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Robotik: Zukunft als Chance

Digitalisierung
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Ein Gespräch mit Zukunftsforscherin Cornelia Daheim

Bis 2030 könnte die Hälfte aller Arbeitsplätze durch die Automatisierung vernichtet werden. Doch Robotik und Digitalisierung bieten auch Chancen, wie die Zukunftsforscherin Cornelia Daheim erklärt: Wir können mehr Freiräume gewinnen, zwischenmenschliche Kontakte stärken und Gesellschaft neu erfinden.

 

 

Das Gespräch führte Michaela Doepke

In der Arbeitswelt machen heute Maschinen die Arbeit von vielen Menschen überflüssig. In Neuseeland werden Pizzen sogar schon mit Drohnen angeliefert. Wie sehen Sie als Zukunftsforscherin diesen Trend?

Cornelia Daheim: Das ist eine komplexe Frage. Ich glaube, das ist eine der Entwicklungen, die in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Gesellschaft prägen werden. Es ist ein Thema, das stark mit Angst besetzt ist und schwierigen gesellschaftlichen Tendenzen Vorschub leistet.

Allerdings gehören Veränderungen zur gesellschaftlichen Entwicklung dazu. Wir haben in der Industrialisierung bereits gesehen, dass sich durch die Einführung von Maschinen ein neues Gesellschaftssystem entwickelt hat. Menschen mussten sich an das Konzept der Lohnarbeit anpassen. Entsprechend haben sich damit Städte verändert, Lebens- und Familienformen.

Die Veränderung, die wir jetzt beobachten, bei der so viele Technologien zusammenkommen wie die künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Automatisierung und Robotik, wird in einem Ausmaß erfolgen, wie zur Zeit der Industrialisierung. Das ist wie so ein neuer Schub, eine neue Welle, eine Neugestaltung von Gesellschaft.

Roboter können die Pflege unterstützen

Besonders in typischen Frauenberufen im Care- und Pflegebereich könnten Maschinen künftig deren Arbeitskraft ersetzen: Care-Roboter sollen nun verstärkt in Altenheimen und Krankenhäusern eingesetzt werden.

Diese Entwicklung ist bei uns bereits sichtbar, in anderen Ländern ist sie schon viel stärker. In Deutschland gibt es eine große Sorge, dass Maschinen Menschenkontakte ersetzen. Das Gegenteil könnte aber der Fall sein, nämlich dass sie ihn ergänzen und sogar mehr menschlichen Kontakt möglich machen. Denn Pflegekräfte würden zum Beispiel von schweren körperlichen Tätigkeiten entlastet und könnten sich mehr den Menschen widmen.

Wann erwarten Sie einen dramatischen Wandel für die Gesellschaft?

Ich würde sagen spätestens in zwei Dekaden. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wie schnell diese Technologien weitreichend in die Systeme eingreifen und sie fundamental verändern.

Beobachten können wir das heute schon. Die Studien für Deutschland sagen im Kern: Die nächsten zehn, zwanzig Jahre sind eigentlich noch überschaubar. Neue Berufe entstehen und damit auch Arbeitsplätze. Ich denke aber, es ist wichtig, sich heute schon mit der Frage zu befassen: Was passiert mit denjenigen, die wie z. B. Langzeitarbeitslose, grundlegend aus dem Arbeitssystem rausfallen und keinen Anschluss mehr finden?

Robotik und Grundeinkommen können die Gesellschaft umkrempeln

Können wir als Mehrheitsgesellschaft vorausschauend etwas gegen diesen Trend zur Automatisierung tun, der Menschen als ersetzbaren Produktionsfaktor abwertet? Oder ist hier die Politik gefordert?

CorneliaDaheimGesellschaft und Politik sind gefordert. Da braucht es ein Gegensteuern, vor allem aber eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, wie wir menschlichen Wert definieren. Ist hier nur Arbeit, Einkommen, Status definiert, oder können wir uns auch andere Formen vorstellen?

Wir haben mit dem Millennium Project1 Szenarien entwickelt, die zu Ende gedacht haben, was geschieht, wenn viel Arbeit verloren ginge. Der Schluss ist: Man muss Arbeit neu definieren, auch ehrenamtliche Arbeit, soziale Arbeit, Tätigkeiten, die heute oft unbezahlt verrichtet werden. Sie müssen viel höher bewertet werden. Damit entstünde auch ein neues Identitätskonzept von Leistung.

Dahinter steht die Frage: Wollen wir uns wirklich an einem kapitalistischen, klassischen System orientieren oder einem neuen gemeinwohl-orientierten? Es wäre möglich, wenn es im Mehrklang von verschiedenen Lösungen – vom Grundeinkommen über eine Robotersteuer – auch eine Umfinanzierung von Einkommen gäbe.

Freiheit von der Tyrannei der 40-Stundenwoche

In unserer Gesellschaft sind klassische Lohnarbeit und Leistung bisher hochgeschätzt. Die meisten Menschen identifizieren ihren Selbstwert über Arbeit. Wenn soziale Anerkennung künftig nicht mehr über Arbeit erfolgt, was dann? Oder steckt auch eine Chance in diesem Wertewandel?

Vielleicht die Chance auf eine neue Form der Emanzipation. In einem Forschungsprojekt hat bei mir mal ein Kunde gesagt: Dann sind wir frei von der Tyrannei des Bürotisches und der 40-Stunden-Woche. Wir sind frei für anderes. Das heißt, dass Sinngebung anders erfolgen muss, auch wie wir unseren Tag, ja unser Leben strukturieren. Dazu braucht es neue Fähigkeiten.

Letztendlich führt das auch zurück zu der Frage, mit welchem Menschenbild wir in der Bildung arbeiten. Wie wollen wir Menschen motivieren, in dieser neuen Freiheit ohne Arbeit trotzdem an der Gesellschaft teilzuhaben?

