Ein Interview mit einem Kriminalbeamten
Die Mehrheit schweigt, wenn Unrecht geschieht, weiß der ehemalige Kriminalbeamte Günther Bubenitschek. Dabei ist er überzeugt, dass Zivilcourage lebenswichtig für unsere Demokratie ist. Er wünscht sich, dass mehr Menschen aufstehen, wenn sie Gewalt beobachten, und bietet Trainings für Zivilcourage an. Ein Interview von Kirsten Baumbusch.
Außer bei den Hubschraubern, den Hunden und den Pferden war Günther Bubenitschek überall bei der Polizei – auch da, wo es wehtut. „Anderen Menschen helfen“, das wollte der heute 60-Jährige schon als Kind. Nach seiner Ausbildung ist er Streife gefahren, hat bei der Kriminaltechnik in kniffligen Mordfällen ermittelt, Demonstrationen begleitet, Todesnachrichten überbracht, beim Staatsschutz gearbeitet.
Doch sein Herz, das schlug in diesem, über 43 Jahre dauernden Berufsleben mehr und mehr für die Prävention. Die Vorbeugung von Kriminalität, das war und ist sein Lebensthema – über den Ruhestand hinaus. Neben dem Engagement bei der Opferschutzvereinigung „Weißer Ring“ sensibilisiert er jetzt ehrenamtlich für die Gewaltprävention und gibt Zivilcouragetrainings. „Mut lässt sich lernen“, sagt Günther Bubenitschek.
Was macht Ihnen Mut?
Bubenitschek: Mir macht Mut, wenn ich mit dem, was ich tue für andere Menschen da sein kann und sehe, dass ich in einer konkreten Situation wirksam war.
Ein Beispiel?
Bubenitschek: Als ich noch im Ermittlungsdienst tätig war, hatte ich es öfter mit Opfern von Gewalt zu tun. Wenn die mir später sagten, dass die Art, wie ich sie befragt und ihnen die Dinge erklärt habe, ihnen sehr geholfen hat in ihrem Leid, das bedeutet mir viel.
Und in der Präventionsarbeit?
Bubenitschek: Wenn es gelang, ein Netzwerk der Unterstützung zu knüpfen oder Entscheidungsträgern klar zu machen, wie wichtig Vorbeugung ist, das waren für mich die ermutigenden Früchte meiner Arbeit.
Gleich am Anfang 1998/99 ging es bei uns in der Prävention um Jugendkriminalität. Wir hatten ein Pilotprojekt mit wissenschaftlicher Begleitung im Zuge dessen wir ein ganzes Jahr eine achte Schulklasse begleiteten. Es gab Module zu Gemeinschaft, Flow, Bindung und Vorbilder sowie Aggression, jeweils mit Vorbereitung und Reflexionsphase.
Zu dieser Zeit herrschte Aufbruchstimmung und wir konnten unglaubliche Dinge tun. Wir haben beispielsweise Versuche gemacht, mit Baseballschlägern auf Kürbisse zu prügeln. So konnten die Jugendlichen spüren, was es für eine Wucht und Wirkung hat, wenn so auf einen Menschen eingeschlagen wird.
Wir spielten mit Richtern und Staatsanwaltschaft Jugendgerichtsverfahren nach und waren verblüfft, dass die Jugendlichen härtere Strafen verhängt hätten als die Profis. Nach dem einen Schuljahr hatte sich unheimlich viel bewegt. Diese Klasse war zu einer echten Gemeinschaft geworden, alle absolvierten eine Fortbildung zur Streitschlichterin oder zum Streitschlichter. Damals habe ich verstanden, dass die Präventionsbotschaft nie ausschließlich über den Kopf vermittelt werden kann. Es muss übers Fühlen und Erleben gehen, um haften zu bleiben.
Die Mehrheit schweigt
Lässt sich Mut lernen?
Bubenitschek: Ja, ich denke schon. Am Beispiel des Zivilcouragetrainings, das wir vor ein paar Jahren entwickelt haben, möchte ich das deutlich machen. Ich habe immer wieder erfahren, dass Menschen, die Zeugen von Kriminalität geworden waren, sagten, sie hätten sich total überfordert gefühlt und nicht gewusst, was sie tun sollen. Sie taten am Ende nichts. Nicht, weil sie das wollten, sondern, weil sie nicht wussten was.
Grundsätzlich gilt: Ich muss zunächst die Situation wahrnehmen. Dann muss ich mich entschließen, etwas zu tun und dafür brauche ich ein Handlungsrepertoire, auf das ich zurückgreifen kann. Mut braucht Köpfchen, aber eben auch Gespür.
Deshalb haben wir unser Zivilcouragetraining im Tandem mit der Theaterpädagogin Stefanie Ferdinand entwickelt. Wir als Polizei hatten das Erfahrungswissen. Aber die Situation wirklich zu erleben, dazu braucht es das Improvisationstheater, das erlaubt, das Ganze im geschützten Raum durchzuspielen. Das Verrückte ist, die Leute wissen genau, dass es gespielt ist, aber die Gefühle sind echt.
Wo wäre mehr mutiges Handeln wünschenswert?
Bubenitschek: In ganz alltäglichen Situationen, bei Hass im Netz beispielsweise in der digitalen Welt. Da gibt es meiner Wahrnehmung nach keine Grenzen mehr. Es reicht nicht, dass Jugendliche Tablets oder Smartphones handhaben können. Sie müssen auch lernen, damit verantwortungsvoll umzugehen. Da engagiere ich mich jetzt vermehrt.
