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Boughazoual/ shutterstock.com
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Als Achtsamkeitslehrer und Autor in der Schaffenskrise

Menschlich, allzumenschlich, wenn ein Achtsamkeitslehrer in einer Schaffenskrise steckt. Der Autor Steve Heitzer schildert offen und ehrlich seinen Umgang mit Gefühlen von Ohnmacht und Leere in unsicheren Zeiten und gibt Einblicke in seine Rettungsversuche.

Ich hätte nicht gedacht, dass mir das passiert. Leere, Orientierungslosigkeit, Nullpunkt. Dass mir Kraft und Kreativität so ausgehen können, und ich sehenden Auges wie auf einen toten Punkt zusteuere. Dead end. Sackgasse. Und dann immer wieder Migräne. Sie killt meine letzten Reserven.

„Nobody wants you when you‘re down and out“ (Eric Clapton). Du möchtest dich niemandem anderen zumuten, wenn du dich dir selbst kaum zumuten kannst – und schon gar nicht denen, die dir am nächsten stehen. Macht euch keine Sorgen, ich komm da schon wieder raus. Und bloß kein Mitleid. Und kein Selbstmitleid.

Verflixt, wie geht das – Achtsamkeit, Selbst-Mitgefühl? Mit den Gefühlen achtsam zu sein – wie geht das wirklich? Wenn du (zu) viel spirituelle Literatur gelesen hast und seit Jahrzehnten meditierst, betest, praktizierst und viel zu viel reflektierst, dann kann es dir passieren, dass du über Gefühle nachdenkst, bevor du sie überhaupt hast. Du rationalisierst, bevor deine Gefühle dir überhaupt eine Chance geben, sie – dich selbst – wirklich zu spüren; dann meinst du, deine Gefühle denken zu können…

„Das Mutigste, das du je gesagt hast“

Ein Kreisen, eine Spirale, die langsam nach unten führt. Aus einem Buch (1), in das ich aktuell immer wieder wie durch einen Rettungsring auftauche:

„What is the bravest thing you‘ve ever said?“ asked the boy./ „Help,“ said the horse./ „When have you been at your strongest?“ asked the boy./ „When I have dared to show my weakness.“/ „Asking for help isn‘t giving up.“ said the horse. „It‘s refusing to give up.“

Ich meinte, ich müsste jetzt etwas tun. Mich jetzt (endlich) auf eine Pilgerreise begeben. Jetzt die Zeit nützen, wo doch eh gerade alles versickert; wo die Fäden der vergangenen Monate ins Leere gehen, ausfransen, manchmal abgeschnitten wurden. Aber es ging nicht.

Ein scheinbares Zeitfenster ging doch nicht auf, es brauchte mich familiär noch – immerhin. Ich haderte und manövrierte mich beinahe selbst vollends in die Sackgasse. Das Pilgern verzerrte sich zur Fratze und machte mir Angst.

Und dann wurde mir erst klar, wie ich aus dieser schönen Idee beinahe ein Monster gemacht hatte. Zu viele Ängste, die beginnende Hitze, die Pandemie und vor allem: saft- und kraftlos, kein Vertrauen, keine Entscheidung. Kapitulation.

Noch mehr Zeit in der Stille? Oder fehlte mir die Ausrichtung? Oder musste ich lernen, mich mit meiner aktuellen Schwäche wirklich anzufreunden? Und wie geht das nochmal?

Wo ist Schmerz, wo ist Widerstand? Wo beginnt das „Leiden“? Wo ist die Erfahrung, und wo beginnen die Geschichten im Kopf? Wie geht Verantwortung für meine Erfahrung, meine Gefühle, mein Leben?

Und war die Leere gekommen, um mich bereit zu machen, mich wirklich zu lassen – die Einladung einer christlichen Mystik wie der buddhistischen Tradition?

Raum für Schmerz und Ohnmacht

Immer wieder den Impulsen Gehör schenken, „mich zusammenzureißen“, “mich nicht in Selbstmitleid zu ergehen“ und im Vergleich zu meinem kleinen Elend einzusehen, „wie schwer es so viele Menschen wirklich haben“, und Abstand nehmen. Mich nicht erneut zu schwächen, indem ich nicht zulasse, was ich spüre. Mir eingestehen, dass es jetzt den Raum für den Schmerz braucht, für das Trauma, die Ohnmacht und ihre Gefährten.

Das unausgesprochene „Ich kann das“ hören und loslassen. Mich lassen. Und mir helfen lassen. Von Gott und den Menschen. Meine tiefe Verbindung wieder freilegen, zulassen und hinter all den Fassaden und Worten und Schriften Gott wirklich wieder Gott sein lassen. Und dem Heilenden Raum geben und Zeit. Ich bin gut darin, mich hinter Worten und Büchern zu verstecken; deren Botschaft zu predigen und doch selbst mich zu lange durchzuwursteln.

