Neu: Ethik Quiz – Testen Sie Ihr Wissen

Entspannt und wach im Auge des Sturms

Foto: Harvepino/Shutterstock
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Michael Feike über die Bedeutung der Meditation für sein Leben

Noch bevor er den Kindern das Frühstück macht, meditiert Michael Feike jeden Morgen in aller Frühe. Seit Jahren sitzt er täglich rund zwei Stunden, egal, wie es ihm gerade geht. Lesen Sie, was ihn motiviert.
Morgens klingelt mein Wecker in der Regel zwischen 4.30 und 6.00 Uhr. Ich stehe dann auf, koche Tee und setze mich auf ein festes Kissen, mit aufrechtem Rücken und überschlagenen Beinen. So nehme ich mir eine Stunde Zeit am frühen Morgen, noch bevor ich meinen Kindern Frühstück mache.
Auch meditiere ich meist noch eine weitere halbe Stunde bis Stunde, nachdem ich sie zum Schulbus und in den Kindergarten gebracht habe. Gelegentlich setze ich mich abends, nachdem sie im Bett sind, ein drittes Mal hin. Warum? Zwei Stunden täglich, das sind 14 Stunden in der Woche, sprich ein Teilzeitjob.
Ich meditiere seit etwa 18 Jahren. Täglich, egal was passiert, manchmal, in Ausnahmefällen auch nur eine halbe Stunde, aber tatsächlich täglich, jeden verdammten Tag! Man könnte meinen, nach 18 Jahren regelmäßiger Meditation müsste ich irgendwie anders sein als die Menschen um mich herum; immer entspannt, selig lächelnd und allem Gewöhnlichen weit entrückt.
Aber dem ist nicht so. Ich ärgere mich, bin traurig, eifersüchtig, streite mit meiner Freundin und schimpfe meine Kinder. Warum also? Ich verdiene kein Geld damit und ernte keine Anerkennung dadurch. Dennoch raffe ich mich Morgen für Morgen auf und organisiere meinen Tagesablauf seit vielen Jahren so, dass ich Zeit finde für eine für mich inzwischen recht zeitaufwendige Tätigkeit, deren Sinn und Zweck zunächst einmal recht nebulös erscheint?

Meditation gibt meinem Leben Sinn

Zunächst einmal ist Meditation und was sich in ihr ausdrückt, das sinnstiftende Element in meinem Leben. Sie ist Ausdruck einer sehr feinen, subtilen Ebene meines Wesens. Ich meditiere nicht, um ein anderer zu werden, sondern um in diesem Sitzen etwas auszudrücken, das immer schon da war. Auf dem Kissen beginnt unser eigentliches, letztendliches Wesen zu atmen. Dieses eigentliche Wesen ist (zumal mit Worten) sehr schwer zu fassen, weil es kein Wesen im eigentlichen Sinne ist, sondern eher eine Art grundlegende Kapazität.
Unser aller Leben ist eine bewegte Angelegenheit, ein unentwegtes Auf und Ab. Gedanken kommen und gehen. Ideen, Erinnerungen, Meinungen, Pläne, Gefühle kommen und gehen. Ärger, Gier, Eifersucht, Heiterkeit, Freude und Trauer, Sinneseindrücke kommen und gehen. Bilder, Klänge, Gerüche etc., Menschen und Lebensumstände kommen und gehen. Und in diesem ganzen geschäftigen, ununterbrochenen Kommen und Gehen verlieren wir sehr leicht den Kontakt zur Grundlage all dieses bunten Geschehens. Diese Grundlage ist Bewusstsein. Jemand nimmt wahr, fühlt, denkt. Der ganze kunterbunte Zirkus der Erscheinung ereignet sich im glasklaren Raum einfacher Bewusstheit. Ohne Bewusstheit keine Erscheinung. Kein Gefühl, kein Gedanke, nichts.

