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Original Play in der Kritik

Original Play, STeve Heitzer

Ein Interview mit dem Pädagogen Steve Heitzer

Der Pädagoge Steve Heitzer arbeitet seit über zehn Jahren mit Original Play (Ursprüngliches Spiel). Nun ist diese Form des Spiels durch einen Beitrag in der Sendung “Kontraste” in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Aufgrund der körperlichen Nähe bestehe die Gefahr von Missbrauch. Heitzer stellt sich kritischen Fragen.

Steve Heitzer hatte am 2. Februar 2017 einen Artikel auf Ethik heute zu Original Play veröffentlicht. Am 30. Oktober 2019 hat die Fernsehsendung Kontraste einen kritischen Beitrag gebracht: Original Play: Kindesmissbrauch in deutschen Kitas. Der Vorwurf lautet, Kinder hätten z.B. in Kitas, die mit Original Play arbeiten, Körperkontakt mit Fremden, dem Missbrauch werde Tür und Tor geöffnet. Die Staatsanwaltschaft hat gegen einige Kitas ermittelt, die Verfahren jedoch mangels Beweisen eingestellt. Die Vorwürfe einiger Eltern bleiben jedoch bestehen. Lesen Sie auch den Artikel auf Spiegel online dazu. Wir veröffentlichen im Folgenden ein Interview mit Steve Heitzer, in dem er zu den Vorwürfen Stellung nimmt.

Das Gespräch führte Birgit Stratmann

Frage: Sie kennen Fred Donaldson, den Begründer von Original Play, seit 15 Jahren und integrieren das Spiel in Ihre pädagogische Arbeit. Die Methode ist durch einen Fernsehbeitrag von Kontraste heftig in die Kritik geraten. Bitte erklären Sie noch einmal kurz, worum es bei Orginal Play geht.

Heitzer: Fred Donaldson hat im Spiel mit Kindern und frei lebenden Tieren entdeckt, wie wir miteinander in Kontakt sein können – und zwar jenseits der kulturellen Form von Spiel: Gewinnen/Verlieren, Konkurrenz, Wettkampf/ Kampf.

Als er in einer beruflichen Neuorientierung begann, in einem Kindergarten zu arbeiten, erlebte er zufällig, dass die Kinder am liebsten mit ihm auf dem Boden spielten, auf ihm herumkletterten, mit ihm balgten oder auch auf sanfte oder zurückhaltendere Weise in Kontakt waren. Weil er das immer wieder erlebte, hat er sich diesem Phänomen gewidmet – mittlerweile seit über 40 Jahren.

In meiner eigenen pädagogischen Praxis habe ich festgestellt: Das Bedürfnis, sich selbst und andere zu spüren, wird unterschätzt und nur allzu oft als “Störung” empfunden. Im Ursprünglichen Spiel geben wir diesem Bedürfnis Raum.

Was ist das Ziel und wozu dient der intensive Körperkontakt?

Heitzer: Diesem Bedürfnis und diesem Spiel jenseits von Regeln und Wettkampf Raum zu geben ist das einzige „Ziel“. Natürlich können sie dabei eine Menge lernen: Wie fühlt sich adäquater Kontakt an? Wie können wir uns ganz einlassen und miteinander in Kontakt sein, auch mit hoher Energie, ohne einander weh zu tun und ohne zu kämpfen?

Wir streben „intensiven Körperkontakt“ nicht an. Wir forcieren Körperkontakt auch nicht, aber wir sind dafür offen. Wir lassen ihn zu und erleben, dass die Kinder ihn in unterschiedlicher Geschwindigkeit, Form und Intensität eröffnen. Achtsamer Körperkontakt und Zugewandtheit sind für alle Menschen überlebensnotwendig.

Respekt ist zentral im Umgang mit Kindern

Der Körperkontakt findet zwischen kleinen Kindern und fremden Menschen statt. Ist das nicht eine Grenzüberschreitung?

Heitzer: Grenzüberschreitung zu vermeiden ist extrem wichtig. Unsere Ethik besteht darin, dass wir die Integrität unseres Gegenübers wahren. Achtsamkeit, Präsenz und Respekt gegenüber dem Kind machen Haltung und Kernkompetenzen unseres Spiels aus.

Wir sind nicht fremder als ein Team-Mitglied, ein Trainer oder ein Therapeut, den das Kind zum ersten Mal sieht. Je länger wir miteinander zu tun haben und zusammen sind, desto vertrauter werden wir uns. Dieses Spiel ist wie das „Zähmen“ zwischen dem Fuchs und dem kleinen Prinzen Exuperys: Wer spielen will, macht sich mit großer Behutsamkeit „einander vertraut“.

Sie haben drei Kinder. Würden Sie Ihr Kind in eine Gruppe geben, die mit Original Play spielt, auch wenn Sie die Übungsleiter nicht kennen?

