Ein Standpunkt von Jay Garfield
Freiheit bedeutet nicht die Erlaubnis zu tun und zu lassen, was wir wollen. Der Philosoph Jay Garfield untersucht die Einschränkungen unserer Grundrechte im Zuge der Corona-Krise und kommt zu dem Schluss: Die Regeln und Auflagen beschneiden nicht unsere Freiheit, sie stärken sie.
Wir, die wir das Glück haben, in liberalen Demokratien zu leben, wissen unsere individuelle Freiheit zu schätzen. Freiheit ist ein grundlegender Wert, der im Ideal der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft verankert ist. Man braucht sich nur vor Augen zu führen, wie das Leben in unfreien Gesellschaften aussieht, um sich daran zu erinnern, wie wichtig dieser Wert ist.
Allerdings verwechseln wir leicht die Freiheit, die uns so wichtig ist, mit der Erlaubnis zu tun, was wir wollen. Dann verlieren wir die Tatsache aus den Augen, dass Freiheit nicht darin besteht, keinen Einschränkungen unseres Verhaltens zu unterliegen, sondern Freiheit bringt Einschränkungen mit sich.
Diese Verwechslung von Freiheit und der Erlaubnis, alles zu tun, kann tragische Folgen haben, gerade auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Denn in diesem Ausnahmezustand werden die Einschränkungen, die Freiheit mit sich bringt, offensichtlicher und manchmal für uns auch ärgerlicher. Dies führt dann zu dem falschen Glauben, unsere Freiheit werde durch die Regeln beschnitten, die in Wirklichkeit die Freiheit im weiteren Sinne stärken.
Wir alle wissen, dass Freiheit nicht mit einer uneingeschränkten Erlaubnis verbunden ist. Die Tatsache, dass ich ein freier Bürger in einer Demokratie bin, bedeutet nicht, dass ich auf jeder Straßenseite fahren darf. Sie berechtigt mich nicht dazu, mich an Ihrem Eigentum zu bedienen. Sie bedeutet auch nicht, dass ich unschuldigen Menschen schaden kann, wenn sie mich in Rage bringen.
Jeder, der die Demokratie versteht, weiß, dass diese Einschränkungen unseres Verhaltens uns nicht weniger frei machen; sie machen uns freier und sind konstitutiv für die Freiheit selbst.
Die Tatsache, dass wir gezwungen sind, auf der rechten Straßenseite zu fahren, bedeutet, dass wir frei davon sind, ohne große Angst für Leib und Leben unterwegs zu sein. Die Tatsache, dass unser Eigentum geschützt ist, bedeutet, dass wir unsere Sicherheit in Freiheit genießen können. Die Tatsache, dass wir einander nicht schaden dürfen, macht uns frei, unseren Geschäften mit Vertrauen nachzugehen.
Es gibt keine absolute Freiheit
Wahre Freiheit ist universelle Freiheit und steht im Gegensatz zu der Erlaubnis, die einigen die Möglichkeit gibt, Dinge zu tun, die die Freiheit anderer drastisch einschränken. Aus diesem Grund argumentiert der Philosoph John Rawls, dass Freiheit nur so weit reicht, wie es mit der gleichen Freiheit für alle vereinbar ist.
Das bedeutet, die Idee der “absoluten Freiheit”, also der Freiheit, alles zu tun, was ich will, einfach nicht stimmig ist. Und das bringt uns zu den Einschränkungen unseres Verhaltens in Zeiten einer Pandemie. Sind die Auflagen wie Social Distancing, Quarantäne im Fall einer Infektion oder das Tragen von Mundschutz Beschneidungen unserer Freiheit, wie manche behaupten, oder stärken sie gerade unsere Freiheit? Ich glaube, letzteres ist eindeutig der Fall.
Es stimmt, unter normalen Umständen wären diese Auflagen eine Einschränkung der Freiheit, da sie uns ein Verhalten abverlangen würde, das wir nicht wünschen, und gleichzeitig würde es nicht ähnliche Freiheiten bei anderen fördern. Aber das trifft jetzt nicht zu.
Jeder und jede von uns sucht die Freiheit von unnötigem Krankheitsrisiko, die Freiheit, uns in der Öffentlichkeit zu bewegen, die Freiheit, unsere Arbeit zu tun. Dies sind grundlegende Freiheiten, die wir allen angedeihen lassen möchten.
Wenn in einer Situation, in der sich eine gefährliche und hoch ansteckende Krankheit ausbreitet, andere keinen Abstand einhalten oder keinen Mundschutz tragen, so wäre das, als wüden sie auf der falschen Straßenseite fahren, sich an unserem Eigentum bedienen und uns grundlos schaden.
