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Eine andere Ökonomie ist möglich

artjazz/ shutterstock.com
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Christian Felber über die Gemeinwohl-Ökonomie

Christian Felber entwirft eine Alternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft. In der Gemeinwohl-Ökonomie soll sich das Wirtschaften an Ethik und menschlichen Bedürfnissen orientieren. Über 2000 Unternehmen aus 40 Staaten sowie Gemeinden und Universitäten tragen die Bewegung.

 

Mit den Worten „Diese Wirtschaft tötet“ sprach der Papst in seiner Umweltenzyklika „Laudato si” einer wachsenden Zahl von Menschen weltweit aus der Seele. Die Bertelslmann-Stiftung erhob, dass 88 Prozent der Menschen in Deutschland und 90 Prozent in Österreich eine „neue Wirtschaftsordnung“ wünschen. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine vollständige alternative Wirtschaftsordnung, die seit 2010 von einer wachsenden Zahl unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure entwickelt wird.

Die tragenden Säulen der Gemeinwohl-Ökonomie sind nicht „neu“, sondern zeitlose Werte und Verfassungsziele. Schon Aristoteles unterschied die Wirtschaftsweise der „oikonomia“ (Geld ist ein Mittel) von der „chrematistike“ (Gelderwerb ist das Ziel). Im gleichen Geist besagt heute die bayrische Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ (Art. 151) Das Grundgesetz sieht vor, dass „Eigentum verpflichtet“ und „sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll“ (Art. 14).

Das Gemeinwohlziel wird aber heute in der realen Wirtschaft gar nicht gemessen. Es fehlen die geeigneten Erfolgsindikatoren. Heute bilden das Bruttoninlandsprodukt (Volkswirtschaft), der Finanzgewinn (Unternehmen) und die Finanzrendite (Investition) die zentralen Erfolgsindikatoren. Sie messen jedoch nur die Mittel(akkumulation) und können daher gar nichts Verlässliches über die Zielerreichung aussagen.

Das „Gemeinwohl-Produkt“ kann zukünftig anhand eines repräsentativen Indikatorensets (z. B. Gesundheit, Bildung, Teilhabe, sozialer Zusammenhalt, ökologische Stabilität, Sicherheit, subjektives Wohlbefinden) direkt die Zielerreichung und damit den „Erfolg“ einer Volkswirtschaft messen. Die konkreten Komponenten würden von der Bevölkerung in kommunalen BürgerInnenbeteiligungsprozessen selbst definiert.

Über den Erfolg entscheidet, wie hoch der Beitrag zum Gemeinwohl ist

Der „Erfolg“ eines Unternehmens, sein Beitrag zum Gemeinwohl, würde analog mit einer „Gemeinwohl-Bilanz“ gemessen. Diese beantwortet die brennendsten Fragen der Gesellschaft an alle Unternehmen, z. B.: Wie sinnvoll ist das Produkt, die Dienstleistung? Wie ökologisch wird produziert, vertrieben und entsorgt? Wie human sind die Arbeitsbedingungen? Werden Frauen und Männer gleich behandelt und bezahlt? Wie werden die Erträge verteilt? Wer trifft die Entscheidungen? Wie kooperativ verhält sich das Unternehmen auf dem Markt?

Gemessen wird in Punkten, ein Unternehmen kann derzeit maximal 1000 Punkte erreichen. Das Ergebnis könnte in einer „Gemeinwohl-Ampel“ auf allen Produkten und Dienstleistungen erscheinen, um den Konsumentinnen und Konsumenten die Kaufentscheidung zu erleichtern. Je besser das Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnis eines Unternehmens, desto mehr rechtliche Vorteile erhält es, zum Beispiel: niedrigere Steuern, Zölle, Zinsen oder Vorrang beim öffentlichen Einkauf. Mithilfe dieser marktwirtschaftlichen Anreizinstrumente werden die ethischen Produkte preisgünstiger als die unethischen. Die „Gesetze“ des Marktes würden endlich mit den Werten der Gesellschaft übereinstimmen.

