Einblicke in die Arbeit der Flüchtlingshelfer
Victoria Vorbeck engagiert sich im Helferkreis Asyl für die Asylbewerber im Landkreis Landsberg. Doch die aktiven ehrenamtlichen Helfer fühlen sich wie viele Hilfsorganisationen in Deutschland bei der Integrationsarbeit vom Staat im Stich gelassen. Jetzt haben sie einen Protestbrief verfasst.
Victoria Vorbeck gehört nicht zu den Helfern mit bestimmten Aufgaben. Seit viele Flüchtlinge im Sommer 2015 nach Deutschland kamen, kümmert sie sich um die Asylbewerber in einigen Gemeinden im Landkreis Landsberg in Oberbayern wie Hofstetten, Hagenheim und jetzt auch um die Syrer in Lengenfeld.
Warum sie den Asylbewerbern hilft? „Weil ich ein großes Herz habe und so viel Glück empfinde, wenn ich ihnen beistehen kann.“ Sie lässt sich allerdings vor keinen Karren spannen. „Ich schenke die Zeit, die ich zur Verfügung habe, denn ich habe keinen Boss mehr, der mir etwas anschafft“, sagt die 72-jährige alte Dame selbstbewusst.
Irgendwann wurde sie einfach ´Mama Vicky` genannt, durfte die Jungs in den Arm nehmen, weil das Alter ihr das gestattet und sie das brauchen, wie sie sagt. „Ich höre ihnen zu, lache mit ihnen, ermutige sie und fahre mit ihnen gerne an einen schönen Ort.“
65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht
Bei den unterschiedlichen Religionen der Asylbewerber sieht sie nur bei einem jungen Manna einen starken Fanatismus. „Er war in der Koranschule in Afghanistan und ist davon besessen, was er da zu hören bekam.“ Doch da er fast täglich zu ihr kommt, hofft sie, seine Sichtweise langfristig verändern zu können. Neulich sagte er zu ihr, Liebe und Frieden seien das Wichtigste. „Das ist doch schon was!“
Bisher hat sie mit keinem der vielen Männer negative Erlebnisse gehabt, was die Wertschätzung den deutschen Frauen gegenüber betrifft. Alle sind ihr gegenüber höflich und vor allem hilfsbereit. Sie bieten ihr an, für sie zu putzen, zu bügeln und im Garten zu arbeiten. Doch mittlerweile sind sie alle mit Schule und mit Praktika voll ausgelastet.
Zu den Feiern der Asylbewerber werden alle Helfer eingeladen und dann tischen sie die typischen Speisen ihrer Heimat auf. Mama Vicky: „Das ist jedes Mal sehr rührend, denn soviel Geld steht ihnen auch nicht zur Verfügung.“
In den Helferkreisen menschelt es natürlich auch, wie überall, wo viele unterschiedliche Menschen aufeinander treffen. Doch das Gute für Victoria Vorbeck ist, dass sie mittlerweile eine Vielzahl von anderen Helfern aus anderen Ortschaften kennt, sie sich untereinander weiterhelfen und ständig über E-Mails in Kontakt sind.
Laut Bericht der Vereinten Nationen sind derzeit 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Doch um die einzelnen menschlichen Schicksale der Flüchtlinge in Europa kümmern sich derzeit überwiegend ehrenamtliche Helfer, oft bis zur Erschöpfung. Der Landkreis Landsberg steht da nur stellvertretend für die Situation vieler Helferkreise in Deutschland.
Leben in Sammelunterkünften
In den Sammelunterkünften in Hofstetten, Hagenheim und Lengenfeld wohnen Asylbewerber aus Eritrea, Afghanistan, Syrien und dem Iran. Das sind vor allem junge Männer zwischen 18 und 33 Jahren.
Die Afghanen sprechen Dari oder Patscho und sind Muslime. Die Eritreer sind überwiegend christlich-orthodoxen Glaubens und sprechen Tigrinya, Blin, Tigre und Arabisch. In Eritrea gibt es insgesamt neun Sprachen. Nur wenige Zuzügler haben eine Schule abgeschlossen. Die meisten wurden als Schüler zum Militärdienst verpflichtet, sind daraufhin untergetaucht und vor dem gewalttätigen und grausamen Regime später geflohen.
Die ehrenamtlichen Helferkreise sind mit ihren vielfältigen Aufgaben derzeit massiv überlastet. Viele Helfer haben anspruchsvolle Jobs und Familie und setzten sich in ihrer knapp bemessenen Freizeit trotzdem für die Flüchtlinge ein. Die Aktiven erteilen Deutschunterricht, begleiten das Alltagsgeschehen in der Unterkunft, nehmen sich Zeit für persönliche Gespräche, organisieren Fahrdienste und Freizeitaktivitäten, unterstützen die Integration in die Dorfgemeinschaft, den Einstieg ins Berufsleben und vieles mehr.
Sobald die Flüchtlinge im Landkreis die staatliche Anerkennung als Flüchtlinge erhalten, werden sie aufgefordert, aus den Sammelunterkünften auszuziehen und sich selbst um Wohnraum zu bemühen. Angedroht wird eine Leistungskürzung, sofern dieser Aufforderung nicht nachgekommen wird.
