Kongress Meditation und Wissenschaft in Berlin
Auf dem 3. Kongress „Meditation und Wissenschaft“ präsentierten Wissenschaftler ihre neuesten Ergebnisse zur Achtsamkeitsforschung. Doch Meditation kann mehr: das Zeitempfinden und damit Bewusstsein insgesamt verändern.
Aus den schüchternen Annäherungsversuchen von Wissenschaft und Meditation ist mittlerweile eine solide Partnerschaft geworden: Neurowissenschaftler und Psychologen erforschen den Bereich des Inneren, Meditierende lassen sich verkabeln und in MRT-Röhren schieben.
Um den aktuellen Stand der Forschung zu präsentieren, luden die Identity Foundation und die Oberberg Stiftung am 24. und 25. Oktober 2014 zum 3. Mal zum Kongress „Wissenschaft und Meditation“ nach Berlin ein.
Dieses Mal standen beide Tage unter dem Motto „Zeit“, und das war ein guter Coup. Denn wer über Zeit und Zeiterleben nachdenkt, kann sich dem Thema Meditation auf einer anderen, weniger technischen Ebene nähern.
So wies Professor Michael von Brück in seiner Begrüßungsrede darauf hin, dass Menschen, die ein kontemplatives Leben führen oder regelmäßig meditieren, ein anderes Zeitgefühl haben. Er erwähnte Jean Gebsers Wort der „Zeitfreiheit“ – ein wundervoller Begriff für Menschen von heute, die ein aktives Leben führen und immer unter Zeitdruck stehen.
„Zeit ist eine Dimension der menschlichen Psyche“
So war der erste Tag dem Thema Zeit gewidmet. Der Theologe Professor Wolfgang Achtner stellte zu Beginn seines Vortrags klar, dass „Zeit eine Dimension der menschlichen Psyche ist“ und nichts Äußeres.
Dann nahm er die Zuhörer mit auf eine Zeitreise: von der mystisch-zyklischen Zeit über die rational-lineare Zeit bis hin zur mystisch-holistischen Zeit. Letztere hat eine Verbindung zu meditativen Zuständen, aber auch zu Erfahrungen in der Musik und Kunst, in denen Menschen Fülle und Ganzheit erleben.
Achtner sprach vor dem Hintergrund der christlichen Tradition von „einer erlösenden Erfahrung der Präsenz von Ewigkeit“ und führte inspirierende Zitate von William Blake (1757-1827) und Meister Eckhart (1260-1328) an.
Verlangsamung des Bewusstseins
Professor Michael von Brück konzentrierte sich in seinem Vortrag auf „das meditative Jetzt“, auf die Erfahrung im Zustand der Sammlung, wobei er Musik und Rituale miteinbezog. In diesen Kontexten verlangsamt sich das Bewusstsein, und die drei Zeiten durchdringen sich und werden als eine Einheit erfahren. Er sprach von einer „zeitewigen Gegenwart“.
Nebenbei räumte der Religionswissenschaftler mit der kuriosen, aber weit verbreiteten Annahme auf, dass sich in diesen Zuständen das Ich auflöse. Denn das Bewusstsein der „zeitewigen Gegenwart“ hat man sich nicht als einen komatösen Zustand vorzustellen. Vielmehr gehe es um eine veränderte Wahrnehmung, so dass der Meditierende die Komplexität der Erscheinungen integriert und als leer, substanzlos erkennt.
So stellte von Brück Freuds Vorstellung vom „ozeanischen Gefühl der Ich-Entgrenzung“ in Frage und setzte dagegen „die Ich-Integration im Ganzen“. Es war sehr klärend, wie der Referent diese tiefen meditativen Erfahrungen von nebulösen esoterischen Wahrnehmungen unterschied.
Wie immer auf Kongressen ist die Zeit bestimmt von Worten, Informationen, Denkanregungen. Da waren die gemeinsamen Meditationen, angeleitet von Anna Gamma und Dagmar Doko Waskönig sowie die dargebotenen musikalischen Intermezzi eine Wohltat.
An beiden Tagen entführte der Musiker Markus Stockhausen die Teilnehmer zwischendurch in die zeitlose Welt des Klangs. Auf seinem Flügelhorn spielte er meditative Musik. Manchmal lud er alle dazu ein, Töne zu summen, während er improvisierte. Singen und Stille zu verbinden ist ein Herzensthema dieses interessanten Musikers.
„Marktführer“ MBSR
Am 2. Tag folgte die Landung in der wissenschaftlichen Realität, und die Referenten präsentierten Studien zur Wirkung von Meditation. Allerdings ist das, was am Vortag angesprochen wurde, nämlich tiefere Ebenen der Erfahrung von Verbundenheit und Nicht-Dualität, heute (noch) nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.