Ich wünsche mir außerdem mehr Menschen, die widersprechen, wenn Unrecht geschieht. Und ich wünsche mir vor allem, dass weniger Menschen dabeistehen und nichts tun. Untersuchungen zeigen, dass bei Mobbing oder Cybermobbing das Verhältnis von Mobbern zu denen, die dabeistehen und nichts tun, in aller Regel ein Drittel zu zwei Dritteln ist. Das ist die schweigende Mehrheit.
Viele wissen gar nicht, wie es geht laut zu werden
Wie kam es zu den Trainings?
Bubenitschek: 2009 gab es einen großen Aufschrei, weil ein Mann (Dominik Brunner, Anm. der Redaktion) zwei Jugendlichen, die geschlagen wurden, half und dabei selbst zu Tode kam. In dem Münchner S-Bahnhof waren sehr viele Leute und alle haben weggeschaut.
Mein Kollege Reiner Greulich und ich, denen das Thema Prävention schon damals am Herzen lag, haben uns gefragt, wer den Menschen eigentlich sagt, was sie tun könnten. Es gab die Aktion „Tu was – sechs Regeln für den Ernstfall“, das Ergebnis jahrelanger polizeilicher Erfahrung, aber kein konkretes Angebot.
Dann kam Stefanie Ferdinand als Theaterpädagogin mit hinzu und wir haben das Konzept gemeinsam entwickelt. Wie nehme ich wahr? Was schränkt die Wahrnehmung ein? Wie hole ich Hilfe? Wie setze ich die Stimme ein? Viele wissen gar nicht, wie das geht, laut zu werden. Auf die Frage, was die Teilnehmenden eines Zivilcouragetrainings bewegt, kam immer wieder der Wunsch, sicherer werden zu wollen. Alle bestätigten dann im Nachhinein, dass ihre Handlungskompetenz, auch in rechtlicher Hinsicht, enorm zugenommen habe.
Es herrscht also großer Bedarf?
Bubenitschek: Das Problem ist immer, eine Form zu finden, wie Menschen das annehmen können. Viele fürchten, sich zu blamieren. Es muss ein angstfreier, kommunikativer Raum für die Trainings sein, eine Bücherei zum Beispiel. Interessant finde ich, dass Frauen oft in der Mehrzahl sind. Die große Hürde ist zu vermitteln, warum ein solches Training sinnvoll ist.
Prävention ist wichtig
Prävention ist ein Lebensthema, oder? Gibt es in mehr als 43 Jahren Stationen, die schon in diese Richtung wiesen?
Bubenitschek: Ich hatte das Glück, Menschen zu haben, die mir Vorbild waren. Mein erster, erfahrener Polizeibeamter, der mich als 19-Jährigen an die Hand nahm, sagte immer wieder: „Mach mal langsam.“
Ich war immer neugierig auf etwas Anderes. Nach spätestens drei Jahren wollte ich wieder weiter, neue Erfahrungen sammeln. Ich war im Führungs- und Lagezentrum, nachts und am Wochenende. Bei der Kriminaltechnik durfte ich Pionierarbeit leisten, als sich die DNA-Analyse etablierte.
Aber, immer wenn man an einen Tatort kam, egal ob Gewaltopfer oder Wohnungseinbruch, fand ich es wichtig, die Menschen zu sehen und ihnen zu helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen nach einer Tat. Über die Sicherung von Wohnungen kam ich in die Prävention. Dann wurde kommunale Kriminalprävention als gesellschaftliches Feld entdeckt und es gelang uns, ein großartiges Netzwerk aufzubauen. Die kurzen Wege und die Atmosphäre des Vertrauens haben sehr viel ermöglicht.
Sind die Erfolge messbar?
Bubenitschek: Wir haben die Messbarkeit in den wissenschaftlichen Bürgerbefragungen hergestellt und auch die Kosten von Kriminalität gegen die von Vorbeugung gestellt. Die Relation ist beeindruckend. Prävention bringt gute Früchte. Oft können wir überdies zeigen, dass bestimmte Annahmen und Befürchtungen durch Zahlen nicht belegt sind, beispielsweise im Hinblick auf Gewalttaten von geflüchteten Menschen. Da konnten wir vieles objektivieren.
Welches Scheitern war wichtig?
Bubenitschek: Scheitern ist immer schmerzhaft und tut weh. In Zusammenhang mit der Strukturreform der Polizei in Baden-Württemberg gab es Verwerfungen und sehr unterschiedliche Auffassungen von Prävention. Damals fällte ich die Entscheidung, dass ich das so nicht mittragen kann. Die Konsequenz war, aus meinem Lebensthema auszusteigen. Ich ging in den Ermittlungsdienst zurück und konnte für mich erkennen, dass ich vor nichts Angst zu haben brauche, dass ich bei mir bleiben und alles lernen kann. Das hat mir meine Selbstachtung erhalten.
Was würden Freunde sagen, was Günther Bubenitschek besonders macht?
Bubenitschek: (Lacht) Ich kann schon ziemlich nervig sein. Wenn ich von einer Idee überzeugt bin, versuche ich alles, dieses Ziel zu erreichen. Dann würden sie aber auch sehen, dass ich das nicht um meiner Selbst willen tue, sondern der Sache wegen.
Bubenitschek: Die würden sagen, es ist nicht gut, sich mit ihm anzulegen. Er ist ziemlich konsequent und schwer zu beeindrucken.
Was soll man von Günther Bubenitschek als Polizisten in Erinnerung behalten?
Bubenitschek: Ich würde mir wünschen, dass Menschen sagen, er hat sich engagiert. Das wäre mir wichtig und das wäre dann auch schon gut. Mir ist schon sehr viel an Anerkennung und Ehrungen zuteil geworden. Ich kann das Erwerbsleben jetzt loslassen. Ich bin dankbar für die Chancen, die ich hatte und was ich erleben durfte. Jetzt ist das Ehrenamt dran.
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