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Mit Sprache Politik machen

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Linguistik-Dozentin über politisches Framing

In unserer Sprache steckt mehr als uns bewusst ist. Linguistik-Dozentin Ute Hofmann erklärt, was Worte wie „Flüchtlingswelle“ und „Asyltourismus“ im Gehirn aktivieren. Sie mahnt zur Vorsicht, wenn Politiker und Medien durch gezieltes Framing unser Denken und unsere Werte manipulieren wollen.

Was passiert eigentlich, wenn wir sprechen? Wie beeinflusst unsere Sprache unser Denken und unser Handeln? Was geschieht genau, wenn Sie diesen Artikel lesen, wenn Sie Radio hören, im Internet chatten, sich mit Freunden unterhalten oder einer politischen Debatte folgen?

In unserer Sprache steckt viel mehr, als wir normalerweise annehmen, denn Wörter sind mehr als kurze Informationshülsen: In ihnen steckt bei weitem mehr Information als nur die reine Bedeutung des Wortes selbst. Wörter rufen automatisch viel mehr Wissensbereiche, körperliche Vorgänge und Ideen in unseren Köpfen hervor, als die meisten sich vorstellen können, wie z.B. Bewegungsabläufe, Geschmäcke, Gerüche, Gefühle, Erinnerungen etc.

Wenn Sie zum Beispiel das Wort Elefant hören oder lesen, denken Sie nicht einfach nur an das Bild eines Elefanten. Ihr Gehirn verbindet damit auch gleich dazu gehörige Gerüche und Gefühle, erfahrene Erinnerungen. Das menschliche Gehirn aktiviert eine Unmenge von Daten, die mit den jeweiligen Wörtern assoziiert werden.

Die Bedeutung von Frames in Medien und Politik

In der kognitiven Linguistik ist dieses Thema momentan hochaktuell und wird unter dem Begriff Framing stark diskutiert (frame: zu deutsch ‚Rahmen, Gerüst‘). Framing meint, dass jeder Begriff einen komplexen Deutungsrahmen (frame) umfasst. In diesem sind neben der reinen Bedeutung eines Wortes, neben seinem Bedeutungsskelett eine ganze Reihe anderer Bedeutungen vorhanden, die durch die Sprache aktiviert werden können.

Diese Frames speisen sich aus den eigenen, individuellen Erfahrungen: aus persönlichen körperlichen Erlebnissen, aus Emotionen, aus Erfahrungen mit der Sprache, mit der spezifischen Kultur oder bestimmten zwischenmenschlichen Beziehungen.

Nehmen wir einmal die Bereiche Medien und Politik: Mithilfe von Frames können zum Beispiel bewusst bestimmte Ideen bei Lesern oder Zuhörern aktiviert werden, was aktuell auch zunehmend öffentlich kritisch diskutiert und angeprangert wird.

Aus diesem Grund hat zum Beispiel die ARD im Herbst 2018 die Linguistin Elisabeth Wehling zum Thema Framing interviewt: Sie versuchte im Rahmen dieses Interviews, den konkreten Bezug von Framing zu Politik und vor allem zur Sprache in der Politik zu verdeutlichen (siehe ARD Tagesthemen vom 24.10.2018).

Framing-Check: Alarmierende Bilder

Auch die Süddeutsche Zeitung hat diese sprachliche Strategie im Sprachgebrauch vieler Politiker erkannt und den sogenannten Framing-Check ins Leben gerufen. Dort werden Begriffe oder auch Redewendungen untersucht, die auf den ersten Blick unauffällig erscheinen, aber bei genauerem Hinsehen durchaus auffällige, manchmal auch alarmierende Bilder hervorrufen.

