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Christof Spitz
Gehmeditation mit Thich Nhat Hanh 1997 in Delhi |
Christof Spitz

Eine Anleitung zur Gehmeditation

Ob im Büro, in freier Natur oder mitten in der Großstadt: Gehmeditation hilft, Kraft zu schöpfen und inneren Frieden zu finden. Birgit Stratmann inspiriert mit einer kurzen Anleitung für bewusstes Gehen dazu, den Alltag zu unterbrechen und in der Gegenwart anzukommen.

 

Wir leben im Geschwindigkeitsrausch: Im Stechschritt zur Arbeit, auf dem Weg zu einer Besprechung noch schnell einen „Coffee To Go“ oder ein Sandwich in der Hand, abends rasch zum Sport oder Yoga, danach eine Verabredung mit einem Freund. Aber wozu machen wir das eigentlich? Je höher das Tempo, umso weniger werden wir eine Antwort finden. Es bleibt einfach nicht die Zeit, innezuhalten und nach der Sinnhaftigkeit unseres Tuns zu fragen.

Meditieren, achtsam sein – das finden viele erstrebenswert. Ein wohltuender Gegenpol, so denken wir. Doch still zu sitzen, fällt uns unglaublich schwer. Es ist wie eine Vollbremsung und wir verlieren die Orientierung.

Eine gute Möglichkeit, unser Stresssystem herunterzufahren, ist die Gehmeditation. Sie kann Wunder wirken, vereint sie doch Bewegung und Stille. Für viele von uns ist es leichter, den Geist im Gehen zu befrieden als im Sitzen.

Mit jedem Schritt ankommen

Gehmeditation bedeutet, dass wir bewusst gehen. Es geht nicht darum, irgendwo anzukommen, sondern einfach nur um das Gehen und das Sein im gegenwärtigen Moment. Es ist völlig zweckfrei, das ist das Erholsame daran. Diese Form der Meditation kann überall geübt werden: zu Hause im Wohnzimmer, in einem Park, auf der Straße oder sogar zwischen den Meetings im Büro oder auf dem Weg zum Supermarkt.

Normalerweise verlangsamen wir bei der Gehmeditation das Tempo, einfach weil wir dann bewusster wahrnehmen können. Vom vietnamesischen Meditationsmeister Thich Nhat Hanh ist bekannt, dass er, bevor er schwer erkrankte, all seine Wege meditierend zurücklegte, ganz langsam, sogar an Flughäfen und Bahnhöfen. Seine Betreuuer mussten immer viel Zeit einplanen.

Anleitung zum achtsamen Gehen

Probieren Sie folgende Varianten der Gehmeditation aus, wenn Sie ein paar Minuten Freiraum haben:

Beginnen Sie damit, dass Sie stehen und kurz innehalten. Spüren Sie den Boden unter den Füßen und die Aufrichtung Ihrer Wirbelsäule. Die Hände können locker vor dem Körper verschränkt werden oder entspannt neben dem Körper hängen.

Nun seien Sie sich des Atems bewusst. Nehmen Sie wahr, wie der Atem durch den Körper strömt und die Bauchdecke sich hebt und senkt. Folgen Sie einigen Atemzügen, während Sie stehen und genießen Sie diesen Moment.

Beim Gehen können Sie die Schritte mit dem Atem koordinieren, so hat es Thich Nhat Hanh häufig erklärt. Finden Sie Ihren eigenen Rhythmus: Atmen Sie ein und machen zwei oder drei Schritte, atmen Sie aus und machen wieder zwei oder drei Schritte.

Es ist wichtig, dass Sie den Atem nicht manipulieren, sondern natürlich fließen lassen. Passen Sie die Schritte Ihrem Atem an. Wenn Sie beim Ein- und Ausatmen nur einen Schritt machen können, so ist das auch gut: Einatmen, einen Schritt, ausatmen, einen Schritt.

Gehen Sie auf diese Weise langsam, aber ohne dass Sie sich allzusehr anstrengen. Bleiben Sie entspannt, dann kann sich die heilsame Wirkung dieser Praxis entfalten.

Gehen Sie, solange Sie es sich vorgenommen haben, vielleicht ein paar Minuten. Am Ende halten Sie noch ein paar Momente inne, bevor Sie Ihren täglichen Verpflichtungen nachgehen.

Es gibt vielen Formen des bewussten Gehens. Sie müssen die Schritte nicht mit dem Atem koordinieren. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir einfach der Bewegung des Gehens achtsam folgen. Wir beobachten, wie die Ferse zuerst aufsetzt und Fußballen und Zehen nacheinander langsam auf dem Boden abrollen. Es ist schwerer zu beschreiben als zu tun. Es geht darum, dass man jeden Schritt ganz bewusst wahrnimmt.

Entspannt bleiben

Bei der Gehmeditation gibt es vor allem zwei Hindernisse: Wenn Sie bei der Übung zu gesammelt und angespannt sind, könnte es passieren, dass Sie vor lauter Achtsamkeit eine rote Ampel übersehen oder mit einem Fahrrad kollidieren. Bleiben Sie also offen und wach für das, was um Sie herum geschieht.

Oder Sie schweifen ab und denken an das nächste Meeting oder die Einkaufsliste. Je schneller wir bemerken, dass wir abgelenkt sind, umso besser. Bringen Sie Ihren Geist einfach wieder in den gegenwärtigen Moment zurück und richten Sie sich wieder auf das bloße Gehen aus.

Wenn es Ihnen schwer fällt, sich auf die Geh-Übung zu konzentrieren, können Sie sich bei jedem Schritt innerlich sagen: „Ich bin angekommen, ich bin zu Hause.“

Die Gehmeditation kann auch helfen, wenn wir aufgebracht, erregt oder wütend sind. In diesem Fall hapert es nur oft an dem Willen, sich von kreisenden Gedanken abzuwenden und dem gegenwärtigen Moment zuzuwenden. Wenn das aber gelingt, ist die Gehmeditation ein gutes Mittel, innere Balance und Klarheit zurückzugewinnen.

Birgit Stratmann

Birgit Stratmann, Redakteurin bei ethik-heute, hat in den 1990er Jahren viele Male Gehmeditation bei dem bekannten Meditationsmeister Thich Nhat Hanh praktiziert.

Auch interessant: Atempause – Eine kurze Meditation

 

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[…] Achtsames Gehen: Auch hilfreich ist ein langer Spaziergang, eine Wanderung – ohne ständiges Gedudel aus dem Kopfhörer, ohne den Ehrgeiz sportlicher Leistungen, ohne irgendwelche spannenden Bushcraft-Abenteuer. Einfach nur gehen, die Natur spüren, sich selbst spüren, durchatmen – sowas bringt Klarheit in den Kopf. Wer dann auch nochmal die klassische Gehmeditation ausprobieren möchte, findet hier Anleitungen: Gehmeditation – Beispiel 1 oder Gehmeditation – Beispiel 2 […]

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