Hier beschränkt man sich im Wesentlichen auf den derzeitigen „Marktführer“, wie Professor Sedlmeier es nannte, nämlich MBSR, Mindfulness-Based Stress Reduction. Diese Praxis der „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ fördert Entspannung und Wohlbefinden. Darauf bezieht sich ein Großteil der Forschung heute.
Professor Peter Sedlmeier stellte eine Meta-Analyse aller verfügbaren Studien zur Wirkung von MBSR auf den gesunden Menschen vor. Mit seinem Team hatte er ca. 160 qualitativ hochwertige Studien ausgewählt und Mittelwerte errechnet. Dabei ging es um Faktoren wie Aufmerksamkeit, Emotionsregulation und kognitive Fähigkeiten. Diese wurden ermittelt und mit Kontrollgruppen verglichen, die Entspannung übten oder kognitive Fähigkeiten entwickelten.
Die Ergebnisse aus dem Studien-Querschnitt sind frappierend: Meditation, so Sedlmeier, wirke noch stärker als Therapie. Starke Wirkungen seien eine verbesserte Kommunikation in der Partnerschaft, die Verringerung von Angst und negative Emotionen sowie eine erhöhte Aufmerksamkeit und insgesamt ein größeres Wohlbefinden.
Raus aus der Räucherstäbchenecke
Professor Tobias Esch präsentierte eine wissenschaftliche Evaluation des Glückstrainings von Eckhart von Hirschhausen: ein siebenwöchiges online-Programm, das er mit seinem Team im betrieblichen Umfeld der Huk-Coburg getestet hatte. Es beinhaltet u. a. Übungen zur Achtsamkeit, Dankbarkeit sowie Gutes zu tun. Die Teilnehmer erlebten im Vergleich zur Kontrollgruppe weniger Stress, mehr Glück und Lebensqualität. Esch sprach von bemerkenswerten Ergebnissen. Trotz der guten Resultate bietet die Versicherung das Training (jeden Tag 15 Minuten während der Arbeitszeit) nicht mehr an.
Einen eigenen Akzent setzte Dr. Eckhart von Hirschhausen mit einem bunten Vortrag über Themen, die ihm am Herzen liegen: Glück, Humor, positive Psychologie, Gemeinschaft. Warum, so provozierte er, würde man Achtsamkeit mit der berühmten Rosinenübung trainieren und nicht mit Schokolade? Wie könne man Lebendigkeit in die Meditationsszene bringen und näher am Leben der Menschen sein? Vor allem setzt sich der Medienstar dafür ein, Achtsamkeit und andere nützliche Übungen „raus aus der Räucherstäbchenecke“ und rein in die Gesellschaft, insbesondere in die Kindergärten und Schulen zu bringen.
Im weiteren Verlauf gab es Präsentationen zum Themenblock Meditation und Körper, etwa über die Auswirkungen von Yoga und Qi Gong sowie über „Embodiment und Depression“, also die Rolle des Körpers bei Depression und achtsamkeitsbasierten Therapieansätzen. Mit Dr. Sandra Willebordse, die Studien zum Qigong nahebrachte, war endlich mal eine Frau als Referentin auf dem Podium.
Bewusstsein verändern
Der Kongress machte deutlich: Meditation, z. B. in Form von MBSR, wirkt und steigert die Lebensqualität. Dafür gibt es seit Jahren klare Evidenzen, und es ist gut, das immer wieder ins Bewusstsein zu rufen und mehr Menschen daran teilhaben zu lassen.
Durch die Beschäftigung mit dem Thema Zeit öffneten die Veranstalter dieses Mal eine neue Tür: Meditation nicht nur funktional zu betrachten – wie wirkt was –, sondern mehr in die Tiefe zu gehen und das Verständnis von Meditation zu erweitern.
Wie am 1. Tag deutlich wurde, ist Meditation mehr als eine Technik, mit der gestresste Menschen die ersehnte Entspannung erfahren. Meditation kann Bewusstsein verändern und vielleicht sogar die Gesellschaft.
Es wäre spannend, diese Themen in einem interdisziplinären Diskurs, an dem auch Frauen beteiligt werden, weiterzuspinnen. Eine interessante Frage wäre, welche weiterführenden Ansätze es geben könnte, das Gebiet des Inneren zu erforschen.
Birgit Stratmann
Weitere Informationen:
Auf der offiziellen Kongress-Website finden Sie Informationen und die Folien einiger Vorträge
DVDs der einzelnen Vorträge können Sie bei visiongate.tv erwerben
Das Netzwerk Ethik heute bietet seit Oktober ein Weisheitstraining in vier Modulen an, das interdisziplinär angelegt ist und eine Brücke von der Achtsamkeit zur Weisheit schlägt.