin bei Google, sieht den Hauptgrund für die steigende Popularität von Meditation darin, dass Menschen und Firmen die Wirkung von Achtsamkeit selbst erleben und positiv bewerten.
Sicher trägt auch das wissenschaftliche Interesse zur Verbreitung bei. Jon Kabat-Zinn zeigte in seinem Vortrag, wie die Zahl wissenschaftlicher Publikationen über Meditation, die pro Jahr erscheinen, von 24 im Jahr 2000 auf fast 800 in 2014 gestiegen ist. Der Neurowissenschaftler Richard Davidson, einer der bekanntesten Meditationsforscher, berichtete, dass Meditation Wohlbefinden und Glück anregt, die grauen Zellen wachsen lässt, Gene erneuert und Schmerzen lindert. Durch Meditation können Menschen ihre Gefühle verändern und damit entscheidend ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität beeinflussen.
“Jede große Organisation braucht Sinnhaftigkeit”
Jeff Weiner, CEO von LinkedIn, sprach über die Bedeutung der Vernetzung von Menschen im Berufsleben. Im Jahre 2013 gab es bei LinkedIn 277 Millionen registrierte Nutzer in über 200 Ländern. Es ist die derzeit größte weltweite Plattform dieser Art. Angeregt vom Buch des Dalai Lama “Die Regeln des Glücks” benennt er Mitgefühl als den Kern seines Managementstils.
“Wir müssen langsamer werden und uns die Zeit dafür nehmen, anderen zuzuhören, um ihren Standpunkt und ihre Herausforderungen zu verstehen.” Schnelllebigkeit, Ablenkung und der Drang zu sofortiger Bedürfniserfüllung seien die Feinde von fast allem, das in unserem Leben wichtig sei.
Weiner will langfristige Werte schaffen. Jede große Organisation brauche Sinnhaftigkeit und eine Vision. Das bedarf der authentischen Verbindung von Menschen, Reflektion und den Mut, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Für ihn ist das “Weisheit in Aktion“.
Aus der Sicht der Modemacherin Eileen Fisher gehen Persönlichkeits- und Betriebsentwicklung Hand in Hand. “Wir waren finanziell erfolgreich, aber auch ziemlich gestresst.”
Ihre Firma bietet nun Fortbildungsprogramme und verschiedene Regelungen an, die das Familienleben fördern – keine E-Mails am Wochenende, keine Sitzungen am Montag vor zehn Uhr oder am Freitag nach 13 Uhr. Weil die Ressourcen der Umwelt und der Arbeitskräfte begrenzt sind, soll der Arbeitsplatz zu einem Ort des persönlichen Wachstums und Lernens werden. “Wir können Umgebungen schaffen, in denen sich Menschen gegenseitig beim Wachstum unterstützen. Dann macht die Arbeit auch mehr Freude.”
“Die inneren Ressourcen sind ebenso wichtig wie die äußeren”
Ähnlich sah das Golbie Kamarei von der weltgrößten Investmentgesellschaft Blackrock. “Im Business sind die inneren Ressourcen genauso wichtig wie die äußeren.“ Leider hemme der Arbeitsstress sowohl die Kreativität des Einzelnen als auch die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls.
“Wir brauchen das volle Engagement der Mitarbeiter. Das kann man aber nicht kaufen.” Man strebe deshalb an, durch Meditation den Stress abzubauen und die Trennung von Privat- und Arbeitsleben zu mindern. Kamarei organisiert seit 2013 Meditationsprogramme aus unterschiedlichen Traditionen. Rund 1.400 der 12.000 Mitarbeiter nutzen die Gelegenheit, ein bis zwei Mal wöchentlich 30 Minuten zusammen zu meditieren.
Sie werden durch Apps, E-Mails, Videos, wechselnde Gastlehrer und Leadershipkurse unterstützt. Was bedeutet das für die Zukunft von Blackrock? Kamerei: “Der Wandel beginnt beim Einzelnen und mündet in einem authentischen Gemeinschaftsgefühl. Das wird sich über die Zeit auf das ganze System auswirken – und wo das hinführt, dafür sind wir offen.”
Eine der Stars war Byron Katie. Ihr Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass unser Leiden in uns selbst entsteht – im Denken, in den Geschichten und Urteilen, und nicht durch eine andere Person oder irgend etwas außerhalb von uns. Daher rät sie, sich selbst zu hinterfragen, um zu erfahren, welche Themen Stress bereiten, und sich den Ursachen der Gefühle zu nähern. Zur systematischen Untersuchung beginnt sie mit einer von vier Fragen. “Ist dieser Satz wahr?”
