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Mit Dialog gegen die Machtlosigkeit

Getty Images/ Unsplash
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Was Dialog und Philosophie bewirken können

Ist die Philosophie nur Zuschauerin der Katastrophen dieser Welt? Nein, ist der Philosoph Krisha Kops überzeugt. Die Philosophie kann zum Dialog anregen, einer echten Begegnung von Menschen und Kulturen, die auf gemeinsames Erkennen aus ist. Im Dialog erkennt man, dass das andere Teil des eigenen ist – diese Einsicht wird heute gebraucht.

Liest man dieser Tage die Schlagzeilen der internationalen Politik, bleibt einem nicht viel übrig: Man kann nur den Kopf schütteln, vielleicht die Zeitung wieder vorsichtig zusammenfalten, sich zurück ins Bett legen, Decke über Kopf und so tun, als hätte man schlecht geträumt. Oder man entkorkt sich einen Wein, den besten im Schrank, dreht die Musik („Don‘t worry, be happy“) auf und sieht so gelassen wie möglich der Apokalypse entgegen.

Die Machtlosigkeit, die man angesichts solcher Ereignisse erfährt, kann überwältigend sein. Für die Philosophin vielleicht noch mehr, ringt sie denn ohnehin Tag um Tag mit der Legitimationsfrage ihres eigenen Schaffens. Für was dieses stetige Nach-, Über-, Aus-, Er-, Ver-, Kreuz-und-Quer- und Um-die-Ecke-denken? Was hat Philosophie denn schon jemals bewirkt?

Besonders wenn es um internationale Politik geht, um das Aufeinandertreffen, mehr noch das Aufeinanderschlagen verschiedener Kulturen, Gesinnungen und Weltanschauungen, scheint die Philosophie bloß Zuschauerin des Schiffbruchs zu sein. In der Kajüte grübelt sie gemächlich vor sich hin, bis sie bemerkt, dass ihr das Wasser zu den Denkerfalten steht.

Doch ganz so ist es nicht. Lassen Sie uns, um im Bilde zu bleiben, etwas Wasser schöpfen, indem wir die Autorin Ayn Rand ausführlich zu Worte kommen lassen – selbst wenn ihre Ansichten über Philosophie mehr als streitbar sind:

„Vielleicht behaupten Sie – wie die meisten Menschen -, dass Sie nie von der Philosophie beeinflusst worden sind. Ich möchte Sie bitten, diese Behauptung zu überprüfen. Haben Sie jemals das Folgende gedacht oder gesagt? ‚Seien Sie sich nicht so sicher – niemand kann sich über irgendetwas sicher sein.‘ Diesen Gedanken haben Sie von David Hume (und vielen, vielen anderen), auch wenn Sie vielleicht noch nie von ihm gehört haben. Oder: ‚Das mag in der Theorie gut sein, aber in der Praxis funktioniert es nicht.‘ Das hast du von Platon. Oder: ‚Das war eine miese Sache, aber das ist nur menschlich, niemand ist perfekt auf dieser Welt.‘ Das hast du von Augustinus…“

Rand gibt noch viele weitere Beispiele dafür, wie sehr unser tägliches Leben von Philosophie(n) geprägt ist. Bedenken wir ferner, dass sowohl der moderne Kapitalismus als auch der Sozialismus beziehungsweise Marxismus oder Kommunismus Philosophen zu „verdanken“ sind, kann man den Einfluss der Philosophie nicht mehr ernstlich ableugnen.

Im Dialog will man gemeinsam zu einer Erkenntnis kommen

In Ordnung, Philosophie wirkt also, aber langsam, sehr langsam und irgendwo im Hintergrund. Ein Zahnrad im Getriebe der Zeit, irgendwo versteckt, klein und doch Großes bewirkend. Wie verhält es sich aber nun mit ihrem Einfluss auf die internationale Politik? Auch hier kann uns Philosophie helfende Hand sein. Zunächst, indem sie uns lehrt, dass ein Gespräch nicht gleich ein Dialog im philosophischen Sinne ist.

Sicher, selbst die Politik weiß mittlerweile, dass die Mindestvorrausetzung für jedes bilaterale Miteinander die Kommunikation ist, ein Draht zum anderen, und sei es lediglich ein rotes Telefon.

