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Fühlen ist ein subversiver Akt

Jacob Lund/ shutterstock.com
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Gastbeitrag über Politik und Gefühle

hlen ist ein Politikum. Emotionen können uns zum Spielball populistischer Propaganda machen oder uns den Weg aus einer Krise weisen, so die Autorin Vivian Dittmar. Sie ermutigt uns, auf unser Herz zu hören und durch die Gefühle hindurch neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. “Das Herz ist unser Kompass.”

In einer Gesellschaft, die an sich selbst den Anspruch erhebt, alles ganz nüchtern und rein rational zu betrachten, haben Gefühle keinen Platz. Immer wieder werden sie als Hort des Irrationalen, des Kindisch-Unreifen, des Naiv-Dummen ausgemacht.

Wenn Hass-Posts in den Sozialen Medien dank ausgeklügelter Algorythmen viral werden, weil sie bewusst unsere Emotionalität ins Visier nehmen, dann scheint diese These einmal mehr bestätigt. Genauso wenn Hassprediger demokratisch gewählt werden, weil sie gekonnt auf der Klaviatur lang geschürter Ressentiments spielen. Oder wenn basisdemokratisch Entscheidungen getroffen werden, die nüchtern betrachtet hochproblematisch in der Umsetzung sind. Dennoch oder gerade deswegen ist Fühlen heute mehr denn je ein Politikum.

I want you to panic”

Greta Thunberg, die sechzehnjährige Schwedin, deren Streik vor dem schwedischen Parlament die weltweite Fridays for Future-Bewegung in Gang setzte, sagt: „I want you to panic” (Ich will, dass Ihr in Panik gerartet). Weil wir über das Denken alleine die Dringlichkeit der Lage nicht begreifen können.

Natürlich können wir das Ausmaß der Problematik erfassen. Wir können uns mit den Daten befassen und erkennen, dass wir mit dem Überschreiten der 1,5 Grad-Grenze ein nicht-kalkulierbares Risiko eingehen. Doch so lange diese Erkenntnis rein rational bleibt, können wir endlos darüber diskutieren, wer daran schuld ist, ob es wirklich so schlimm ist, wer den ersten Schritt machen sollte, welche Maßnahme wohl am besten geeignet sei, um es zu verhindern, oder wessen Lobbyinteressen womöglich wichtiger sind. Inzwischen vergehen kostbare Jahre, in denen sich stillschweigend das größte Artensterben in der Geschichte der Menschheit vollzieht. Alle fünfzehn Minuten stirbt eine Art. Alle fünfzehn Minuten.1 Kannst du die Bedeutung dieser Worte fühlen?

Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, dann waren es immer die Gefühle, die Menschen zu Veränderungen bewegt haben. Die Französische Revolution war keine wohlüberlegte Angelegenheit, genauso wenig der Fall der Mauer, die Durchsetzung des Frauenwahlrechts, die Bürgerrechtsbewegung in den USA, das Ende der Kolonialzeit in Indien oder der Apartheit in Südafrika.

In all diesen Fällen, wo wichtige Weichen gestellt und Veränderungen erkämpft wurden, die heute ein kostbarer und zugleich selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaftsordnung sind, haben Menschen gewagt, auf ihr Herz zu hören und zu spüren, dass eine Veränderung ansteht. Sie haben wider jeder Vernunft auf jene leise, aber unerbittliche Stimme gehört, die sagte: „Das ist falsch, das ist lebensfeindlich, das ist unmenschlich.”

Emotionale Manipulation vs. Bewusstes Fühlen

Menschen, die auf ihr Herz hören, sind unangenehm. Sie stellen den Status Quo in Frage und bewegen durch ihre schlichte Aufrichtigkeit die Welt. Eine bewährte Strategie, sie zum Schweigen zu bringen, ist der Zynismus. Ob Marie-Antoinettes berühmter Ausspruch, das Volk solle doch Kuchen essen, wenn es kein Brot mehr habe, oder die Aussage des Herrn Lindner, die Kinder sollten den Klimaschutz den Profis überlassen: Herablassender Hohn ist ein Merkmal falscher Selbstsicherheit der herrschenden Klasse.

Spott und Häme treffen uns mitten ins Herz und bringen es schimmstenfalls zum Schweigen. Wir fügen uns ein in den konformistischen Trott der Masse und legen unsere Träume ad acta. Umso wichtiger ist es, diesen Zynismus als das zu erkennen, was er ist: eine Abwehrreaktion, in der sich die Lebensfeindlichkeit genau jener kühlen Sachlichkeit offenbart, die Gefühllosigkeit als Merkmal von Reife propagiert. Zynismus ist eine Waffe, die nur jenen wehtut, die den Mut haben, zu fühlen. Es ist ein intellektuelles Pestizid, das aber eben nicht nur so genanntes Unkraut vernichtet, sondern Gefühle überhaupt ersticken.

So wichtig es ist, Zynismus als Pestizid in der politischen Debatte zu erkennen, so wichtig ist es, sich mit emotionaler Manipulation zu befassen. Streng genommen ist Zynismus auch nur eine Spielweise emotionaler Manipulation, da sie unser Herz zum Schweigen bringt und uns in die Pseudoabgeklärtheit der Rationalität zurückscheucht.