Google: Search Inside Yourself
Chad-Meng Tan von Google ist ein Wegbereiter für die amerikanische Achtsamkeitsbewegung . Er sprach über das Search Inside Yourself Leadership Institute, das Kurse für Tausende von Menschen in mehr als einem Dutzend Länder auf der Basis seines gleichnamigen Bestsellers anbietet.
Effektive Führung hinge davon ab, wie wir mit Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz unseren Geist nutzen und wie wir mit anderen interagieren. Von zentraler Bedeutung sei dabei die Verbindung von Weisheit (Klarheit darüber, was die beste Lösung ist) und Mitgefühl (Sorge um andere). Um Arbeitsplätze zu schaffen, wo Menschen ihr Potenzial verwirklichen können, sollten Achtsamkeit und Großzügigsein das Fundament bilden. “Die Lösung liegt innen.”
Nach der Yogawelle rollt also die Aufmerksamkeitsbewegung durch Amerika, und zwar abgekoppelt vom ethischen und religiösen Kontext. Buddhistische Kritiker sprechen von “McMindfulness”, denn Achtsamkeit in Firmen oder beim Militär einzusetzen, wo Handlungen von Gier oder Gewalt geleitet werden, erscheint ihnen problematisch. Bhikkhu Bodhi, ein bekannter amerikanischer Mönch, warnte beispielsweise, dass “ohne eine scharfe soziale Kritik buddhistische Praktiken zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung des Status Quo missbraucht werden können, um den Konsumkapitalismus zu stärken.”
Der Meditationslehrer Jack Kornfield sieht das anders. Zunächst werde Meditation in den Betrieben eingesetzt, um Stress zu mindern und ein effektiveres Arbeiten zu ermöglichen. Da die Programme aber auch Akzeptanz lehren und dadurch eine tiefere Verbindung zu sich selbst und dem Leben entstehe, würden Samen gesät, die weit über eine reine Atemtechnik hinausgehen.
“Es ist doch großartig, dass Starbucks ihre 200.000 Mitarbeiter in Achtsamkeit schulen will, um sie und ihre Kunden zufriedender zu machen. Unsere Aufgabe sollte es jetzt sein zu überlegen, wie wir das Thema Mitgefühl und soziale Verantwortung populärer machen können,” so Kornfield.
Meditationslehrer sollen mit der Wirtschaft kooperieren
Der buddhistische Meditationslehrer empfiehlt Buddhisten, sich zu öffnen und neue Arten der Kooperation zu suchen. Er selbst arbeitet zusammen dem Neurowissenschaftler Adam Gazzaley, der seit Jahren mit Videospielen neue Arten des Gehirntrainings entwickelt.
“Wenn ich in einer Klausur achtsames Atmen unterrichte, gehen den Teilnehmern bei einer 20–minütigen Meditation viele Gedanken durch den Kopf. Setze ich dann eine Feedbackschleife auf einem iPad ein, kann der Teilnehmer selbst feststellen, wann er abgelenkt ist und selber eingreifen. Ist er nach sechs Atemzügen abgelenkt, kann er die Einstellung auf vier Atemzüge ändern. Wenn nicht, kann er die Frequenz z.B. auf acht erhöhen. Ich empfinde diese unmittelbare Rückkopplung als einen wichtigen nächsten Schritt.”
Um die Kapazität und das Potenzial des Gehirns optimal zu nutzen, experimentiert Gazzaley mit der Kombination von Videospielen und Meditationsprinzipien, um die Leistungskraft des Gehirns zu steigern. Das dient sowohl Gesunden als auch Kranken und alten Menschen, um in absehbarer Zeit den Einsatz von Psychopharmaka zu reduzieren.
Gazzaley: “Ich hatte Bedenken, eine 2000 Jahre alte Tradition in einen Algorithmus zu übersetzen und auf ein iPad zu laden. Heute bietet uns die geschlossene Feedbackschleife die Möglichkeit zu sehen, welche Folgen die Übungen für die Abläufe im Gehirn des Übenden haben und wie sie diese Rhythmen kontrollieren können.”