Wichtig ist allerdings nicht nur, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, sondern wie. Eine Diskussion etwa ist kein Dialog. Diskussion leitet sich vom lateinischen Wort „discussiō“ her, einem Zerbrechen oder Zerschlagen. Dies kann auf das Thema bezogen sein, das von den Diskutierenden auseinandergenommen wird, aber ebenso auf die Diskutierenden selbst.

Der Dialog hingegen leitet sich – zumindest einer Deutung nach – von „dia“ und „logos“ ab, was etwa so viel bedeutet wie „hindurch zum wahren Wort“. Es ist eine gemeinschaftliche Unternehmung, in der es nicht darum geht, den anderen zu überreden oder zu überzeugen. Vielmehr gilt es, im Hin und Wider des Wortes zum Logos zu gelangen, einem Logos, der von der jeweiligen Position unabhängig ist. Nicht die Rhetorik zählt, sondern die Philosophie, die Liebe zur Weisheit.

Wahrhaftiges Zuhören kennzeichnet einen Dialog

Der Dialog lebt davon, dass man sich dem anderen öffnet und lauscht – sprich schweigt, wenn es das Gespräch braucht. Der wahre Dialog weiß darum, dass es nicht reicht, jeden zu Wort kommen zu lassen, wie es der Liberalismus fordert. Denn die Sprache, der Diskurs ist schon immer von Macht, wenn nicht Gewalt geprägt.

Im Gespräch auf Augenhöhe steht nicht im Vordergrund, das Wort zu ergreifen, das Gespräch zu führen, sondern die Verletzlichkeit zuzulassen. Es ist ein responsives Dasein im Angesicht des anderen, ein Verantworten. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten, unserem ganzen Wesen.

Dieses wahrhaftige Zuhören, dieses Zulassen, deutet bereits an, dass dem anderen Raum gelassen wird, anders zu sein, ohne es dem eigenen zwangsweise anzugleichen. Man akzeptiert, das andere, wenn es denn sein muss, auch nicht zu verstehen, anstatt es dem eigenen Verstand zum Diener zu machen. Diese Art des Dialoges lässt eine Verbindung zu und negiert dabei weder das eigene noch das andere. Wie würde eine Politik aussehen, die weniger diskutiert und mehr dialogisiert?

Würden wir die Zeitung dann noch immer am liebsten weglegen? Dialogisiert, wie es die antike griechische genauso wie die indische, indigene, afrikanische und viele andere Philosophien zu tun wussten und teils auch heute noch immer wissen.

Das andere ist immer auch Teil des eigenen

Ja, die Philosophie kann uns sogar lehren, was es überhaupt heißt, eine Kultur zu sein, die mit einer anderen in den Austausch tritt. Gleich dem Dialog, lehrt sie, dass es weder die absolute, von allen anderen abgetrennte Kultur gibt noch, dass wir den Begriff Kultur überhaupt nicht bräuchten, weil in der Postmoderne angeblich alles bis zur Unkenntlichkeit miteinander verflochten und verwoben ist.

Und während die Philosophie uns beibringt, dass es das andere tatsächlich gibt, wird sie nicht müde, daran zu erinnern, dass dieses andere immer auch Teil des eigenen ist. Dass dieses andere in uns den Zugang ermöglicht, das andere außerhalb von uns zu verstehen, respektive zu akzeptieren, es nicht zu verstehen. Dass jedes Mal, wenn wir vermeintlich ein anderes zu unserem machen, sich nur noch mehr anderes offenbart. Wie ein Horizont, der, wenn einmal eingeholt, einen weiteren zeigt.

Die Philosophie kann noch mehr, sehr viel mehr, selbst bezogen auf die internationale Politik. Und wenn alle, gerade Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, etwas mehr zu Philosophierenden werden, vielleicht können wir dann den Schiffsruch doch noch verhindern.

Weil wir nicht nur Zuschauende sind, die Denkfalten werfen. Sondern weil dem Denken auch ein Handeln folgen kann. Oder um das Pathos sprechen zu lassen: Tausende Hände, die gemeinsam Wasser schöpfen, können ein ganzes Meer versetzen.

Foto: privat

Dr. Krisha Kops ist Philosoph und Schriftsteller. Er arbeitet an der Hochschule für Philosophie München. Dort ist er unter anderem für das Modulstudium „Ethik des interkulturellen Dialogs“ mitverantwortlich, ein neues Onlineprogramm besonders für diejenigen, die sich mit den ethischen Fragen einer globalisierten Welt auseinandersetzen. 

Infos zum Studiengang „Ethics of Intercultural Dialogue“ an der Hochschule für Philosophie München

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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