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Smartphone: Die Freiheit zurückgewinnen

portishead1/ istock
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Interview mit Dr. Martina Aßmann

Wir nutzen das Smartphone, um uns abzulenken und uns selbst auszweichen, beobachtet die Psychotherapeutin Dr. Martina Aßmann. Im Interview empfiehlt sie mehr Achtsamkeit. Beim Griff nach dem Smartphone könnten wir uns zuerst fragen: Wie geht es mir jetzt, was brauche ich gerade? Und so das Beruhigungssystem im Gehirn aktivieren.

 

Das Interview führte Birgit Stratmann

Frage: Das Smartphone ist gerade mal zehn Jahre alt und hat unseren Alltag bereits grundlegend verändert. Wie wirkt sich diese Technologie auf unsere emotionale Befindlichkeit aus? Welche Veränderungen beobachten Sie als Psychotherapeutin?

Aßmann: Was mir vor allem auffällt ist: Menschen benutzen das Smartphone, um ihr Belohnungssystem zu aktivieren. Sobald ein Unbehagen aufkommt, z.B. wenn ein Moment der Langeweile oder der Missstimmung entsteht, greifen wir danach. Das können wir rund um uns herum ständig beobachten, etwa wenn wir Bahn fahren. Die Menschen sind die meiste Zeit mit ihrem Smartphone beschäftigt. Sie suchen die Ablenkung.

In der Verhaltenstherapie gibt es das Skinner-Experiment: Skinner setzte Mäuse in eine Kiste. Wenn sie auf eine Taste drückten, gab es Futter. Das lernten die Mäuse sehr schnell. Wenn das Futter zuverlässig bei jeder Berührung der Taste kam, bediente die Maus sie allerdings nur, wenn sie Hunger hatte. Wenn die Forscher aber einen Zufallsgenerator einbauten, d.h. mal gab es Futter und mal nicht, hat die Maus den ganzen Tag die Taste gedrückt und war am Ende völlig erschöpft.

Wie ist das zu erklären? Allein durch die Erwartung, dass etwas kommt, wird im Gehirn Dopamin ausgeschüttet – eine kurzfristige angenehme Empfindung. Das geschieht auch, wenn wir täglich unzählige Male auf´s Handy schauen.

Natürlich haben wir nicht jedes Mal eine neue Nachricht. Und das macht uns abhängig. Wir sind süchtig nach Dopamin. Jedes Mal, wenn wir das Smartphone in die Hand nehmen wird Dopamin ausgeschüttet. Ja, sogar schon in der gedanklichen Annäherung daran, auf das Telefon zu schauen.

Unser Belohnungssystem läuft auf Hochtouren

Wie wirkt sich das auf unsere seelische Gesundheit aus?

Aßmann: Es gibt biologisch drei Systeme, in die wir all unsere Gefühle einordnen können: Das Angst-Angriff-System; dazu gehört alles, womit wir uns selbst schützen, also Angst, Ekel, Wut. Zweitens das Belohnungssystem, mit dem wir nach positiver Verstärkung suchen; hier dreht sich alles um Haben-Wollen, Leistung, Neugier, Konsum. Drittens haben wir das Beruhigungssystem; dazu gehören Liebe, Mitgefühl und Verbundenheit.

emotionen und arbeit

Foto: Julia Knop

In unserer Gesellschaft sind vor allem das erste und zweite System permanent aktiv, während das Beruhigungssystem kaum entwickelt ist. Wenn wir also gestresst sind, greifen wir zum Handy, statt uns hinzusetzen, zu atmen, uns von einem anderen Menschen berühren zu lassen.

Das heißt, wir sind ununterbrochen nach außen gerichtet und nutzen hauptsächlich das Belohungssystem, um mit unserem Ungehaben fertig zu werden. Besonders deutlich wird das nach langen anstrengenden Arbeitstagen, an denen wir auf der Suche nach Entspannung häufig Junk Food essen, Alkohol trinken und Fernsehen oder Serien schauen. Da wollen wir nicht mit dem Ungehagen unseres Angestrengseins und unserer Erschöpfung in Kontakt kommen, sondern ausweichen.