Die dort untersuchten Worte können also entsprechende neuronale Verbindungen knüpfen, die über die eigentliche Bedeutung des Wortes hinausgehen und automatisch weitere, politisch durchaus bewusst intendierte Assoziationen evozieren, ohne dass sich Leser beziehungsweise Hörer dessen bewusst sind und sich dieser Wirkung entziehen können. Solche Wörter halten fast unbemerkt durch ihren wiederholten Gebrauch in der Öffentlichkeit Einzug in unseren Sprachschatz, mitsamt ihren neuronalen Verknüpfungen. Und hier ist nun der Weg frei, bewusst Frames bei Zuhörern bzw. Lesern zu nutzen und die Menschen damit zu manipulieren.

Gefühlte Bedrohung durch das Wort „Flüchtlingswelle“

Ein in diesem Zusammenhang oft erwähntes Beispiel ist das Wort Flüchtlingswelle. Dieser Begriff löst im menschlichen Gehirn die Bedeutungskonzepte von „Flüchtling“ und „Welle“ aus. Die meisten Menschen kennen ja sicherlich die Erfahrung, von einer Welle schon einmal umgeworfen worden zu sein. Wellen können sehr groß sein und oft bedrohlich, nicht kalkulierbar und nicht kontrollierbar. Die Zusammensetzung der Wörter Flüchtling und Welle bewirkt damit, dass Menschen, die wie eine Welle zu uns fliehen, automatisch als eine Bedrohung angesehen werden, gegen die man sich wehren muss.

Das Wort Flüchtling wird mit dem Wort Welle gleichgeschaltet, im Sinne von: Ein Flüchtling ist (wie) eine Welle. Damit können in der Politik genau solche Assoziationen geweckt werden, ohne dass die Politiker dieses negative Szenario ausdrücklich aussprechen oder ausmalen müssen.

Als weiteres Beispiel könnte man auch Asyltourismus nennen, einen Begriff, den Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in der Vergangenheit auch im Wahlkampf oft verwendete. Das Wort Tourismus wird in der Regel positiv verwendet und mit Urlaub assoziiert, mit entspanntem Umherreisen und entsprechenden positiven Erfahrungen. Es verdeutlicht nicht die beschwerlichen Umstände der Asylbewerber, ihre Nöte bei Einreise oder Antragsstellung, es kann sogar mit Begriffen wie Planbarkeit und Freiwilligkeit des Aufenthaltes assoziiert werden.

Sprache macht Politik durch Begriffe wie Asyltourismus

Damit stellt der Begriff Asyltourismus etwas Harmloses dar, was auf diejenigen, die Asyl suchen, entsprechend übertragen wird. Asylsuchende werden damit als Touristen begriffen, als Menschen, die umherreisen, freiwillig, ohne Not oder Gefahr; Assoziationen, die von den Sprechern bewusst und gezielt durch die Verwendung solcher Wörter und Wortverbindungen hervorgerufen und eingesetzt werden.

Wichtig ist dabei festzuhalten: Je häufiger eine Verknüpfung von Ideen aktiviert wird, desto stärker wird ihre neuronale Verbindung. Umgekehrt gilt entsprechend, je seltener Ideen neuronal verknüpft werden, desto schwächer ist diese Verbindung.

Vor dem Hintergrund dieser linguistischen Erkenntnisse kann man pointiert sagen, Sprache macht Politik: Durch die Verwendung bestimmter sprachlicher Begriffe werden Werte transportiert, ohne dass man diese explizit nennen muss. Denn gegen Frames kann sich niemand wehren, sie werden automatisch aktiviert, sobald wir bestimmte Wörter hören oder lesen. Das heißt, es liegt eine ganz subtile Gefährdung vor im politischen Sprachgebrauch, den Politiker und Medien gezielt einsetzen können.

Die Verantwortung der Medien

Den Medien kommt dadurch eine zentrale Rolle zu, eine zentrale Rolle in ihrer Vermittlung von Information und Wissen. Denn in diesem Zusammenhang wird es zunehmend elementar, sich der Rolle der Sprache bewusst zu werden und der Frage danach, wo Information aufhört und wo Manipulation anfängt.