Und noch etwas sickert langsam durch: Ich bin dankbar, wenn ich manche kleinen Dinge im Alltag auf die Reihe kriege: Eine E-Mail, eine Besorgung, etwas kochen, einen Online-Termin. Ein Stück Laufen, eine Arbeit im Garten, ein Stück Haushalt. Zugleich höre ich mir selber zu, wie ich auf diese „Leistungen“ zurückgreife, um zu rechtfertigen, was ich eigentlich heute getan habe. Über diese Dinge meinem Leben Wert beizumessen.

„Was machst du mit deinem wilden, kostbaren Leben?“

Bei der Vorbereitung eines Impulses für ein kleine Online-Auszeit erinnere ich mich an das Gedicht Sommertag von Mary Oliver (2). Sie beschreibt, wie sie einem Grashüpfer lange zusieht, seine Eigenart zu kauen beobachtet, und seine riesigen, „komplizierten Augen“.

Ich weiß nicht genau, was ein Gebet ist. / Ich weiß jedoch aufmerksam zu sein, mich fallenzulassen ins Gras, niederzuknien im Gras, müßig und gesegnet zu sein, durch die Felder zu schlendern, und das habe ich den ganzen Tag getan.

Sag mir, was hätte ich sonst tun sollen? / Stirbt nicht am Ende alles, und viel zu bald?

Sag mir, was planst du anzufangen/ mit deinem einen wilden und kostbaren Leben?

Mein Grashüpfer in diesen Tagen und Wochen ist ein Lied, an dem ich schreibe, inspiriert von Franz von Assisi und den Vögeln in meinem Garten. Wenn ich mir erlaube, müßig zu sein. Wie verdammt schwer ist das wirklich, selbst und erst recht, wenn deine „Beschäftigungen“ gerade nicht greifen und dir das (Erwerbs-)Leben zwischen den Fingern zerrinnt…

Immer wieder die gleiche Melodie, die gleichen Griffe auf der Gitarre. Aber sie trösten mich, sie bergen mich. In großer Langsamkeit findet das Fließen sich einen Weg. Eine kleine Quelle in großer Trockenheit.

Laudato Si

Du Bruder Sonne mächtig ist dein Licht/ du bringst uns den Tag und du wärmst mein Gesicht.

Du Schwester Mond, du erhellst uns die Nacht./ Myriaden von Sternen haben uns Kunde gebracht.

Laudato Si O mio Signore Laudato si

 

Am Tag sind uns sichtbar die Dinge der Welt/ Doch das große Dazwischen wird uns nachts vorgestellt.

Uns‘re kleine Alltagswelt und was uns daran nicht gefällt/ steht vor einem großen Horizont, dem ein wundersam Geheimnis innewohnt.

Laudato Si O mio Signore Laudato si

 

Du Bruder Vogel, du fliegender Gefährt/ Dein Klang und Gesang täglich Leben verehrt.

Dein Lied beginnt früh und beendet die Nacht./ Wo Dunkelheit herrscht, ist ein Ton heller Freude erwacht.

Laudato Si O mio Signore Laudato si

 

Und Schwester Wasser köstlich und klar/ sie löscht unsern Durst und erfrischt wunderbar.

Zwischen Himmel und Erde/ ihre Wege so weit.

Ihre Fülle ist groß und/ hält ein Meer voller Leben bereit.

Laudato Si O mio Signore Laudato si

 

Du Schwester Luft, heilig Atem und Wind/ Ein Hauch eingehaucht und ein Leben beginnt.

Es atmet und atmet uns – ein Geist ist erwacht.

Jetzt leben, hier sind wir, du hast uns nachhause gebracht./ Ich weiß nicht mehr genau, wie Beten geht.

Ich weiß jedoch aufmerksam zu sein, mich fallenzulassen, niederzuknien und zu singen.

Sag mir, was hätte ich sonst tun sollen?/ Sag mir, was planst du anzufangen mit deinem wilden und kostbaren Leben?

 

1 Charlie Mackesy: The Boy, the Mole, the Fox and the Horse

2 Aus: Jon Kabat-Zinn, Zur Besinnung kommen. Arbor-Verlag Freiamt 2006, S. 191.

Steve Heitzer ist Achtsamkeitslehrer, Seminar- und Retreatleiter und lebt in Österreich. Neben Achtsamkeit und Pädagogik ist einer seiner Schwerpunkte die interspirituelle Begegnung von moderner Achtsamkeitspraxis, zeitgenössischer Weisheitslehre und der Botschaft Jesu. Zu seiner Website

Lesen Sie auch den viel beachteten Artikel von Steve Heitzer zur Corona-Krise: “Wir können Krise”

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