Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Wälder unter Druck

Inga Nielsen/ shutterstock.com
Inga Nielsen/ shutterstock.com

Interview mit Waldbesitzer Lutz Freytag

Die dauernde Trockenheit setzt den Wäldern enorm zu. Waldbesitzer Lutz Freytag spricht im Interview über die Widerstandskraft von Mischwäldern und die Frage, welche Baumarten man in Zeiten von Erderhitzung pflanzen soll. “Wir sind gezwungen, heute etwas zu tun, von dem wir nicht wissen, wie es sich in 40 Jahren auswirken wird.”

Lutz Freytag ist Waldbesitzer in Brandenburg. Er bewirtschaftet im Nebenerwerb auf einer besonderen Fläche einen mittelgroßen Privatwaldbetrieb. 2018 wurde er als Waldbesitzer des Jahres ausgezeichnet. Das Gespräch führte Stefan Ringstorff

Frage: Wenn wir den Wald betrachten, haben wir in klimatischer Hinsicht zwei arge Krisenjahre hinter uns. Wie gehen Bäume mit der Trockenheit um? Welche biologischen Prozesse laufen dabei ab?

Freytag: Wälder sind unter normalen Wetterbedingungen sehr anpassungsfähig und widerstandsfähig gegen Insekten und Pilze. Bei normalen Wetterschwankungen haben Bäume bestimmte Puffermechanismen, die ihnen helfen, zum Beispiel kurze Trockenphasen zu überstehen. Im letzten Spätsommer etwa konnten wir beobachten, dass sich das Laub viel früher verfärbt hat als gewöhnlich. Bedingt durch die lange Trockenphase haben sich die Bäume so verhalten wie sonst im Herbst. Denn die Photosynthese ist ohne ausreichend Wasser für den Nährstofftransport nicht möglich und würde den Baum mehr Energie kosten als sie produziert.

Sind diese Anpassungsmechanismen begrenzt?

Freytag: Diese Prozesse haben Grenzen und die lernen wir gerade kennen. Ist der Baum geschwächt, etwa durch zu lange Hitzeperioden, können sich Schädlinge massenhaft vermehren und sind sogar in der Lage, Bäume abzutöten.

Normalerweise machen 50 Borkenkäferweibchen keine Fichte kaputt. Reicht der Harzfluss des Baumes wegen des Wassermangels aber nicht aus, um die Käfer abzutöten, dann wird die bis zu zehnfache Zahl der Borkenkäfernachkommen schon innerhalb einer Generation zu hoch und der Befall tötet die Fichte.

Wenn Bäume geschwächt sind, stoßen sie Botenstoffe aus. Die Käfer haben sich darauf spezialisiert, dies zu erkennen. Sie sind in der Lage, über 15 Kilometer weit zu fliegen, um solche Bäume zu befallen. Eine zweite oder gar dritte Generation in einem Jahr führt zum Absterben ganzer Wälder, was wir gerade erleben. 250.000 Hektar sind in Deutschland bereits tot. Und das, wo der Wald doch so wichtig ist im Kampf gegen den Klimawandel.

Holz nutzen: ja oder nein?

Wälder bedeuten den Menschen hierzulande viel. Auf dem Buchmarkt sind die Sachbücher von Peter Wohlleben Bestseller. Sie vermitteln gemeinhin den Eindruck, Bäume fühlten etwas und müssten auch deshalb geschützt werden.

Lutz Freytag

Freytag: Die Bedeutung des Waldes ist groß für unsere Gesellschaft. Der Wald bedeckt allein 30 Prozent der Landesfläche Deutschlands. Wenn man das Thema so zur Sprache bringt, wie Peter Wohlleben es tut, erreicht man damit viele Menschen. Als Förster haben wir uns über diese Aufmerksamkeit zunächst auch gefreut. Nun hat das Ganze aber eine Tendenz bekommen, die man als populärwissenschaftlich bezeichnen kann.

Wohlleben präsentiert eigentlich kein neues Wissen. Zu den Themen, die er aufgreift, gab es bereits eine Unmenge an Untersuchungen und Literatur. Bedenklich wird es, wenn er als Experte oder Berater in der Politik herangezogen wird. Da sind neutrale und unabhängige wissenschaftliche Institute besser geeignet.

Aber ist die Aufmerksamkeit, die Wohlleben erzeugt, nicht erst einmal auch positiv, um Waldschutz voranzutreiben?