Gazzaley hat die Zulassung von einigen Spielen bei der US Food and Drug Administration beantragt, damit sie künftig von Ärzten verordnet werden können. (Infos dazu: neuroscapelab.com)
Die Atmosphäre in San Francisco war offen. Die Menschen waren neugierig und darauf bedacht, ihr Leben als Einheit von innen und außen zu sehen, aber auch zu tagen und zu feiern. Wie Chade-Meng Tan sagte: “Es funktioniert nicht mehr, deine ganze Aufmerksamkeit auf das Arbeitsleben zu richten und dein inneres Leben zu venachlässigen. Sie sind nicht getrennt.”
Die Balance von innen und außen bedeutet aber auch, dass wir Verantwortung für die Schwächeren in unserer Gesellschaft übernehmen. Roshi Joan Halifax forderte dazu auf, Kindern, Sterbenden, Gefangenen, Heimatlosen zu helfen, neue Gemeinschaften und eine faire Ökonomie aufzubauen und Kriege zu beenden. Keiner wird da nein sagen. Doch wo beginnen? Wie der Volksmund sagt: Nichts ändert sich, außer du änderst dich. Und das war auch die Botschaft von Wisdom2.0.
Gerald Blomeyer
Nach acht Jahren in Indien und Nepal unterrichtet Gerald Blomeyer seit 2015 Wochenendkurse zur Meditation, achtsamen Kommunikation und Buddhismus in Berlin und Hamburg. Beruflich lehrte er zehn Jahre lang an Universitäten und leitete 17 Jahre lang seine eigene PR-Agentur.
Das ist ja wohl die größte Perversion von Ethik, Meditation und Achtsamkeit, die es bisher gab, aber heute – im Zeitalter der völligen ethischen Entgrenzung und Orientierungslosigkeit des Menschen und der Ökonomisierung und Kommerzialisierung von allem und jedem – offensichtlich möglich ist.
Ausgerechnet Google, Facebook, Twitter, PayPal und diese völlig irre gewordene Silicon Valley Elite, die derzeit dabei ist, im Bündnis mit dem Pentagon, der CIA und der NSA einen Menschheits-gefährdenden, globalen „technologischen Totalitarismus“ zu errichten (wie es der geniale und leider allzu früh verstorbene Frank Schirrmacher von der FAZ nannte) und damit weltweit die restlose Abschaffung jeder persönlichen Freiheit, Selbstbestimmung und demokratischen Kontrolle herbeizuführen, wollen dies nun auch noch mit buddhistischer Meditation und Achtsamkeitspraxis perfektionieren, um sich dabei besser zu fühlen und sich einreden zu können, sie würden für das Gute in der Welt arbeiten? Und buddhistische Meditationslehrer helfen ihnen dabei?
Werden jetzt ganz achtsam Milliarden von Menschen auf unserem Planeten in allen ihren Lebenstätigkeiten bis ins Kleinste überwacht, gespeichert und manipuliert, um die bereits gigantischen Profite und die weltweite Macht dieser Konzerne ins Unermessliche zu steigern? Und sollen wir uns als Buddhisten darüber auch noch freuen, darauf unsere Hoffnung setzen? Wie grenzenlos naiv, unkritisch und weltfremd muss man sein, um das zu feiern und zu begrüßen? Welchen unglaublichen Rufschaden wird das im Gegenteil für den Buddhismus und seine Achtsamkeitspraxis bedeuten, wenn das mal allgemein bekannt wird?
Freuen wir Buddhisten uns etwa auch bald darüber, wenn demnächst der deutsche BND seine Wirtschaftspionage im eigenen Land im Dienste der USA, oder Heckler&Koch seine Waffenproduktion und Exportgeschäfte oder die Folterexperten der CIA in Guantanamo oder die Piloten der US-Killerdrohnen an ihren Monitoren zuhause ihre Liquidierungsaufträge irgendwo in der Welt, also all jene ihren ach so harten Job beim Schädigen, Quälen und Töten Anderer mit Kursen in Achtsamkeit und Mitgefühl begleiten oder versüßen? Gibt es beim Buddha nicht das Prinzip der Vermeidung von Leid und Nichtbeteiligung am Verletzen empfindender Wesen, genannt ahimsa? Der Buddha wäre doch wohl eher entsetzt über solch krassen Missbrauch seines ethischen und meditativen Weges !!! Wenn das die Ethik heute ist, dann oh Graus!