Zentral ist für mich die Frage: Wie kann ich einen kleinen unangenehmen Moment halten, ohne sofort auszuweichen, indem ich etwas anderes tue, konsumiere oder das Smartphone zur Hand nehme.

Fragmentierte Aufmerksamkeit

Im Zusammenhang mit dem Internet taucht immer wieder der Begriff Sucht auf. Was halten Sie von dem Begriff in diesem Zusammenhang?

Aßmann: Ein Kriterium für Sucht ist, wenn ich immer mehr davon brauche, die Dosis ständig erhöhen muss und Nicht-Gebrauch Entzug macht. Ich denke, das geschieht bei vielen Menschen, die ein Smartphone besitzen. Wie fühlen Sie sich, wenn man Ihnen das Gerät wegnimmt oder wenn Sie es zu Hause vergessen?

Zur Sucht gehört der dringende Wunsch, mit dem Suchtmittel im Kontakt zu sein. Das heißt aber nicht, dass jede Sucht krankhaft ist wie Heroin. Die meisten von uns sind zum Beispiel koffeinsüchtig.

Wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind und bewusst konsumieren. Wenn ich zum Handy greife, zu bemerken: Ich habe jetzt diesen Wunsch. Hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel: diesen kleinen Moment des Greifens oder des Widerstands zu erkennen und dann frei zu entscheiden, was ich tue.

Kritiker der Digitalisierung wie Manfred Spitzer sprechen von „digitaler Demenz“ und zeichnen ein düsteres Bild. Wie sehen Sie das?

Aßmann: Das sehe ich auch so. Alexaner Markowetz hat in seinem Buch (Digitaler Burnout: Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist, Droemer HC 2015) gesagt, dass wir im Schnitt 88 Mal pro Tag aufs Smartphone schauen und 55 Mal entriegeln und nachschauen. Mittlerweile ist die Zahl sicher noch höher. Das bedeutet, dass wir alle 18 Minunten das unterbrechen, was wir gerade tun.

Andere Forscher haben belegt, dass wir 15 Minuten brauchen, um in einen Flow zu kommen und uns in eine Sache zu vertiefen. Das würde bedeuten, wir hätten nur noch drei Minuten, um wirklich in die Tiefe zu gehen.

Der koreanische Philosoph Byung Chul-Han (Duft der Zeit, transcript Verlag 2014) sagt, dass unsere Aufmerksamkeit durch die ständigen Unterbrechungen fragmentiert ist, wir sind zerstreut. Dieser Zustand gleicht dem eines Tieres, das ständig auf der Acht sein muss, ob ein Fressfeind kommt.

Wir können uns nicht mehr beruhigen

Wie wirkt sich eine intensive Nutzung von Internet und Smartphone auf die menschliche Entwicklung aus?

Aßmann: Die Aufmerksamkeit verkürzt sich. Dadurch kann das Gefühl von Verbundenheit immer weniger wahrgenommen werden; es wird ständig unterbrochen. Neurobiologisch gesehen, kommen wir immer seltener in Zustände des Beruhigungssystems. Wir können uns nicht mehr beruhigen. Das kann zu Stressfolgeerkrankungen führen wie körperliche Anspannung, hoher Blutdruck, Rücken- und Kopfschmerzen.

Gibt es besondere Wirkungen, wenn wir an Social Media denken?

Aßmann: Ein extremer Social Media-Konsum kann unser Selbstwertgefühl schwächen. Ich kenne eine junge Frau, die viel auf Instagram macht. Wenn ich ihre Bilder dort anschaue und sie dann direkt vor mit sitzen sehe, so scheint das nichts miteinander zu tun zu haben. Sie inszeniert sich im Internet, die Fotos werden bearbeitet, bis sie zum Idealbild passen.

Es gibt zwar virtuell „Likes“ und Bestätigung, aber echte Nähe und menschliche Berührung erfahren wir dadurch nicht. Wenn eine Maschine zwischen alle Interaktionen geschaltet wird, verliert sich echtes Mitgefühl und echte Empathie.

