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„Junge Menschen im Parlament beteiligen“

Foto: Titus Tamm
Foto: Titus Tamm

Interview mit einer der jüngsten Abgeordneten im Bundestag

22 junge Menschen unter 30 Jahren sind für die Grünen 2021 in den Bundestag eingezogen. Eine von ist die 26-jährige Zoe Mayer. Im Interview spricht sie über die andere Lebenswirklichkeit junger Menschen, die Vereinbarkeit von Klimaschutz und Sozialem, und darüber, warum Politik den Druck von der Straße braucht.

Das Gespräch führte Agnes Polewka

22 Grüne im neuen Bundestag sind jünger als 30 Jahre – so viele Junge gibt‘s in keiner anderen Fraktion. Sehen Sie darin eine Chance, Dinge anders zu machen, Dinge besser zu machen?

Mayer: Ich finde das zunächst einmal großartig und freue mich, meine neuen Fraktionskolleginnen und -kollegen kennen zu lernen. Wir führen viele Gespräche, es gibt eine große Tatkraft – und ja, den Willen zur Veränderung.

Politik lebt ja von unterschiedlichen Perspektiven. Gerade im Bundestag waren junge Menschen in der Vergangenheit nicht übermäßig repräsentiert. Ich sehe eine große Chance darin, die Generation unter 30 Jahren auch im Parlament zu beteiligen. Dass sie nun an ganz zentraler Stelle mitreden, die Lebenswirklichkeit junger Menschen einbringen, Gesetze machen und eben nicht mehr nur auf der Straße, in Form von Demonstrationen, im Aktivismus, ihre Stimme erheben.

Welche Themen aus der Lebenswirklichkeit junger Menschen brennen Ihnen gerade besonders unter den Nägeln?

Zunächst haben junge Menschen einen anderen Bezug zur Klimakrise. Wir haben noch deutlich länger auf diesem Planeten zu leben und sind gerade vielleicht noch in einer Lebensphase, in der wir noch nicht in der Familienplanung sind, aber uns schon fragen: Wollen wir das überhaupt – Familie gründen in so einer Zeit?

Dann sind es natürlich auch viele andere Sachen, die uns bewegen. Das fängt schon mit der Corona-Politik an. Wenn man eine ältere, gestandene Person ist, die vielleicht eine kleine Firma besitzt, dann hat man eine ganz andere Perspektive auf die Auswirkungen von Corona-Maßnahmen als jemand, der jetzt gerade frisch aus der Schule kommt. Oder jemand im Studium, der seinen Nebenjob verloren hat.

Sind jüngere Menschen in Deutschland zuletzt zu kurz gekommen?

Mayer: Ein demokratisches Parlament lebt auch davon, dass es repräsentativ für die Bevölkerung ist. Natürlich haben wir das nicht zu 100 Prozent. Es gibt noch viel mehr Akademiker als Nicht-Akademiker im Bundestag. Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen sind sicherlich auch unterrepräsentiert. Ich bin sehr froh, dass sich das mit Blick auf die Altersstruktur nun im Bundestag ändert. Und ich denke, der Mix der Perspektiven macht es am Ende.

Auch in Zukunft ist Druck von der Straße nötig, weil die Klimakrise ein existentielles Thema ist.

Und doch gibt es bei einigen Themen – Renten, Klima, Besitz – unbestritten eine gewisse Form der Generationenungerechtigkeit. Ärgert sie das?

Mayer: Ein Beispiel, über das aktuell oft gesprochen wird, ist das Thema Rente. Ich finde ein tragbares Rentensystem absolut wichtig. Wenn ich mit meinen Freunden rede, haben wir aber alle das Gefühl, wir bekommen ohnehin keine Rente mehr. Und das macht mich nachdenklich.

Es ist im Moment eine gute Zeit, um so etwas anzugehen, zu ändern. Gerade wenn es um die Generationengerechtigkeit geht. Die kann man eben auch nur führen, wenn Menschen dabei sind, die es auf andere Art und Weise betrifft.

Stichwort Fridays for Future: Braucht die Politik trotz vieler junger Parlamentarier weiterhin den Druck von der Straße, um hellhörig zu werden?

Mayer: Auf jeden Fall. Ohne den Druck von der Straße würde es nicht funktionieren. Wir sehen ja, was in den vergangenen Jahren passiert ist durch Fridays for Future. Die Klimakrise ist kein ganz neues Thema. In den Köpfen der breiten Zivilbevölkerung war das Thema aber nicht allzu präsent.

Zoe Mayer wurde mit 15 Mitglied bei den Grünen. 2021 zog sie in den Bundestag ein. Foto: Titus Tamm

Dann sind junge Menschen auf die Straße gegangen, um dafür zu demonstrieren. Und plötzlich haben sich alle damit beschäftigt. Dadurch hat sich in den vergangenen Jahren auch in der Politik ordentlich etwas im Denken verändert.