Doch mindestens genauso problematisch ist die emotionale Manipulation wie sie von Populisten, Lobbyisten und PR-Spezialisten eingesetzt wird. Wenn Stimmungsmache das Mittel der Wahl ist, machen Emotionen uns blind. Anders ausgedrückt: Die große Stärke des Fühlens ist es, dass es uns unmittelbar ins Tun bringen kann, denn dafür sind Gefühle da. Die große Schwäche ist, dass wir in Aktionismus verfallen können und dem erstbesten Idioten, der uns eine einfache Lösung verspricht, unsere Stimme geben. Wie erkennen wir den Unterschied?

Emotionen instrumentalisieren mit Stimmungsmache

Stimmungsmache arbeitet mit einfachen Bildern und einfachen Lösungen. Es gibt immer ein klares Feindbild und Rezepte, die alles auf einen Schlag lösen würden, wenn es nur endlich jemand in die Hand nehmen würde – Stichwort Mauerbau in den USA. Die Mexikaner sind die Ursache aller Probleme, die Mauer ist die Lösung.

Nun müssen wir nur noch den starken Mann an die Macht bringen, der dann durchgreifen kann und diese einzig richtige Lösung endlich umsetzen kann. Alle anderen sind Idioten weil sie diese einfache und geniale Lösung noch nicht erkannt haben und auch gar nicht fähig wären, sie umzusetzen. Jeder, der das nicht erkennt, ist auch ein Idiot. Die Welt teilt sich in „wir“ und „die“. Es ist zugleich aufwühlend, aber auch erlösend – aufwühlend weil persönliche Verletzungen gezielt angesprochen und instrumentalisiert werden; erlösend weil endlich alles ganz einfach ist, eine Lösung in Sicht.

Bewusstes Fühlen bedeutet, auf das eigene Herz hören

Wenn wir hingegen beginnen, auf das eigene Herz zu hören, dann ist das auch aufwühlend, es ist jedoch nicht unmittelbar erlösend. Es ist aufwühlend, weil wir beginnen zu spüren, wo durch uns Veränderung in die Welt kommen möchte. Das tut erstmal weh, denn dafür müssen wir zulassen zu fühlen, wo es Diskrepanzen gibt zwischen dem, was ist, und dem, was unser Herz als gut und richtig empfindet.

Und es ist nicht unmittelbar erlösend, denn hier geht es nicht um einfache Antworten. Zwar gibt es Maßnahmen, die auf der Hand liegen, konkrete Forderungen, um die es gehen kann – wie etwa das Frauenwahlrecht, die politische Unabhängigkeit eines Kolonialstaates, die Einführung einer CO2-Steuer oder die Streichung von Inlandsflügen. Doch diese Maßnahmen sind komplex und immer nur Teilschritte in Richtung einer Welt, in der es allen gut geht. Und es geht nicht um diese oder jene Maßnahme – es geht um das Zusammenwirken vieler Maßnahmen, die in Summe einen anstehenden Entwicklungsschritt in einer Gesellschaft ausmachen.

Unser Herz ist unser Kompass, es weist uns den Weg in eine Welt, die den Bedürfnissen aller Lebewesen besser gerecht wird. Der Kulturphilosoph Charles Eisenstein nennt sie die schönere Welt, von der unsere Herzen wissen, dass sie möglich ist. Bewusstes Fühlen bedeutet, auf das Herz zu hören und den Schmerz, der daraus entsteht, in Handlungsenergie zu übersetzen.

Anders als bei der emotionalen Stimmungsmache nutzen wir jedoch nach wie vor unseren gesunden Menschenverstand. Fakten werden nicht als Fake News abgewertet, wenn sie uns nicht in den Kram passen, sondern sind wichtige Informationen, ohne die eine Ausarbeitung der konkreten Maßnahmen nicht gelingen kann.

Der Verstand dient dem Herzen, ist ein wichtiger Ratgeber, der die Machbarkeit und Sinnhaftigkeit möglicher Lösungsansätze prüft und uns vor Fehlentscheidungen schützt. Doch er darf nicht die Macht bekommen, das Herz zum Schweigen zu bringen, indem er als überlegen dargestellt wird. Denn dann bewegen wir uns weiter in eine Richtung, die zwar rein rational Sinn zu machen scheint, jedoch systematisch unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten zerstört. Und das scheint mir, ganz nüchtern betrachtet, keine gute Idee zu sein.

1 https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/artensterben-taeglich-verschwinden-hunderte-spezies-15923248.html,abgerufen abgerufen am 15.04.2019 um 10:17 Uhr

Vivian Dittmar ist Gründerin der Be the Change Stiftung für kulturellen Wandel, die sich für eine ökologisch nachhaltige, sozial gerechte und sinnerfüllte menschliche Präsenz auf dem Planeten Erde als neues Leitmotiv unserer Zeit einsetzt. Sie ist außerdem Autorin mehrerer Bucherfolge zu den Themen emotionale Intelligenz und Beziehungskompetenz. www.viviandittmar.net, www.be-the-change.de

 

 

 

 

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