Eine Antwort auf Sven Precht
Sven Precht setzte sich in dem Artikel „Sind wir in unseren Entscheidungen frei“ mit dem Thema Willensfreiheit auseinander. Leser Carsten Petersen schreibt in seiner Antwort, worin die menschliche Freiheit seiner Meinung nach besteht: darin, dass wir Vorstellungen haben und verschiedene Alternativen gewichten können.
Sven Precht, Autor bei ethik-heute, setzte sich in dem Artikel „Sind wir in unseren Entscheidungen frei ?“ mit der Frage auseinander, was der Mensch ist. Reduzierte man ihn auf den Körper, so sei der Begriff Freiheit nicht sinnvoll. Der Mensch, so Precht, ist mehr als die Simme seiner Teile und mehr als die Einflüsse, denen er ausgesetzt ist. Indem man sich dies bewusst macht, so Precht, gewinne man Freiheit – und zwar als handelndes Subjekt. Lesen Sie eine Antwort unseres Lesers Carsten Petersen.
Die von Sven Precht angeführte, in der westlichen Philosophie traditionell vorherrschende Trennung zwischen Körper und Geist verkompliziert dasProblem erheblich, ist aber nicht der Kern. Und die Lösung, die Precht vorschlägt, dass die Freiheit darin liege, sich bewusst zu machen, dass der Mensch mehr ist als seine Teile, ist nicht zufriedenstellen.
Im Kern geht es in dieser Diskussion um die freie Willensentscheidung. Was versteht man darunter ? Ich entscheide mich frei zur Handlung A oder B, weil ich gute Gründe dafür habe. Wenn diese Gründe wirklich ausschlaggebend für meine Entscheidung sind und nicht irgendwelche Abhängigkeiten (konkrete oder unbewusste) bestehen, die mich in dem Moment beeinflussen, dann sprechen wir von einer freien Entscheidung.
Wie aber ist das möglich – eine Frage, mit der sich jeder westliche Philosoph auseinander gesetzt hat. Denn es gibt in der Natur Gesetze, also Ursachen und deren Wirkungen, die genau und zuverlässig ablaufen. Der Mensch und sein Gehirn sind diesen Abläufen genauso unterworfen wie die Sterne, die Pflanzen und die Tiere. Wo gibt es hier Freiheit ?
Entscheidungsfreiheit braucht Gründe
Die Ursache-Wirkungskette müsste irgendwie unterbrochen werden. Denn anstatt Ursachen, die immer bestimmte Wirkungen nach sich ziehen, brauchen wir für eine freie Entscheidung Gründe. Das ist ein großer Unterschied.
Wir können aus guten Gründen eine Handlung ausführen (die dann Ursachen für weitere Wirkungen ist), die Frage ist aber,: Wie kann ein Gehirn, das selbst Teil einer determinierten Ursache-Wirkungskette ist, aus dieser Abhängigkeit ausbrechen? Dass dies nicht möglich sei, ist ja die These vieler Neurobiologen und anderer Naturwissenschaftler.
Die Alltagserfahrung sagt uns aber schon, dass es möglich ist. Sie könnten jetzt z.B. die Lektüre dieses Artikels abbrechen oder weiter lesen. Neurobiologen behaupten nun, diese Entscheidung sei unbewusst schon gefallen, das bewusste Moment darin sei eine Illusion, die nachträglich durch unser Gehirn konstruiert würde. .
Es gibt noch einen starken formalen Grund, weshalb die neurobiologische Hypothese nicht plausibel ist: Es ist die These selbst. Denn wenn die These wahr ist, dann wären auch die Neurobiologen selbst unfrei in der Aufstellung und Begründung ihrer Behauptungen, was sie sicherlich konzidieren würden.
Das heißt, die These selbst wäre verursacht durch bestimmte chemisch-physikalische Abläufe in ihren Gehirnen. Dann aber kann sie nicht wahr sein. Denn Wahrheit ist ein geistiger Wert, der in Ursache-Wirkungsketten nicht vorkommt und auch nicht vorkommen kann.
Die Sterne bewegen sich auf bestimmten Bahnen, ihre Bahnen sind nicht wahr oder unwahr, sondern sie sind nur so, wie sie sind. Wahr kann nur ein Satz sein, z.B. dass sich die Erde um die Sonne dreht, die Umlaufbahn selbst kann nicht wahr oder falsch sein, einfach weil es diese Kategorie in der Natur nicht gibt.