Wenn unsere Nachbarn die Erlaubnis haben, uns zu gefährden, dann hätten wir nicht mehr Freiheit, sondern weniger. Die normalen Vorkehrungen für die öffentliche Gesundheit sind analog zu sehen zu den Verkehrsregeln und dem Strafgesetzbuch. In einer liberalen Demokratie sind es genau diese Beschränkungen, die wahre Freiheit ermöglichen.
Anstatt die scheinbaren Verletzungen unserer Freiheiten abzulehnen, sollten wir die kollektiven Beschränkungen gut heißen, ermöglichen sie uns doch die wahre kollektive Freiheit. Auf diese Weise bleiben demokratische Gemeinschaften Gemeinschaften, und so zeigen sie echten liberal-demokratischen Respekt für die individuelle Freiheit.
Jay Garfield ist Professor für Philosophie am Smith College, Northhampten, USA, und Dozent für westliche Philosophie an der tibetischen Universität in Sarnath, Indien. Ein Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit ist die interkulturelle Philosophie. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Er hat auf Ethik heute eine eigene Kolumne: „Ethische Alltagsfragen“
“Wir, die wir das Glück haben, in liberalen Demokratien zu leben…” – also da rechne ich mich und auch meine Landsleute hier in Deutschland sowie die Menschen in weiten Teilen Europas eher nicht dazu, da wir im Gegensatz zu den US-Bürgern glücklicher Weise nicht in einer liberalen, sondern in einer sozialen Demokratie leben. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied! Und was die Vereinigten Staaten von Amerika betrifft, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob man diese aufgrund ihres außenpolitischen Engagements der letzten 30 bis 40 Jahre sowie ihres Umgangs mit den eigenen Staatsbürgern (gerade jetzt sehr aktuell!) noch ernsthaft als (liberale) Demokratie bezeichnen kann?!
Ich glaube auch nicht, dass – gerade hier – in Deutschland die überwiegende Anzahl der Menschen Verständnisprobleme mit dem Begriff “Freiheit” haben. Unsere im Vergleich zu anderen Nationen sehr weitreichende Freiheit, wird nur leider gerade im Zuge der allgemeinen Corona-Hysterie in unzumutbarer und auch unrechtmäßiger Weise mit Füßen getreten.
Wir haben – zumindest hier in Deutschland – eine ganze Reihe von Grundrechten, die jedem Bürger ein Höchstmaß an Freiheit ermöglichen. Diese Rechte hat Deutschland und vor allem Europa in der Zeit von 1933 bis 1945 mit einem kaum abschätzbaren Blutzoll und Leid von Millionen von Menschen bezahlt. Nur durch diese Katastrophe sind die Deutschen zur Vernunft gekommen. Wer jetzt meint, die Bürger Deutschlands (und Europas) sollten diese Grundrechte leichtfertig wegen einer relativ harmlosen Viruserkrankung aufgeben, der spricht der europäischen und deutschen Katastrophe der NS-Zeit Hohn. Mit dem Begriff “Ethik” scheint mir diese Position ohnehin kaum vereinbar zu sein.
Sie schreiben, die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands würden “diese Grundrechte leichtfertig… aufgeben”. Das ist eine krasse Übertreibung. Die Grundrechte wurden nicht aufgegeben, sondern wurden, demokratisch legitimiert durch das Infektionsschutzgesetz, für kurze Zeit eingeschränkt zugunsten der Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Das ist natürlich eine Abwägungssache. Wenn Sie aber behaupten, Corona sei nur “eine harmlose Viruserkrankung”, dann schauen Sie bitte zum Beispiel in die USA, wo die Bevölkerung nicht geschützt wurde und so viele Tote zu beklagen sind. Der Autor des Artikel stand unter dem Eindruck der Bedrohung in den USA, die er selbst erlebt hat. Das weiß ich aus einem Gespräch mit ihm. Er fühlte sich von seiner Regierung nicht geschützt, sondern musste erfahren, dass es der US-Adminstration egal ist, wie viele Menschen sterben.