Auch in Zukunft ist Druck von der Straße nötig, weil die Klimakrise ein elementares, existentielles Thema ist. Für uns alle auf dieser Welt in diesem Jahrhundert. Deshalb müssen wir darauf aufpassen, dass dieses Thema nicht einfach wieder von der Bildfläche verschwindet.

Wenn eine Sache über längere Zeit auch mediale Präsenz hat, dann besteht immer die Gefahr, dass es wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Und deshalb bin ich auch so froh, dass Fridays for Future weiterhin aktiv ist, dass immer noch so viele Menschen auf die Straße gehen.

Wir brauchen für jede Entscheidung im Parlament eine Mehrheit. Das gilt zum einen für die Mehrheit im Bundestag. Wir brauchen zum anderen aber auch eine gesellschaftliche Mehrheit. Mit Blick auf die Klimakrise können Maßnahmen nur funktionieren, wenn auch in der Zivilbevölkerung weiterhin Menschen für einen anständigen Klimaschutz kämpfen. Denn sonst würde die Akzeptanz dafür verschwinden.

Wir müssen Soziales immer mitdenken, sonst verlieren wir schnell die Akzeptanz für den Klimaschutz.

Auch in Sachen Bildung werden Rufe nach Veränderungen laut. Wofür machen Sie sich stark?

Mayer: Bildungsthemen sind in unserem föderalen System in erster Linie Ländersache. Wir Grünen setzen uns dafür ein, dass wir mehr Kooperationsmöglichkeiten in der Bildungspolitik haben. Dass am Ende eben nicht jedes Bundesland das Rad neu erfinden muss, wenn es beispielsweise um eine anständige Corona-Politik an Schulen oder um die Digitalisierung geht.

Ein wichtiges Thema aus dem Bildungsbereich ist auch die Frage: Wie kann ich mein Studium finanzieren? Wir setzen uns für ein Bildungsbafög für alle ein.

Mayer: Damit wären wir beim großen Thema soziale Gerechtigkeit. Kommt die bei den Grünen manchmal zu kurz? Weil andere Dinge wichtiger sind?

Das sehe ich gar nicht so. Das beste Beispiel hierfür ist doch der Einkauf im Supermarkt. Wir brauchen Produkte, die bestimmte Kriterien erfüllen, und hier sind Umwelt und Soziales nicht zu trennen. Die Kriterien können sein, dass das Produkt gut für Tiere ist, gut für das Klima ist, plastikfrei, vielleicht noch regional. Und eines, bei dem die Menschen, die es herstellen, ordentlich bezahlt werden.

Das hat alles seinen Preis, das Produkt kostet mehr. Wenn aber die Menschen, die ein Produkt herstellen, anständig bezahlt werden, dann können sie sich hochwertigere Produkte leisten. Und wenn wir nicht überall Pestizide in die Umwelt einbringen, haben wir weniger Kosten, um diese Umweltverschmutzung später zu beheben.

Also lassen sich Soziales und Klimaschutz miteinander vereinbaren?

Mayer: Man darf nicht erwarten, dass jedes Instrument aus dem Klimaschutz-Bereich zu 100 Prozent für alle sozial verträglich ist. Ich glaube, an dieser Stelle hilft uns nur eine anständige Sozialpolitik. Etwa dadurch, dass wir ein anständiges Rentenniveau haben und niemand in Altersarmut leben muss. Oder dadurch, dass es einen Mindestlohn gibt, der es Menschen erlaubt, sich ganz grundsätzlich einen gewissen Lebensstandard leisten zu können und sich nicht von 450 Euro-Job zu 450-Euro-Job hangeln zu müssen.

Wir denken die sozialen Komponenten immer mit. Ein Beispiel ist unser anvisiertes Energiegeld. Dahinter steht ein gutes Modell, wie sich die CO2-Abgabe sozial verträglich gestalten ließe. Es gibt ja aktuell schon eine CO2-Abgabe für den Verkehrs- und den Heizungsbereich. Die landet im Moment einfach beim Staat. Wir möchten aber, dass das Geld wieder ausgezahlt wird an alle Bürgerinnen und Bürger.

Ich denke, wir müssen Soziales immer mitdenken, sonst verlieren wir auch ganz schnell die Akzeptanz für den Klimaschutz.

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Mit zwölf Jahren organisierte die Zoe Mayer ihre erste eigene Spendenaktion für den Tierschutz. Mit 15 wurde sie Mitglied bei den Grünen, mit 19 die jüngste Stadträtin in der Geschichte ihrer Geburtsstadt Karlsruhe. Die 26-Jährige ist Mitglied des neuen Bundestags und promoviert am Karlsruher Institut für Technologie im Bereich Klimaschutz im Gebäudesektor. Dabei erprobt sie Techniken, um energetische Schwachstellen an Gebäuden und innerhalb ganzer Quartiere aufzudecken und zu verbessern.

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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