Freytag: Grundsätzlich ja. Es gilt aber, die richtigen Überlegungen anzustellen. So spricht sich Wohlleben für weniger Holznutzung aus. Meine Meinung dazu ist: Die größten Fortschritte beim Klimaschutz könnten wir machen, wenn wir Holz dauerhaft verbauen und damit Kohlendioxid (CO2) in Bauwerken speichern.

Ich meine damit ausdrücklich die dauerhafte stoffliche Verwendung. Die Nutzung von Zellstoff und Energieholz ermöglicht darüber hinaus die Schonung fossiler Ressourcen. Ich wehre mich gegen den Eindruck, dass Holzverwendung per se nicht gut sei und wir stattdessen besser mit Glas, Stahl und Beton bauen und Öl und Gas verbrennen sollten. Damit erreichen wir im Klimaschutz gar nichts. Die Wälder haben mit der Ressource Holz so viel zu bieten, dass man in dieser Hinsicht sehr schnell sehr viel erreichen könnte.

Aktuell gibt es ein anderes Problem: Wenn jetzt auch noch im Zuge der Corona-Krise das Schadholz nicht aus den Wäldern entfernt werden kann, geht die Katastrophe im Wald weiter. Die geschädigten Bäume müssen dringend aus dem Wald, weil sich die Schädlinge dort sonst ungehindert weiter vermehren können. Doch momentan weiß keiner, wohin er das Holz bringen kann.

Mischwälder sind resilienter

Stichwort Klimawandel: Waren Sie als Waldbesitzer gezwungen, nach zwei Jahren Trockenheit viele Bäume zu fällen?

Freytag: Ich habe Schäden durch Trockenheit, aber das sind Einzelfälle. Insgesamt hatte ich bisher Glück und beneide die Waldbesitzer in den Mittelgebirgen nicht, deren Fichtenbestände hart vom Borkenkäferbefall betroffen sind. In meinen Kiefernwaldbeständen gab es noch keine flächendeckenden Schäden. Das Ende ist aber noch nicht erreicht. Auch hier breiten sich derzeit Schädlinge aus, die in der Forstwirtschaft lange kaum eine Rolle spielten.

Ich bewirtschafte den Wald naturgemäß. Das bedeutet zum Beispiel, dass die meisten Kiefernwaldbestände mit Laubbäumen und Sträuchern natürlich verjüngt wurden. Das gelingt vor allem über die Steuerung der Lichtverhältnisse und der Wildbestände. Ich vermute, dass auch die so entwickelte Vielfalt an Strukturen und Arten das Ökosystem resilienter macht. Die Natur bietet uns da sehr viel an. Von Laubbäumen beschatteter Boden wird länger feucht gehalten, so dass die Eier von Borkenkäfern eher von Pilzen zerstört werden als in der trockenen Nadelstreu. Das hemmt ihre Vermehrung durch ganz natürliche Effekte. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass der Schädlingsbefall abnimmt, wenn der Mischungsanteil mit Laubbäumen im Wald ein Fünftel beträgt.

Wenn Sie auf 2019 zurückblicken. Wie sah Ihr Alltag als Waldbesitzer aus? Müssen Sie den Zustand des Waldes ständig überprüfen, waren Sie in Sorge vor Waldbränden?

Freytag: Durch die Hitze und Trockenheit habe ich innerlich immer auf den Anruf der Feuerwehr gewartet. Ausgerechnet am Osterwochenende kam der Anruf auch – wegen eines kleinen Brandes auf einer Nachbarfläche, der zum Glück zügig gelöscht werden konnte. Meine Flächen sind mit Kampfmitteln belastet, was in Brandenburgs Wäldern nicht selten ist. Die Folgen der Weltkriege und der sowjetischen Besatzung werden uns noch lange beschäftigen.

Löscharbeiten sind da besonders heikel und gefährlich. Die Einsatzkräfte müssen große Sicherheitsabstände zum Brand einhalten und dadurch muss man schon präventiv ein System aus Brandschutzstreifen betreiben. Ich kontrolliere häufiger die Wege und schaue, dass die Brandeinsatzkräfte im Zweifelsfall auch durchkommen. Ein kurzer Draht zur Feuerwehr ist natürlich besonders wichtig.

2019 war auch das erste Jahr, in dem wir gepflanzte Laubbäume wässern mussten. Bei einer Schülerpflanzaktion hatten wir 5.000 junge Eichen in einen Nadelholzreinbestand gepflanzt, deren Überleben ich nicht riskieren wollte. Zum Glück haben durch die Bewässerung alle Bäume überlebt. Sie haben gesunde Knospen und ich freue mich auf das frische Grün.