Erkenntnisse über politisches Framing müssten Journalisten bekannt sein, damit sie Frames in der Öffentlichkeit, z.B. bei den parlamentarischen Auftritten von Politikern, aufdecken und diskutieren können. Werden Begriffe wie Flüchtlingswelle in der politischen Sprache verwendet, könnten Journalisten auf die problematische Verknüpfung dieser beiden Wörter und ihre entsprechenden Assoziationen aufmerksam machen und versuchen, stattdessen neutrale Wörter zu verwenden, hier zum Beispiel einfach Migration, bzw. Flucht- oder Migrationsbewegung (siehe Framing-Check der SZ).

Um die subtile Wirkung von Framing zu verdeutlichen, möchte ich auf eine interessante Studie über politisches Framing hinweisen (1). Eine Testgruppe 1 musste folgenden Absatz lesen: „John wollte das Vogelhaus reparieren. Er schlug auf den Nagel, als sein Vater hinzukam.“ Die Testgruppe 2 las: „John wollte das Vogelhaus reparieren. Er suchte den Nagel, als sein Vater hinzukam.“

Kurze Zeit später wurde getestet, ob die Teilnehmer der Meinung waren, dass sie das Wort Hammer gelesen hätten. Dabei kam nun interessanterweise folgendes heraus: In der Testgruppe 1 meinten mehr als 50 Prozent der Beteiligten, dass sie das Wort Hammer gelesen hätten, in der Testgruppe 2 meinten dies nur 20 Prozent.

Frames erkennen: bewusster Umgang mit Sprache

Anhand dieses Beispiels lässt sich die „Arbeit“ und Reichweite von Frames erkennen: Das Wort schlug aktivierte im Gehirn vieler Teilnehmer eine ganze Menge von Wissen und individuellen Erfahrungen; und zu diesem Wissen, diesen Erfahrungen gehörte wohl auch der Begriff „Hammer“.

Frames weisen einem Wort also eine Bedeutung zu, indem sie einen Zusammenhang von diesem Wort zu unserem spezifischen Weltwissen und unseren eigenen Erfahrungen herstellen. Wie an dem obigen Beispiel deutlich wird, kann das dann so weit führen, dass mit einem Wort (im obigen Beispiel: schlug) Bilder und Ideen in unserem Gehirn aktiviert werden (Hammer), von denen wir dann sogar fest glauben, diese auch gelesen zu haben. Das heißt also, sobald der Mensch ein Wort hört oder liest, aktiviert das menschliche Gehirn nicht nur den einen, einzelnen Bedeutungsaspekt, der durch dieses Wort jeweils repräsentiert wird (schlug), sondern zusätzlich weitere andere Aspekte, Assoziationen und Ideen.

Mein Fazit: Das A und O für jeden einzelnen und für uns alle ist, dass wir bewusst mit Sprache umgehen, dass wir uns der Macht der Sprache bewusst sind und die Sprache bewusst einsetzen. Frames sind nicht per se manipulativ, Frames sind einfach Teil unserer Sprache, Teil aller Sprachen. Aber nur wenn wir uns auch der eigenen Sprache bewusst sind, nur wenn wir uns immer wieder mit ihr auseinandersetzen, können wir Kontrolle über unsere eigene Sprache haben und auf die Art und Weise mit unserer Umwelt kommunizieren, wie wir es auch beabsichtigen. Nur so können wir unsere eigene Sicht der Welt darstellen. Und nur dann können wir auch die Sprache der anderen richtig einschätzen und verstehen.

 

Dr. Ute Hofmann, Dozentin für Germanistische Linguistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Bereichen Jugendsprache, Sprachwandel und Sprachreflexion. Die Buchautorin setzt sich in vielfältigen Veröffentlichungen für den bewussten Umgang mit Sprache ein.

Anmerkungen:

(1) zur näheren Information siehe Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing, edition medienpraxis, 14, Seite 29

Fachliteratur:

Lakoff, George/ Johnson, Mark (2014): Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Carl-Auer-Systeme Verlag. Heidelberg.

Lakoff, George/ Wehling, Elisabeth (2016): Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Carl-Auer-Systeme Verlag. Heidelberg.

Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Edition medienpraxis. Köln

 

 

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