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Tiere als Subjekte anerkennen

Birkir Asgeirsson/ shutterstock.com
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Gegen die Arroganz des Menschen

Der von dem Philosophen Peter Singer kritisierte „Speziesismus“ ist eine Haltung, die das Wohl des Menschen höher bewertet als die Bedürfnisse von Tieren. Ivo Windrich über die Arroganz des Menschen und wie wir eine andere Sichtweise entwickeln und im Alltag umsetzen können.

Der Begriff „Speziesismus“ wurde durch das erste Kapitel von Peter Singers Buch Animal Liberation: Die Befreiung der Tiere populär. Peter Singer ist utilitaristischer Moralphilosoph und in Philosophenkreisen besonders für sein Buch Praktische Ethik bekannt. Sein wesentliches Anliegen besteht darin, das „Grundprinzip der Gleichheit“, das für ihn Basis jeder ethischen und moralphilosophischen Überlegung ist, von der Gruppe der Menschen auf die Gruppe aller Tiere, der menschlichen und der nicht-menschlichen, auszudehnen.

Singer betont, dass das „Grundprinzip der Gleichheit“ nicht eine gleiche Behandlung aller moralischen Objekte bedeutet, sondern dass gleichartige Interessen gleichermaßen berücksichtigt werden. Rassisten verletzen nach Singer dieses Grundprinzip der Gleichheit, indem sie den Mitgliedern der eigenen „Rasse“ eine höhere Wertigkeit zuordnen als Mitgliedern anderer „Rassen“. Sexisten verletzen das Prinzip, indem sie die Mitglieder des eigenen Geschlechts als höherwertiger betrachten.

Entsprechend verletzen Speziesisten nach Peter Singer das Prinzip der Gleichheit, indem sie die Interessen der Mitglieder der eigenen Spezies höher gewichten. Er definiert Speziesismus folglich als „ein Vorurteil oder eine Haltung der Voreingenommenheit zugunsten der Interessen der Mitglieder der eigenen Spezies und gegen die Interessen der Mitglieder anderer Spezies“.

Die Arroganz des Menschen

Der Begriff „Speziesismus“ wurde zwar durch die Bücher von Peter Singer populär, stammt aber ursprünglich von dem Psychologen Richard Ryder, der ihn 1970 auf Flugblättern gegen Tierversuche verwendet hat. Ryder wollte damit auf die schlechte Behandlung und Ausbeutung der Tiere in Tierversuchen aufmerksam zu machen. Er hat Speziesismus ebenfalls analog zu Rassismus gedacht und als „weit verbreitete Diskriminierung“ definiert, „die vom Mensch gegen andere Spezies praktiziert wird“ (eigene Übersetzung).

Für Ryder beinhaltet der Begriff aber nicht nur ein Urteil über die Haltung der Menschen den Tieren gegenüber, sondern auch ein Urteil über das Selbstbild des Menschen: eine Arroganz, einen Chauvinismus der menschlichen Spezies, der andere erniedrigt:

„Den Speziesismus anzugreifen bedeutet die blinde Arroganz der menschlichen Spezies herauszufordern. Ich will den entsetzlichen Narzissmus zerstören, der annimmt, dass menschliche Wesen das Zentrum des Universums darstellen und alles andere bloß für unseren Nutzen existiert“ (Richard Ryder: Speciesism, Painism and Happines; eigene Übersetzung). Damit kann Speziesismus auch als Egoismus der menschlichen Art übersetzt werden, also dass „der Mensch“ nur seine eigenen Bedürfnisse im Blick hat und dafür die Interessen der Tiere übergeht.

Tiere werden nicht als eigenständige Lebewesen anerkannt

Die Tierrechtsbewegung hat Singers Gedanken weiter ausgeführt. Danach ist speziesistisches Denken auch dadurch gekennzeichnet, dass Tiere in Distanz zum Menschen gesehen werden. Tiere sind aus dieser Sicht das ganz Andere, so als gäbe es einen fundamentalen, metaphysischen Unterschied zwischen Menschen und Tieren.

Aus speziesistischer Perspektive werden Tiere nicht nur als etwas anderes wahrgenommen, sie gelten zudem als moralisch minderwertig. Tiere werden als etwas angesehen, dem man Schmerzen zufügen darf und das man töten kann. Peter Singer sagt, „Speziesisten erkennen nicht an, daß der Schmerz, den Schweine oder Mäuse verspüren, ebenso schlimm ist wie der von Menschen verspürte“.

So kommt es, dass Menschen es im Allgemeinen für legitim halten, dass Tiere für die Fleischproduktion oder für Tierversuche gefangen gehalten werden, dass ihnen Schmerzen zugefügt und sie getötet werden. Die körperliche Integrität der Tiere wird negiert. Menschen bemächtigen sich der Körper von Tieren, ohne dies moralisch rechtfertigen zu müssen.