Als Therapeuten arbeiten wir daran, Resilienz zu stärken. Meine Kollegin, die Psychotherapeutin Nicole Plinz, definiert Resilienz gern als die Fähigkeit, das Gute und das Schlechte, das Leichte und das Schwere im Leben zu integrieren. Im Internet herrscht aber das Ideal, dass alles perfekt sein muss. Gut aussehen, erfolgreich sein, aufregende Dinge tun. Und irgendwann werfen uns kleinste Störungen aus der Bahn.

“Manchmal schalte ich komplett ab”

Sie sind auch Achtsamkeitslehrerin und Sie nutzen selbst das Smartphone. Wie bringen Sie beides zusammen?

Aßmann: Mal besser, mal schlechter. Als meine Tochter zwei Jahre in Australien gelebt hat, habe ich mir angewöhnt, morgens als erstes auf meinem Smartphone zu schauen, was es Neues vom anderen Ende der Welt gibt. Und es war immer etwas los: Visumprobleme, Krankheiten, Liebeskummer. Dies geschah noch vor der Mediation, die ich jeden morgen mache. Nun arbeite ich daran, diese Gewohnheit wieder aufzugeben, weil sie mir nicht gut tut.

Ich versuche, bewusster mit dem Smartphone umzugehen, denn ich bin sehr anfällig dafür. In Meditationsretreats schalte ich wochenweise komplett ab. Ich nehme es nicht immer mit, z.B. wenn ich Spazieren gehe oder Bahn fahre. Alle Signaltöne habe ich abgeschaltet.

Es ist auch gut, sich nicht zu veurteilen, wenn man es doch mal nicht geschafft hat, sondern sich zu fragen: Wie geht es mir jetzt? Was brauche ich wirklich? Wenn es Tage gibt, wo ich ständig das Smartphone zur Hand nehme, gerade dann ist wichtig zu erforschen, um welches Bedürfnis es eigentlich geht.

Tomaten-Technik: Sich selbst überlisten

Wir haben schon über fragmentierte Aufmerksamkeit gesprochen. Wie können wir mehr Bewusstheit schaffen?

Aßmann: Die Achtsamkeit hilft uns zu bemerken, dass wir jetzt zerstreut sind. Also festzustellen: Ich verlasse meinen Pfad, ich bin schon wieder woanders gelandet. Dann halten wir inne, um festzustellen, was wir da tun.

Beim Arbeiten oder kreativen Tätigkeiten empfehle ich die Pomodoro-Technik, eine Form des Zeitmanagements. Ein italienischer Student hatte eine Arbeitsstörung. Er besorgte sich einen Küchenwecker in Form einer Tomate. Diesen stellte er auf 25 Minuten ein, d.h. 25 Minunten arbeiten, dann eine kurze Pause machen und wieder 25 Minuten arbeiten. Nach vier Tomaten-Einheiten gibt es eine längere Pause.

Wenn ich an etwas arbeite, sei es einem Konzept oder einem Artikel, mache ich es genauso. Ich stelle das Smartphone auf Flugmodus, schließe das Mail-Programm und schalte den Wecker auf 25 Minuten ein. Ich weiß dann, ich habe jetzt 25 Minuten Zeit für meine Arbeit. Nach vier Tomaten mache ich eine längere Pause. Es kommt auch vor, dass ich mir vier Tomaten in den Kalender eintrage und die Zeit reserviere.

Über die sozialen Medien werden starke Emotionen geschürt, wie Erregung, Hass, Häme, manchmal niedere Instinkte angesprochen. Wie schützen wir uns?

Aßmann: Unsere genetische Ausstattung, unser Gehirn ist auf das Negative ausgerichtet. Ein böses Wort in der Partnerschaft braucht sieben freundliche Worte als Ausgleich. Hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel. Wir sollten immer wieder neu entscheiden, wo wir unsere Energie hingeben.

Wir haben oft den Impuls, alles in Erfahrung zu bringen, wenn ein Unglück geschieht. Da hilft, bei der ersten Nachricht innezuhalten und zu überlegen: Muss ich, will ich das wissen? So sollten wir soziale Medien gut dosiert konsumieren. Und merken, wenn wir uns emotional anstecken und in Negativspiralen kommen.