Heitzer: Mit der Kontraste-Sendung und dem vernichtenden Medienecho traut kaum jemand mehr Original Play über den Weg, der es nicht vorher selbst kennengelernt hat. Ich spiele seit Jahren – und zwar in Settings mit Eltern und Kindern sowie in Einrichtungen, deren Leitungen und Pädagogen mir vertrauen.

Was mich als Vater betrifft: Ich vertraue den Pädagoginnen und möchte trotzdem gerne wissen, wer mit meinem Kind arbeitet und die Übungsleiter kennenlernen – genauso wie die Reitlehrerin oder den Fußballtrainer meiner Töchter.

Haben Ihre Kinder Erfahrungen damit gemacht?

Heitzer: Ja. Ihre Reaktionen waren unterschiedlich und z.T. auch davon beeinflusst, dass ich als ihr Vater zugleich Spielleiter war – das ist in allen „pädagogischen“ Kontexten eine Besonderheit. Mein ältester Sohn (23), wollte sich als Kind in der Gruppe nicht darauf einlassen, meine mittlere Tochter auch nicht so gerne, dafür bei uns zu Hause sehr wohl. Meine jüngste Tochter ließ sich sowohl in der Gruppe als auch zuhause darauf ein. Dieses Spektrum an Reaktionen empfinde ich als völlig normal. Wir bestärken die Pädagoginnen oder Eltern in der Akzeptanz dafür, dass Kinder unterschiedlich darauf reagieren.

Kinder sind immer häufiger in fremder Betreuung

Wozu soll diese Art von Körperkontakt gut sein? Sollte er nicht dem engsten Familienkreis vorbehalten sein? Und sollten die Eltern nicht dabei sein, wenn derlei Spiele stattfinden?

Heitzer: Wenn die Eltern vor Ort sind und mit eingebunden werden können, ist das ideal. Und ich finde es gut, wenn Eltern mit ihren Kindern auf diese Weise spielen. Das ist in den allermeisten Fällen eine bereichernde Erfahrung für beide. Tatsache ist aber auch, dass viele Eltern wenig Zeit für ihre Kinder haben und diese deswegen immer mehr Zeit in „Fremd“-Betreuung verbringen.

Zugewandtheit, menschliche Nähe, Raum für Interaktion und Kontakt sind menschliche Bedürfnisse und notwendig, damit ein Kind sich sicher und geborgen fühlen kann. Nur dann kann es lernen und sich entwickeln. Wenn und wo die Eltern nicht da sind, um dies zu leisten, müssen es „Fremde“ übernehmen.

Jeder kann „Lehrling“ für Original Play werden und die Methode anbieten. Man braucht nicht einmal eine pädagogische Ausbildung. Müssten Anwärter nicht besser qualifiziert sein und überprüft werden?

Heitzer: Im Vergleich zu manchen anderen, die mit Kindern arbeiten (in Vereinen, als Schul-Assistenzkräfte, in der Kirche usw.) stammen die allermeisten, die als ausgewiesene Lehrlinge mit Original Play arbeiten, aus dem Bereich Pädagogik, Sozialpädagogik, Gesundheit und Therapie. Dennoch haben wir aktuell schon Kontakt mit Institutionen aufgenommen, mit denen wir an unserem Sicherheitskonzept arbeiten. Eine Überprüfung ist sinnvoll. In Deutschland überprüfen in der Regel schon die Einrichtungen alle, die mit Kindern zusammenarbeiten.

Sind Ihnen Missbrauchsfälle durch Original Play bekannt? In der Kontraste-Sendung haben einige Eltern schwere Vorwürfe erhoben von unangemessenen Berührungen, Verletzungen bis hin zu sexuellem Missbrauch.

Heitzer: Nein, ich weiß nur von zwei Einrichtungen: In der einen haben Eltern gegen einen langjährigen Leiter der Kita und Team-Mitglieder Vorwürfe erhoben, in der anderen gegen einen Pädagogen, der ein monatelanges Projekt dort durchgeführt hatte. Beide waren keine „Fremden“ und sie haben nicht ausschließlich Original Play angeboten.

Die Vorwürfe, die in der Kontraste-Sendung laut wurde, sind von der Staatsanwaltschaft untersucht und aus Mangel an Beweisen fallen gelassen worden. Doch in den Medien gelten die Betreffenden als verurteilt. Die negative Medienberichterstattung führte dazu, dass Original Play in Verruf geraten ist.

Ich finde es erschütternd zu erleben, wie hier die persönliche Integrität von Pädagoginnen und Pädagogen verletzt wird, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen.

Bedürfnis nach körperlicher Nähe

Halten Sie trotz der Negativpresse an Original Play fest? Werden Sie weiterhin damit arbeiten?