Gewinn nur noch Mittel

Die Finanzbilanz bliebe erhalten, aber das Gewinnstreben könnte differenziert eingeschränkt werden: Nach wie vor verwendet werden dürfen Gewinne für soziale und ökologisch wertvolle Investitionen, Kreditrückzahlungen, begrenzte Ausschüttungen an die Mitarbeitenden oder Rückstellungen. Nicht mehr erlaubt werden hingegen: feindliche Übernahmen, Investitionen auf den Finanzmärkten, Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen mitarbeiten – mit Ausnahme der Gründern –, oder Parteispenden.

Um die Konzentration von Kapital und Macht und damit einhergehende übermäßige Ungleichheit zu verhindern, werden „negative Rückkoppelungen“ bei Einkommen, Vermögen und Unternehmensgröße eingebaut: Während der Start in das Wirtschaftsleben gefördert und harte Lebenslagen solidarisch abgefedert werden, wird mit zunehmendem Reicher-, Größer- und Mächtigerwerden das weitere Reicher- und Größerwerden immer schwieriger bis zu einer relativen Obergrenze.

Die erste Million wäre die leichteste, jede weitere immer schwerer bis zum gesetzlich festgelegten Maximum von Ungleichheit. Die Begrenzung der Ungleichheit dient der Verhinderung der Überkonzentration von ökonomischer und politischer Macht. Die Gemeinwohl-Ökonomie versteht sich deshalb nicht nur als vollethische, sondern auch eine tatsächlich liberale Marktwirtschaft, weil sie die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen für alle nicht nur propagiert, sondern auch konsequent schützt.

Internationale Bewegung

Der „Gesamtprozess Gemeinwohl-Ökonomie“ startete 2010 in Wien mit einem Dutzend klein- und mittelständischer Unternehmen. Ende 2016 unterstützen 2200 Unternehmen aus 45 Staaten die Bewegung, rund 400 haben die Gemeinwohl-Bilanz freiwillig erstellt. Darunter so unterschiedliche Unternehmen wie die Sparda Bank München, der Outdoor-Ausrüster VAUDE, der Waldviertler Kräutertee-Hersteller Sonnento, die Trumer Brauerei, die FH Burgenland oder die Lebenshilfe Tirol.

Großes Interesse an der GWÖ herrscht an Schulen, Fachhochschulen und Universitäten. Die erste Bilanz-Universität ist die Universität Barcelona. Die Universität Valencia wird 2017 einen Lehrstuhl Gemeinwohl-Ökonomie einrichten. Gemeinden sind die dritte Pionier-Gruppe der Gemeinwohl-Ökonomie. Stuttgart hat beschlossen, vier Kommunalbetriebe zu bilanzieren. Sevilla hat in einen Vertrag mit dem andalusischen Förderverein verpflichtet, Gemeinwohl-Gemeinde zu werden.

Mehrere Regionen fördern die Gemeinwohl-Bilanzerstellung. Salzburg und Baden-Württemberge haben die GWÖ im Regierungsprogramm. Den bisher größten politischen Erfolg feierte die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung auf EU-Ebene. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, ein 350-köpfiges Gremium, verfasste eine Initiativstellungnahme zur Gemeinwohl-Ökonomie: 86 Prozent der Ausschuss-Mitglieder votierten für den Einbau der Gemeinwohl-Ökonomie in den Rechtsrahmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Am Prozess der Gemeinwohl-Ökonomie kann sich jede Privatperson, jedes Unternehmen, jede Organisation und jede Gemeinde niederschwellig beteiligen. Mehrere tausend Menschen von Schweden bis Spanien, von Serbien bis Chile tun dies bereits.

Lesen Sie auch das Interview mit Christian Felber “Mehr Mut zur Demokratie”

 

Christian Felber, Gemeinwohl-ÖkonomieChristian Felber, 44, unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Tänzer, internationaler Referent und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie sowie des Projekts Bank für Gemeinwohl in Österreich. Autor von 15 Büchern, zuletzt erschienen “Ethischer Welthandel. Alternativen zu TTIP, WTO & Co., Deuticke 2017”.

 

 

 

www.ecogood.org
www.mitgruenden.at
www.christian-felber.at

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