Doch die Suche nach einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Zimmer gestaltet sich nicht nur wegen der sowieso schon angespannten Situation auf dem regionalen Wohnungsmarkt, sondern auch wegen der teilweise vorhandenen Fremdenfeindlichkeit der Ortsansässigen, unerwartet schwierig.
Mama Vicky ist froh, dass drei Eritreer nach langer Suche der Helfer jetzt endlich eine Wohnung ganz in ihrer Nähe in Hofstetten gefunden haben. Das freut sie, weil sie die Jungs so gern hat. Die Syrer aus Lengenfeld schreiben ihr mittlerweile schon E-Mails in holprigem Deutsch. „Es kommt doch eine starke Bindung zustande und wir hoffen alle, dass unsere Jungs in der Nähe bleiben, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren.“ Victoria Vorbeck hat alle sehr liebgewonnen und freut sich über das Vertrauen, das sie ihr entgegenbringen.
Seit kurzem hat das Landratsamt Landsberg die Koordination der ehrenamtlichen Helferkreise im Landkreis Landsberg übernommen, nachdem zuvor das Bayerische Rote Kreuz diese Aufgabe innehatte. Dieser Umstand und das teilweise sehr unkooperative Verhalten einzelner Mitarbeiter des Landratsamtes den örtlichen Helferkreisen gegenüber erschwert die Arbeit der Helfer im Moment sehr.
So haben die Asylbewerber z. B. eine neue Hausordnung mit der Weisung bekommen, dass ab 20 Uhr niemand mehr zu Besuch kommen darf. Bei den Gästen darf nun jederzeit eine Ausweis- und Taschenkontrolle vorgenommen werden. Auch werden die Helfer oft in keiner Weise in Entscheidungen des Landratsamtes einbezogen, die Unterkünfte oder einzelne Asylbewerber direkt betreffen, obwohl doch gerade die Helfer die Situation vor Ort und die einzelnen Asylbewerber am besten kennen und auch den Schwerpunkt der Integrationsarbeit leisten.
Für Viktoria Vorbeck liegt jetzt vieles im Argen. Im Moment vernetzen sich die 40 Helferkreise im Landkreis untereinander, damit sie beim Landratsamt gemeinsam etwas zum Wohl ihrer Schützlinge erreichen können. Zwei im Helferkreis ehrenamtlich engagierte Rechtsanwälte leisten hierbei auch juristischen Beistand.
Vom Staat im Stich gelassen
Die Helfer fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. In einem Protestbrief an den Landrat Thomas Eichinger kritisierte Rechtsanwalt Thomas Fischer als Sprecher des Helferkreises die fehlende Zusammenarbeit scharf.
„Das Landratsamt muss anerkennen, dass ohne die Helfer vor Ort die Integration der inzwischen wahrscheinlich 2000 Flüchtlinge hier im Landkreis nicht gelingen kann“, heißt es in dem Schreiben. Viele Mitarbeiter der Behörde hätten offensichtlich kein Interesse, die freiwilligen Helfer vor Ort in Entscheidungen einzubeziehen oder auch nur anzuhören. „Wir bekommen immer wieder zu hören, dass uns viele Dinge nichts angehen würden und wir uns doch heraushalten sollen“, äußert Rechtanwalt Fischer seinen Unmut verbittert.
Er wirft den staatlichen Institutionen Versagen vor. Laut einer „Zuständigkeitenliste“ des Landratsamtes wären die ehrenamtlichen Helfer z. B. für Arbeitssuche und Unterstützung bei Beantragung der Arbeitserlaubnis, Informationen zu offiziellen BAMF-Integrationskursen, Verkehrserziehung, Wohnungssuche und Familiennachzug zuständig.
Der Unmut in den Helferkreisen wächst
„Wir sollen all diese Aufgaben übernehmen, uns aber aus allem, was das Landratsamt oftmals am Schreibtisch ohne jegliches Gespür für den einzelnen Flüchtling entscheidet, heraushalten?“, protestiert Rechtsanwalt Fischer. Und setzt hinzu: „Wir wollen und können uns aber nicht heraushalten.“
Der Unmut in den Helferkreisen nimmt zu. Nur, weil die Politik die sich über viele Monate ankündigende große Anzahl an Flüchtlingen schlichtweg verschlafen habe, könne dies nicht dazu führen, dass sich der Bund, der Freistaat Bayern, die Regierung von Oberbayern, der Landkreis und die Kommunen so aus der Verantwortung stehlen und den Ehrenamtlichen vor Ort zu viele Aufgaben aufbürden.
Doch die höflichen Bitten des Helferkreissprechers auf künftig verstärkte Einbindung der Ehrenamtlichen, rechtzeitige Information der Helferkreise z. B. vor Neuzuweisungen in gemeindliche Unterkünfte oder das Einhalten von Absprachen blieben bislang oftmals unerhört. Auch sechs Wochen nach Briefzustellung blieb eine Antwortreaktion bisher aus. Funkstille!
Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich. Ist der Landrat in Urlaub oder das Amt geschlossen?
Michaela Doepke
Ein kurzes Audio (12 Min.) mit einem Gesprächsausschnitt des Helferkreistreffens finden Sie in der Audiothek. Zugang haben Mitglieder im Freundeskreis von Ethik heute. Für 60 Euro im Jahr können Sie sich gern anschließen.