Heitzer: In meiner eigenen pädagogischen Arbeit habe ich immer Kontakt zu Kindern. Wir verstehen Ursprüngliches Spiel ja grundsätzlich nicht als „Idee“, pädagogisches Konzept oder Methode. Es ist wie ein Name für eine Sprache und Praxis der Verbundenheit (Fred Donaldson nannte es auch “practise of belonging”).

Ob ich in Einrichtungen weiterhin mit Kindern spielen kann (in einem formellen Settings für eine Gruppe) hängt zum einen von den Behörden und Einrichtungen ab und zum anderen davon, wie sicher wir “Lehrlinge“ uns noch fühlen können. Ohne neues Vertrauen seitens der Eltern sind wir angesichts der allgemeinen Verunsicherung sehr angreifbar.

Pädagogisch professionell ist nicht nur professionelle Distanz, sondern auch professionelle Nähe. Daran kommen wir weder als Eltern noch als Pädagoginnen und Pädagogen vorbei, ob wir es „Original Play“ nennen, oder nicht. Natürlich gibt es heute Erzieher, die Berührung um jeden Preis vermeiden – aus Angst. Wie aber wollen Sie einem Kind Geborgenheit und Sicherheit ermöglichen, wenn Sie jede körperliche Berührung ablehnen?

Ist es tatsächlich ein Bedürfnis von Kindern, diese Art von Körperkontakt zu haben, oder könnte das eine Projektion der Erwachsenen sein?

Heitzer: In unseren Kitas erleben meine Kolleginnen und ich das Bedürfnis der Kinder nach körperlicher Nähe jeden Tag. Beim Ursprünglichen Spiel kommen wir mit leeren Händen, ohne Spielzeug und didaktischem Material. Aber es ist wichtig zu betonen, dass wir mit Original Play nicht darauf aus sind, mit Kindern zu “kuscheln” oder sie gar zu “streicheln”, wie das oft dargestellt wurde.

Dennoch entsteht oft rasch Vertrautheit und Nähe und es ist noch nach Jahren immer wieder eine erstaunlicher Resonanz zu erfahren: Die Kinder-Augen leuchten, selbst wenn sie nur zuschauen, und viele lieben es: „Das war die beste Turnstunde der Welt!“ oder ein von Herzen und aus eigenem Antrieb kommendes: „Danke, dass du mit uns spielst!“

Einmal kam ein Vierjähriger am Ende auf mich zu, der während des Spiels kaum mit mir im Kontakt gewesen war und bedankte sich mit einer Umarmung ohne Worte – ohne dass ihm das seine Eltern angesagt hätten. Im Gegenteil, er hatte sie gefragt, ob er das dürfe! Warum würden die Kinder immer wieder eine solch tiefe Resonanz zum Ausdruck bringen und von sich aus den Kontakt suchen, wenn sie ihn nicht wollten?

Ist es nicht eine Gefahr, dass z.B. pädophil veranlagte Erzieher mit Original Play arbeiten?

Heitzer: Wo immer Kinder sind, gibt es die Gefahr, dass sie Grenzüberschreitungen erfahren. Am häufigsten geschieht Missbrauch allerdings in der Familie oder im engsten Umfeld. Die Gefahr dafür besteht natürlich auch in unserer Arbeit, und das erfordert von uns höchste Wachsamkeit. Wir überprüfen gerade unsere Sicherheitsmaßnahmen.

Was wollen Sie jetzt tun, um Missbrauch und unangemessenen Kontakten mit Kindern durch Original Play entgegenzuwirken?

Heitzer: Nochmal: Es gibt keinerlei bestätigten bzw. verurteilen Missbrauch oder unangemessenen Kontakt im Zusammenhang mit Original Play. Das Risiko dafür ist aus meiner Sicht nicht höher als in anderen Feldern, wo mit Kindern gearbeitet wird. Unsere Rahmenbedingungen waren im Gegenteil immer maximal transparent (z.B. offen einsehbare Räume) und wir arbeiten so gut wie nie alleine mit einem Kind. Dennoch suchen wir die Zusammenarbeit mit kompetenten Institutionen und Personen, um unsere Arbeit für alle so sicher wie möglich zu machen.

Steve Heitzer mit seiner Tochter Anna.

Steve Heitzer ist Achtsamkeitslehrer und Pädagoge. Er arbeitet seit knapp 20 Jahren mit Kindern in dem von ihm gegründeten Kindergarten bei Innsbruck sowie anderen Einrichtungen. Seit vielen Jahren arbeitet er auch mit Eltern, Familien und Pädagogen. Langjähriger Schüler von O. Fred Donaldson. Im Arbor-Verlag erschien sein Buch Kinder sind nichts für Feiglinge. Ein Übungsweg der Achtsamkeit. Mehr unter: www.cordat.org

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Da kann mir einer erzählen was er will. Das eröffnet den Pädophilen Tür und Tor. Da wird gefummelt und betatscht. Vor allem wenn da Fremde rum wurschteln.

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