Alles darf erscheinen und verschwinden

Morgens auf meinem Kissen lasse ich diese bewusste Kapazität atmen und übe mich im Loslassen. Meditation ist ein freudvolles, müheloses Geschehen. Die Phänomene (Sinneseindrücke, Emotionen, Gedanken) erscheinen und verschwinden wieder. Alles darf erscheinen und alles darf wieder verschwinden. Und ich übe mich darin, von den vielfältigen Erscheinungen nicht fortgerissen zu werden – hinein in einen undurchschaubaren Strudel blinder Reaktion -, sondern entspannt und wach im Auge des Sturms zu verweilen.
Über die Jahre verlieren die Ereignisse langsam ihren Schrecken, aber auch ihre unwiderstehliche Anziehungskraft. Ganz langsam stellt sich etwas wie Gelassenheit ein. Nach wie vor berührt mich alles, was um mich herum geschieht, und ich reagiere darauf. Aber es gibt einen Raum, der mir jederzeit zugänglich ist, der vom wilden Auf und Ab, von den Tragödien und Lustspielen des Lebens unberührt bleibt. Als mein Vater starb, saß ich morgens auf meinem Kissen, als die Mutter meiner Kinder mich verließ, saß ich morgens dort.
Ich nehme mir gerne zwei Stunden täglich Zeit, um mir den Zugang zu diesem makellosen Raum entspannter Aufmerksamkeit offen zu halten. Ich wüsste meine Zeit nicht sinnvoller zu nutzen.
Und dieser Raum entspannter Aufmerksamkeit ist keine einsame Insel, fernab der alltäglichen Herausforderungen, kein Bunker, in den ich mich verkrieche, um mich den Problemen meines Alltags zu entziehen, sondern mein Kissen ist ein Trainingsraum, in dem ich lerne, langsam, Schritt für Schritt mit den Gegebenheiten meines Lebens souveräner klar zu kommen.

Meditation als soziales Geschehen

Auf meinem Kissen findet somit also auch ein soziales Geschehen statt. Hier werde ich mit der Zeit immer umgänglicher, offener, weicher. Manchmal frage ich mich: „Was tust du da eigentlich?“ und ich vermute, auch die Menschen um mich herum fragen sich das gelegentlich. Meditation zielt nicht auf spektakuläre Effekte. Sie ist dem Wasser verwandt. Wider die starken Tendenzen gewohnheitsmäßiger Enge, Eile und Blindheit öffnet sie langsam Raum und macht meine Bewegungen ganz langsam immer geschmeidiger.
Manchmal sitze ich schläfrig auf meinem Kissen, manchmal unruhig. Egal, was sich so regt in der blitzblanken Weite meiner ursprünglichen Bewusstheit, ich lasse mich nicht beirren, entspanne wieder und wieder in offener Wachheit. Es geht auf meinem Kissen nicht um eine bestimmte Art von Erfahrung, sondern um eben jene einfache, wache, bewusste Kapazität, in der jede Erfahrung sich ereignen kann, ohne dass ich mich hoffnungslos darin verliere.
Soweit, so gut. Wie funktioniert das mit dem Meditieren, wie oft, wie lange und so weiter? Niemand muss sich zwei Stunden jeden Tag auf ein Kissen setzen. Wir gehen da los, wo wir jetzt gerade stehen, Schritt für Schritt. Meditation ist wie ein Tanz: Vielleicht gibt es Naturtalente, aber in der Regel müssen wir die Drehungen und Schritte dieses Tanzes lernen. Aber es ist ein einfacher, zutiefst menschlicher Tanz, den wirklich JEDER lernen kann.
Michael Feike, 32, lebt mit seinen beiden Kindern zwischen Ammersee und Lech. Er arbeitet als Lyriker, Bauer, Gärtner, Altenpfleger, Kabelträger, Töpfer, Veranstalter und freier Autor. Lesen Sie weitere Beiträge des Autors.

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