Am besten wäre, bei den Kindern anzufangen, ihnen Achtsamkeit und emotionale Kompetenz beizubringen. Zum guten Start ins Leben gehört es, ein inneres Gleichgewicht auszubilden. Sie sollten lernen, Emotionen zu halten, Bedürfnisse aufzuschieben und schnell zu merken, was gerade los ist.

Neue Gewohnheiten verankern

Gehört dazu auch so etwas wie Selbststeuerung?

Aßmann: Ja, es geht um Willensstärke, und die kann man trainieren, zum Beispiel indem man eine Schlüsselgewohnheit stärkt. Wer beispielsweise einmal pro Woche geplant Sport macht, entwickelt nachweislich mehr Willenskraft. So jemand raucht weniger, trinkt weniger Alkohol, isst weniger Fast Food und schaut weniger Fern. Das liegt aber nicht an der Bewegung, sondern daran, eine Sache regelmäßig zu tun. Das nennt man Schlüsselgewohnheit.

Aus neurobiologischer Sicht allerdings können wir tief sitzende Gewohnheiten nicht wieder loswerden, sondern nur „überschreiben“, also neue Gewohnheiten etablieren. Hilfreich dafür ist, das Umfeld zu verändern, mich mit anderen Menschen zu verbinden und Achtsamkeit herauszubilden. Das heißt, genau zu schauen, was jetzt mit mir los ist: mit dem Körper, den Gefühlen und Gedanken.

Ein Beispiel: Viele haben nachmittags Heißhunger auf Kohlehydrate. Statt nun nach dem Schokoriegel zu greifen, halten wir inne und fragen: Was brauche ich jetzt eigentlich wirklich? Das kann Bewegung sein, frische Luft, eine Pause und Kontakt.

Auch das Smartphone gehört mittlerweile wie Zucker- , Alkohol oder Koffeinkonsum und Fernsehen zu unserer Kultur. Es geht weniger darum, das zu verteufeln oder abzulehnen als darum, es in unser Leben so zu integrieren, dass wir keinen Schaden nehmen.

Das scheint mir auch beim Smartphone ein guter Weg zu sein. Sich zu fragen: Warum greife ich jetzt danach? Was ist da los? Ist es eine Gewohnheit, will ich etwas wissen, kompensiere ich etwas? Fühle ich mich unbehaglich, wie geht es mir wirklich?

So können wir das Smartphone als Achtsamkeitsglocke benutzen, wie es der vietnamesische Achtsamkeitslehrer Thich Nhat Hanh früher mit dem Telefon empfohlen hat. Wenn es klingelt oder brummt, erst drei bewusste Atemzüge machen und dann das Gerät in die Hand nehmen. So könnte das Smartphone uns sogar helfen, uns mehr in den gegenwärtigen Moment zu bringen.

 

Dr. Martina Aßmann ist Ärztin für Arbeitsmedizin und Psychotherapie, seit 2015 in eigener Privatpraxis für Psychotherapie tätig. Sie ist Achtsmkeitslehrerin und Vorstand im MBSR-Berufsverband. Mehr Infos: https://www.resilienz-zentrum.net/ www.mbct-Hamburg.de

Workshop mit Dr. Aßmann: “Smart und achtsam durch den Alltag” – zum achtsamen Umgang mit dem Smartphone am Sa. 10. November von 14 bis 17 Uhr. Mehr

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Schlagwort Begegnungskultur: der Preis der Diversität der Social Media ist eine zunehmende Unverbindlichkeit und freibleibende Kommunikation. Man weiß nicht mehr über welchen Kanal man einen Menschen direkt ansprechen kann, es sei denn man steht ihm direkt gegenüber. Dadurch sind die Adressaten schwerer zu erreichen als bislang. Wenn früher ein Telefon klingelte, dann war das ein wichtiger Anlass. Heute dauert es oft Tage bis eine Botschaft beantwortet wird. Die Asynchronität der Kommunikation und der Zeitverzug entkoppelt auch die Begegnung. Es wäre interessant zu erfahren, welche Empfehlung sie für dieses Symptom haben.

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