Freiheit und Wahrheit hängen zusammen
Die These (der Neurobiologen) kann also, wenn sie wahr ist, nicht wahr sein. Wenn sie nicht wahr ist, könnte sie wahr sein.
Nun hängen aber Wahrheit und Freiheit im Kern miteinander zusammen. Denn so, wie es Wahrheit nur in Sätzen geben kann, die den Naturgesetzen nicht unterliegen, kann es Freiheit nur geben, wenn eben diese Ursache-Wirkungskette irgendwie unterbrochen wird.
Die beiden Fragen, die eigentlich nur eine Frage ist, lauten also: Wie kommt der Geist ins Gehirn ? Wie kommt eine Lücke in die (Ursache-Wirkungs) Kette ?
Jetzt sieht man, das das Ganze tatsächlich etwas mit der Seele-Körper Problematik zu tun hat, die Precht angesprochen hat, aber man versteht genauer, wieso und wie. Denn die Trennung zwischen Seele und Körper und zwischen Geist und Natur sind analog. Es reicht nun aber nicht zu hoffen, diese Trennungen irgendwie zu überwinden, man muss schon zeigen wie das vonstatten gehen soll.
Wie kommt es, dass Sie immer noch lesen und den Artikel nicht weggelegt haben? Vielleicht weil Sie wissen wollen, welche Lösung er bereit hält? Oder weil Sie gerade nichts Besseres zu tun haben ? Wie auch immer, Sie haben sehr wahrscheinlich gute Gründe dafür.
Gründe sind nun etwas ganz anderes als Ursachen. Sie können verschiedene Gründe in Ihrer Vorstellung aufrufen und sie untereinander abwägen. Sie können dann eine Entscheidung fällen und dies mit dem Grund belegen, der Ihnen am gewichtigsten vorkommt, oder der Sie am meisten überzeugt. Im meine, genau darin liegt Ihre Freiheit, in diesem Vergleichen und Gewichten.
Ursachen hingegen determinieren ihre Wirkungen eindeutig und immer gleich. Das ist auch gut so, denn wie könnten wir in dieser Welt leben, wenn das Weinglas, das Ihnen aus der Hand gerutscht ist, einmal herunter fällt und ein anderes Mal nicht?
Da ein Gehirn selbst biologischen, chemischen und physikalischen Gesetzen unterworfen ist, fragt sich, wie es sein kann, dass dieses Gehirn etwas Undeterminiertes (Vergleichen und Gewichten) tut. Das Gehirn kann das, weil es sich etwas vorstellen kann.
Vorstellung und Realität
Stellen Sie sich einen Apfel vor, sein Aussehen und Gewicht, seinen Geruch und Geschmack. Diese Vorstellung kann sehr genau sein (und sehr verführerisch), aber sie ist kein Apfel, Sie können sie nicht essen. Aber Sie können entscheiden, jetzt zur Obstschale zu gehen und einen Apfel zu nehmen und ihn zu essen. Sie können es auch sein lassen. Diese Freiheit haben Sie nur, weil Sie sich einen Apfel vorstellen können.
Eine Vorstellung ist nun eine Art Verdopplung. Die Vorstellung von einem Apfel ist nicht der Apfel selbst, aber sie kommt ihm nahe. Die Vorstellung kann alles haben, was ein Apfel hat, nur nicht seine Realität. Sie ist ein virtueller Apfel.
Die Verdopplung der Welt in Vorstellungen und Sätzen über diese Vorstellungen ist die Möglichkeit der Wahrheit (Äpfel sind gut) und der Freiheit (ich geh mir einen holen). Und genau diese Verdopplung gibt es in der Natur nicht. Die Gegenstände der Natur sind immer einzigartig. Sie können deshalb auch immer nur so oder so sein, sie haben Eigenschaften, aber keine Wahrheit.
Und deshalb sind sie auch nicht frei. Durch ihre Eigenschaften sind sie mit ihrer Ursachen-Wirkungskette verknüpft . Aber der Mensch, Sie sind es eben nicht. Nicht ganz. Frei sind Sie, weil und soweit Sie sich vorstellen können, es zu sein.
Carsten Petersen geb. 1954, studierte Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte. Er ist Lehrer, Erzieher, Vater und Imker. Lebt mit seiner Familie in Uelzen.