Franz-Johannes
Hallo Franz-Johannes,
danke für den Kommentar. Wir wollten mit dem Artikel über die Entwicklungen in den USA informieren. Den Bericht von Gerald Blomeyer finde ich ausgewogen; er stellt die verschiedenen Positionen dar, u.a. auch die von buddhistischen Lehrern wie Bhikkhu Bodhi, Jack Kornfield und Joan Halifax mit dem Aufruf, Achtsamkeit mit Mitgefühl und sozialer Verantwortung zu verbinden.
Wir sind uns einig, dass Achtsamkeit und Ethik zusammen gehören.
Trotzdem: Wenn ich deinen Kommentar weiterdenke, frage ich mich, ob es deiner Meinung nach außerhalb des buddhistischen Kontextes gar keine Achtsamkeitspraxis geben sollte?
Hat der Buddha nicht auch Kaufleute und Mitglieder seiner eigenen Kaste, der Kriegerkaste, unterrichtet? Hat er Leute zurückgewiesen, weil sie ihm nicht gut genug waren? Und wer entscheidet überhaupt, wer gut genug ist, so dass er Achtsamkeit praktizieren darf?
Und kannst du beurteilen, welche Wirkungen die Praxis bei Mitarbeitern von großen Unternehmen hat und ob dadurch nicht doch Impulse für positive Veränderungen ausgehen?
Wo fängt man an, die Welt, die Wirtschaft, das Bildungssystem zu verbessern und Menschen zu helfen, Leiden zu lindern? Oder ist das gar nicht das Ziel? Geht es eher um die Bewahrung der reinen buddhistischen Lehre? Und für wen eigentlich?
Und dann noch die Frage, die Jack Kornfield aufwirft: ob Achtsamkeit nicht etwas Subversives hat. Wer damit ernsthaft anfängt, gelangt zu mehr Selbsterkenntnis und einem tieferen Verstehen der Auswirkungen menschlichen Handelns. Somit könnte Achtsamkeit die Brücke zu Ethik und Mitgefühl sein.
Aus diesem Grund finde ich es wichtig, offen zu bleiben. Mir gefällt das Zitat von Heinz von Foerster: “Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst”. Das ist genau das Gegenteil von Schwarz-Weiß- Denken.
Liebe Birgit,
Danke für Deine Kenntnisnahme meines Kommentars und Deine Antwort. Ich bin aber entschieden anderer Auffassung, denn Du individualisierst (und verharmlost damit) das Problem und siehst nicht den gewaltigen Kontext, in dem sich das Ganze abspielt. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn einzelne Mitarbeiter von Google oder Facebook für sich privat Meditations- oder Achtsamkeitspraxis machen. Doch was in dem Artikel eindeutig beschrieben wird, ist, dass es sich um eine Sache handelt, die von jenen Silicon Valley Unternehmen direkt, also in ihrem Sinne und Interesse und wahrscheinlich auch von ihnen finanziert organisiert und inszeniert wurde und wird. (Was natürlich für die beteiligten Yoga- und Achtsamkeitslehrer ungemein finanziell attraktiv ist, sie werden so regelrecht von Google gekauft. Kein Wunder, dass sie das super finden.)
Doch bei einer regulären Beteiligung an einer so gravierenden Entwicklung wie der globalen Vernetzung, Überwachung und Manipulation der gesamten Menschheit stellt sich doch unausweichlich die Frage nach der konkreten Ethik im Sinne von heilsamem Einfluss oder unverantwortlicher Komplizenschaft. Für mich ist das von derselben Brisanz wie die Frage, wie weit kann sich der deutsche Staat an rechtsradikalen Organisationen z.B. der NPD oder dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ direkt und aktiv durch V-Leute beteiligen? Die übliche Argumentation lautet: wir müssen uns daran beteiligen, um zu wissen, was da vor sich geht, um mildernden Einfluss auszuüben und Schlimmes zu verhindern. Die konkrete Realität, die sich inzwischen im Bundestagsausschuss und beim Münchner Prozess auf erschreckende Weise zeigte, war das krasse Gegenteil: von unseren Steuern bezahlte V-Leute trugen überhaupt erst zum Erfolg und zur Stärkung vieler rechtsextremer Vereinigungen und Aktivitäten bei, finanzierten diese, hatten in der Szene überall die Führung, gebärdeten sich als die Radikalsten, provozierten, ja organisierten sogar das, was zwar viele Anhänger insgeheim wollten, sich aber nicht auszusprechen oder auszuführen trauten. Mit anderen Worten: der deutsche Staat schuf erst das, was er mit seiner Beteiligung angeblich verhindern wollte, nämlich einen mordbereiten neuen Rassismus in unserem Land.
