Ubuntu in Deutschland

Foto: Vision Yamale
Die Vereinsmitglieder Helke Fussell, Philip Wipfler, Hilde Grotjohann, Ibou Dieng, Amadou War |
Foto: Vision Yamale

Ein Verein unterstützt rückkehrende Migranten

Der Verein Vision Yamalé begleitet Geflüchtete, die nach Afrika zurückkehren und sich dort eine neue Existenz aufbauen wollen. Wichtig ist den Aktiven die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und im Geist von Ubuntu, der afrikanischen Lebensphilosophie des Miteinander.

Das Gespräch führte Mike Kauschke

Frage: Wie bist du dazu gekommen, mit eurem Verein die Ubuntu Leaders Academy nach Prien im Chiemgau zu holen?

Helke Fussell: Wir organisieren mit dem Verein Vision Yamalé e.V. (deutsch Vision Augenhöhe) Rückkehrprojekte für Flüchtlinge aus Afrika, die aus rechtlichen Gründen nicht hierbleiben dürfen. Aus den Erfahrungen mit unseren Projekten im Senegal, in Nigeria, Gambia und Ghana sahen wir, dass wir mit unserer europäischen Logik an Grenzen stoßen, wenn wir Projekte für Afrika planen.

Wir müssen uns tiefer auf die Andersartigkeit des Anderen einlassen. Dazu gehört auch, die eigenen Fähigkeiten und Grenzen zu kennen, neugierig und empathisch dem anderen gegenüber zu sein, Widerstandskraft bei Rückschlägen zu beweisen und immer dem Wohl aller zu dienen. Genau dies sind die Fähigkeiten, die mit dem afrikanischen Begriff Ubuntu beschrieben werden.

ie Lebenshaltung von Ubuntu ist Afrikas Geschenk an die Menschheit und wird deutlich in dem Satz: „Ich bin, weil du bist“. Darin kommt die gegenseitige Abhängigkeit zum Ausdruck. Ubuntu ist Friedensarbeit an der Basis.

Ubuntu zu fördern, ist auch das Anliegen der Ubuntu Leaders Academy (ULA), mit der wir zusammenarbeiten. Wir fangen mit der ULA gerade erst an, uns über die Akademie als Trainer ausbilden zu lassen. Das hilft uns im Verein, besser mit unseren afrikanischen Unternehmern umzugehen. Und wir haben auch die Möglichkeit, dieses Wissen in Deutschland weiterzugeben.

Die Persönlichkeitsentwicklung ist Mittel zum Zweck, anderen zu dienen.

Was ist die Ubuntu Leaders Academy?

Helke Fussell: Die ULA wurde in Portugal gegründet und ist weltweit vernetzt. Die Gründer haben verstanden, dass Ubuntu eine besondere Lebenshaltung ist, ohne Strukturen, Strategien und Methoden. Es wird innerhalb der Familien weitergegeben.

Um Europäern diese Lebenshaltung näherzubringen, wurde in der ULA eine Methodik mit fünf Pfeilern entwickelt: Selbsterkenntnis, Selbstbewusstsein, Empathie, Resilienz und Service. Dieser Ansatz wird in Zusammenarbeit zwischen Menschen aus Afrika, Europa, Südamerika und anderen Orten der Welt in Trainings weitergegeben, die Persönlichkeitsentwicklung mit sozialem Engagement verbinden.

Schwerpunkt ist die Steigerung der Selbstwirksamkeit und des Selbstvertrauens. Die Organisation erhält europäische Fördermittel aus dem Erasmusprogramm und arbeitet auch mit den Vereinten Nationan zusammen.

Ibrahima, wie ist es für dich, dass das Verständnis von Ubuntu, das in Afrika zum Leben gehört, nun hier in Deutschland vermittelt wird?

Der Künstler Ibrahima Dieng

Ibrahima Dieng: Für uns Afrikaner ist Ubuntu ganz natürlich. Es ist Ausdruck einer spirituellen Verbundenheit. Es ist eine Lebensphilosophie für ein menschenwürdiges Zusammenleben. Egal ob du reich oder arm bist: Du bist wichtig, ich bin wichtig. Ich bin wichtig, weil du auch wichtig bist. Das ist Ubuntu. Ich lebe dieses Ubuntu-Prinzip als Musiker und Sänger.

Seit fast vier Jahren lebe ich in Deutschland und habe sehr viele nette Menschen kennen gelernt, auch durch die Musik. Ich bin sehr dankbar für meine Bandfreunde, die alle aus der Umgebung kommen. Wir sind einfach ein super Team, eine Familie. Dieses wertschätzende Zusammenleben ist Ubuntu. Ich würde mich freuen, wenn die Ubuntu-Philosophie überall verbreitet wird. Als Einladung, ohne Druck.

Es ist nicht einfach, in Afrika ein Unternehmen aufzubauen. Unser Verein unterstützt dabei.

Wie verbindet ihr den Ansatz der ULA mit eurer Vereinsarbeit?

Helke Fussell: Wir unterstützen Flüchtlinge, die nach Afrika zurückkehren, sei es, dass sie abgeschoben wurden, sei es, dass sie mit ihrer Berufserfahrung in der Heimat helfen wollen. Beim Fundraising wenden wir uns an Privatpersonen und Organisationen aus dem Ort, wo die Flüchtlinge gerade leben. In gewissem Sinn ist das schone eine Form von Ubuntu, an die wir andocken können.