In der Zwischenzeit, bevor ein Grundeinkommen eingeführt ist, werden wir viele Umbrüche in der Arbeitswelt erleben. Wir können uns nicht mehr über das alte Konzept von Aufstieg und Karriere ausreichend Identität und Selbstwert sichern. Wir brauchen heute schon neue Konzepte. Dazu müssen wir die Menschen befähigen und nach und nach ein anderes Verständnis entwickeln.

Mehr Selbststeuerungskompetenz

Vielleicht um Aufständen wegen Massenarbeitslosigkeit vorzubeugen, setzen sich manche Konzerne für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Wäre das eine Lösung? Würde eine ganze Nation dann auf dem Sofa liegen, oder könnte es die Kreativität für selbsterfundene und ehrenamtliche Jobs fördern?

Die Menschen wollen nicht auf dem Sofa liegen. Sie wollen etwas beitragen und teilhaben, sie wollen Sinn finden und Bestätigung bekommen. Das ist ein natürlicher Trieb, der von der Motivationspsychologie bestätigt wird.

Aber ich glaube, es ist noch ein weiter Weg, dass wir uns wirklich trauen, uns dieses Szenario als Gesellschaft vorzustellen: Leute bekommen einfach Geld, mit dem sie ihren Lebensunterhalt sichern, ohne Formulare auszufüllen. Sie sind es einfach per se Wert.

Ich finde, Projekte wie „Mein Grundeinkommen“ von Michael Bohmeyer, der schon seit längerer Zeit Grundeinkommen einfach an Leute verteilt, sehr hoffnungsvoll. Die Erfahrung mit dem Projekt zeigt: Die Menschen machen eigentlich mehr, nur etwas anderes. Etwas, wo sie nicht so starke Existenzängste haben. Sie fangen z. B. an, neue Unternehmen zu gründen, weil sie die Freiheit dazu haben und wissen, dass ihre Miete gesichert ist. Von daher: Das optimistische Szenario geht in diese Richtung.

Gesellschaft radikal neu denken

Müssen wir alle künftig radikal umdenken und uns neu erfinden? Wie lässt sich die Würde des Menschen in einer Welt voller Maschinen und Roboter wahren, wenn das Geld nicht mehr über die klassische Erwerbsarbeit kommt?

Das ist und bleibt eine bisher unbeantwortete Grundfrage, weil wir neue Vorstellungen brauchen. Wir sollten uns trauen, radikal umzudenken. Wir müssen uns in Zeiten der Unsicherheit alternative Konzepte ausdenken und diese auch hart durchrechnen. Die Frage ist: Wie lässt sich ein Grundeinkommen realisieren, und wie können wir Skeptiker durch Zahlen und Fakten überzeugen, dass es finanziell machbar ist?

Damit stärken wir die Selbststeue
rungs-Kompetenz. Wir sind dann nicht davon abhängig, dass wir eine klar definierte Arbeit haben, die von 9 – 17 Uhr dauert, sondern wir begreifen uns als Autor unseres Lebens. Julian Nida-Rümelin hat in seinem Buch „Humanistische Reflexionen“ von der Autorschaft des eigenen Lebens gesprochen. Hier geht es um eine Stärkung des humanistischen Bildungsbegriffs und eine stark an Werten orientierte Ausrichtung von Bildung.

Außerdem geht es um die Frage, inwieweit können wir die Steuerung von Maschinen und Algorithmen in ethischer Art gestalten. Da gibt es eine Art Gegenbewegung und eine Aufwertung des Menschlichen, eine Aufwertung von Ethik und Werten, die nur von Menschen gesetzt werden können.

Frau Daheim, vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

Das vollständige Audio-Interview mit Cornelia Daheim über die Zukunft der Arbeit können Sie in der Audiothek hören, wenn Sie Mitglied im Freundeskreis Ethik heute sind oder werden. Darin thematisiert sie auch die Frage, ob das alte Arbeitssystem, in dem die Wirtschaft organisiert ist und das Populisten wie Donald Trump vehement verteidigen, noch trägt.

Cornelia Daheim ist seit 2000 als beratende Zukunftsforscherin tätig , seit 2015 mit dem eigenen Unternehmen Future Impacts. Sie unterstützt Organisationen und Unternehmen wie Aktion Mensch, Evonik oder das Europäische Parlament, die mit Trendanalysen und Szenarioprozessen Zukunft gestalten wollen. Zudem leitet sie den „German Node“ des internationalen Zukunftsforschungs-Nonprofits „The Millennium Project“, das weltweit regelmäßig den „State of the Future Report“ veröffentlicht. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind besonders die Zukunft der Arbeit und der gesellschaftliche Wandel, aber auch die Zukunft von Energie und Klima. Sie praktiziert mit Leidenschaft selbst neue Arbeitsformen in virtuellen Teams. Mehr: www.future-impacts.de

Anmerkungen:

1 Das Millennium Project (Jahrtausendprojekt) ist ein internationaler Think Tank mit weltweit 56 “Knoten” (Stand: 2016). Er sammelt Informationen über Zukunftsstudien und produziert seit 1997 jährlich einen „State of the Future“-Report und die „Futures Research Methodology Series“. Das Millennium Project ist eine Non-Profit-Organisation, in der Wissenschaftler aus aller Welt ehrenamtlich zusammenarbeiten.

Statistik zur Automatisierung der Arbeitswelt:

www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutschland-bis-zu-zwoelf-millionen-jobs-koennten-bis-2030-durch-automatisierung-entfallen-a-1181271.html

www.de.statista.com/infografik/8751/durch-automatisierung-gefaehrdete-arbeitsplaetze/

 

 

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