Liebe Frau Stratmann,
vielen Dank für die Darstellung ihrer Sichtweise und der Verteidigung von Herr Prof. Dr. Garfields Position. Letzterer hätte es aus meiner Sicht gar nicht bedurft, da ich Herrn Garfield sowohl inhaltlich verstanden habe als auch durchaus nachvollziehen kann, dass er bezüglich des Themas “Corona und Freiheit” aufgrund der Bedingungen in den USA eine ganz andere Haltung einnimmt als wir hier in Deutschland und vermutlich auch einnehmen muss. Dies würde ich unter der gegenwärtigen U.S.-Administration vermutlich auch. Jedoch besteht eben gerade zwischen den Bedingungen in den USA und denen der BRD ein erheblicher Unterschied, weshalb man diese tunlichst nicht über einen Kamm scheren sollte. Die Bürger des eigenen Landes gar nicht, wie im Falle der USA, zu schützen, ist nämlich eine und die Bürger eines Landes ihrer legitimen und hart erworbenen Grundrechte zu berauben und damit letztlich erheblich mehr Schaden anzurichten, als durch den Virus je entstanden wäre, wie im Falle Deutschlands, ist eine ganz andere.
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass mir die Argumentation unserer Bundesregierung, aufgrund des Infektionsschutzgesetzes angeblich unsere Grundrechte aushebeln zu dürfen, sowie das unreflektierte Nachplappern derselben in den Massenmedien, durchaus bekannt ist. Dies macht es jedoch nicht richtiger. Im Gegenteil: ich halte die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in diesem Land ganz eindeutig für verfassungswidrig und vor allem auch ethisch nicht vertretbar.
Grundrechte heißen übrigens deshalb so, weil es eben Grund-Rechte sind. Diese bestehen immer und zu jeder Zeit und dürfen deshalb nicht einem anderen Zweck geopfert werden. Diese können auch nicht “abgewogen” und mit anderen Interessen verrechnet werden. Denn ebenso wie die allgemeinen Menschenrechte der UN sind diese unveräußerlich und stehen jedem Menschen immer und zu jeder Zeit zu. Das ist ja gerade der Witz daran. Und genau dieser Punkt unterscheidet dann auch eine Demokratie von einem totalitären System. Diesen Zusammenhang nicht in seiner Klarheit zu erkennen und/oder zumindest nicht zu benennen, halte ich für unverantwortlich.
Guten Tag Frau Stratmann
Ihre Darstellung zu der Situation möchte ich gerne kommentieren. Alle Zahlen auch die der USA zeigen, dass sich die “Gefährlichkeit” durch Covid in keinster Weise von der der jährlichen Grippewellen unterschiedet! Das Gesundheitssystem der USA ist fast jedes Jahr in der gleichen Situation. Es müssen teilweise Zelte aufgebaut werden um dem Ansturm der Patienten her zu werden. Diese Bilder finden sie in unterschiedlichen Zeitungsberichten.
Zu den Todeszahlen. Diese Zahlen kamen wie in Deutschland auf eine sehr zweifelhafte Zählweise zu Stande. Das wurde inzwischen zugegeben und die Todeszahlen drastisch nach unten Korrigiert. Außerdem sind viele Patienten, vor Allem schwarze und mexikanische Patienten falsch behandelt worden. Die Behandlung mit Paracetamol z.B. ist für diese Bevölkerungsgruppen oftmals sehr problematisch und oftmals, vor Allem bei Vorerkrankungen tödlich. Und zum Thema Vorerkrankung ist ein wichtiger Faktor für die Schwere eine Covid Erkrankung Übergewicht, Diabetes usw. Die meisten der Toten litten genau darunter.
Mit freundlichem Gruß Tim Mainz
Sie halten die Maßnahmen zur Eindämnung der Corona-Pandemie für verfassungswidrig? Dann scheinen Sie die Verfassung besser zu kennen als die Gerichte. Gerade in der Anfangszeit haben sie Klagen gegen die Maßnahmen abgewiesen. Erst als die Gefahr sich abgeschwächt hat, haben sie mehr Klagen stattgegeben.
Welche Gerichte meinen Sie? Für unser Grundgesetz ist nach wie vor das Bundesverfassungsgericht zuständig und nicht irgendwelche Amts-, Land- oder Verwaltungsgerichte und erst recht nicht auf Landesebene. Mir ist nicht bekannt, dass hier bereits ein entsprechendes Urteil vorliegt. Falls Sie da mehr wissen als ich, lasse ich mich gerne von Ihnen belehren. Ansonsten schlage ich vor, die Urteile erst einmal in Ruhe abzuwarten.
Zum Beispiel hier: https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-kirche-bundesverfassungsgericht-1.4874406 Dann erinnere ich mich noch an eine Klage aus Bayern, dass die Corona-Maßnahmen nicht verhältnismäßig seien. Auch dies hat Karlsruhe abgelehnt. Zu den Demonstrationen gab es, so weit ich weiß, auch ein Urteil: Demo dürften unter Auflagen stattfinden, d.h. wenn Maßnahmen eingehalten werden.