Sicher werden nun manche sagen, man kann doch die Mitarbeiter von Google und Facebook nicht mit dem Neonazis gleichsetzen, das sind doch alles nette, kluge, kreative, kritische Leute wie Du und ich, die nichts Böses wollen, nur ihren Job machen. Nun – diese schönen Worte der Selbstverharmlosung des eigenen Denkens und Tuns haben derzeit alle im Mund, die gerade eben noch heftigste rassistische Hasstiraden von sich gegeben haben. Es ist das, was man von den Pegida-Anhängern ständig hört: „wir sind das Volk, ganz normale Menschen, anständige Bürger, Einzelpersonen, wie äußern nur unsere Meinung, tun niemand was zuleide“. Alle Sozialforschungen über die Denkweise der Deutschen im Drittenreich zeigen uns aber auf erschütternde Weise, dass sich die überwiegende Mehrheit der Hitler-Wähler und -Schwärmer oder auch einfachen Mitläufer damals ganz genauso sahen. Auch die Mitglieder der NSDAP, die Wehrmachtssoldaten und selbst die Angehörigen der SA und SS und letztlich sogar die Wachleute, Ärzte und Kommandeure der KZ´s, sie fühlen sich alle sauber, schuldlos, selber Opfer. Und doch – wie ist das nur möglich – haben diese ach so anständigen Deutschen innerhalb von 13 Jahren das größte Mordinferno der Menschheitsgeschichte durchgeführt. Danach haben sie fast alle nichts davon gewusst, oder waren nicht dabei.
Hanna Arendt prägte als Teilnehmerin des Jerusalemer Holocaust-Prozesses gegen Adolf Eichmann das Wort von der „Banalität des Bösen“. Eichmann war als Person ein farbloser, kleinlicher, pflichtbewusster, geradezu lächerlicher Bürokrat, ein unbedeutendes Niemand. Genauso wie Millionen andere kleine brave Beamte und Angestellte des Nazi-Systems. Und doch war er mit jenen in Zusammenarbeit der Hauptorganisator einer unvorstellbaren millionenfachen Mordmaschine. Adolf Hitler war strenger Vegetarier und Hundeliebhaber, Heinrich Himmler leidenschaftlicher Esoteriker, las die Bhagavadgita. Kleine Leute, in ihrer Art geradezu schüchtern, verklemmt und lange erfolglos.
Ich will in keiner Weise die Mitarbeiter dieser Firmen mit Alt- oder Neonazis oder ihren Mitläufern gleichsetzen (ich hätte auch das Beispiel DDR und Stasi anführen können), doch was gleich ist, das ist die Tatsache, dass sie alle an einem totalitären System mitwirkten oder mitwirken und das einfach ausblenden oder sich schön zu reden versuchen. Die Frage ist die nach der Ethik bei der Beteiligung an systemischem Totalitarismus und wenn ich da auch noch so viel Gutes drin sehen will.
Die Individualisierung gesellschaftlicher und systemischer Phänomene auf Einzelpersonen ist eine gefährliche Irreführung, insbesondere in der Epoche und Zivilisation der wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Moderne. Längst gilt es zu erkennen, dass das Böse nicht mehr eigentlich von Personen ausgeht, sondern von Systemen, Institutionen, Organisationen, Unternehmen, gewaltigen konstitutiven Mächten und ihren totalitären und globalen Ideologien und Zielsetzungen. Diese sozialen Maschinen werden von vielen kleinen harmlosen netten und vor allem unkritischen Leuten bedient, die nur ihren Job tun und erhalten doch gerade von ihnen und auf Grund ihrer Blindheit (gegenüber dem, was sie tun) ihre gewaltige Macht.