Der Klimawandel macht sich in der Waldbewirtschaftung auch bei der Verkehrssicherungspflicht bemerkbar. An öffentlichen Wegen müssen immer öfter gefährliche absterbende Bäume entfernt werden. Zweimal jährlich kontrolliere ich alles, zusätzlich nach jedem Sturm. Ich finde vermehrt Exemplare, die ich entfernen muss, weil sie durch Trockenheit geschädigt sind. Früher musste ich alle fünf Jahre einen Baum fällen, heute sind es in einem Jahr fünf Bäume. Der Aufwand ist deutlich gestiegen.

Paradigmenwechsel: Heute muss man die Erderwärmung einbeziehen

Die Klimakrise ist weiterhin akut. Was bedeutet das für den Wald in den nächsten Jahrzehnten?

Freytag: Der Wald muss weiter umgebaut werden. Drei Baumarten sind besser als zwei, um Risiken zu streuen. Die Frage ist jedoch, welche Baumart ist die richtige. Diese Diskussion gewinnt gerade an Fahrt. Naturschützer und Forstfachleute waren bisher der Auffassung, dass es am besten ist, heimische Bäume zu pflanzen, um die natürlichen Ökosysteme zu erhalten. Mit der Erderwärmung haben diese Bäume aber nicht mehr die gewohnten Bedingungen. Nicht nur die Fichte, sondern auch die heimische Buche ist nach monatelanger Trockenheit an ihre Grenzen geraten. Die Buche hat früher fast ganz Deutschland besiedelt.

Der Wandel ist radikal und das bringt bewährte Waldbauprogramme ins Wanken. Bisher waren die Anbauversuche und die Auswahl von Saatgutbeständen auf raschen Zuwachs und Wertholzerzeugung fokussiert. Um die richtigen Saatgutherkünfte in Bezug auf die Klimaresistenz zu finden, müssen die Methoden weiterentwickelt werden: Heute muss man die Erderwärmung einbeziehen. Das ist ein Paradigmenwechsel mit ungewissem Ausgang.

Sie denken in der Forstwirtschaft in langen Zeiträumen, stehen aber unter akutem Handlungsdruck. Wie gehen Sie damit um?

Freytag: Wir sind gezwungen, heute etwas zu tun, von dem wir nicht wissen, wie es sich in 30 oder 40 Jahren auswirken wird. Aber man muss auch sagen: Mit der Forstwirtschaft sind wir in einer Branche, die einerseits unter dem Klimawandel leidet, andererseits aber Teil der Lösung ist. Bewirtschaftete Wälder sind in der Lage, CO2 zu binden, das kann kein anderer Wirtschaftszweig. Wir sollten versuchen, alles Mögliche dafür zu tun, um diese Form der CO2-Bindung und die Wertschöpfungskette Wald zu erhalten.

Aber ist das nicht auch ein fundamentales Problem mit der Wertschöpfung zur Zeit? Mit dem Holzeinschlag können Sie doch gar kein Geld verdienen?

Freytag: Durch die Extremwetterphase und ihre Folgen können die Waldbesitzenden in der Tat mit dem Überangebot an Holz kein Geld verdienen. Damit fällt die einzige Einnahmequelle weg, um eine große Vielfalt an Kosten zu decken. Wir müssen der Gesellschaft nun bewusst machen, das es Waldbesitzern nicht um Profit geht. Auch wenn das in letzter Zeit öfter vermutet wird, ist Wald keine profitable Anlageklasse sondern eine Ökosystem, das vielfältige Gemeinwohlleistungen liefert.

Fast kein Waldbesitzer lebt allein vom Wald. Lediglich in guten Zeiten kann der Holzverkauf einen Beitrag zum Familieneinkommen leisten oder ist für bäuerliche Betriebe die eiserne Reserve oder ein Teil der Altersvorsorge.

Wenn der Wald eine Rolle im Klimaschutz spielen soll, stellt sich derzeit häufig die Frage, ob die Gesellschaft bereit ist, die vielfältigen Leistung für Wasser, Luft und Klima in irgendeiner Form mehr zu achten oder auch zu honorieren.

Mehr über Lutz Freytag im Portrait “Lebenstraum Waldbesitz”

 

Shutterstock

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

Kategorien