Tiere werden zu Objekten degradiert und es wird für natürlich gehalten, dass Menschen sich im Prinzip jedes Lebensbereichs eines Tieres bemächtigen. Etwa im Bereich der Nutztiere für die Fleischproduktion wird darüber bestimmt, wann Tiere schwanger werden, wo sie leben, wie sie leben, mit wem sie zusammenleben. Es werden Eingriffe in den Körper vorgenommen, es wird bestimmt, was sie essen, wann sie schlafen und schließlich wann und wie sie sterben.

Aus einer solchen Sichtweise existieren Tiere weitestgehend oder ausschließlich für menschliche Zwecke. Speziesismus in der aktuellen Form bedeutet nicht nur eine Benachteiligung der Interessen der Tiere, sondern eine vollständige Unterordnung ihrer Bedürfnisse unter einen menschliche Zwecke, wenn nicht sogar die völlige Leugnung tierlicher Interessen.

Den Tieren wird das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und auch auf die Selbstbestimmung über ihren Körper abgeschrieben, sie fristen ihr Dasein allein für den Menschen, ihre Körper dienen menschlichen Zwecken. Damit verbunden ist eine Legitimation von Gewalt gegen Tiere im Rahmen ihrer Nutzung. Diese Gewalt wird dann geleugnet, bagatellisiert oder rationalisiert.

Eine andere Sicht auf Tiere

Wie aber könnte eine andere Sicht auf Tiere aussehen? Der tiefe Graben zwischen Menschen und Tieren kann dadurch überwunden werden, dass Menschen sich selbst als Tiere erkennen und die Wesensgleichheiten zwischen sich und den anderen Tieren wahrnehmen. Tiere haben rudimentäre Gefühle, sie haben Wünsche und Interessen. Sie wollen mit ihrem Nachwuchs zusammenleben und nicht getötet werden.

Hilal Sezgin nimmt in ihrem Buch Artgerecht ist nur die Freiheit Bezug auf Martha Nussbaum. Sie schreibt über das „gelebte Tierwohl“, dass es nicht reicht, wenn die Bedürfnisse von Tieren erfüllt werden. Tiere müssen auch die Möglichkeit haben, die Tätigkeiten auszuführen, die zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse notwendig sind.

Ein gutes Leben bestehe „nicht nur aus der Erfüllung bestimmter Wünsche, sondern bereits darin, individuelle Wünsche auszubilden und zu verfolgen“. Wenn Tiere als selbstbestimmte Subjekte leben sollen, dann müsste ihnen ein Recht auf körperliche Integrität zugestanden werden. Übergriffe auf Leib und Leben des Tieres müssten moralisch gerechtfertigt werden.

Zudem sollten Tiere nicht als minderwertig angesehen werden, nur weil sie geringere kognitive Fähigkeiten haben als Menschen. Ein Schwein kann zwar weder sprechen noch schreiben, aber im Rahmen seiner evolutionär entwickelten Möglichkeiten sein Leben vollziehen. Wer den „entsetzlichen Narzissmus“ des Menschen überwinden will, muss das Schwein so respektieren wie es ist.

Was wir tun können

Jeder kann bei sich selbst anfangen und versuchen, eine Sichtweise auf Tiere zu entwickeln, die von Respekt und Mitgefühl gekennzeichnet ist. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung, besteht darin, sich über die Lebensumstände der sogenannten Nutztiere zu informieren. Hierfür gibt es zahlreiche Angebote auf diversen Tierschutz- und Tierrechtsseiten.

Ein weiterer Schritt besteht in ethischem Konsum. Es war nie einfacher, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren als heute. Zudem gibt es Gnaden- oder Lebenshöfe für Tiere, die immer finanzielle Unterstützung gebrauchen können. Menschen, die sich mit Achtsamkeitstraining und Meditation befassen, könnten auch Liebende Güte auf Nutztiere praktizieren, indem sie sich in die Situation eines Nutzschweins, einer Legehenne oder Milchkuh hineinversetzen und sich vorstellen, was für eine Welt das ist, die wir Menschen für diese Tiere schaffen.

Neben dem rein persönlichen Handeln zum Wohle der Tiere wären aber Veränderungen auf politischer Ebene notwendig. Dass die aktuelle Bundesregierung das Töten männlicher Küken in der Eierproduktion abschaffen will, ist sicherlich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Wichtig wäre aber auch tier-, umwelt- und klimaschädliche Produkte wie Milch und Fleisch höher zu besteuern. Darüber hinaus könnte die sakrosankte Mensch-Tier-Barriere durchbrochen werden, indem Grundrechte für die Großen Menschenaffen gesetzlich verankert werden, so wie es das Great Ape Project fordert. Dies wäre ein Meilenstein auf dem Weg zur Überwindung des Speziesismus.

Ivo Windrich

Ivo Windrich studierte bis 2007 Wirtschafts- und Finanzmathematik an der TU Chemnitz und war anschließend im Bereich Investment Controlling einer Kapitalanlagegesellschaft tätig. Seit 2010 studierte er Soziologie an der Universität Leipzig. Daneben absolvierte er das Grundstudium Buddhismus am Tibetischen Zentrum Hamburg. Seit 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Leipzig. Neben der Speziesismusforschung liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit auf experimenteller Soziologie.

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Guter Text! ❤️

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