PS Und auch untergeordnete Gerichte sprechen Recht
Eine Klageabweisung in einem ganz speziellen Fall ist noch lange kein Gerichtsverfahren und auch kein Urteil. Es sind aber noch eine ganze Reihe von Klagen anhängig und auf diese Urteile dürfen wir gespannt sein. Im Übrigen bin ich sehr dafür, sich nicht auf irgendwelche Autoritäten zu berufen, sondern selbst zu denken. Dies ist aber gerade nicht mehr sonderlich in Mode, wie uns das ganze Corona-Spektakel deutlich vor Augen führt. Aber diesen Punkt haben Philosophen schon zu allen Zeiten kritisiert und auch J.W.Goethe hat uns darauf hingewiesen, dass die Wahrheit nur von Einzelnen und niemals von der Masse gepredigt wird. Dem kann ich nur aus vollstem Herzen zustimmen.
Zitat: “Wenn in einer Situation, in der sich eine gefährliche und hoch ansteckende Krankheit ausbreitet, andere keinen Abstand einhalten oder keinen Mundschutz tragen, so wäre das, als wüden sie auf der falschen Straßenseite fahren, sich an unserem Eigentum bedienen und uns grundlos schaden.”
Genau dort liegt das Problem. Wäre es eine gefährliche Krankheit, würden wahrscheinlich alle einsehen, dass die Maßnahmen sinnvoll sind. Aber genau das ist ja nun offensichtlich nicht der Fall! Wir haben eine mit Covid eine Infektion, die sich von “Gefährlichkeit” her genau wie Grippe darstellt. Nach den Zahlen vieler Spezialisten sogar wie eine milde Grippe. Das RKI und “die Presse” nutzen Begriffe, die das Geschehen um Covid wesentlich dramatischer dar stellt als es ist. Man wird nicht müde, die “stark” steigenden Infektionszahlen in den Vordergrund zu heben ohne sie z.B. in Relation zu den stark ausgeweiteten Testzahlen zu setzen.
Auch fehlt mir in den Berichterstattungen der Fakt, dass wir selbst bei den Infektionszahlen keine 500 Kranke ind Deutschland haben. Ginge es tatsächlich um eine Berichterstattung, die ausgewogen informiert darf diese Tatsache nicht fehlen! Damit kommen wir wieder zurück zur Freiheit. Durch Tricks wird eine Realität suggeriert, die nicht den Tatsachen entspricht um unsere Freiheit einzuschränken.
Die Aussage, in anderen Ländern ist es schlimmer ist für mich kein gutes Argument. Warum sich an schlechteren Vorbildern orientieren? Wenn wir uns z.B. an Schweden orientieren, dann schneiden wir schlechter ab.
Und wo bleibt die Freiheit der Älteren? Die z.B. in den Altersheimen gar nicht gefragt werden, ob sie durch die ihnen auferlegten Maßnahmen so überhaupt geschützt werden wollen? Viele sagen:” Mir ist es viel wichtiger, meine Enkel zu sehen, wer weiß, wie lange ich das noch kann!” Genau da haben wir das oben beschriebene Dilemma. Wo hört das Recht auf Freiheit, in diesem Fall das Recht auf Schutz, des Einzelnen auf? Doch ganz sicher dort, wo das Recht auf freie Entscheidung ob ich den Schutz möchte gegen die Freiheit von tausenden steht, denen die Entscheidung einfach genommen wird.
Dieser Artikel ist dermaßen unreflektiert und baut auf der ungesagten Prämisse auf, dass der Staat jetzt und wohl immer weiß, was richtig ist, sodass er sich wie eine Erzählstunde im Religionsunterricht in der Volksschule liest. Gott wird lediglich durch Staat ersetzt. Die Deutungshoheit von (staatlicher) Wissenschaft sollte auch ein Ethiker hinterfragen, oder hat sich jetzt sogar schon in der Philosophie die Fachidiotie dermaßen zugespitzt, dass politische Philosophie und Ethik einander nur vom Hörensagen kennen? Die Aussage, dass Einschränkungen frei machen bleibt höchst problematisch, wenn sie nicht genau ausdiskutiert wird – in jedem einzelnen Fall aber dann bitte. Mann kann Verkehrsregeln nicht mit den Eingriff in die Menschenrechte vergleichen. Das ist eine Verharmlosung und bekommt einen bitteren Beigeschmack, besonders wenn man an die Umdeutung von Begriffen in Dystopien denkt. Unfreiheit ist eben nicht Freiheit,nur weil es der Staat und seine Medien beschließt.