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Mehrheit der Amerikaner insb. der Kalifornier und Silicon Valley Mitarbeiter, das, was sich da bei ihnen derzeit abspielt, woran sie direkt oder indirekt beteiligt sind, was sich von ihnen aus über die ganze Welt wie eine Krake oder ein Krebsgeschwür verbreitet, nicht sehen wollen. Dass sie das Bedrohliche, Unverantwortliche, Zerstörerische daran – optimistisch und begeisterungsfähig wie meistens – einfach ausblenden. Dass sie sich als Angehörige des „besten Volkes und Landes aller Völker und Länder“ sehen, das nur das Gute in die Welt bringen will und dass sie daran glauben, dass von Google oder Facebook (es nennt sich ja auch „soziales Netzwerk“) die Rettung und Heilung der Welt ausgeht. Google hat sich auch ganz bescheiden und ethisch die Leitidee gegeben, „eine bessere Welt“ und „den besseren Menschen“ zu schaffen. (Das Ziel ist die globale Cyberspace und der transhumane Cyborg).
Doch Google, Facebook, Amazon und einige andere sind eine neue Art von sozial-technisch-ökonomischen Weltmaschinen, grösser, mächtiger, effektiver, gefährlicher, totalitärer, globalisierter als es sie je in der Menschheitsgeschichte gegeben hat und ihr Ziel ist die globale und totale Lenkung der Menschheit und ihrer Zukunft. Seit Edgar Snowden und etlichen anderen, die darüber inzwischen eine Vielzahl an Dokumenten und Büchern veröffentlicht haben, wissen wir, was hier abläuft, was jene wirklich tun, was insgeheim passiert, was ihre Ziele und Visionen sind, wohin diese rasante Traumreise der Menschheit geht. (Das hielten sie lange geheim, warum wohl?)
Ist es möglich, dass eine Zeitschrift für Ethik oder dass Lehrer für Achtsamkeit das im Jahre 2015 immer noch nicht zur Kenntnis nehmen wollen? Was ist das für eine seltsam eingeschränkte Achtsamkeit? Wie können wir heute in diesen (auch extrem reichen) Machtsystemen nur die netten, kleinen, gestressten Einzelpersonen sehen und nicht die Funktion und Zielsetzung, die sie im System spielen und die vor allem das System selber spielt? Wir leben heute nicht mehr in der Zeit der bäuerlichen indischen Antike vor 2500 Jahren. Wir haben völlig andere gesellschaftlich kulturelle Verhältnisse. Das wahrzunehmen, ist auch Achtsamkeit, und eine mit einem etwas weiteren Blick, der nicht nur auf sich selbst gerichtet ist.
Es geht mir auch überhaupt nicht darum, die buddhistische Praxis der Achtsamkeit rein halten oder nur Buddhisten vorbehalten zu wollen. Es geht darum, wozu die Achtsamkeitspraxis des Buddha dienen soll. Denn für den Buddha war das in allem die wichtigste zu klärende ethische Frage. Der entsprechende Begriff heißt „cetana“, Intention, Absicht, Zielsetzung. Was tue ich eigentlich? Wem oder zu was dient das, was ich tue? Was bewirkt das, was ich hier mitrealisiere und wofür ich mich beruflich verausgabe? Hilft es, Leiden zu überwinden und geistige Freiheit zu erlangen oder schafft es nicht vielmehr neues und viel größeres Leiden und totale geistige Unfreiheit. Dienen Google und Facebook der Überwindung von Verblendung oder erzeugen sie diese nicht in einem noch viel größeren Ausmaß, als es sie je gab?
Zugleich empfinde ich es als frommen aber unrealistischen Glauben oder auch als weltferne Selbstüberschätzung, zu meinen, dass ein bisschen Achtsamkeitspraxis für Google-Mitarbeiter das verändern oder verhindern könne, woran viele politisch und wissenschaftlich aktiven Kritiker, Gegenorganisationen, -Institutionen, Vereinigungen oder Personen bisher gescheitert sind und weiter scheitern, nämlich diese bedrohliche Entwicklung zum zentralisierten technologischen Totalitarismus aufzuhalten oder zurückzunehmen. Dazu bedarf es einer kompletten Umorientierung unserer gesamten globalen Lebensweise.
Sicher kann Achtsamkeitspraxis für eine wirksame weltweite Gegenbewegung eine wichtige mentale Basis bereitstellen, aber in dieser Praxis nun ein Allheilmittel für alle Probleme der Menschheit zu sehen, ist ziemlich weltfremd und irrational. Und in Achtsamkeit im Dienste von Google oder Facebook unsere Hoffnung zu sehen, ist schlechte Religion und liefert uns neuen allmächtigen Göttern aus.
Mit herzlichem aber kritischem Gruß
Franz-Johannes Litsch
https://www.wired.com/2013/06/meditation-mindfulness-silicon-valley/