Weiter wollen wir einen Ubuntu Entrepreneur Club aufbauen, in dem sich die Unternehmer miteinander verbinden, um eine ethische Wirtschaft zu fördern. Die ULA hilft hier, eine Werteorientierung zu schaffen.

Wir wollen die Arbeit der ULA in Deutschland verbreiten und für unsere Projekte in Afrika nutzen, aber auch Brücken bauen zwischen deutschen und afrikanischen Unternehmern. Voraussetzung ist, dass wir aus dem gleichen Geist heraus agieren.

Unsere afrikanischen Unternehmer werden in ihrem Heimatland auch die Weiterbildung in der ULA durchlaufen. Dann gründen sie vor Ort den Ubuntu Entrepreneur Club, so dass sie sich unterstützen können. Wir arbeiten daran, dass wir die Strukturen dazu in Deutschland und Afrika parallel aufbauen.

Wenn ich mit anderen in Aktion gehe entsteht Freude.

Welche Herausforderungen erlebt ihr bei euren Projekten?

Helke Fussell: Wir haben bisher 13 Projekte von Afrikanern begleitet, die etwas Neues in ihrer Heimat aufbauen wollten. Es ist nicht einfach, ein Unternehmen zu entwickeln mit Personalführung, Marketing und Preiskalkulation. Hinzu kommt die Erwartung der Familie, dass der Mann sie ernährt. Dadurch steht ein afrikanischer Unternehmensgründer unter großem Druck, denn es muss schnell Geld fließen. Da wird ein Plan schnell gekippt, wenn das nicht sofort funktioniert.

Helke Fussell mit Suleman Abata vor seiner Abreise nach Ghana. Foto: Vision Yamale

Unterstützt ihr nur Männer oder auch Frauen?

Helke Fussell: Es sind Männer, weil sie es waren, die hierhergekommen sind. Aber wir versuchen auch, Frauen zu unterstützen. Ein aktuelles Beispiel ist Keleshi in Nigeria. Sie hat eine Schule gegründet und ein Netzwerk aufgebaut, das Frauen unterstützt, unternehmerisch tätig zu werden. Sie sagte mir: „Mit dem Geld, das du einem Mann gibst, kannst du zehn Frauen fördern.“

Frauen können mit kleinen Beträgen gut haushalten und machen was daraus. Zudem sind sie gut vernetzt. Eine Idee ist, diese Frauen in den Ubuntu Entrepreneurs Club aufzunehmen, so dass er aus Frauen und Männern besteht, was schon eine große Neuheit wäre. Für die Schule von Keleshi haben wir Computer organisiert, die bei einem Unternehmen in München ausgemustert wurden.

Kannst du ein Projekt schildern, das besonders gut läuft?

Helke Fussell: Ja, das ist von einem Geflüchteten, der abgeschoben wurde. Der Verein hat ihm 100 Euro im Monat gegeben, damit er sich über Wasser halten kann. Stanley ist Schweißer und wir haben ihm den Kontakt zu Felix, einem Schweißer in Benin City, vermittelt, den wir gut kennen.

Felix ist von Prien mit offiziellen Fördergeldern und Geld von uns zurückgegangen, hat einen Laden für Schweißerbedarf aufgemacht und stellt wunderschöne Tore her. Mittlerweile steht er damit auf eigenen Füßen.

Stanley machte ein Praktikum bei Felix und lernte, in dem Beruf Fuß zu fassen. So haben wir eine Werkstatt angemietet, erste Maschinen gekauft. Stanley ist schnell ins Business reingekommen, hatte bald zwei Angestellte und einen Auszubildenden. Ohne viel finanziellen Aufwand läuft es seitdem sehr gut.

Was gibt dir persönlich diese Arbeit?

Helke Fussell: Freude. Das hat mir als Achtsamkeitslehrerin immer gefehlt. Da ist es manchmal so, dass man sich vor lauter Achtsamkeit selbst verknotet. Wenn ich mit anderen in die Aktion gehe und dabei Spaß habe und auch noch sehe, dass die Arbeit fruchtet, das ist für mich das größte Glück. Ein Geschenk. Für mich ist diese Arbeit gelebtes Ubuntu, diese Verbindung zwischen Afrika und Deutschland auf Augenhöhe.

Mehr über “Ubuntu – Die afrkianische Philosophie des Wir”

Helke Fussell arbeitete als Frontfrau in Luxushotels in London, Paris und München, im Customer Management in der IT-Branche und gründete ein erfolgreiches IT-Unternehmen mit 25 Mitarbeitern. Neben ihrer Arbeit im Verein »Vision Yamalé« ist sie als Gelassenheitstrainerin und Coach tätig.

Ibrahima „Ibou“ Dieng wurde 1973 in Rosso am Grenzfluss zwischen Mauretanien und Senegal in eine Familie von Griots, berufsmäßigen Sängern, Dichtern, Instrumentalisten und Geschichtenerzählern geboren. Heavy Man Ibou, so sein Künstlername, macht Musik, seit er denken kann. Im Laufe der Jahre arbeitete er mit einer Vielzahl von Musikern zusammen, mit der Gruppe True Waz, Khalilu Slam, Bamba fepp Bamba partout, Ombre Zion. Seit vier Jahren lebt er in Südbayern und hat dort neue Musikerfreunde kennengelernt. www.heavymanibou.com

Mehr Infos

Verein Vision Yamale: www.vision-yamale.de

Ubuntu Leaders Academy: www.academialideresubuntu.org/en/

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